Ich will nicht loslassen
„My tea's gone cold, I'm wondering why I got out of bed at all. The morning rain clouds up my window and I can't see at all."
Dido's Stimme plärrte aus Jisung's Kopfhörern. Seine Hände vergruben sich in seinen viel zu langen Ärmeln. Seine Schritte waren schnell, hastig und seine Haare hüpften und flogen wie der Wind es wollte. D
ie frühblühenden Blumen an den mickrigen Grünstreifen waren eingefroren. In den Schlaglöchern hatte sich der Niesel von gestern Abend gesammelt und war zu winzigen Eisflächen geworden.
„And even if I could it'd all be gray. Put your picture on my wall. It reminds me that it's not so bad, it's not so bad."
Obwohl seine Jacke erst nur als ein stylisches Accessoire gedacht war, war er nun mehr als froh sie zu tragen. Gänsehaut wanderte permanent über seinen Rücken, über seine Beine und zu seinen Zehen, welche er nicht mehr wirklich spürte.
Gestern hatten sich wohl alle Arschlöcher der Welt gedacht dass sie ihr Geld Transferenz wollen und hatten dabei die schlechteste Laune die man sich denken kann. Die Kurzform, Jisung wurde mehrfach runtergemacht und durch sein Headset angeschrien für Sachen womit er gar nichts zu tun hatte.
Aber das war in diesem Job mehr als normal.
Mittlerweile war er in der Dorfmitte, wenn man es so nennen konnte. Er lief an der Bäckerei vorbei, in der ein veralteter Man hinter der Theke saß und Zeitung las, an dem Eingang der verlassenen Bibliothek wo das Schild einen grünlichen Ton angenommen hatte und schließlich, als er die kleine Erhöhung erklungen hatte, lief er die Treppen zu den Bahngleißen hoch.
Das Lied endete. Jisung ließ seine Kopfhörer um seinen Hals fallen als er an der Ticketmaschine stand. Als sie endlich das kleine Stückpapier ausspuckte mussten Fünf Minuten vergangen sein.
Er drehte sich um. Mit wenigen Schritten war er bei dem kleinen Unterstand und saß auf einem der kalten Metallstühle. Seine Füße baumelten über dem getrockneten Kaugummi übersäten Boden.
Er hatte sich nach ihrem Gespräch eine Notiz in sein Handy gemacht, die Zeit aufgeschrieben und seit dem starrte er auf diese Zahl, die Wörter, als wäre es ein Kreuzworträtzel in einer anderen Sprache und für eine Gruppe von Superhirnen gemacht. Genau wie jetzt.
Wer hätte es gedacht, er war zu früh.... Viel zu früh. Eine Stunde zu früh um korrekt zu sein.
Und verdammt er bereute es, ihm war kalt. Nicht nur ein bisschen kalt, nein. Jisung befürchtete das wenn er aufstehen würde sein Po noch am Metall kleben würde, weil er angefroren war. Seine Fingerspitzen färbten sich mittlerweile rot, während der Rest leicht bläulich geworden war.
Trotzdem hätte Jisung es nicht anderes gewollt. Er durfte Minho wiedersehen. Er hatte es anscheinend nicht verkackt. Vielleicht mochte der andere sogar seine Gesellschaft. Jisung schüttelte seinen Kopf, so weit wollen wir dann doch nicht gehen.
„Jisung??"
„Hm?" Der angesprochene guckte eine Weile noch auf seinen Bildschirm, auf die drei Worte auf dem Bildschirm, bevor er seinen Kopf hob.
„Minho??"
Minho stand vor ihm, Hände in den hellblauen Manteltaschen und seine Augen weit offen. Für einen Moment waren die beiden still. Es war kein anderer außer ihnen da. Der Wind konnte ohne Hemmungen über die Gleise wehen und rollte eine Welle von Blättern mit sich.
„Setzt dich..." Meinte Jisung und deutete auf den Stuhl neben ihn. Minho erwachte aus seiner Trance.
„Du bist auch zu früh," sagte er dann, mit einem Ring spielend der an seinem kleinen Finger war.
„Jupp..." Okay es ist unangenehm, richtig unangenehm. Minho dachte jetzt bestimmt das Jisung viel zu aufdringlich und aufgeregt war. Ich meine das Letztere stimmt schon aber... Warte aber er war auch zu früh... Jisung drehte sich zu ihm. Minho schien in Gedanken Versunken.
„Wollen wir dann den Zug früher nehmen?" Eigentlich hoffte Jisung das Minho das nicht gehört hatte. Doch der schreckte leicht hoch, drehte sich auch zu ihm und lächelte groß. „Klar, können wir machen." Jisung lächelte mit.
Bald konnte man hinten am Horizont den Zug sehen und die große Rauchfahne die er hinter sich her zog (niemand weiß warum der Bürgermeister der Region darauf bestand diesen altmodischen Zug zu behalten).
Jisung und Minho standen auf, beide setzten eine Maske auf und reihten sich bei den paar Menschen ein die noch dazugekommen waren. Die Türen öffneten sich, Jisungs Herz schlug ein Stückchen schneller als die beiden eng hintereinander liefen, einen Platz zum Sitzen suchten.
Endlich ließen sich die beiden auf den dünngepolsterten Holzbanken nieder. „Ich hab vergessen wie unbequem dieser Zug ist..." Sagte Minho und lehnte sich dabei leicht zu Jisung damit er ihn hören konnte.
„Eben! Wie hab ich das bloß geschafft jeden Tag hiermit zur Arbeit zu fahren?"
Minho stutze. „Du auch?"
Jisung nicke. „Klar, für die Strecke ist Autofahren zu teuer."
„Warum hab ich dich noch nie gesehen wenn ich auch immer fahre...?" wunderte er sich und legte seinen Kopf schief. Minho murmelte etwas in seine Maske, doch Jisung wollte nicht unhöflich sein und beließ es dabei.
Er wand seinen Blick zu dem Fenster zu seiner Rechten. Er guckte den kahlen Bäumen zu, wie sie an ihnen vorbei huschten. Eine Weide mit frisch geschorenen Schafen erstreckte sich über die Hälfte des Geländes. Sie mussten bestimmt frieren.
--
Die Zugfahrt war vergleichsweise lang, der Weg zur Halle weniger weil die beiden fast rannten, so kalt war ihnen. Die Zeit war gefüllt mit lockereren Konversationen und kleinen Lachern, das Jisung's Kopf einfach auf Pause stellte.
Außer Atem standen sie auf dem Parkplatz des riesigen Gebäudes. Die Wände waren mit einer Malerei eines Eisbären bestrichen. Sehr eindrucksvoll.
„Wollen wir?" Minho guckte zu Jisung, welcher den Kopf in den Nacken gelegt hatte und die Wand anguckte. Mit einem Lächeln zupfte er an dem Ärmel seiner braunen Jacke. Jisung guckte zu ihm. Er wiederholte sich, „Wollen wir?"
Jisung nickte eifrig.
Nachdem sie Eintrittsgeld gezahlt hatten, gingen die beiden einen kleinen Nebengang entlang, hinter einer großen Glasscheibe die volle Sicht auf die erste Eisfläche gab. Früher wäre es komplett gefüllt gewesen, quasi bis niemand mehr auf das Eis gepasst hätte.
Aber heute war es fast leer. Nur ein paar Leute fuhren über das Eis. Die Beiden waren bei der Schlittschuhvergabe angekommen. Hinter der Holztheke stand ein Mädchen, geschätzte 16, und putzte Schuhe.
„Hallo..." Meinte Minho. Das Mädchen war in wenigen Sekunden aufgesprungen und bei ihnen.
„Welche Größe braucht ihr?" Fragte sie, ihre Weste zu Recht zuppeln.
„40" antwortete Minho mit einem freundlichen Ton.
Das war der Moment den Jisung immer schon gehasst hatte. Sei es Bowling oder das hier, die Schuhe besorgen war jedes Mal peinlich. Das Mädchen besorgte ein schwarzes Paar Schlittschuhe und schob sie durch einen Ausgang in der Plastik-wand auf der Theke zu ihm rüber. „Und für dich?"
Jisung räusperte sich. „37..."
Er guckte unsicher zu der Frau die zu nicken begann. Minho griff sich seine Schuhe und wartete geduldig das Jisung's kamen. „Tut mir leid, aber das hier sind die einzigen die wir noch in deiner Größe haben."
Hello Kitty Schlittschuhe.
Jisung schreite innerlich laut aus, äußerlich nickte er allerdings nur und nahm seine Schuhe an. „Solange sie funktionieren." Scherzte er, bevor er sich mit Minho aus dem Staub machte zu den Spinten.
„Willst du dich nicht lustig machen?" Wollte Jisung wissen, als die beiden auf einer Holzbank saßen und die Schlittschuhe zubanden. Der Raum stank nach Schweiß und Käsefüßen.
„Nein warum?" Man musste ignorieren das Tausende Sportler auf dem Platz gesessen haben auf dem man es gerad tat um nicht direkt zu würgen.
„Keine Ahnung früher fanden meine Freunde es immer lustig darüber Witze zu machen." Jisung ließ Luft aus seiner Nase bei dem Gedanken.
„Ich find die süß." Meinte Minho mit einem Schulterzucken. „Soll ich dein Handy und so mit in meinen Spint tun, wir haben nur einen Schlüssel bekommen." Er stand auf und packte seine Schuhe und Wertsachen in den roten Schrank. Es brauchte eine Weile bis Jisung verstand und antwortete. „Klar...wenn du willst." Er reichte seine Sachen rüber.
Danach stapften die beiden durch die Tür. Kälte schlug ihnen ins Gesicht. Als sie der kleinen Tür am Rand der Fläche näher kamen, find Jisung's Herz an zu schlagen. Schneller und Schneller. Es schlug mit seinem Lächeln um die Wette.
„Ich bin irgendwie voll aufgeregt." Meinte er und hielt sich mit zwei Fingern an dem Ärmel des anderen fest um nicht zu fallen. „Ich auch." Kicherte Minho und ging als erster auf das Eis
. Die meisten Leute waren weit über die Fläche verstreut und Störten ihn nicht als er ein bisschen herumfuhr. Erst wacklig, doch Minho fand schnell halt und fuhr wie schwerelos über das Eis.
Alles schön und gut. Doch Jisung klammerte als würde sein Leben daran hängen an der Bande. Wie kann man so etwas denn einfach verlernen?? Er guckte mit zusammengezogenen Augenbrauen auf seine Schuhe runter. Die pinken Schnürbänder schienen sich über ihn zu provozieren. Er seufzte laut auf.
„Na komm ich helf dir." Minho war wie aus dem Nichts aufgetaucht, und stand plötzlich neben ihm. „Tut mir leid dass ich weg war, hab mich ein wenig zu sehr rein gesteigert." Lachte er und kratzte sich am Kopf. Da konnte Jisung ihm gar nicht böse sein.
„Weist du, vom Prinzip her kann ich das auch aber-" Jisung ließ von der Bande los und machte einen selbstbewussten Schritt vorwärts. Nur um auszurutschen. Minho war aber schneller und hielt ihn fest
. Jisung schnaubte erschrocken auf. „Deine Reflexe sind bewundernswert."
„Deine Unbeholfenheit auch."
„Eyyy!" Jisung schlug ihn auf dem Arm, lachte aber mit ihm zusammen. In dem harschen licht der LED's schienen die beiden förmlich zu leuchten. Zu mindestens fühlten sie sich gegenseitig so.
Von außen war es die normalste Szene auf der Welt. Sie schienen sich in der kleinen Masse von Menschen perfekt einzumischen. Nicht das sie das überhaupt mitbekommen würden.
„Nicht so stark auftreten, vielleicht mit ein bisschen mehr Gefühl." Minho machte vor was er meinte. Jisung, der auf seinen wackeligen Beinen auf dem Eis stand, nickte bloß. Instinktiv reichte Minho seine Hand zu ihm, wo er mit derselben Natur seine hineinlegte.
Unbeholfen machte er nach was Minho vorher getan hat. Und nach mehrfachen Stolpern (doch nie fallen, Minho war da um ihn aufzufangen) hatte er den Dreh von früher wieder raus.
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Die Musik die über die großen Boxen spielte war von dem Radiosender der Zuhause bei ihm immer lief. Softe Mainstream Songs halt.
Minhos Hand war unglaublich warm um seine kalten, kleinen Finger. Durch die Maske konnte man es nicht sehen , aber Jisung grinste breit. Ihm taten die Wangen schon davon weh, aber er konnte einfach nicht aufhören.
Die beiden fuhren im Gleichschritt nebeneinander her, Hände fest verschlugen und tauschten unwichtige Wörter aus.
Zwischendurch war es auch ganz Still zwischen den Beiden. Sie lauschten nur ihrem Herzschlag der so ruhig und dumpf schlug, das Jisung vermutete er würde träumen. Er guckte zu Minho rüber. Seine Haare flogen nach hinten und er schien zu lächeln. Verdammt was war daran der so attraktiv?
Jisung guckte wieder weg und hörte Gespräch fetzten zu die er von anderen Leuten mitkriegen konnte und erzählte sie später Minho. So wie er es früher als Kind mal mit seinen Freunden gemacht hatte.
Die Zeit verging wie auf einer kleinen Wolke dahin schwebend. Minho führte Tricks vor und freute sich einen Keks wenn Jisung ihn mit großen Augen mit Komplimenten bombardierte.
Die beiden lästerten über die Outfits von dem Mütter in ihren 40er Jahren, die zusammen mit ihren Kindern auf dem Eis waren.
Und die kleine Barriere die noch zwischen den ihnen gewesen war, verschwand wie selbstverständlich.
Ihre Schultern stießen immer wieder aneinander und sie machten ein Spiel daraus sich immer wieder ein wenig zu schubsen, auch wenn sie dann von dem Anderen mit gezogen worden sind.
Einmal lagen sie auch zusammen auf dem Boden, lachend. (Obwohl ihr Allerwertester weh tat wie sonstwas). Sie hatten ein Wettrennen gemacht. Von der einen Seite der Halle zur Anderen und wer die andere Bande zuerst berührt gewinnt. Sehr Simple.
Aber die beiden hatten vergessen dass sie nicht wussten wie man stoppte. Also sind sie mit Karacho in die Bande gefahren und auf den Boden gefallen.
Stunden später gaben sie ihre Schuhe wieder ab und standen auf dem Parkplatz. Die Kälte war irgendwie erträglicher geworden. Vielleicht weil sie Sport gemacht hatten.
Vielleicht weil Minhos und seine Finger zusammen waren wie mit Sekudenkleber geklebt und in der Jackentasche von Minho steckten.
Weißer Rauch stieg aus ihren Mündern als sie die frische Briese einatmeten und an der Straße vorbeischlenderten. „Ich mag dieses Wetter nicht," sagte Jisung.
„Ich auch nicht, fühlt sich nicht nach Frühling an."
„Ja oder? Andere Leute haben es das ganze Jahr über Warm und wir? Wir müssen uns abfieren." Heulte Jisung dramatisch.
„Die Welt ist ungerecht." Stimmte Minho ihm zu.
Plötzlich kam ihm eine Idee, er guckte auf seine Uhr. „Willst du mit zu mir kommen? Es ist noch nicht so spät."
Jisung nickte bloß mit dem Lächeln was sein Gesicht seit mehreren Stunden nicht verlassen hat. „Klar." Ihm war noch nicht ganz bewusst was er gerade zugestimmt hatte.
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