2 2 e n t y - t w o: Erschütterung
"Wie kann es sein, dass dein Opa davon erzählt, wie gerne du Schlittenfahren magst, du dich jetzt aber so wahnsinnig dagegen sträubst?", höre ich Alec hinter mir fragen.
"Na ja", beginne ich schnaufend und setze einen weiteren Fuß im tiefen Schnee vor den anderen. Dass Sneaker nicht die beste Idee waren, sollte ich bald am eigenen Leib erfahren. Eigentlich sollte es mir direkt klar gewesen sein, aber ich war gedanklich woanders. "Seine Aussage is etwas veraltet. Als ich acht war hätte sie vielleicht gestimmt."
"Sowas macht mit acht genauso viel Spaß wie mit siebzehn", antwortet er.
"Wieso muss ich eigentlich voran gehen? Ich wette du machst es dir nur einfach und kannst bequem in meine Fußspuren treten."
Sein leichtes Lachen erhellt die Umgebung um uns.
"Das ist tatsächlich das, was ich tue. Erwischt."
Während wir weiter den kleinen Hügel hochgehen, auf dem wir anschließend wieder herunterrutschen wollen, wird die Gegend um uns weiter in weiße Flocken getaucht. Es hört überhaupt nicht auf zu schneien, und so kommt es, dass Häuser, Bäume und alles andere von einer weißen Schicht zugedeckt wird.
Es ist dazu auch bitterkalt. Ich bin ziemlich froh über meine Mütze und meine Handschuhe, doch die kalten, immer nasser werdenden Füße sind schwer zu ignorieren.
"Können wir nicht umdrehen? Meine Socken sind komplett durchtrieft. ich war gerade erst krank. Ich will nicht noch einmal in der Schule fehlen müssen", versuche ich einen neuen Versuch umzukehren.
"Was hast du mit den Schuhen erwartet?", lacht Alec.
"Ich hab nicht wirklich drauf geachtet", murmele ich und drehe mich zu ihm um.
Seine roten Wangen sind durch das, auf ihn, flach scheinende Licht der Straßenlaternen auszumachen. Er blickt zurück und sieht mich grinsend an. "Nicht auf Winterschuhe geachtet? Im Winter?"
"Ich wurde regelrecht aus meinem Haus verbannt. Ich hatte keine Option andere Schuhe zu suchen", verteidige ich mich, kann das Grinsen jedoch auch nicht verstecken.
"Okay", pustet er amüsiert auf, nachdem er mich eine Weile nur angeschaut hat. "Wir gehen jetzt noch die wenigen Meter hoch, damit wir wenigstens ein mal auf diesem Schlitten herunterfahren. Ich will ihn nicht die ganze Zeit umsonst mitgeschleppt haben."
"Und dann?"
"Dann können wir meinetwegen wieder gehen und eine heiße Schokolade oder sowas trinken."
"Ich weiß nicht-"
"Ich finde das klingt nach einem fairen Deal."
Ich blicke ihn an. "Dann gehst du die restlichen Schritte vor."
"Was?", lacht er wieder.
"Dein Vorschlag, aber du läufst die restlichen Schritte voran, damit ich in deine Fußstapfen treten kann", fasse ich überflüssigerweise ein weiteres Mal zusammen.
Er schüttelt den Kopf und macht ein paar Schritte, sodass er die Distanz zwischen uns verringert und direkt vor meiner Nase stehen bleibt. "Wir können auch einfach von hier starten."
Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich seine plötzliche Distanzverringerung aus dem Konzept bringt. Er ist auf einmal so nah, dass ich erstarre und mich nicht von der Stelle bewegen kann. "Was?", schnaufe ich belustigt auf und versuche mich gleichzeitig wieder zu sammeln.
"Ich meine, es ist hier schon ziemlich hoch, oder? Wir werden auch von hier Spaß beim herunterfahren haben."
Mein Grinsen wird von meinem Kopfschütteln unterstützt. "Auf einmal reicht es also von hier."
Alec wendet seinen Blick von meinem ab und zieht den Schlitten zu sich, um ihn neben uns in Richtung bergab zu positionieren. Als er steht, schwingt er ein Bein darüber und setzt sich auf den hinteren Teil des Schlittens. "Ja ich glaube das reicht auf jeden Fall", erwidert er nach einem kurzen Blick den Berg herunter. "Los. Setz dich drauf."
"Da nach Vorne?", frage ich ihn und deute auf den Platz vor ihm, als wäre es nicht klar.
"Na ja, ich kann auch nach Vorne, aber dann musst du lenken und ich bin mir nicht sicher, ob du es hinbekommst, dass wir diesen Baum da unten nicht treffen."
"Was soll das bitte heißen?", stelle ich ihm die Gegenfrage. "Ich werde es ja wohl hinbekommen einen Schlitten zu lenken."
"Ich weiß nicht Hoppel", lacht Alec nervös auf, als er nach ein paar Momenten der Stille bemerkt, dass ich es ernst meine.
"Ich bin gut darin", drängele ich weiter. "Du hast meinen Opa selbst gehört. Ich mag es Schlitten zu fahren."
"Nur weil man etwas mag, muss man es nicht besonders gut können", widerspricht er schmunzelnd. "Und außerdem meintest du gerade, dass es eh nicht stimmt was dein Opa gesagt hat."
"Ach komm schon", erwidere ich nur. "Das wird lustig."
Alec blickt mich direkt an und ich zwinge mich dazu, den Blickkontakt beizubehalten. Nach ein paar Sekunden, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkommen, rutscht er schließlich etwas nach Vorne, um mir so den hinteren Teil des Schlittens freizumachen. Zufrieden beginne ich damit, mich ebenfalls auf dem kleinen Holzgestell niederzulassen.
"Bereit?", frage ich ihn säuselnd.
"Lass mich das nicht bereuen", höre ich ihn sagen, ehe ich langsam spüre, wie der Schlitten sich leicht zu bewegen beginnt. Ich erschrecke leicht, klammere meine Arme instinktiv um seine Taille, um mich irgendwo festzuhalten. Ich meine kurz zu spüren, wie Alec sich anspannt, ich kann mir aber auch etwas eingebildet haben.
Wir nehmen schnell das Tempo auf. Durch das Bewegen meines Körpers nach rechts lenke ich uns in die Richtung und nur knapp vorbei an einem Gebüsch. Ich bemerke, wie Alec beinahe etwas zur Seite zuckt und beginne zu lachen und zu jubeln.
Unsere Geschwindigkeit, sowie mein Spaßgefühl steigen rasant an, sodass ich mich immer sicherer fühle und aufgehe. Nachdem wir den steilsten Teil des Hügels hinter uns gelassen haben, gehe ich davon aus, dass das Tempo etwas nachlässt, jedoch düßen wir weiter, ohne auch nur den Anschein zu machen, langsamer zu werden. So kommt es, dass wir den, vorhin von ihm angesprochenen, Baum ebenfalls nur um eine Haaresbreite verpassen.
"Charly!", schreit Alec und erschreckt mich so sehr, dass ich ebenfalls aufschreie und nach links zucke, und somit eine neue Richtung anschlage. Blöd nur, dass in der neuen Richtung weitere Pflanzen stehen. Mit weiten Augen blicke ich auf die neue Strecke vor uns und stemme meine Füße panisch in die Seite, um zu bremsen. "Bremsen!", brülle ich, als das Gebüsch immer näher auf uns zukommt. "Brems!"
Letztendlich schaffen wir es zwar, unser Tempo etwas zu verringern, jedoch scheitert das Ausweichen trotzdem. Ehe wir weiter reagieren können, durch ein eventuelles Abspringen, krachen wir frontal in das semi-harte Holzkonstrukt.
Die bereits anheftende Schneeschicht verhindert wohl einen härteren Aufprall. Und Alec ist natürlich auch nicht ungemütlich.
Für ihn jedoch hatte das Vorne-sitzen wohl doch einen Nachteil. Etwas von dem Aufprall nach vorne katapultiert, hängt er nun halb im Busch und reibt sich stöhnend den Kopf.
"Verdammt", puste ich aus und hieve mich auf wackligen Beinen nach oben, reiche Alec meine Hand, um ihm ebenfalls auf die Beine zu helfen. "Geht es dir gut?"
"Das war..", beginnt er und dreht sich zu mir um, um nach meiner Hand zu greifen. "holprig."
"Oh Gott", atme ich erschrocken auf, als ich das schimmernde Blut an seiner Stirn sehe und ziehe ihn vorsichtig auf die Beine. "Du blutest Alec. Deine Stirn-"
"Was?", fragt er und greift sich an die Stelle, nur um das Blut nun an seinen Fingern kleben zu haben.
"Was machst du da?", rufe ich aus. "Du kannst doch nicht mit deinen schmutzigen Fingern in die Wunde fassen." Ich drücke ihn auf den Schlitten und blicke ihn besorgt an, während ich ein Tempo aus meiner Jackentasche hole.
"Scheiße, ich muss ein paar Dornen und Äste erwischt haben", sagt er mir, als ich mich vor ihn hin knie und damit beginne, vorsichtig die Stelle abzutunken.
"Oh Gott, es tut mir so leid. Ich habe mich erschreckt und komplett die Richtung geändert. Ich wollte eigentlich gar nicht nach links abbiegen. Ich-"
"Du wolltest also nicht in das struppige Gebüsch und die ganzen Bäume fahren?", fragt er mich lachend. Verwundert blicke ich ihn an und sehe tatsächlich ein amüsiertes Grinsen auf seinen Lippen.
"Du bist nicht böse?", frage ich erstaunt und drücke vorsichtig ein weiteres Tempo auf die Stelle.
"Nein Charly. Ich bin nicht böse", antwortet er mir und sieht mich an.
Etwas verwundert blicke ich ihn ein paar Momente sprachlos an. Damit hatte ich nicht erwartet. Eine wütende Reaktion würde sehr viel mehr Sinn machen, rede ich mir ein, jedoch will ich mich nicht beschweren. Ich schenke ihm ein leichtes, entschuldigendes Lächeln und tupfe die Stelle weiter ab.
"Tut es arg weh? Ich hoffe du hast keine Gehirnerschütterung."
"Nein", sagt er, zieht aber scharf die Luft ein, als ich ein weiteres Mal Druck ausübe. "Ich denke ich kann noch klar denken."
Verstehend nicke ich. Erst nach ein paar Momenten der Stille bemerke ich, dass er mich direkt ansieht. Als meine Augen den Blickkontakt erwidern, frage ich ihn schmunzelnd was los ist.
"Nichts", antwortet er, diesmal sanfter.
"Dann haben wir ja noch einmal Glück gehabt. Ich denke ein Pflaster wird reichen."
"Das werde ich mir merken", schmunzelt er. "Du wirst beim Schlitten fahren definitiv nicht mehr hinten sitzen."
"Das ist unfair", lache ich gespielt empört. "Es war nur ein kleiner Fehler. Und du hast mich aus dem Konzept gebracht mit deinem ängstlichen Aufschrei."
"Ich?", lacht er.
Ich nicke grinsend. Wir blicken uns einige Momente nur an und passen unsere Lautstärke an unsere Umgebung an. Die fallenden Schneeflocken haben bereits eine dünne Schicht auf Alecs Mütze hinterlassen.
"Du erinnerst mich an meinen Onkel", sage ich und durchbreche die Stille.
Ich höre, wie er unsicher auflacht. "Ich bin mir nicht sicher, wie ich das auffassen soll."
"Er hat sich beim letzten Mal, als wir alle Fahren waren, auch so ein Accessoire zugelegt", meine ich und deute auf seine Wunde.
"Ist er zufällig auch mit dir auf einem Schlitten gefahren?"
Ich lache auf. "Nein. Das hat er ganz ohne Fremdverschulden hinbekommen."
"Aber du warst dabei", meint Alec.
Nach langem Drücken, hebe ich das Taschentuch etwas an. Die Blutung hat zum Glück aufgehört. "Ich hatte damit nichts zu tun."
Schmunzelnd sehe ich, wie Alec seinen Kopf etwas schief legt. Ich bemerke wieder seinen Blick auf mir, bemerke, wie er mich direkt anschaut. Auch die Stille hat sich wieder um uns gelegt, während wir neben diesem Gebüsch im Schnee sitzen und eingeschneit werden.
Aus irgendeinem Grund will ich nicht gehen, auch wenn die Kälte und Nässe immer stärker durch meine Klamotten durchdringt. Hier neben Alec fühle ich mich trotzdem gut. Gar nicht kalt. Und auch der Schnee nervt mich nicht mehr so arg.
Ich bemerke, wie die Schneeflocken weiter fallen, sehe wie sie auf Alec landen. Und ich bemerke, dass er viel näher gekommen ist, als er es noch vor ein paar Momenten war.
Ohne es erwartet zu haben spüre ich seine kühle Hand an meiner Wange und realisiere erst dann, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berühren. Atmen fällt mir immer schwerer, je mehr ich begreife, was gerade passiert. Aber ich wage es nicht, mich zu bewegen. Gespannt zwinge ich mich dazu abzuwarten, was er als nächstes tut.
Ich kann sehen, wie seine Augen mich weiterhin mustern. Ich spüre, wie die gesamte Kälte um mich herum weicht. Und als ich meine, die Spannung kaum auszuhalten, spüre ich seine warmen Lippen endlich auf meinen.
Ich kann das leichte Seufzen nicht unterdrücken, als er mich endlich küsst. Seit unserem ersten Kuss vor ein paar Tagen musste ich ständig daran denken. Wie weich seine Lippen sind. Wie gut es tat, ihm so nah zu sein.
Seine zweite Hand findet ebenfalls ihren Weg an meine Wange und zieht mich näher an ihn heran. Das Verlangen, mit dem er mich küsst schwappt direkt auf mich über, sodass ich ebenfalls in einen Sog komme und mehr von ihm will.
Wem mache ich etwas vor - ich wollte eine ganze Weile schon mehr von Alec. Seit ich ihn das erste Mal sah, strahlte er etwas aus, das jeder andere Mensch bisher nicht vorweisen konnte. Ich konnte nie so richtig damit umgehen. In seiner Gegenwart wurde ich nervös und unsicher und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ohne wie ein Idiot zu wirken. Und er hatte mich nie beachtet. Nicht so, wie ich ihn. Er war immer freundlich zu mir, aber er hatte mir nie dieselbe Aufmerksamkeit entgegengebracht. Ich glaube, er wusste lange nicht einmal dass es mich gab. Umso mehr nun die Tatsache, dass er mich mit einem Verlangen küsst, das ich mir nie hätte vorstellen können. Keine Fantasie hätte diese Szene im Schnee, unter den fallenden Flocken, so ausgemalt. Aber das ist auch okay, denn das hier war real.
Ich weiß nicht genau, wie lange der Kuss dauert. Zeit driftet völlig ab und dennoch kommt es mir viel zu kurz vor, als Alec sich von mir löst, schnaufend, leise nach Luft schnappend. Sein intensiver Blick lässt mich einen Moment erstarren, doch das leichte Lächeln kann ich nicht unterdrücken.
Weitere Augenblicke der Stille verstreichen, in denen keiner von uns etwas sagt oder sich bewegt. Es vergehen ein paar Sekunden, ehe er beginnt seinen Kopf zu schütteln und seinen Blick zu senken.
Etwas verwirrt blicke ich ihn an, wage es jedoch nicht die Stille zu zerbrechen.
"Sorry", haucht er irgendwann, ohne sein leichtes Kopfschütteln zu beenden.
Ich verstehe ihn nicht, verstehe nicht was seine Reaktion soll, oder was sie ausgelöst hat. War ich so schlecht?
"Ich-", starte ich einen Versuch, aber er unterbricht mich, ehe ich nachfragen kann was los ist.
"Ich kann das nicht", spricht Alec aus. "Es tut mir leid Charly."
Seine Worte verwirren mich. Ich kann nicht einordnen, was er meint, oder worauf er anspielt oder warum er sie auf einmal sagt. Ich schaffe es nicht nachzufragen. Ich kann nur weiter hier sitzen und mich fragen, was auf einmal los ist, während Alec aufsteht und geht. Und mich im Schnee sitzen lässt.
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Hmmm, vielleicht hat er ja doch ne Gehirnerschütterung, wer weiß :D
- Alina xx
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