10. Schmerz
♪ Cuts like a Knife – Bryan Adams
❃ ❃ ❃ G I L L I A N ❃ ❃ ❃
Aufmerksam lag mein Blick auf Milo, bereit mir anzuhören, was er zu sagen hatte.
Nicht im Entferntesten rechnete ich jedoch mit den harten Tatsachen, mit denen er mich innerhalb weniger Sätze konfrontierte. Er katapultierte mich damit in ein mentales Chaos.
Ich wollte nicht glauben, was da aus seinem Mund kam.
„Du – du bist wo gewesen?", stammelte ich total durcheinander.
Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen, als er die Worte wiederholte, die ich am liebsten nie gehört und nie gefühlt hätte.
„Ich – Liam schleppte Harry und mich in einen Swinger Club. Ich schwöre dir, Gillian, es war nicht geplant, was passierte. Ich-." Kurz brach er ab, fuhr sich mit einer Hand ruch sein dichtes, dunkles Haar. Ich liebte es, wenn er das tat, aber im Moment wirkte diese Geste eher hilflos auf mich.
„Gillian, ich war zugedröhnt. Jemand hat mir etwas in den Drink gekippt und dann landete ich mit dieser Frau in einem Dark Room. Ich wollte dich niemals betrügen, Gillian. Du musst mir das glauben, bitte."
Noch immer fassungslos starrte ich meinen Verlobten an, den Mann, der mir mehr bedeutete als alles andere auf der Welt. Es schmerzte zutiefst, diese Worte zu hören und ich begriff nur langsam, dass eine andere Frau meinen zukünftigen Mann auf intimste Art und Weise berührt hatte. Etwas, was nur mir vorbehalten war. Ewas, was nur Milo und mir gehörte.
Er hatte mit einer anderen geschlafen.
Sekunden wurden zu einer zähfließenden Masse, die sich träge zwischen uns wälzte. Sie baute sich auf wie eine riesige Mauer, die mein Herz unter sich begrub.
Richtiges Atmen fiel mir schwer und ich spürte, wie Tränen über meine Wangen liefen.
„Gillian." Milos Stimme war ein Hauch. „Es tut mir so unendlich leid. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte."
In diesem Moment zersprang etwas in mir. Wut und Enttäuschung suchten ihren Weg nach draußen, ließen mich explodieren und gleichzeitig traurig werden.
„Wie konntest du es wagen, in diesen Swinger Club zu gehen?", brachte ich hervor. Meine Lippen zitterten gewaltig, ebenso meine Beine. Ich glaubte jeden Moment zusammenbrechen zu müssen, da ich weder Atmung noch sonst irgendetwas unter Kontrolle hatte.
Milo schwieg, aber ich geriet richtig in Fahrt.
„Du möchtest, dass ich dir verzeihe? Wie stellst du dir das vor? Dass ich jemals vergessen kann, was du mir gerade erzählt hast? Dass ich es ausblenden kann, wenn wir Sex miteinander haben, dass du mit einer anderen gevögelt hast?!"
Langsam schien wieder Leben in Milo zu kommen, er gewann seine Sprache wieder.
„Ich war unter Drogen! Ich wollte das nicht!"
Mein Maß war voll. Ob Drogen oder Alkohol, beides klang nach Ausreden und ich war im Augenblick nicht fähig, klar nachzudenken. Alles was ich fühlte war Schmerz. Er grub sich unbarmherzig in meine Seele und schoss durch meine Venen. Er ließ mich das tun, was ich in dieser Sekunde als gerecht empfand.
Meine Tasche stand noch immer gepackt im Nebenraum, ich war noch nicht einmal umgezogen, trug noch Schuhe und eine Jeansjacke. Es brauchte nur einen einzigen Satz, eine einzige Geste.
Voller Wut im Bauch zog ich den Verlobungsring von meinem Finger und warf ihn Milo vor die Füße. „Hier, im Moment brauche ich den nicht", fauchte ich. „Ich gehe und ich möchte in Ruhe gelassen werden."
Nach diesen Worten schnappte ich meine Tasche und lief nach draußen. Ich hatte keinen Plan, wusste nur, dass ich es keine Minute hier im Haus aushielt. Meine Lunge schrie nach Luft, aber die bekam ich in der gemeinsamen Wohnung mit Milo nicht. Ich brauchte Abstand.
Mit der Tasche über der Schulter baumelnd, lief ich die Auffahrt bis zur Straße entlang und als ich unten angekommen war, wusste ich, was ich zu tun hatte. Schnell zückte ich mein Handy, um meine beste Freundin anzurufen.
„Gillian, was ist los? Hast du was bei mir vergessen?", flötete Esra mir entgegen.
„Nein." Tief atmete ich durch. „Kannst du mich abholen und dann zum Flughafen bringen?"
„Bitte was?"
„Ich erkläre es dir später. Bitte hole mich ab. Ich stehe an der Straße, die zu unserem Grundstück führt."
Esra stellte keine weiteren Fragen, sondern beendete einfach das Gespräch mit den Worten: „Bleib wo du bist, ich komme."
Eine beste Freundin wie Esra zu haben erleichterte vieles. Wir verstanden uns blind und als sie mit ihrem Wagen vorfuhr, sah ich an ihrem Gesicht, dass sie sich große Sorgen machte.
Da ich Esra nicht auf die Folter spannen wollte und sie zudem nach dieser Aktion die Wahrheit verdiente, legte ich die Karten offen auf den Tisch.
„Milo hat mich betrogen."
Empört schnappte Esra nach Luft. „Machst du Witze?"
„Ganz und gar nicht."
Während meine beste Freundin den Wagen in Richtung Flughafen lenkte, erzählte ich, was vorgefallen war.
„Ernsthaft?", schnaufte sie. „Das kann nicht wahr sein."
„Ist es aber."
Esra beäugte mich von der Seite. „Und was willst du jetzt tun, Gil?"
„Ich fliege nach Vermont, zu Cheyenne."
Für einen Moment herrschte Stille im Auto, dann sprach Esra: „Weiß sie, dass du kommst?"
Ein wenig benommen schüttelte ich den Kopf. „Ich habe nicht mal einen Flug gebucht. Das muss ich gleich noch machen."
„Na du bist mir ein Herzchen. Was ist, wenn du keinen mehr kriegst? Also nicht für heute?", gab Esra zu bedenken.
„Es gibt eh keinen Direktflug. Ich muss in New York umsteigen und für New York gibt es immer Flüge", erwiderte ich.
Mein Entschluss stand felsenfest und niemand würde mich davon abhalten. Ich brauchte einen Tapetenwechsel, wollte Milo nicht sehen und ihm auch nicht die Möglichkeit geben, mich jederzeit besuchen zu können. Er würde nicht wissen, wo ich mich aufhielt und der Rest meiner Familie auch nicht. Dabei war es mir scheißegal, was Milo ihnen erzählte. Er hatte es verbockt und ich war niemandem eine Erklärung schuldig.
Ich war wütend auf Milo, wütend auf Liam und gleichzeitig fühlte ich mich klein und verletzlich.
Seufzend suchte ich nach einer Flugverbindung und wurde zum Glück fündig. American Airlines bot einen Flug an, der um 18 Uhr startete und in Newark, dem kleineren Flughafen New Yorks, landete. Von dort aus ging es weiter nach Burlington. Ich würde erst am nächsten Tag dort eintreffen aber das war mir egal, selbst wenn ich eine Nacht auf dem Flughafen schlafen musste.
Als Esra mich vor dem Flughafengebäude absetzte, blickte sie mich ernst an. „Melde ich bitte, wenn du angekommen bist." Wir umarmten uns und ich flüsterte ihr ins Ohr: „Ich hab dich lieb, Esra."
„Ich dich auch."
Kurz drehte ich mich um, bevor ich durch die Glastür schritt, sah Esra winken und spürte Tränen in meinen Augen. Es tat alles so verdammt weh und ich fühlte mich wie in einem Albtraum, aus dem ich nicht entrinnen konnte.
Mit einer ungelenken Handbewegung wischte ich die Tränen weg, bevor ich in Richtung Passkontrolle schritt. Gleich danach ging es zum Security Check, wo ich mein Duschgel und das Shampoo aussortieren musste, da die Flaschen den erlaubten Inhalt der zugelassenen Flüssigkeitsmenge überschritten. Ärgerlich aber nicht zu ändern. Dann musste ich mir eben neues kaufen.
Langsam schlenderte ich in Richtung Gate, kaufte unterwegs eine Cola sowie ein belegtes Sandwich und zog eine leichte Strickjacke aus meiner Tasche, die als Handgepäck durchging. Die Klimaanlage blies mit voller Leistung und bot einen Vorgeschmack auf das Wetter im Staat Vermont, in dem meine Schwester lebte. Natürlich hatte ich nicht die passende Kleidung dabei, aber Cheyenne würde mir bestimmt etwas leihen. Wir hatten nahezu die gleiche Größe, was sich in dieser Situation als ungemein praktisch erwies.
Plötzlich fiel mir ein, dass ich Cheyenne noch gar nicht angerufen hatte und sie demnach nicht wusste, dass ich bald vor ihrer Tür stand. Sogleich zückte ich mein Handy, drücke die Kurzwahltaste und wartete. Es dauerte eine Weile, ehe ich die Stimme meiner älteren Schwester vernahm.
„Hallo Gillian, nett, dass du anrufst. Wie geht es dir?"
Ich machte es kurz. „Ich bin auf dem Weg zu euch, Chey."
„Ist irgendwas passiert?", horchte sie und das war der Moment, in dem ich in Tränen ausbrach. „Ich-. Milo. Scheiße."
Mehr brachte ich nicht zustande, aber Cheyenne war schon immer ein As im Kombinieren. „Lass mich raten, ihr habt Stress und du brauchst eine Auszeit."
„Darf ich bei euch bleiben?", schluchzte ich und hörte ihre Antwort: „Natürlich, da fragst du noch? Wann soll ich dich am Flughafen abholen?"
„Morgen um viertel nach zwölf."
Damit war alles geklärt. Ich schaltete mein Handy aus, um für niemanden erreichbar zu sein. Zudem wurde gerade das Boarding aufgerufen und ich stellte mich in die Schlange der Passagiere.
Mein Platz lag am Fenster und als ich mich angeschnallt hatte, traf mein Sitznachbar ein, eine ältere Dame, die sofort zu plappern anfing. Obwohl ich eher nicht zum Reden aufgelegt war, antwortete ich höflich. Kaum war der Flieger gestartet, gingen die Stewardessen durch den Gang, um Getränke und eine kleine Tüte Brezeln zu verteilen. Bestimmt war jemand an Bord, der eine Erdnussallergie hatte, denn dann stiegen sie immer auf Brezeln um. Da ich beides mochte, war es mir egal und ich stopfte den kleinen Snack in mich hinein. Fünf Stunden dauerte der Flug nach Newark und die Dame neben mir plauderte unaufhörlich. Über ihre Katzen, über ihren Mann und über ihre Schwester, die in Texas lebte und die sie besucht hatte.
„Welch ein Zufall", sprach ich lächelnd, „ich besuche meine Schwester in Vermont."
Die ältere Dame lächelte zurück. „Geschwister sind wundervoll, auch wenn man sie manchmal gegen die Wand klatschen könnte, nicht wahr?"
Insgeheim musste ich ihr rechtgeben. Cheyenne und ich hatten uns früher oft gezankt, aber wir konnten auch nicht ohne den anderen. Je älter wir wurden, desto besser verstanden wir uns und im Moment brauchte ich niemanden so sehr wie sie.
Ich sehnte mich nach ihren Umarmungen, nach ihrer Herzlichkeit aber vor allem nach ihrem Verständnis. Cheyenne würde mir keine Szene machen, weil ich einfach so abhaute.
Die Zeit verging schneller als gedacht und ehe ich mich versah, setzte das Flugzeug zur Landung an. Mittlerweile war es stockdunkel aber man sah die vielen Lichter der Stadt, die die Nacht erhellten.
Nach einer harten aber sicheren Landung verabschiedete ich mich von meiner Sitznachbarin, nahm meine Tasche und wartete, bis der Gang so gut wie frei war. Erst dann setzte ich mich in Bewegung.
Im Flughafengebäude angekommen, überlegte ich, wie ich nun die Zeit bis zum nächsten Tag verbringen sollte. Die Idee, im Flughafen zu übernachten, fand ich nun nicht mehr ganz so toll und lief deshalb zum Taxistand.
An jedem Flughafen gab es eine Unterkunft, die sich ganz in der Nähe befand, ein sogenanntes Airport Hotel. Dorthin ließ ich mich bringen.
Das Hotel war mehr als okay, das Zimmer sauber und ich bekam sogar in dem dazugehörigen Restaurant noch eine Kleinigkeit zu essen. Da mir das Gespräch mit Milo gehörig auf den Magen geschlagen war, hatte ich auch keinen großen Hunger. Da tat es ein Salat mit Schinken und Käse vollkommen.
Erschöpft schleppte ich mich nach dem Essen in mein Zimmer. Ich hatte das Gefühl, einen Marathon gelaufen zu sein, aber keinen körperlichen, sondern einen gedanklichen.
Auf und ab gingen meine Gefühle, sie gaben mir nicht die Möglichkeit abzuschalten. Auf dem Flug war ich abgelenkt, aber nun holten mich die Ereignisse des heutigen Tages gnadenlos ein.
Milo. Immer wieder Milo.
Ich sah ihn vor mir, seine grünen Augen, hörte seine Stimme, die beichtete und wurde innerlich hin- und hergerissen. Meine Seele und mein Herz befanden sich in einem Zustand, der einfach nur jämmerlich war.
Zwischen Liebe und Verrat.
Zwischen Hoffnung und Verachtung.
Mein Kopfkino gestattete mir keine Pause, nicht eine Sekunde lang. Die Stille im Raum erdrückte mich und immer wieder spielte sich der gleiche Film ab. Eine Frau, mit Milo in einem Bett liegend.
Der Gedanke daran brachte mich fast an den Rand des Wahnsinns. Ich liebte diesen Mann, ich wollte mein Leben mit ihm verbringen aber nun erschien alles so sinnlos. Er hatte unsere Liebe verraten, er hatte mich verraten und mich zutiefst verletzt.
Wie sollte ich ihm jemals wieder vertrauen können?
In dieser Nacht weinte ich mich in den Schlaf und als ich am nächsten Morgen durch den Handywecker erwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Wenn es hoch kam, hatte ich drei Stunden geschlafen.
Müde zog ich mich nach einer kurzen Katzenwäsche an, schnappte meine Tasche, checkte aus und ließ mich mit einem Taxi wieder zum Flughafen kutschieren. Als ich aus dem Wagen stieg, begann ich zu frösteln, denn in New York war es viel kühler als in Texas. Himmel, wenn ich hier schon fror, wie schlimm würde das dann in Vermont sein? Zu dumm, dass ich nicht wenigsten einen dicken Pulli eingepackt hatte.
Bei der Sicherheitskontrolle war die Hölle los, sodass es ziemlich lange dauerte, bis ich endlich durch war. Deshalb geriet ich in Zeitnot, denn mein Flug wurde bereits zum Boarding aufgerufen. So schnell meine Beine mich trugen, rannte ich zum Gate, kam dort völlig außer Atem an, doch ich erreichte die Maschine gerade noch rechtzeitig.
Schnaufend ließ ich mich auf dem Platz direkt am Gang nieder, da setzte sich die Boeing auch schon in Bewegung.
Eine gute Stunde Flug stand mir bevor. Eine Stunde, in der meine Gedanken wieder nicht still standen. Unaufhörlich kreisten sie um Milo und um diese beschissene Situation.
Mental drehte ich mich im Kreis, immer und immer wieder. Es hörte erst auf, als ich aus der Maschine stieg.
Jetzt hatte ich nur noch ein Ziel vor Augen: Von Cheyenne in die Arme genommen zu werden.
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Hallo meine Lieben, es geht weiter bei Tüll.
Nun ist die Wahrheit draußen. Hättet ihr gedacht, dass Gillian so reagiert?
Was mag nun passieren? Wird Milo versuchen, Kontakt zu ihr aufzunehmen? Was denkt ihr?
Ich möchte mich ganz herzlich bei der lieben Laura für die Kapitelgrafik bedanken, die sie für mich gemacht hat. Deswegen widme ich ihr dieses Kapitel. Danke für die tolle Arbeit
LG, Ambi xxx
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