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Eher widerwillig stand ich von meinem sehr gemütlichen Bett auf. Doch ich hatte keine Wahl, es sei denn, ich würde den Wecker, welchen ich gestern vorausschauend auf meine Fensterbank gestellt hatte, einfach weiter klingeln lassen. Jedoch erschien es mir persönlich unmöglich, das zu tun. Dafür war er viel zu nervig. Und ich schon zu genervt.
Morgenmufflig ging ich in das Bad, welches Kais und mein Zimmer miteinander verband. Gähnend besah ich mich im Spiegel. Immerhin sah ich heute ausnahmsweise mal nicht so fertig aus.
Angezogen und mit meiner Schultasche bepackt kam ich in der Küche an, in der Dad bereits Toast für uns drei vorbereitete.
"Morgen, Arija." Er gab mir rasch einen Kuss auf die Stirn und schob mir dann einen Teller zu. Schließlich stieß auch Kai zu uns.
"Guten Morgen, Schwesterherz. Na, gut geschlafen?" Er grinste mich an. Vermutlich hatte er meinen Wecker gehört und aus der Tatsache, dass ich so lange gebraucht hatte, um ihn auszuschalten, geschlussfolgert, wie gut mein Morgen doch war. Ich fand es sehr unfair, dass Kai mit der Fähigkeit geboren wurde, morgens immer gut drauf und auch schon ab fünf Uhr automatisch wach zu sein. Während ich das absolute Gegenteil war.
"Ach, halt doch die Klappe." Kai kicherte daraufhin bloß. "Nimmst du mich mit zur Schule?"
Er sah auf seine Uhr und sagte dann: "Jap, das klappt."
"Arija, bist du heute wieder bei Tommy?"
Automatisch schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Den kleinen schwarzhaarigen Jungen hatte ich, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, in mein Herz geschlossen. Ich freute mich jedes Mal darauf, ihn wiederzusehen und Zeit mit ihm zu verbringen. Dass ich dabei auch noch Geld verdiente, war natürlich auch ein wichtiger Aspekt, warum mir dieser Job so viel bedeutete.
"Ja, den ganzen Nachmittag. Ich weiß also nicht, wann ich zu Hause sein werde."
"Gut, dann weiß ich Bescheid."
Kai, der ganze fünf Toast innerhalb drei Minuten verschlungen hatte, klopfte mir auf die Schulter und sagte: "Los, auf geht's. Ich muss zur Uni und du zur Schule. Ein Hoch auf die Bildung." Er jauchzte auf.
Diesen wirklich bescheuerten Spruch sagte er jeden Morgen. Außer natürlich, er hatte eine spätere Vorlesung. Wobei ich Kai für so verrückt hielt, auch dann das zu sagen, nur war halt keiner zu Hause, der, so wie Dad und ich jetzt, genervt die Augen rollen konnte.
Ich schob mir also rasch das letzte Stück Toast in den Mund und folgte Kai zu seinem Auto. Einem alten VW Golf. Zu mehr hatte sein über die Jahre angespartes Geld nicht gereicht, aber er liebte die alte Schachtel wie nichts anderes auf der Welt und nannte sie sogar ganz liebevoll "Baby". Sollte es jemals eine Person in seinem Leben geben, die er nur halb so sehr liebte wie dieses Auto, konnte sie sich wirklich glücklich schätzen.
Auf der gesamten 15-minütigen Fahrt bis zu meiner Schule, drehte mein Bruder das Radio so laut auf, dass ich bereits nach 2 Minuten dachte, ich hätte einen Tinnitus. Dass Kai zu jedem Lied auch noch lauthals mitsang, verbesserte die Lage nicht unbedingt. Ich freute mich schon fast darauf, aus diesem Auto auszusteigen.
Als ich jedoch meine Schule erblickte, mit all ihren Schülern auf dem Schulhof verteilt, verflog die anfängliche Lust aufs Aussteigen direkt. Fast schon hilfesuchend blickte ich zu Kai, der die Schule und die umstehenden Autos - natürlich waren die meisten davon teure Marken - argwöhnisch im Blick behielt.
"Gott, bin ich froh hier nicht mehr hinzumüssen."
"Bitte, nimm mich mit", flehte ich ihn an.
Er lächelte, drückte mir meine Schultasche in die Hand und sagte: "Hab einen schönen Tag, liebe Ari. Und sei ja artig."
Mit einem Stöhnen öffnete ich die Autotür und sah verzweifelt Kais wegfahrendem Auto hinterher.
~~
Dass ich auf meinem Weg zum Spind niemanden traf, der mich ansprach, wunderte mich sehr. Nicht, dass ich mich beschweren würde. Nur die überheblichen oder mitleidigen Blicke blieben, aber die war man, ging man auf diese Schule und war ins Blickfeld gewisser Leute gerückt, schon gewohnt.
Ich packte ein paar Bücher aus und tauschte sie gegen andere ein. Schließlich schlug ich die Spindtür zu und zuckte zusammen, angesichts der Personen, die mir gegenüber standen.
Stacy, die mit Abstand gemeinste angehende Frau auf dieser Welt und die garantiert noch nie etwas von "Frauen sollten zusammen halten" gehört hatte, ging ein paar Schritte auf mich zu.
"Na, musste dich dein Bruder in seiner Schrottkiste zur Schule fahren? Hast wohl nicht genug Geld für den Bus, was? Der Vater ein Alkoholiker und deine Mutter, die in einem Bagell arbeitet, verdienen wohl nicht genug Geld, hä?" Während sie sprach, pustete sie mir ihren widerwärtigen Atem aus Kirsche und Zigarette ins Gesicht.
Alles was sie gesagt hatte, war eine Lüge. Mein Vater verdiente zwar nicht viel, aber es reichte für uns aus und seit unsere Mutter vor 4 Jahren starb, hatte er nie wieder eine Beziehung mit irgendeinem Geschlecht gehabt. Und mein Bruder liebte sein Auto über alles und hatte auch nie ein anderes gewollt.
Also sah ich hoch und blickte direkt in Stacys Gesicht, was sich als ziemlich schwierig erwies, da ich keine Ahnung hatte, wo auf ihrem vollkommen mit Makeup bedeckten Gesicht ich hinschauen sollte. Ich entschied mich für die stark schwarz umrahmten Augen.
"Das, was du meinst, nennt man ein Bordell und wie ich schon sagte, ist das alles eine Lüge. Und jetzt lasst mich durch." Ich versuchte überzeugend in die Gesichter, der vier mir gegenüber stehenden Menschen, zu gucken. Tommas, der Surfer-Boy der Runde und ein absoluter Frauenheld, zog eine Augenbraue in die Höhe. "Mein Gott, Arija. So viele Widerworte sind wir von dir ja gar nicht gewöhnt. Natürlich lassen wir dich durch." Er trat einen Schritt beiseite und deutete mit den Händen auf die nun entstandene Lücke. Ich schluckte und ging hindurch. Aber ich wurde von Stacy angerempelt und fiel schmerzvoll zu Boden. Sie beugte sich zu mir herunter. "Das wird noch ein Nachspiel haben, dass du so frech mit uns redest."
Sie hakte sich bei dem ruhigen Cedric ein und stolzierte an mir vorbei. Tommas war der vorletzte der Gruppe, der an mir vorbeiging. Natürlich schoss er mit dem Fuß meinen Rucksack ans andere Ende des Flurs und lächelte mich entzückt an.
Schlussendlich blieb nur Ryan übrig. Der heute ziemlich ruhige an der Wand lehnende Ryan. Mit seinen schwarzen Haaren und seinen umwerfenden eisblauen Augen, war er auch ein absoluter Liebling, was die Frauenwelt anging. Nun stand er einfach da und beobachtete mich.
Erst die Schulklingel holte ihn aus seiner Starre und er ging an mir vorbei. Kurz bevor er abbog, blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. Er winkte mir zu. Zweifellos, um mich daran zu erinnern, dass ich ihn heute außerhalb der Schule auch sehen würde.
Ich seufzte, stand auf und holte meine Schultasche, um mich langsam in Richtung des Raums zu bewegen. Ich war ja sowieso schon zu spät.
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