2 1 e n t y - o n e: Der richtige Schwung
Hätte ich gewusst, was eine Freundschaft mit Alec für ein Gefühlschaos auslösen würde, hätte ich nie zugestimmt mit ihm in dieses Diner zu gehen. Andererseits hätte ich dann ein paar echt schöne Momente verpasst.
Ich bin hin und her gerissen. Gedankenversunken laufe ich mein Zimmer auf und ab und denke an unser Gespräch heute in der Schule. Einerseits könnte ich mich verfluchen zugestimmt zu haben nur Freunde zu sein, meine eigenen Interessen ignoriert und meinen Willen hinten angestellt zu haben. Aber ich hatte mich so an Alec gewöhnt; sich mit ihm über Dinge auszutauschen, jemanden zu haben der einem hilft und mit dem man lachen kann - ihn nicht mehr zu sehen wäre viel schlimmer.
Nicht wahr?
Frustriert bleibe ich stehen und raufe mir durch die Haare. Mein Blick fällt auf meinen PC, der angeschaltet auf meinem Tisch steht. Ich verfluche mich darüber, nicht früher an meinen Ratgeber gedacht zu haben. Wenn mir jemand helfen kann, dann Tumblr!
Erleichtert renne ich schon fast auf meinen Stuhl zu und öffne die Seite im Browser in Windeseile. Als die blaue Farbe den Großteil meines Bildschirms einnimmt, atme ich etwas auf. Ich lehne mich etwas in meinem Stuhl zurück und genieße die blauen Lichtstrahlen, die auch mein Zimmer in einen angenehmen Ton einfärben.
.. ist der erste Post, der mir auf meinem Feed angezeigt wird. Ich mag die Simplizität, die er ausstrahlt und die Nachricht, die mich weiter beruhigt. Denn auch ich trage so viel von Alec in meinem Herzen. Seine Bereitschaft mir zu helfen, sei es bei Johnnys dummen Kommentaren oder wenn ich krank bin. Er bringt mich zum Lachen, heitert mich auf, ist für mich da. Ich kann mich auf ihn verlassen und er -
Freunde, Charly.
Meinen Kopf schüttelnd setze ich mich wieder aufrecht in meinen Stuhl und sortiere meine Gedanken. Alec ist ein toller Freund, der immer für mich da ist. So ist es.
Nach ein paar Bildern von Küsten und kleinen Katzen, fällt mir folgendes Zitat vor die Augen:
Ist dieses Freundschaftsding erzwungen? In gewisser Weise ist es das wohl, aber es einfach zu lassen? Mich einfach von ihm fern halten? Und was habe ich davon?
Ich würde mich wieder meinen Büchern widmen, mich einschließen und im Sommer im Garten liegen, die Sterne beobachten und ...
Ich halte inne.
Ertappt fahre ich mir über mein Gesicht und halte inne, trinke einen Schluck Wasser. Tumblr hat recht - ich übertreibe komplett, denke viel zu sehr darüber nach.
Fahr einen Gang runter Charly, los! Ich mache mich noch verrückt.
Sagt mir Tumblr ich soll es versuchen? Meine Gefühle für mich behalten und einfach weiter machen?
Warum nicht, was ist das Schlimmste das passieren kann?
Das ist es, rede ich mir ein, als ich nach einiger Zeit des Scrollens nicht wirklich weiter weiß. Ich brauche einfach Zeit. Das muss es sein.
Nach einem Blick auf die Uhr bemerke ich erst, dass ich die letzten vier Stunden damit verbracht habe, durch Tumblr zu scrollen, krampfhaft auf der Suche nach irgendwelchen Antworten. Ich fühle mich genauso schlau, wie davor. Ich weiß nicht weiter. Ich weiß nur, dass ich wohl etwas Zeit brauche, um meine Gedanken zu sortieren. Die Stille der Nacht hat unbemerkt mein Zimmer übernommen. Es ist bereits kurz nach Vier. Ein Blick nach draußen auf die dunklen Straßen lässt mich wissen, dass es wieder schneit. Mittlerweile liegt draußen eine gewisse Menge an Schnee, alles ist in weiß getaucht. Ich wende meinen Blick ab, genervt von der weißen Masse.
Mein Schädel brummt, meine Augen fallen mir beinahe zu. Gerade noch schleife ich mich in mein Bett, bevor ich ins Reich der Träume abdrifte.
Wie ich mir wünsche Teddy würde hereinkommen und sich auf mich schmeißen. Wie ich mich nach einem Rat meiner Mutter sehne, oder einem dummen Kommentar meines Vaters, der mich zum Lachen bringt.
Heute habe ich Glück - in meinen Träumen sehe ich sie zum ersten Mal nach so langer Zeit auf mich warten.
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Ich bin nervös, als ich am nächsten Morgen die leeren Schulflure entlang gehe. Nicht, weil ich wieder viel zu spät dran bin, oder wegen komischen Blicken von meinen Mitschülern, die seit Johnnys Aktion in der Cafeteria wieder angestiegen sind, sondern wegen Alec. Ich habe ein komisches Gefühl, habe Angst dass es komisch oder erzwungen wird mit ihm zu reden.
Ich mache mir zu viele Gedanken. Ich hatte viel zu wenig Schlaf. Mein Kopf brummt vor sich hin, während ich möglichst auf den Boden gucke.
Kopfschüttelnd verfluche ich mich in Gedanken selbst und betrete meinen Geografiekurs, entschuldige mich kurz murmelnd für meine Verspätung und lasse mich auf meinen Platz fallen. Meine Motivation ist auf unterster Stufe, ich habe überhaupt kein Interesse an irgendwelchen geografischen Inhalten, ich -
"Was machst du hier Charly?", werde ich aus meinen Gedanken gerissen und blicke das erste Mal erschrocken auf. Ich starre nicht schlecht in Alecs braune Augen, die mich von vorne verwirrt mustern. Eine Reihe vor mir sitzend hat er sich umgedreht und mit seiner Frage völlig auf dem Konzept gebracht.
Warte ... Alec ist nicht in meinem Geografiekurs.
Desorientiert blicke ich mich im Klassenzimmer um und erkenne schnell, dass das weder mein Kurs, noch mein Lehrer ist.
"Oh Scheiße", flüstere ich benommen, als ich meine Situation begreife und starre nach vorne. Zu meinem Glück scheint der Lehrer wenig mitbekommen zu haben, ihm ist nicht aufgefallen, dass ich hier gar nicht hingehöre. "Ich bin wohl falsch abgebogen."
"Mhm", höre ich Alec murmeln und blicke wieder zu ihm. Außer ihm scheint es wohl niemandem aufgefallen zu sein. Die Hälfte der Klasse tippt sowieso unter den Tischen an ihren Handys herum. Dass sie keine Angst haben erwischt zu werden ... "Was ist los? Du siehst fertig aus."
"Danke", murre ich ihm entgegen und fahre mir über mein Gesicht. "Du siehst auch nicht aus wie das Gelbe vom Ei."
Seine Lippen verziehen sich zu einem kleinen Schmunzeln, ehe er in einem Moment, in dem der Lehrer in seinen Unterlagen herum krustelt und uns keine Aufmerksamkeit zuwendet, seinen Platz wechselt und sich neben mir auf den freien Stuhl setzt. Ich beobachte ihn währenddessen und sage nichts.
Ich sollte eigentlich den Raum wechseln und in meinen richtigen Kurs zurückkehren, jedoch bewege ich mich nicht von der Stelle und bemerke das ansteigende Tempo meines Herzschlages in Alecs Nähe.
"Was ist los Hoppel?", flüstert er mir leise zu und mustert mich von der Seite. "Deine Augenringe sind kaum zu übersehen."
"Ich konnte nicht schlafen", murmele ich zurück und krame meinen Block aus meinem Rucksack, um so tun zu können, als würde ich mitschreiben. "Es hat die ganze Nacht geschneit."
"Wieso hast du nicht geschrieben? Ich hätte dich vielleicht auf andere Gedanken bringen können..", antwortet er nach ein paar Augenblicken der Stille.
"Du hast gerade eigene Probleme, da wollte ich dich nicht zusätzlich mit meinem Quatsch voll reden", meine ich und kritzele ein paar Linien auf einem meiner Blätter herum. Ich kann ihm schlecht sagen, dass er der Grund für meine unruhige Nacht ist. Er und mein dummes Gehirn, das nicht aufhören konnte sich über alles Gedanken zu machen.
"Charly", höre ich ihn anfangen, allerdings wird er vom Lehrer aufgerufen und muss seine Frage beantworten.
Das ist alles so komisch, so krampfhaft. Wieder verfluche ich mich dafür, die Situation zwischen uns so verkompliziert zu haben. Hätte ich ihn einfach nicht geküsst und meine Gefühle aus dem Spiel gelassen. Ich habe seit so langer Zeit wieder einen guten Freund gehabt, da hätte ich es mir nicht direkt wieder vermasseln müssen.
"Schon okay Alec", sage ich dann und schenke ihm ein kleines Lächeln. "Mir fehlt meine Familie einfach nur. Weihnachten rückt immer näher. Da kannst du nicht helfen, ich wollte etwas Zeit für mich."
Nicht, dass es nicht stimmen würde, dass ich meinen kleinen Bruder und meine Eltern vermissen würde, gar keine Frage. Aber dennoch war meine Aussage etwas geflunkert. Jedoch nickt Alec nur und kauft mir meine Ausrede ab. Ich weiß nicht, ob er mir glaubt, aber er hakt nicht weiter nach.
"Verstehe", meint er stattdessen und nickt. "Wenn du nach der Schule was unternehmen willst, hätte ich Zeit. Vielleicht bringt dich das ja auf etwas andere Gedanken?"
"Oh", mache ich und halte inne. "Okay, ja klar warum nicht."
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"Die Mets haben das letzte Spiel leider verloren, aber ich bin mir sicher dass sie das kommende auf jeden Fall nach Hause holen werden", höre ich meinem Gramps zu, der beinahe seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Fernseher gerichtet hat, auf dem die Analyse des letzten Spiels der New York Mets gegen die Los Angeles Dodgers läuft. Obwohl er mit mir am Tisch sitzt und isst, hat er bisher wenig von meinem Essen angerührt, das ich für uns beide gekocht habe.
Da Granny Freitag abends immer etwas mit ihren Freundinnen unternimmt, übernehme ich die Aufgabe und feile nebenher an meinen Kochfähigkeiten, die zugegeben ausbaufähig sind. Vielleicht erklärt das auch, warum mein Gramps nicht den größten Hunger verspürt.
Es kann aber auch an seinem Interesse für den Sport liegen. Er verpasst fast nie ein Spiel seiner Lieblingsmannschaft. Es ist fast schon etwas fanatisch, aber gleichzeitig auch goldig wie er sich über jeden gelungenen Schlag oder jeden Home-Run freut. Ich verstehe nicht viel von dem Spiel, ich weiß dass er früher intensiv gespielt hat.
"Schmeckt es dir nicht?", frage ich ihn schmunzelnd und reiße ihn so aus der Analyse, in die er vertieft ist.
"Was sagst du Hoppel?", fragt er, als er sich zu mir dreht und mir seine Aufmerksamkeit wieder schenkt. Ich deute auf das Kartoffelgratin, das ich heute zum ersten Mal nach dem Rezept meiner Mutter ausprobiert habe. Von ihr habe ich es immer geliebt, es gab nichts leckereres, aber ich muss zugeben, dass ich nicht ansatzweise an sie heran komme.
Es war eine Überwindung, ihr altes Buch mit ihren handgeschriebenen Rezepten anzufassen. Aber sie hat mir so gefehlt - der Wunsch nach etwas Vertrautem, das mich an sie erinnert, hat schließlich gewonnen. Dennoch, das kleine Buch anzufassen hat ein Gefühlschaos in mir ausgelöst.
"Ich habe dich gefragt, wie dir mein Gratin schmeckt", wiederhole ich und deute zusätzlich auf seine fast unangetastete Portion.
"Oh es ist wunderbar", sagt er und blickt mich ertappt grinsend an. "Entschuldigung, ich war abgelenkt."
"Schon gut", kichere ich leicht, doch er beginnt demonstrativ eine Gabel nach der anderen zu essen. "Es ist lecker."
"Freut mich", erwidere ich und blicke während des Essens nun ebenfalls auf den Bildschirm, um mir die Analyse anzugucken. Wir verfallen in angenehmes Schweigen, während ich mich frage über was die Reporter dort genau reden, aber ich frage nicht nach. Mein Opa würde mich nur voll texten.
"Wann hast du das letzte Mal gespielt", frage ich ihn stattdessen irgendwann, als in die Werbung geleitet wird.
Zuerst winkt er ab, ehe er doch nachdenkt und mir antwortet. "Ewig her, wahrscheinlich. 15 Jahre?"
"Was?", frage ich mit großen Augen. "Du guckst nur und spielst überhaupt nicht mehr?"
"Hoppel ich bin alt geworden", lacht er auf. "Ich kann nicht mehr so schnell rennen wie früher, einen Home-Run würde ich wohl nur noch hinbekommen, wenn der Ball außerhalb des Spielfelds geschlagen wird."
"Unsinn", lache ich ebenfalls. "Du bist noch jung genug zum Spielen."
Gramps will gerade eine weitere Bemerkung aufsagen, wird jedoch durch das Klingeln der Türe unterbrochen. "Ist das Oma?", fragt er und blickt auf. Er macht Anstalten, aufzustehen, aber ich bin schneller und übernehme.
Ich ziehe meine Schultern nach oben und bewege mich hin zur Türe. Als ich diese öffne steht ein eingeschneiter Alec vor meinen Augen, eingepackt in dicker Winterjacke, Schal und Mütze, die stark an sibirische Regionen erinnert.
"Hoppel", begrüßt er mich lächelnd und schließt mich in seine Arme, als wäre nichts komisches zwischen uns passiert. Zu blöd, dass er mir den ganzen Schnee an meinen Pullover schmiert und diesen nass macht.
"Hey", begrüße auch ich ihn und streife mir das nasse Eis von den Klamotten. "Es schneit ja schon wieder."
"Toll, nicht wahr?", erwidert Alec freudig und wirft einen Blick über seine eigene Schulter. "Jetzt bleibt der Schnee sogar langsam liegen."
"Klasse", meine ich weniger begeistert und trete zur Seite, damit er hereinkommen kann. "Ich hoffe du bist nicht mit dem Auto gekommen?"
"Nein, ach quatsch. Ich hab etwas viel besseres dabei!", verkündet er freudig und zieht einen hölzernen Schlitten hinter sich hervor. Ich lache auf, als ich ihn sehe.
"Was? Du willst Schlitten fahren gehen?", will ich von ihm wissen.
"Klar", antwortet er mir und nickt. "Es ist perfektes Wetter dafür. Los, zieh dich an!"
Das letzte Mal Schlitten gefahren bin ich vor vier Jahren, als meine ganze Familie Weihnachten bei meiner Oma verbracht hat. Teddy hat es so sehr übertrieben, dass er sich den rechten Arm verstaucht hatte und die Stirn meines Onkels schmückte eine rote Platzwunde, als er viel zu schnell über eine Schanze drüber gefahren ist und seinen Sturz nicht abbremsen konnte.
"Machen das nicht nur Kinder?", frage ich, in Gedanken noch halb an diesem Tag verankert.
"Ihr seid doch noch halbe Kinder", höre ich Gramps hinter mir begeistert sagen, der uns wohl die ganze Zeit zugehört hat. "Sei kein Miesepeter Charly, Schlitten fahren ist doch toll!"
Ich blicke nach hinten, um meinen Großvater dort begeistert grinsend stehen zu sehen. "Zieh doch nicht so eine Miene Charly! Du hast es früher geliebt Schlitten fahren zu gehen!"
"Umso besser", lacht Alec auf und hebt grinsend einen Daumen nach oben. "Dann habe ich genau die richtige Aktivität ausgewählt."
"Ich weiß nicht", sage ich zögerlich. "Es ist kalt da draußen und das letzte Mal ist nicht sonderlich gut ausgegangen."
"Wir machen langsam", erwidert Alec nur. "Na los. Zieh dich an!"
Ich will weiter protestieren und auf meinen Gramps verweisen, den ich nicht alleine lassen will, aber dieser hält mir bereits meine Winterjacke, Schal und Mütze entgegen und scheucht mich aus der Türe. "Der Schlitten steht in der Garage! Viel Spaß!"
"Aber ich habe noch nicht fertig gegessen-"
Alle Ausreden erscheinen zwecklos. Ohne weiter protestieren zu können werde ich von meinem Opa aus der Türe geschoben. Er schließt sie auch direkt, sodass ich keine Chance habe ins Haus zurück zu flüchten.
"Wow", höre ich Alec lachen. "Es wirkt als hätte er geradezu darauf gewartet, dass du das Haus verlässt."
"Ja", stimme ich ihm perplex zu. "Er will wohl in Ruhe sein Baseball-Spiel gucken."
"Umso besser für mich", lacht Alec und zieht mich weiter in Richtung Straße, weg von meiner Türe. "Ich kann es kaum erwarten, mich mit dir diesen Hügel herunterzustürzen."
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Hallo, kennt ihr mich noch :-)
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Ich werde nichts versprechen, aber vielleicht bekomme ich es ja hin, diese Geschichte hier noch abzuschließen :D
Lg Alina
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