21 • deal
Nachdem ich den gesamten gestrigen Tag damit verbracht hatte, mir alle zweifelhaften Gedanken zu Jaehyun aus dem Kopf zu schlagen, war Marks und Yutas Verschwörungstheorie wieder genauso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
Zwar spukte die angespannte Situation von uns im Flur immer noch in meinem Kopf herum, doch vermutlich waren wir nach dem Chaos davor einfach etwas durcheinander gewesen.
Auch wenn Mark und Yuta versucht hatten, mich davon zu überzeugen, dass Jaehyun bereits deutliche Zeichen von sich gegeben hatte, glaubte ich ihnen nicht.
Er hatte doch nicht einmal einen Grund, mich interessant zu finden.
Außerdem war es sowieso für alle besser, würde da nichts sein.
Es war allein ein Wunder, dass ich Jaehyun in meinem Freundeskreis inzwischen akzeptierte, doch mehr als Akzeptanz? War ich dazu überhaupt in der Lage?
Vermutlich deuteten Mark und Yuta alles falsch und ich machte viel Wind um gar nichts.
Jaehyun war eben ein beschützerischer, sorgsamer Mensch, das hatte ich doch von Anfang an gewusst. Er würde sich bei anderen vermutlich genauso bemühen wie bei mir.
Es war alles in Ordnung zwischen uns, es ging mir bestens.
Und trotzdem saß ich hier an unserem Tisch in der Cafeteria und schlürfte unsicher ununterbrochen meine Erdbeermilch, als meine Freunde nach und nach aufstanden und schließlich nur noch Mark, Jaehyun und ich aufgrund unserer jetzigen Freistunde zurückblieben.
Die beiden unterhielten sich momentan nur über irgendwelche westlichen Essensgerichte, doch während ich stumm blieb, spürte ich zwischendurch, wie Jaehyun mehrmals zu mir sah und mich für eine Weile musterte.
Mein Blick ging hingegen nur ins Leere und ich überlegte, wie ich mich nun ihm gegenüber verhalten sollte, um die merkwürdige Situation von gestern einfach abzuhaken.
"Tae?" riss Mark mich lachend aus meinen Gedanken und deutete auf die Milchpackung in meiner Hand.
"Meinst du nicht, die ist langsam alle?"
Erst jetzt viel mir auf, dass ich die letzten Sekunden aus der schon längst leeren Box geschlürft hatte.
Ich entfernte meine Lippen von dem Strohhalm und räusperte mich ertappt.
"Sorry" brachte ich kleinlaut heraus und Jaehyun, welcher mir gegenüber saß, musste kichern.
Ich sah zur Seite und spielte mit meinen Händen, die ich auf dem Tisch abgelegt hatte.
Wieso war ich eigentlich so peinlich?
Als ich gerade davon ausging, dass die beiden ihr Gespräch nun wieder fortsetzten, spürte ich plötzlich eine ganz leichte Wärme auf meiner rechten Hand und richtete meinen Blick auf den Tisch vor mir.
"Taeyong," begann Jaehyun, dessen Hand gerade tatsächlich meine berührte oder eher leicht streifte, vor Mark, mitten in der Cafeteria.
Ungläubig sag ich zu ihm auf und bereute es fast schon wieder, als seine dunkelbraunen Augen mich erneut so fokussiert musterten.
"Alles in Ordnung? Du wirkst abwesend"
Mein Handrücken begann, zu kribbeln und ich versuchte, die aufkommende Hitze in meinem Gesicht zu ignorieren: "J-Ja, alles okay"
Jaehyun runzelte die Stirn. "Bist du sicher? Ist irgendwas passiert, ist es wegen Jooheon?" - "Nein, e-es ist wirklich nichts passiert!"
Mein Gegenüber zögerte. "Hey, aber wenn noch etwas ist.. Du.. Weißt, dass du mir vertrauen kannst, oder?" meinte er mit ruhiger, tiefer Stimme und mein Herz blieb für einen Moment stehen.
Vertrauen.. Konnte ich das?
Konnte ich jemandem vertrauen, der nicht zu meinen langjährigen Freunden gehörte, nachdem ich mir selbst immer versprochen hatte, genau so etwas nicht zutun?
Ich brachte nun kein Wort mehr heraus und starrte Jaehyun bloß hilflos an, da ich einfach nicht wusste, was ich auf diese Worte erwidern sollte. Ich kannte die Antwort nicht.
Doch zum Glück saß links neben mir noch jemand, der wie immer wusste, wie er mir aus der Patsche helfen konnte.
Wenn auch nicht gerade auf die professionellste Art.
"Ähmm" meldete Mark sich lautstark zu Wort und packte mich grob am linken Arm, stand auf und zog mich auf die Beine.
"Mark, wa-" - "Mir fällt grade ein, ich muss unbedingt was mit Tae klären, wegen.. Ja, wegen der Geschichts.. Präsentation.. Die wir heute halten" erfand der Blondhaarige spontan eine Geschichte, klang dabei natürlich alles andere als realistisch.
Mark ließ den irritiert blinzelnden Jaehyun gar nicht erst zu Wort kommen, rief bloß noch ein "Bis gleich!" und zog mich hinter sich her, ehe wir die Cafeteria verließen und vor deren Glasfront stehen blieben.
"Was war das bitte für eine schlechte Lüge?!" - "Hätte ich dir besser nicht den Arsch retten sollen?!"
Ich stöhnte verzweifelt auf und riss meine Hand los, sah kurz durch die Glasscheibe zu Jaehyun, der immer noch verwundert in Richtung Ausgang sah. Oh man.
"Du willst mir sagen, dieser Typ da steht nicht auf dich?"
"Jetzt fang nicht wieder damit an!"
"Weich der Frage nicht aus!"
Ich schnaubte aufgebracht, "Nein, tut er auch nicht!"
"Tae, wie blind bist du eigentlich?! Selbst ich hab' das gerade gesehen, und du weißt, was für ein dummer Spacken ich manchmal bin!"
Ich verstummte und spürte ein erneutes Mal die Röte in meine Wangen schießen.
"Siehst du nicht, wie er dich angeschaut hat, als er das gerade gesagt hat?"
Ich hatte es gesehen.
"Wie besorgt er aussah, nur weil du ein bisschen abwesend gewirkt hast?"
Ich hatte es gesehen.
"Und dann hat er mitten da drin deine Hand berührt!" er zeigte in Richtung Jaehyun, während er laut auf mich einredete und allmählich anfing, zu grinsen.
"Du wirst rot!"
Ich weitete meine Augen und klatschte meine Hände auf meine Wangen: "S-Stimmt doch gar nicht!"
Der Jüngere lachte kopfschüttelnd auf. "Okay, pass auf: Wenn du mir nicht glauben willst, dass du ihm wichtig bist.."
Ich zog eine Augenbraue hoch und nahm die Hände von meinen Wangen.
"..Dann finde es eben heraus.
Triff dich mit ihm."
Nun fiel mir alles aus dem Gesicht.
"I-Ich soll- Ich kann doch nicht-" - "Doch, das kannst du! Wenn du dich mit Jaehyun triffst, wirst du merken, wie er mit dir umgeht, du verbringst länger Zeit mit ihm und du kannst ihn näher kennenlernen"
Während Mark völlig enthusiastisch seine Idee präsentierte und die Hände in die Hüften stemmte, machte sich eine Mischung aus Kribbeln und Unsicherheit in mir breit, bei dem Gedanken daran, alleine etwas mit Jaehyun zu unternehmen.
"Mark, ich kenne diesen Typen kaum, und v-vielleicht will ich das auch nicht ändern! Du weißt, was ich von neuen Menschen halte!"
"Was ich weiß, ist, dass dieser Typ auch dich nicht kalt lässt!" Ich öffnete grade den Mund, doch Mark sprach sofort weiter.
"Du willst es vielleicht nicht glauben, weil du bisher immer anderes erfahren hast, aber Jaehyun könnte echt gut für dich sein. Er ist der erste, der seit Ten in dein Leben getreten ist und dir alles andere als egal ist! Check das doch!"
Ich seufzte. Konnte Mark Recht haben?
"Vorschlag," meinte er, "Ihr trefft euch, und wenn du dann zurückkommst und mir klar und deutlich sagst, dass da nichts zwischen euch ist und auch nichts entstehen wird, dann lasse ich dich mit diesem Thema endgültig in Ruhe, und auch Yuta. Ehrenwort"
Eine kurze Stille kehrte ein, Mark blickte mich abwartend an und hob die Hand zum Einschlag, während ich überlegte.
Ich wusste nicht, wie ich das Ganze anstellen sollte, doch vielleicht war diese Idee gar nicht übel.
Würde ich etwas mehr Zeit mit Jaehyun verbringen, könnte ich endlich sichergehen, dass ich keinen Grund zur Sorge hatte und Marks und Yutas Theorie keinen Glauben schenken musste. Außerdem würden die beiden danach endgültig Ruhe geben und ich könnte mein Leben normal weiterleben. Den Umständen entsprechend.
Ich fasste es zwar innerlich nicht ganz, als ich es tat, doch ich begann nach einer Weile zögerlich zu nicken und schlug ein: "Ugh, in Ordnung. Ich mach's"
Ein freudiges Aufquieken verließ Marks Lippen und er hörte nicht mehr auf zu grinsen: "Taeyongie, du wirst mir hierfür noch danken"
"Du beharrst nur so auf deiner Idee, weil du willst, dass ich irgendwen Neues finde und von.. Ten wegkomme" protestierte ich und ging zurück in Richtung Eingangstür, während Mark mir hinterherhopste.
"Das kann gut sein, ich bin dein Kumpel, klar, dass ich dein Bestes will. Aber glaub mir, ich würde nicht so darauf beharren, wenn ich nicht komplett davon überzeugt wäre!"
Ich quittierte seine Aussage nur noch mit einem abwinkenden "Jaja" und öffnete gerade die Tür zur Cafeteria, als Mark abrupt stehenblieb.
"Weißt du was? Ich glaube, ich lasse euch beide mal für den Rest der Stunde alleine, dann könnt ihr eure Pläne in Ruhe bequatschen" - "Mark! Du gehst jetzt doch nicht ei-"
Ich stoppte meinen Protest, als der Blondhaarige mir bereits den Rücken zudrehte und in die andere Richtung schlenderte. "Viel Spaß~" trällerte er und hob zum Abschied kurz die Hand.
Ich presste meine Lippen aufeinander und drehte meinen Kopf erneut in Richtung Tür, woraufhin ich einen Blick durch das Glas warf.
Jaehyun saß immer noch dort, stützte seinen Kopf auf seinem linken Ellbogen ab und schaute ausdruckslos auf sein Handy.
Etwas in mir begann fast schon etwas zu schmelzen, als ich den Jungen so alleingelassen an unserem Tisch sitzen sah und beobachtete, wie er sich durch seine hellbraunen Haare wuschelte.
Ich schüttelte kurz den Kopf, betrat schließlich den Saal.
Jaehyun nahm meine Schritte relativ bald wahr und wendete seinen Blick von seinem Handy ab.
Als er erkannte, dass ich es war, richtete er sich gleich etwas auf und begann, zu lächeln.
Mir wurde warm ums Herz. Oh Gott.
"Mark musste.. N-Noch was klären, beim Direktor, also ist er schon vorgegangen" erklärte ich mich und fühlte mich etwas hilflos, doch als ich mich zurück auf meinen Platz setzte und wieder von Nahem in Jaehyuns Augen sehen konnte, wurde es besser. Ich wusste nicht, wieso.
"Schon in Ordnung, dann.. bleiben wir einfach noch eine Weile hier" antwortete er und ich nickte leicht lächelnd, ehe wir uns für ein paar Sekunden bloß ansahen.
Doch etwas in mir ließ mich trotzdem nicht zur Ruhe kommen.
Unsicher sah ich zurück auf meine Hände, die ich in meinem Schoß zusammengefaltet hatte.
"S-Sorry, dass ich gestern so plötzlich abgehauen bin" entschuldigte ich mich leise.
"Ist nicht schlimm, du.. warst schließlich schon zu spät zu deinem Kurs" meinte Jaehyun ruhig und schien gegen Ende trotzdem zu zögern.
Ich sah zu ihm auf. Er hatte nicht aufgehört mich anzuschauen.
"Und außerdem.. War das davor vielleicht etwas dumm von mir. Ich sollte mich eher entschuldigen" Seine Stimme senkte sich etwas und er klang fast schon etwas reuevoll, als ich bereits die Schuldgefühle in mir spürte.
Ich plapperte also drauf los, einfach, damit Jaehyun sich nicht schlecht fühlte.
"N-Nein Quatsch, das war nicht dumm! A-Also ich mein, ich fand es nicht.. schlimm.. Oder so"
Ich klatschte mir innerlich eine. Was redete ich da eigentlich?
Zum Glück hatte ich jedoch mein Ziel erreicht und Jaehyun hob endlich seine Mundwinkel an und musste leise lachen.
Erneut hielten wir stumm unseren Blickkontakt, als wir auf einmal gleichzeitig das Wort ergreifen wollten.
"Ich wollte dich-"
"Ich hab überlegt-"
Wir lachten auf. "Du zuerst" sprach Jaehyun und nickte mir zu, doch ich schüttelte leicht den Kopf, vielleicht, weil ich mich jetzt nicht mehr traute, ihn zu fragen. "Alles gut, erzähl du ruhig"
Er räusperte sich und wendete seinen Blick von mir ab, sah überlegend zur Seite.
"Alsoo.." War er unsicher? "Gestern, bevor das alles etwas eskaliert ist.. Wollte ich dich eigentlich noch was fragen, aber das ist dann irgendwie in dem Chaos untergegangen"
Ich nickte leicht und erinnerte mich daran, dass er mir eine Frage stellen wollte, als wir durch den Flur gingen.
"Ich, ähm.. Wollte dich fragen, ob du vielleicht.. mal was mit mir unternehmen möchtest?
Also, zu zweit, außerhalb der Schule, wir könnten ja in die Stadt oder was Essen gehen, nach der Schule o-oder wann immer du Lust hast!"
Jaehyun erzählte tatsächlich etwas schüchtern von seinem Vorschlag, während ich ihn nur mit leicht geöffnetem Mund anstarrte. Hatte er das wirklich gesagt?
"Die bisherigen Male, in denen wir alleine waren haben wir uns nämlich entweder unnötig bekriegt oder wir sind in.. naja, schwierigen Situationen gelandet" grinste er schließlich und kratzte sich am Hinterkopf, als auch ich lachen musste und ihn gleichzeitig noch immer ungläubig ansah.
Jaehyun fragte mich gerade wirklich nach einem Treffen. Er wollte privat etwas mit mir unternehmen. Und er hatte nicht einmal eine Abmachung mit Mark Lee gebraucht, um mich das zu fragen.
Dieser Typ machte mich fertig.
Ich hätte nicht erwartet, dass mein Schicksal mir so bald nach dem Deal mit Mark in die Hände spielen würde, doch ich fühlte mich gleichzeitig nach wie vor unsicher.
Es war ungewohnt, von jemandem auf diese Art nach einem Treffen gefragt zu werden. In unserem Freundeskreis sprachen wir alles immer relativ locker oder über das Handy ab, und abgesehen davon war Jaehyun nicht mit den anderen zu vergleichen.
Er war wie aus dem nichts, vor gerade mal ein paar Wochen, in mein Leben gekommen und schmiss nun alles durcheinander was ich mir zuvor versprochen und angewöhnt hatte.
Alle möglichen Gedanken durchschwirrten meinen Kopf, Vorstellungen von einem Treffen, Unsicherheiten und Ängste und doch Hoffnung auf etwas Interessantes, Schönes.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Jaehyun noch weitergesprochen hatte, während ich in Gedanken war.
Erst, als mein Gegenüber kurz verstummte, realisierte ich, dass ich nun antworten musste.
"Also.. was sagst du?"
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro