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60. Kapitel | Gute Seiten

I feel numb in this kingdom

Als sie in der Bahn waren, kehrte Stegis Hunger langsam zurück, also stoppten sie auf halbem Wege und holten ihm etwas zu Essen. Der Laden war einer der wenigen, die noch geöffnet hatten – kein Wunder an Silvester –, aber sie hatten einen Sitzplatz ergattern können. Für eine Weile aß Stegi schweigend und starrte auf die Straße. Es hatte über Nacht geschneit, aber der Schnee war nur noch auf einigen Motorhauben relativ unberührt. Auf dem Bürgersteig war er zu Matsch verkommen.

„Ich habe Oskar geschrieben, dass wir später kommen", merkte er an, während er drei Pommes auf einmal in Hummus dippte. „Er sagt, er hat nichts anderes erwartet."

„So kurz hier und schon so einen schlechten Ruf." Tim grinste halbherzig.

„Ich kann mir eben nicht helfen." Er sah wieder nach draußen, während Tim ihm etwas von seinem Essen klaute. Zwar hatte er behauptet, nicht viel Hunger zu haben, aber Stegi war nicht überrascht. Er hatte sich nicht umsonst für etwas entschieden, dass sich leicht teilen ließ – Tim hatte schließlich auch nicht viel gegessen. „Ich hoffe, ich muss jetzt nicht den ganzen Abend daran denken."

„An deine Eltern?" Stegi nickte. An was denn sonst? „Ich kann versuchen, dich abzulenken", bot Tim an.

Stegi zuckte mit den Schultern. „Besser, als sich schlecht zu fühlen."

„Willst du den Film sehen?"

„Das Schulding?"

„Du bist darin zu sehen, wie du auf einen Baum kletterst und schlecht schauspielerst." Tim holte sein Handy raus und drehte es in Stegis Richtung. „Hier."

„Und der Albtraum soll mich ablenken?" Stegi lächelte schief, drückte aber Play.

Der sogenannte „Film" war schlecht. Er hatte nichts anderes erwartet. In dem Imbiss ging das Audio fast unter allen anderen Geräuschen unter, aber er konnte gerade noch Tims Stimme ausmachen: „Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre eine Masse von Menschen alles eins. Als wären sie alle gleich. Als hätten sie alle dieselben Ansichten. Als wäre ein einziger unwichtig. Ein Mensch nur ein Tropfen im Meer." Dazu die Aufnahmen von Tim allein und verloren am Bahnhof, die sie damals mit viel Mühe zusammengeschnitten hatten. „Aber in Wirklichkeit hat jeder von ihnen seine eigenen Ängste und Sorgen, eigene Gefühle, eigene Gedanken, Wünsche und Ziele." Als er selbst auf den Bildschirm trat, schloss Stegi die Augen und vergrub den Kopf in den Händen. Er war wirklich kein besonders talentierter Schauspieler. „Meistens schrecken wir davor zurück, sie zu teilen", fuhr Voice-Over-Tim fort. „Um Teil der Gemeinschaft zu bleiben. Nicht ausgestoßen zu sein. Verspottet dafür, etwas Anderes zu denken. Einsamkeit ist die Abwesenheit von Menschen, sie ist das Nicht-Verstanden-Werden trotz ihrer Anwesenheit."

„Jetzt kommt ein Teil, den wir nicht besprochen haben", bemerkte der Tim, der gerade vor ihm saß.

„Du hast meine kreativen Ideen über den Haufen geworfen?"

„Jetzt tu nicht so, als hättest du irgendwas beigetragen außer die Kamera. Und die auch nur für die erste Hälfte."

Stegi streckte ihm die Zunge heraus, lehnte sich aber wieder Richtung Bildschirm. Er hatte einen Teil von Tims Monolog verpasst, vermutlich den, in dem er weiter auf Einsamkeit einging, denn jetzt sagte er: „Egal, wie allein wir sind, wir bleiben es am Ende nicht." Der auf dem Bahnhof verlorene Tim rempelte im Video ein Mädchen an, von dem Stegi schätzte, dass es Noa war. Ein kurzer Dialog zwischen den beiden spielte aus. „Für jeden von uns gibt es Menschen, die uns verstehen. Auch, wenn wir einsam sind; auch, wenn die ganze Welt gegen uns ist." Eine Montage von Tim und Noa, wie sie sich kennenlernten und sich anfreundeten, gemeinsam lachten, wieder am Bahnhof standen. „Egal, ob Familie, Freunde oder Partner – Wir werden uns finden. Manchmal scheint es unmöglich, aber das ist es nicht. Draußen wartet die Welt auf uns, und sie ist gefüllt mit den Menschen, die dein Leben verändern. Wir sind nicht für die Einsamkeit bestimmt, und wir sind auch nicht nur Tropfen im Meer." Der Film endete mit Tim und Noa, die in einen Zug einstiegen. Die Türen schlossen sich hinter ihnen. Abspann.

Stegi sah sich den kompletten Abspann schweigend an, obwohl er nicht besonders interessant war. „Kitschig", meinte er dann, einen Mundwinkel nach oben verzogen. Natürlich war es kitschig – es war ein Schulprojekt zum Thema Einsamkeit, das Medium verlangte es –, aber trotzdem fühlte er sich besser. „Ich mag, was du da sagst", gab er schließlich zu und schob das Handy zurück zu Tim.

„Obwohl es so kitschig ist?"

„Manchmal braucht man das eben." Stegi grinste. „Ich bin ziemlich froh, dass wir uns gefunden haben, weißt du?"

„Ich auch." Tim legte seine Hand auf Stegis, ihre Finger verschränkt. „Obwohl das auch kitschig ist."

~ * ~

Der Bus spuckte sie an einem Ort aus, der mehr nach Kleinstadtsiedlung aussah als nach Bremen. Stegi starrte auf sein Handy in seinen halbgefrorenen Händen, um herauszufinden, wo sie langgehen mussten, um zu Oskar zu kommen. „Hier lang." Auch beim Laufen beobachtete er den Bildschirm – Nur, falls sie doch in die falsche Straße abgebogen waren.

„Wie weit?", fragte Tim.

Wann sind wir endlich da?", imitierte Stegi eine Kleinkind-Stimme. „Zehn Minuten – Laut Maps."

„Ich werde erfrieren."

„Beschwer dich nicht. Du bist immerhin wärmer angezogen." Er sollte wirklich in gute Winterklamotten investieren, aber diese Erkenntnis kam jetzt auch zu spät. Unter seinen Schuhen knirschte der Schnee. Hier draußen war weniger los, und während offensichtlich andere Personen hier entlanggegangen waren – Und mindestens ein Hund – war der Schnee noch relativ unberührt; nicht vergleichbar mit dem Matsch in den belebteren Stadtteilen. Tims Schritte waren nicht zu hören. Vielleicht war er zurückgefallen, als Stegi das Tempo angezogen hatte. Er wollte gerade stehenbleiben, um auf ihn zu warten, als ihn etwas am Rücken traf. Automatisch wanderten seine Finger zu der Stelle – Kalt und Nass. „Fick dich", murmelte er und drehte sich um.

Tim grinste ihn an. An seinen Handschuhen klebten Reste von dem Schneeball, den er gerade geworfen hatte. „Die Möglichkeit war zu gut."

„Ich hasse dich." Stegi steckte sein Handy ein, sammelte Schnee von der Gartenmauer neben ihm und formte ihn zu einer Kugel, auch, wenn die Kälte an seinen Händen brannte. Handschuhe wären ein guter Anfang für seinen Winterklamotten-Vorsatz.

Das Tempo, mit dem Tim dem Schneeball auswich, ließ Stegi mit den Augen rollen. Tims nächster Angriff traf Stegis Brust. „Du hasst mich nicht."

„Nein." Trotz seiner erstarrten Finger formte er einen weiteren Ball. „Aber du bist auf bestem Wege, dass ich es tue." Diesmal traf Stegi.

Tim wischte sich Schnee von seinem Jackenkragen. „Jetzt wird das hier ein Kampf."

Ein Kampf, aus dem Stegi am Ende mit einer komplett eingeschneiten Jacke herauskam. Seine Hose was durchnässt von geschmolzenem Schnee. Er hob die Arme nach oben. „Okay, okay, ich gebe auf!"

Tim war glimpflicher davongekommen (Es war auch einfach unfair, dass er besser werfen konnte), aber an seiner Mütze hing Schnee. Er hatte die Reste von seiner Jacke bereits abgewischt. Während der Schneeballschlacht waren sie die Straße weiter entlanggelaufen, so weit, dass sie schon fast bei Oskars Haus angekommen waren. „Heißt das, ich habe gewonnen?", fragte Tim, triumphierendes Grinsen auf dem Gesicht.

„Nur, weil du von Anfang an einen Vorteil hattest." Stegi hielt seine Hände in die Höhe, in denen er inzwischen jegliches Gefühl verloren hatte.

Tim lachte. „Ist dir kalt?" Er stand ein paar Schritte hinter Stegi, aber jetzt holte er zu ihm auf, legte seine Arme um ihn. „Wer hätte das Kommen sehen können?"

Für einige Sekunden genoss Stegi es einfach, in Tims Armen zu liegen. Ihm war immer noch kalt und Tims Kleidung war fast so nass wie seine, aber es war immer noch angenehmer, als allein in der Kälter zu stehen. Dann ließ er seine Hände schnell in Tims Nacken wandern.

„Stegi!", empörte Tim sich und sprang nach hinten. „Jetzt ist mir auch kalt. Danke dafür."

Stegi lächelte bloß. Rache war süß. Er zog sein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf den Bildschirm. „Nächste Links, dann sind wir da."

„Kein Wort sonst zu deinem Betrug?"

„Du hast angefangen." Trotzdem bot Stegi Tim seine Hand an, die dieser ergriff – Sogar, nachdem er sich einen Handschuh ausgezogen hatte. „Kommst du?"

Als sie wenige Minuten später auf der Party ankamen, wurde es gerade voll – eine Stunde zu spät aufzukreuzen, hatte sich als richtige Entscheidung herausgestellt. Zu seiner Überraschung war es Lauren, die die Tür öffnete und grinste. „Furchtbar, dich zu sehen", begrüßte sie Stegi – Er rollte mit den Augen –, dann sah sie zu dem Jungen neben ihm, der immer noch seine Hand hielt: „Ah, und du musst Tim sein!"

„Ganz richtig", bestätigte er und schälte sich aus seiner nassen Jacke. „Und du?"

„Ich muss ja mich fast angegriffen fühlen, dass du das nicht weißt." Dennoch stellte sie sich kurz vor und zeigte ihnen, wo sie Jacken und Schuhe hinstellen konnte. „Die anderen sind im Wohnzimmer. Treppe hoch, dann rechts. Oh, und wir haben Pizzabrötchen im Ofen."

„Wir kommen gleich." Sie verschwand, während er noch nach einer Möglichkeit suchte, seine nassen Sachen so aufzuhängen, dass sie über die nächsten Stunden hinweg trocknen konnten. Schließlich warf er seine Jacke über die Heizung, zusammen mit Tims Handschuhen und Mütze.

Als sie sich dem Wohnzimmer näherten, hörte er Gesprächsfetzen durch die halboffene Tür, selbst über die Musik hinweg. Es lief Britney Spears' Womanizer. „Nein, Wirtschaftswachstum ist kein guter Indikator dafür, wie gut es einem Land geht", ereiferte Oskar sich. Als er den Raum betrat, konnte Stegi sehen, dass er wild gestikulierte; anscheinend befand er sich in einer Diskussion mit Phil. „Sieht man sich als Beispiel nur – Oh, hallo Stegi!" Ein breites Lächeln füllte sein Gesicht, er hatte eindeutig schon ein paar Bier intus. „Wie geht's dir? Und da ist ja Tim!" Er zog eine Augenbraue hoch, leicht fragend, und Stegi realisierte plötzlich, dass er noch gar nicht wusste, was für eine Wendung die Ereignisse in den letzten Tagen genommen hatte.

„Hallo", meinte Tim, winkte etwas unsicher in die Runde. „Ich bin der Tim."

„Und ich hatte gehofft, du begrüßt uns mit Servus. Oskar mein Name."

Tim rollte mit den Augen. „Worum ging es denn gerade?", fragte er dann.

„Kapitalismuskri-", setzte Oskar an, wurde aber von Luca unterbrochen.

„Es ist Silvester." Luca legte einen Arm um Oskars Schulter. „Wenn wir das jetzt aufrollen, verpassen wir Mitternacht."

Kurz sahen sowohl Oskar und Phil aus, als wollten sie darauf etwas erwidern, dann sagte Phil: „In Ordnung. Aber nach 0 Uhr geht's weiter."

„Oh, bis dahin bist du so betrunken, dass du keine Argumente mehr formen kannst."

„Und du nicht?"

„Betrunken politische Diskussionen führen gehört zu meinen Talenten." Oskar lachte, griff sich seine Flasche Bier vom Tisch und stand auf, um sich Stegi zuzuwenden. Er warf ihm einen vielsagenden Blick zu und grinste, dann sah er – nicht gerade unauffällig – zu Tim. „Wie war Weihnachten?"

Stegi erwiderte sein Grinsen. „Gut. Wir waren am Meer." Er war immer noch überrascht, dass sie sich davon keine Erkältung eingefangen hatten.

„Und sonst?" Oskar stellte die inzwischen leere Flasche ab und lehnte sich gegen die Sofalehne.

„Ach, das übliche. Meine Schwester war zu Besuch, Weihnachtsmarkt, all der Kram." Natürlich wollte Oskar nicht darauf hinaus. Aber hier, wo ihm fremde Leute im Nacken saßen, war ihm Ja, wir sind zusammen unangenehm, auch wenn Oskars Blick zwischen Stegi und Tim hin- und herwanderte und immer wieder an Stegis Knutschfleck und ihren sich streifenden Armen hängenblieb.

Oskar rollte mit den Augen. „Wir sehen uns später", kündigte er an. „Ich geh einmal frische Luft schnappen." Luca folgte ihm nach draußen, zusammen mit Lauren, und bald darauf fanden sie sich auf dem Sofa gegenüber von Pauline, Phil und zwei Leuten, die er nicht kannte, wieder. Sie stellten sich vor, aber Stegi hatte ihre Namen schnell wieder vergessen.

Vor Pauline lag ein Handy mit einem Timer – vermutlich für das Essen – aber sie schenkte ihm keine besondere Beachtung. Stattdessen spielte sich mit den beiden Fremden ein Kartenspiel. Phil beobachtete sie. „Können wir noch einsteigen?", fragte er dann, gestikulierte in Richtung von Tim und Stegi.

„Nächste Runde", erwiderte einer der Fremden. Er trug einen Pulli, auf dem ein mit Weihnachtsdeko geschmückter Dinosaurier abgebildet war. „So macht keinen Sinn."

„Der Timer ist fast abgelaufen", stellte Phil fest.

Pauline winkte wegwerfend die Hand, in der sie die Karten hielt. Viele Joker, stellte Stegi fest; er konnte ihren Triumph, wenn sie sie ausspielte, schon sehen. „Ihr habt doch grad nichts zu tun, oder?"

Stegi rollte mit den Augen. Tim hatte sich gegen seine Schulter gelehnt, setzte sich jetzt aber aufrecht hin. Phil seufzte nur. „Wir gehen ja schon", sagte er.

Auf dem Weg in die Küche ergriff Tim das Wort. „Du darfst dich nicht von ihr rumschubsen lassen."

„Es ist Pauline." Phil warf ihm ein halbherziges Lächeln zu. „Ihr zu widersprechen, wäre anstrengender gewesen."

„Mit was für Leuten gibst du dich da ab?", fragte Tim, dieses Mal an Stegi gerichtet.

Er lachte. „Ich weiß, es ist furchtbar."

„Ihr könnt das Essen auch allein ins Wohnzimmer tragen, wenn ihr unbedingt wollt!" Phil stieß die Küchentür auf. Im Raum standen zwei Leute, mit denen Stegi Mathe hatte, aber sie warfen ihnen nur einen kurzen Blick zu. Eine von ihnen winkte, bevor sie sich ihrem Gesprächspartner zuwandte. „Holt ihr den Kram aus dem Ofen" – Er gestikulierte in Richtung der Topflappen, die über dem Herd hingen – „Ich kümmere mich um Teller."

Kritisch musterte Stegi den Topflappen. Er wirkte ziemlich dünn in Vergleich mit der Temperatur, vor der er ihn schützen sollte.

„Machst du?", fragte Tim, eine Hand auf der Ofentür.

Wenn es ein Risiko von Verbrennungen geben würde, hätte ihn bestimmt jemand vorgewarnt. Als Tim den Ofen öffnete, schwappte heiße Luft in den Raum, obwohl Phil den Ofen bereits ausgeschaltet hatte. Schnell griff Stegi das Backbleck mit den Topflappen und stellte es auf dem Herd ab, während Tim den Ofen schloss.

Das Mädchen, das ihnen zugewunken hatte, öffnete ein Fenster. „Kann ich mir was nehmen?", fragte sie. Auf Stegis Nicken nahm sie zwei der Pizzabrötchen, fluchte leise und ließ sie schnell auf die Küchentheke neben ihrem Freund fallen. „Achtung, heiß."

Wie unvorhersehbar. Stegi grinste und lehnte sich gegen Tim, Oberkörper an Rücken, während er darauf wartete, dass Phil seine Suche nach Tellern beendet hatte.

„Wozu waren wir essen?", fragte Tim seufzend.

„Ich habe das Gefühl, die hier sind sehr schnell weg." Stegi nickte in Richtung des Backbleches. „Und ich möchte nicht der sein, der deswegen am Ende hungrig ist."

Als sie die Pizzabrötchen auf die Teller verteilten, verbrannte Stegi sich fast an dem Blech (Tim lachte ihn aus). Zurück im Wohnzimmer spielten sie mit Pauline und Weihnachtsdino-Pulli Karten, obwohl Stegi überzeugt war, dass sie entweder schummelte oder unverschämtes Glück hatte; Luca und Oskar gesellten sich wieder zu ihnen und erzählten von ihren Neujahrsvorsätzen und was für ein gutes Jahr 2016 gewesen war; Stegi klaute Oskars Handy und erhielt Kontrolle über die Playlist; Tims Hand lag in seiner, während sie zu einem schlechten Popsong der 2000 tanzten; die Pizzabrötchen waren leer, sobald Stegi Appetit auf eins bekam; sein Handy vibrierte, aber er hätte sich aus Tims Armen befreien müssen, um zu schauen, wer ihm geschrieben hatte, also ließ er es sein. Inzwischen hatte er ein Bier getrunken und zu dem Schluss gekommen, dass er immer noch nicht besonders viel Alkohol vertrag. Er war nicht angetrunken, aber sein Kopf fühlte sich leicht an, die Worte kamen ihm einfacher aus dem Mund. Noch war er sich nicht sicher, ob er das Gefühl mochte oder nicht.

„Ich komme gleich wieder", murmelte Tim, als sie gerade dabei waren, eine Liste der besten Filme des Jahres aufzustellen. Er küsste Stegis Stirn, bevor er ihn von sich herunter schob.

„Bad ist Flur runter, dann links." Oskar lehnte seinen Kopf gegen die Sofalehne, ein Lächeln umspielte sein Lippen. „Verlauf dich nicht."

„Bis gleich." Stegi ließ seine Hand nur ungerne los, aber er hatte keine Wahl. „Viel Glück."

„Werde ich bestimmt brauchen." Tim lachte und verschwand aus dem Wohnzimmer, zog die Tür hinter sich ins Schloss.

Kurz schwiegen sie. „Rogue One", sagte Lauren dann.

Stegi blinzelte. Fast hatte er den Faden der Konversation verloren.

„Der Star-Wars-Film", erklärte sie, trank einen Schluck ihres Ginger-Ales. „Der neue?"

„Der war viel zu tragisch." Luca verschränkte die Arme, lehnte sich in ihre Richtung. „Geht es in Star Wars nicht um Hoffnung?"

„Auch", entgegnete Lauren, „Aber eines der zentralen Themen des Films ist –"

Stegi zuckte zusammen, als Oskar ihm in die Seite boxte. „Wenn ich die Diskussion anhören muss, sterbe ich, bevor das Jahr rum ist. Kommst du mit raus?" Er wartete nicht einmal mehr auf eine Antwort, bevor er aufstand, und Stegi fügte sich seinem Schicksal und folgte ihm auf den Balkon.

„Aber Kapitalismusdiskussionen?", fragte er, als sie draußen standen. Es war kalt, obwohl auf dem Balkon selbst kein Schnee lag, ihr Atem gefror zu Wolken.

„Immerhin weiß ich darüber was." Oskar hatte sich eine Jacke übergeworfen, bevor sie nach draußen getreten waren. Jetzt suchte er darin einige Sachen heraus, begann, etwas zu bauen, dass Stegi zuerst für eine Zigarette hielt und dann als Joint identifizierte. „Also – Du hattest Erfolg? Mit Tim?"

Er konnte sich nicht helfen: auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Ja."

„Ich kann nicht glauben, dass dein Mixtape-Plan geklappt hat."

„Ich kenne ihn eben besser als du."

„Das will ich ja wohl hoffen." Oskar zog ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und zündete den Joint an. Stegi streckte eine Hand aus, woraufhin Oskar ihn ihm entgegenhielt. „Auch ziehen?"

„Ne, danke. Das Feuerzeug."

„Kein Ding." Oskar reichte ihm das Feuerzeug. Sein erstarrender Atem mischte sich mit dem Rauch und stieg Stegi ins Gesicht. Er unterdrückte ein Husten.

Während Stegi das Feuerzeug nutzte, um seine Hände zu wärmen, sahen sie schweigend über die Häuser. Schnee hatte sich auf den Dächern und auf den Straßen gesammelt, auch, wenn von hier oben deutlich Spuren darin zu erkennen waren, die meisten Fenster waren hell erleuchtet, in weiter Ferne explodierte Feuerwerk: bunte Flecken auf dem grau-schwarzen Nachthimmel.

„Alles Spießer", sagte Oskar nach einer Weile und blies Rauch in die Luft. „Hier im Viertel ballert niemand vor Mitternacht. Es ist gut, dass grad alle drinnen hocken und Dinner for One gucken, denn ansonsten wären sie wohl geschockt von dem, was ich hier tue."

Stegi drehte sich zu ihm. Das Feuerzeug hatte fast den Geist aufgegeben, aber er schaffte es, ihm eine letzte Flamme zu entlocken und sie vor dem Wind zu schützen.

„Wahrscheinlich verurteilen sie dich auch schon. Wegen dem hier." Seine Hand wanderte zu seinem Nacken, und Stegi wusste, dass er auf den Knutschfleck anspielte. „Wenn sie wüssten, dass der von 'nem Typen kommt, was dann los wäre... Sei froh, dass dich hier niemand kennt. Bestes Los, das du hättest ziehen können."

Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. „Tut mir leid", entschied er sich schließlich für die offensichtlichste Wahl. „Also, dass du hier wohnen musst."

Oskar zuckte mit den Schultern. „Ich halt mich raus aus den Gerüchten, aber ja, die Leute mögen mich nicht. Ich ruiniere ihre gute Nachbarschaft." Bei dem Wort ‚gute' malte er Anführungszeichen in die Luft, der Joint ein glühender Punkt zwischen seinen Fingern.

„Immerhin musst du nicht mehr lange hierbleiben." Stegi war sich nicht sicher, wie der die Situation sonst besser machen konnte, und er hatte keine Erfahrungen damit, sich Sorgen um die Gedanken seiner Nachbarn zu machen. Alles in seinem Leben war flüchtig gewesen, inklusive ihnen. Bis jetzt.

„Glaub mir, sobald ich mein Abi in der Hand habe, bin ich hier raus." Oskar drückte den Joint im Aschenbecher aus. „Du hast echt Glück, dass du dich mit sowas nicht rumschlagen musst."

Merkwürdig, wie sein Fluch für Andere ein Segen sein konnte. „Es hat auch seine Nachteile."

Ein Lachen kam über Oskars Lippen, rau und schwer. „Das Leben ist scheiße, was? Aber es hat auch seine guten Seiten."

Stegis Blick wanderte nach innen. Die Tür war beschlagen, aber trotzdem konnte er erkennen, dass ihre Freunde sich im Kreis auf das Sofa gesetzt hatten, Tim unter ihnen. Phil lehnte sich lachend nach vorne, Lauren klopfte ihn auf dem Rücken, ein dumpfer Bass drang nach draußen. Er hatte es nicht mitbekommen, aber jemand hatte einen Smiley an das beschlagene Glas gemalt, eines seiner Augen länger als das andere. Stegi lächelte.

„Wollen wir reingehen?" Oskar streckte die Hand aus und Stegi ließ das Feuerzeug in sie fallen.

Er war glücklich, stellte er fest, als er seine Freunde beobachtete. Seinen Freund. Beide dieser Konzepte fühlten sich noch an wie fremdes Gebiet, und die Wärme, die sich bei ihrem Anblick in ihm ausbreitete, ließ sein Herz schwer werden. Manchmal fühlte Glück sich an wie eine überwältigende Traurigkeit; manchmal war es beides zugleich.

Als er gerade die Tür öffnen wollte, legte Oskar ihm eine Hand auf die Schulter. „Stegi? Ich freu mich für euch. Ihr kriegt das auf die Reihe."

„Danke." Er stieß die Tür auf. Warme Luft strömte ihnen entgegen. „Das werden wir."

~ * ~

Der Alkohol brannte in Stegis Kehle. Wenn er Tims Gesichtsausdruck richtig deutete, ging es ihm genauso. „Ew", sagte er, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, als würde das einen Unterschied machen.

Stegi versuchte stattdessen, seinen Ekel zu verstecken. Er stellte das Shotglas ab und sah sich unauffällig nach einem Glas Wasser um. Zwar bezweifelte er, dass purer Vodka gut schmecken konnte, aber das „Premium"-Label auf der Flasche kam ihm doch gelogen vor. „So schlimm?"

„Ich weiß nicht, warum ich mich dazu habe überreden lassen."

„Gruppenzwang. Du bist das Opfer aus jedem Anti-Alkohol-Film."

Tim rollte mit den Augen. „Keine Angst, ich werde nicht als Alkoholleiche enden."

„Das will ich ja wohl hoffen!" Stegi grinste und küsste ihn. Seine Lippen schmeckten noch nach Vodka, und er beendete den Kuss schnell.

Es war eine Stunde bis Mitternacht. Pauline hatte sie überzeugt, zur Feier davon einen Shot zu trinken (es hatte nicht besonders viel Überzeugungsarbeit gebraucht), aber jetzt war sie schon wieder abgezogen, hatte ihr Glas ausgetauscht gegen einen neuen Drink, sich zwischen den anderen Gästen verloren. Es war Oskars Party, aber trotzdem schien sie jeden zu kennen – Stegi fände das beneidenswert, wenn es ihm nicht wahnsinnig anstrengend erschienen wäre.

Tim hatte eine Hand in der Tasche seines Pullis vergraben. Seine Wangen waren gerötet, sein Haar über den Abend hinweg unordentlich geworden. Er sah gut aus, einen Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen, seine dunklen Augen auf Stegi gerichtet. Er wollte ihn nochmal küssen, trotz dem Vodka. Der einzige Grund, aus dem er es sein ließ, war das fremde Mädchen, dass sich neben ihnen noch einen Drink machte. Seine Kehle war gefüllt mit Worten, die er sagen wollte, furchtbarer Kitsch, der ihm selbst in seinem aktuellen Zustand übertrieben vorkam. „Kann ich deine Nummer haben?", fragte er stattdessen, um die Stille zu füllen, unterdrückte ein Lachen, „Ich habe meine verloren."

Tim zog unbeeindruckt eine Augenbraue nach oben. „Wow."

„Hast du darauf nichts zu erwidern?"

„Ich hätte nur eine Frage." Tim konnte nicht verhindern, dass sich das Lachen in seine Stimme schlich. „Sag mal, gibt es in dieser Stadt noch andere Sehenswürdigkeiten außer dir?"

„Ich fürchte nein." Für ein paar Sekunden bemühte Stegi sich um ein neutrales Gesicht, dann brach er in Lachen aus. Er lachte, bis er außer Atem war, lehnte seine Stirn gegen Tims.

Auch Tim hatte das Glänzen in den Augen, das nach einem schlechten Witz in der richtigen Situation kam. „Du bist so ein Idiot", murmelte er, „Aber du bist mein Idiot."

„Und du meiner." Jetzt küsste Stegi ihn doch, flüchtig. Der Vodka war nur noch fad. „Was sich ziemlich gut trifft, denn deine Unterwäsche passt perfekt zu meiner Bettwäsche."

Tim stieß ihn von sich. „Kann ich das noch zurücknehmen?"

„Nein." Stegi grinste und küsste ihn nochmal, dieses Mal ein paar Sekunden länger. Dann stand er wieder vor ihm, seine Lippen elektrisiert, sein Atem noch unregelmäßig nach ihrem Lachanfall.

„Kein schlechter Witz?", fragte Tim, als Stegi daraufhin nichts sagte.

„Dieses Mal nicht. Keine Angst, ich habe noch genug für später." Er zwinkerte ihm zu. Tatsächlich hätte er gerne sein komplettes Reporteire an peinlichen Anmachsprüchen ausgeschöpft, aber inzwischen machten sich die Getränke des Abends bemerkbar, also entschuldigte er sich und verschwand auf Toilette.

Während er pisste, schaute er das erste Mal seit ihrer Ankunft auf sein Handy. Es war nur eine Nachricht angekommen – Von seiner Mutter.

21:37 Tut mir Leid wegen vorhin. Ich hätte nicht so reagieren sollen, aber es ist auch schwer für uns.

Schwer für sie. Stegi fragte sich, ob sie sich auch Gedanken darum machten, wie schwer es für ihn war.

Er packte sein Handy zur Seite, wusch seine Hände und lehnte sich gegen die Wand. Sein Handy verlangte nach Aufmerksamkeit, aber wenn er es jetzt anschaltete, würde er die Nachricht und das vage Schuldgefühl, dass sie brachte, nur nochmal sehen müssen. Shit.

Jemand klopfte an die Badezimmertür, aber er ignorierte ihn und starrte nach vorne. Sein eigenes Spiegelbild starrte von der anderen Seite des Raums zurück, Gesicht gerötet, Pupillen groß. Er hatte fast verdrängt, was vor nur wenigen Stunden vorgefallen war, aber jetzt traf es ihn mit voller Wucht ins Gesicht.

Nichts würde mehr genauso sein wie früher. Vielleicht würde sich alles wieder einfinden, aber wie lange würde das dauern? Wie lange würden seine Eltern versuchen, ihn zu überzeugen, sich anders zu ‚entscheiden', als wäre es so einfach? Er war froh, dass er Tim gefunden hatte, aber gerade stachen trotzdem Tränen in seinen Augen.

Es sollte ihn nicht so mitnehmen. Es war nicht fair, dass seine Eltern die Stimmung ruinierten; er hatte nichts falsch gemacht – Oder? Seine eigene Stimme betrog ihn, zitterte mehr, als er hatte zulassen wollen; seine Worte hallten in dem leeren Raum ohne Antwort wider. „Warum?"


Ich hoffe, ihr seit besser ins neue Jahr gekommen als Stegi gerade ;) Und ja, das Update hat mal wieder fast zwei Wochen gedauert, aber dafür bin ich auch mit einem extralangen Kapitel wieder da, yay.

(Songzeile: Daughter - Numbers)
(Erwähnte Songs: Britney Spears - Womanizer)



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