26. Kapitel
Harper Thea Osborn
Die Hütte, zu der Levi uns geführt hatte war für unsere Zwecke wie geschaffen. Sie befand sich mitten im tiefen Wald, wo uns bestimmt keiner per Zufall finden würde. Mal ganz davon abgesehen, dass man dieses Gebiet eigentlich gar nicht betreten durfte.
Im Inneren befanden sich nur wenige Möbelstücke. Eigentlich nicht mehr als ein Tisch, ein paar Stühle und ein kleiner Schrak, in dem sich nichts ausser Staub befand. Hier wohnte schon lange keiner mehr.
Früher musste das Haus wohl einem Bauern oder Viehhalter gehört haben, denn es gab noch einen kleinen Stall, in dessen Boxen der Boden mit Stroh bedeckt war. An den Wänden waren dort lauter verstaubte, verrostete Geräte angebracht, von denen ich keine Ahnung hatte, wozu sie zu brauchen waren. In ihrem jetzigen Zustand würden sie wohl sowieso nicht allzu nützlich sein.
Ich und der Rest der Gruppe saß in der Hütte. Der Raum wurde von nichts weiter als ein paar Kerzen erhellt. Eine Lampe gab es nicht. Zumindest nicht mehr. An der Decke hingen noch die Überreste einer Glühbirne.
Seit mehr als einer Stunde waren wir schon hier, doch die ideale Idee war uns noch nicht gekommen. Wir wussten bloß, dass wir die Spiele beenden mussten und, dass die Information, die ich erfahren hatte, der Schlüssel dazu war. Doch hatten wir keine Ahnung wie uns diese Information nützlich sein konnte.
«Ich habe eine Idee», sagte ich nach weiteren zehn Minuten des Nachdenkens, «Was, wenn ich nach einem Interview im Kapitol frage und vor laufender Kamera alles auffliegen lasse»
Die anderen wandten ihre Blicke zu mir. Nur Min-ahs Blick lag weiter auf einer Ameise, die über den Tisch krabbelte.
«Wie willst du denn einen Termin bekommen?», fragte Jasper und sah mich stirnrunzelnd an.
«Ich habe die 50. Hungerspiele gewonnen und wir stehen kurz vor dem Ende der nächsten Spiele. Sie haben bestimmt Interesse daran mich mit Fragen zu durchlöchern»
«Jasper hat Recht», bemerkte Ley, «Du wirst keinen Termin bekommen. Die Spiele sind am Laufen, da werden meistens die Familienmitglieder der Tribute interviewt»
«Aber ich bin doch ein Familienmitglied», setzte ich an, doch ich wusste schon, dass sie wahrscheinlich Recht haben. Das Kapitol mochte mich schlicht und einfach nicht. Und das Kapitol mochte Willow nicht.
«Nachdem was beim Interview mit Willow vorgefallen ist, werden die Spielmacher nicht noch einmal denselben Fehler machen», sagte Gray. «Die merken doch, dass etwas vor sich geht, wenn du plötzlich Interesse daran zeigst im Fernseher zu sehen zu sein»
«Damit könntest du allerdings Recht haben», gab ich zu, «Ich habe mich letztes Jahr so oft wie möglich vor den Gewinner-Interviews gedrückt»
«Abgesehen davon wäre es viel zu gefährlich», fügte Gray hinzu, «Die Leute vom Kapitol würden was weiss ich mit dir machen, wenn du sie auffliegen lässt. Es gäbe für uns keine Möglichkeit dir zu helfen»
«Wir brauchen also eine andere Idee», seufzte Ley und vergrub den Kopf zwischen den Händen, um nachzudenken.
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und versuchte mich bestmöglich zu konzentrieren. Dabei erinnerte ich mich immer wieder daran, dass ich es für Willow tat, dass ich das hier schaffen musste, um meine Schwester zu retten. Und das brachte mich dazu noch angestrengter nachzudenken. Doch es machte es nicht besser. Im Gegenteil, schon wenig später tat mein Kopf weh vor Lauter Denken.
«Ich glaube, ich habe eine Idee», sagte Cosmo in den Raum und zog so augenblicklich die Blicke aller Anwesenden auf sich.
«Schiess los!», forderte Min-ah.
«Wir schleichen uns in das Kapitol. Wenn wir drin sind, müssen wir den Weg zur Zentrale der Spielmacher finden. Von da aus werden wir eine Videoaufnahme von Harper starten, in der du alles aufklärst», begann er seine Erklärung. «Ich denke, dass ich die Aufnahme von da aus in den offiziellen Fernsehersender des Kapitols einschleusen kann. So sieht ganz Panem die Aufnahme, da gerade alle die Spiele anschauen. Und, was haltet ihr davon?»
«Wie willst du denn so einfach ins Kapitol kommen?», hakte Ley nach.
«Harper ist die Gewinnerin der 50. Hungerspiele. Für sie sollte es also kein Problem sein reinzukommen. Und Bird ist ein Freidenswächter, wenn er uns ein paar Uniformen besorgen kann, sollten wir auch unbemerkt eintreten können»
«Das mit der Zentrale der Spielmacher», bemerkte Min-ah und betonte das Wort 'Spielmacher' extra. «Die Spielmacher werden da sein, das ist dir schon klar. Wie willst du mal so schnell einen Haufen Spielmacher loswerden?»
«Ich denke, da kann ich ein wenig helfen. Im Lager gibt es Betäubungspatronen, die man in eine reguläre Pistole einsetzten kann. Wenn einer von euch damit umgehen kann, sollten wir sie schon erledigen können»
«Schaffen wir schon», sagte Gray.
Ich sah in die Runde. Die Ausdrücke auf den Gesichtern meiner Kameraden schienen noch nicht zu hundert Prozent von dem Plan überzeugt zu sein. Doch darauf konnten wir keine Rücksicht nehmen, denn wenn wir den Plan morgen nicht ausführten, würde es wohl zu spät sein. Uns blieb nur noch der heutige Tag – und die Nacht – um den Plan besser auszuarbeiten. Es war wenig Zeit, sehr wenig, doch es würde ausreichen müssen.
«Habt ihr aus so Hunger?», fragte Min-ah und ihr Blick wanderte zu der Tasche, die Levi uns gegeben hatte. Darin befanden sich leckere Brote für alle von uns. Mein Magen knurrte wie aufs Stichwort, da ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen hatte.
«Lasst uns erst etwas essen, damit wir danach mit neuer Energie den Plan ausarbeiten können», sagte Bird und verteilte die Brote an die Mitglieder unserer kleinen Gruppe.
Unglaublich, dachte ich. Meine Augen streiften nacheinander meine Gruppenmitglieder. Die meisten Fremde, die ich vor ein paar Tagen noch nicht einmal gekannt hatte, die mir absolut nichts schuldig waren. Und doch hatten sie sich bereiterklärt mit mir zu kämpfen. Ich konnte gar nicht beschreiben wie dankbar ich ihnen war, dass sie zu mir standen.
Die nächste Viertelstunde wurde kaum geredet. Zumindest nichts, was mit dem Plan zu tun hatte, den wir nachher schmieden würden. Wir unterhielten uns einfach über alltägliche Dinge, erzählten mehr über uns und lernten uns so etwas besser kennen.
Wenn unser Plan morgen funktionieren sollte, müssen wir als ein Team funktionieren. Wir durften nicht nur an uns, sondern an die Gesamtheit des Teams denken. Dieser Plan würde niemals aufgehen, wenn wir nicht zusammenarbeiteten, uns nicht gegenseitig halfen.
Nachdem wir mit Essen fertig waren, setzten wir uns alle in einen Kreis, um nun endlich mit dem Plan zu beginnen. Draussen war es bereits dunkel, uns blieben also nicht mehr als ein paar Stunden, in denen wir den Plan ausarbeiten und uns alles einprägen mussten. Mal ganz davon abgesehen, dass wir auch noch Schlaf brauchten, um morgen fit zu sein. Fehlte noch, dass der Plan schieflief, weil wir an Schlafmangel litten.
Die nächsten Stunden war der Raum gefüllt mit angeregtem Gemurmel. Jeder brachte Vorschläge, jeder gab sein Bestes, jeder wollte, dass dieser Plan funktionierte. Und noch wichtiger; jeder wollte, dass diese verdammten Spiele endlich ein Ende hatten.
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