♙ ₀₀ Prolog ♙
„Beginnt Mord mit einem Gedanken oder mit einem Gefühl? Kann ich Mord erst verstehen, wenn ich selbst einen begangen habe oder brauche ich dazu einen bestimmten Charakterzug?" Colin Boon senkte seine Tasse, mit schwarzem Tee gefüllt, und starrte auf die leere Seite des Schreibprogrammfensters, das auf dem Bildschirm seines Laptops geöffnet war.
„Ist morden richtig für einen Mörder, weil dieser davon überzeugt ist das Richtige zu tun?" Vorsichtig nippte Colin an seinem heißen Tee, dessen Hitze langsam in seine Nase kroch und seine Lungenflügel wärmte. Dabei schloss er zufrieden seine Augen und lächelte für einen kurzen Augenblick.
Der Raum war dunkel und nur der Laptop erhellte sein Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, obwohl es Tag war, denn die Helligkeit störte Colin beim Denken. Vor wenigen Stunden ereigneten sich mehrere Mordfälle und das an einem einzigen Tag. Eine Seltenheit für Perth, die verschlafene Stadt in Schottland.
„Kann Neugierde auch zum Mord verleiten?", sprach Colin, die für ihn bedeutendste Frage mit ruhiger Stimme aus, und stellte die Tasse neben dem Laptop auf dem Tisch ab. Diese Frage musste er sich notieren, denn sie klang interessant und vielleicht konnte er dafür später noch Verwendung finden. Eventuell war er kurz vorm Durchbruch und konnte bald die lang ersehnte Antwort auf eine der vielen Fragen, die ihm täglich den Kopf zerbrachen, geben
„... oder ist es die Langeweile, die einen Mörder zu solch monströsen Tat verleitet?"
Colin Boon begann auf die Tasten zu hämmern, dabei vergaß er in seiner Euphorie, dass er in seinem Arbeitszimmer saß. Der Raum verwandelte sich zu jenem, der einem Mörder gehören konnte. Dabei stellte sich Colin ein großes Zimmer vor, an der Wand ein Tisch, darauf ein Computer, ein gemütlicher Stuhl und eine riesige Pinnwand mit jenen Opfern, die der Mörder bereits erledigt hatte und die er noch zu töten vermochte. Es schien dem eifrigen Jungen beinahe grotesk, aber irgendwie empfand er diese Gedanken als interessant und wollte sich noch tiefer in diese Vorstellungen stürzen.
„Tun oder es nicht tun? Fragt sich ein Mörder diese Frage?", murmelte Colin auf die Tastatur tippend, während er sich eine lästige braune Locke aus der Stirn strich. Ein weiteres Bild schob sich vor sein inneres Auge.
Jetzt sieht er den Mörder direkt vor sich stehen. Sein Gesicht, seine Mimik und seine Gestik. Er plant wohl seine nächste Vorgehensweise. Ein Serienkiller muss den Ermittlungen gegen ihm immer einen Schritt voraus sein, das erfordert eine gewisse Intelligenz. Der Mörder nimmt eine Nadel und steckt ein weiteres Gesicht auf die Pinnwand. Ein Mädchen mit langen, lockigen, brünetten Haaren und blauen Augen. Sie ist wohl ein weiteres Opfer, die er ins Visier genommen hat. Ist ihm überhaupt bewusst, dass er schon mit dem Gedanken an das nächste Ziel ein weiteres Leben auslöscht? Wahrscheinlich schon, aber daran vermag er nicht zu denken, denn es malt sich ein breites Grinsen in das Gesicht des Mörders, während er ein Kinderlied zu summen beginnt.
„Hat ein Mörder eine schwache Persönlichkeit, wenn er glaubt, nicht gefasst zu werden?" Bei dieser Frage stockte Colin und hielt für einen Moment inne.
„Sind Menschen doch nicht definierbar? Ist jeder Mensch auf eine andere Art und Weise Mensch?" Der braunhaarige Wuschelkopf lehnte sich gegen seine gepolsterte Stuhllehne. Diese Bewegung verursachte ein lautes Knarzen, das ihn nun endgültig aus der Bahn warf. Einen Augenblick lang dachte er daran, gescheitert zu sein, alles von neu beginnen zu müssen und seine Denkweise aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Denn diese Frage, die er sich seit einigen Stunden stellte, war schwerer zu beantworten, als er dachte, und das, obwohl er in der Lage war viele Menschen auf Anhieb zu analysieren, deren Pläne zu durchschauen und sie ohne Probleme zu verstehen. Aber vielleicht empfand er die Frage zu beantworten als schwer, weil er noch keinem Mörder begegnet war...
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