58. Kapitel | Glück
You make me laugh until I die, can you think of any better way to choke?
„Mir ist langweilig", beschwerte Stegi sich, kopfüber auf dem Sofa liegend. „Lass uns was machen. Aber nichts, bei dem man Rausgehen muss."
Tim saß am Schreibtisch und schnitt immer noch den Film. (Er hatte die letzten Wochen verdrängt, dass er ihn bald abgeben musste.) „Schlechte Erfahrung von gestern?"
„Ja. Und es ist kalt." Ihm lief das Blut in den Kopf, seine Schläfen begannen, zu pochen. „Außerdem soll's schneien heute."
„Ist das nicht was Gutes?"
Stegi zuckte mit den Schultern, soweit ihm das gerade möglich war. „Wird doch eh nur Schneeregen. In Norddeutschland ist das immer so."
„Optimismus ist heute nicht so deine Stärke, oder?" Tim klappte den Laptop zu und drehte sich zu Stegi um. „Aber gut. Was willst du machen?"
Stegi überlegte eine Weile. „Mario Kart", schlug er vor. „Wir können ins Wohnzimmer gehen."
„Ich habe das Gefühl, das Spiel macht dich sehr aggressiv."
„Macht es auch. Aber es macht Spaß."
„Okay." Ohne weiteres Überlegen stand Tim auf und hielt Stegi eine Hand hin. „Willst du aufstehen oder willst du so liegend spielen?"
„Ich würde dich trotzdem noch besiegen", murmelte er. Anstatt Tims Hand zu greifen, ließ er sich mit dem Kopf voran auf den Boden rutschen, bis er dort lag; Arme ausgebreitet. „Aufstehen ist schwierig."
„Du bist so 'ne Drama-Queen." Tim schüttelte den Kopf und öffnete die Tür.
„Timmi! Warte auf mich!"
Gerade, als Stegi möglichst schnell auf die Füße kam, verließ Tim das Zimmer; einen augenrollenden Blick zurückwerfend. „Wie war das mit Spitznamen?"
„Du machst das auch. Tu doch nicht so." Er eilte ihm hinterher ins Wohnzimmer. Jetzt, wo sowohl die Feiertage als auch das Wochenende vorbei waren, mussten seine Eltern wieder arbeiten, und den Vormittag über hatten sie das Haus für sich gehabt. Stegi freute sich darüber, aber es sorgte auch dafür, dass ihr Frühstück aus Käsescheiben ohne Brot bestanden hatte und sie zum Mittagessen zwei Fertigpizzen gegessen hatten. Langsam vermisste sein Körper so etwas wie Gemüse. „Kannst du den Fernseher anmachen?"
„Bedenke: Du weißt, wie das geht. Ich nicht", bemerkte Tim.
Zu dieser bestechenden Logik gab Stegi keinen Kommentar ab, sondern griff nur nach der Fernbedienung und den beiden Wii-Controllern, ehe er die Geräte anschaltete und sich neben Tim aufs Sofa pflanzte. „Du weißt, dass ich dich zerstören werde?"
„Das wollen wir ja mal sehen."
Eigentlich hatte Stegi verdammt lange kein Mario Kart mehr gespielt, aber das würde er Tim garantiert nicht erzählen, bevor der noch zu selbstbewusst wurde. Er wusste, dass Tim manchmal mit seinem Bruder spielte, aber es ging um die Illusion, dass er besser war.
„Ich bin Mario", meinte Stegi, als sie die Charaktere auswählen mussten. „Ich bin immer Mario."
Tim legte keine Einsprüche ein, sondern wählte selbst Waluigi als Charakter (aus welchen Gründen konnte Stegi nicht nachvollziehen), dann wählten sie ihre Fahrzeuge und starteten das Spiel.
„Rainbow Road", plädierte Stegi, bevor Tim überhaupt irgendwas sagen konnte. „Wenn ich mich aufrege, dann wenigstens richtig."
„Du hasst uns beide sehr, oder?"
Stegi hatte die Strecke bereits ausgewählt, als Tim begonnen hatte, zu sprechen. „Bereit?"
„Für Rainbow Road? Niemals. Aber wir fangen trotzdem an."
Stegi hatte ein Motorrad ausgewählt. (Er spielte das Spiel nicht unbedingt strategisch und war sich nicht sicher, ob es ihm irgendwelche Vorteile brachte, aber es war die schönste Option gewesen.) Ein kurzer Seitenblick zu Tim zeigte ihm, dass dieser gerade zwei Plätze vor ihm lag, und Stegi drückte aufs Gas – Jedenfalls bis zur ersten Kurve, wo er fast in den Abgrund schlitterte. Stattdessen blieb er stehen und sah zu, wie bei seinen kläglichen Anfahrversuchen alle Gegner an ihm vorbeifuhren.
Immerhin erging es Tim ähnlich: Er hatte einen Sprung verhauen und war ein paar Plätze zurückgefallen.
Stegi biss die Zähne zusammen und lehnte sich nach vorne, Augen auf den Bildschirm fixiert.
„Die Fernbedienung wie ein Rad zu bewegen macht deine Lenkung auch nicht besser", kommentierte Tim, der wieder zum dritten Platz aufgestiegen war. Stegi rollte mit den Augen und hörte nicht auf, sie wie ein Lenkrad zu behandeln. Trotzdem schaffte er es, ein paar Plätze aufzuholen, bis er sich am Anfang der dritten Runde einen Platz vor Tim befand.
Stegi streckte ihm die Zunge heraus – Tim war auf den Bildschirm fixiert und bemerkte es nicht. „Tim!" Sein Freund ließ sich nicht beirren, also drehte auch Stegis sich wieder zum Fernseher und erkannte, dass er geradewegs auf den Abgrund zuraste. Er riss den Controller zur Seite und warf sich dabei selbst so weit nach rechts, dass er fast in Tim hineinfiel, aber es half nichts: Sein Motorrad machte nur eine klägliche halbe Wendung, bevor es fiel. „Fuck!"
„Ich sag doch, dass macht dich aggressiv."
„Halt die Fresse", maulte Stegi. „Ich hol dich schon wieder ein."
„Du hast aber nicht mehr viel Zeit."
„Das wollen wir mal sehen." Stegi setzte sich wieder aufrecht hin und lehnte sich nach vorne. Inzwischen war er wieder auf der Strecke und gab Gas; er konnte Tim noch vor sich erkennen. „Komm", murmelte Stegi, als er ein Item einsammelte. „Ja!"
Tim warf ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu, als Stegi den roten Panzer warf, der kurz darauf Tims Auto traf. Stegi grinste triumphierend und zog an ihm vorbei, während Tim im Kreis rotierte, und fuhr wenige Sekunden später ins Ziel ein. Tim kam direkt nach ihm an, aber die Rangliste sagte eindeutig, dass Stegi der Sieger war. (Nun ja – Der Sieger von den beiden. Den ersten Platz belegte KI-Yoshi.)
„Was habe ich gesagt?", fragte Stegi.
Als Antwort zeigte Tim ihm nur den Mittelfinger.
„Wer ist jetzt aggressiv?" Stegi lehnte sich gegen seine Schulter. Er hatte den Controller zur Seite gelegt und griff nun nach Tims Hand, die Nase rümpfend. „Du solltest duschen."
Tim rollte mit den Augen. „Wirklich?"
„Ich sag's ja nur", verteidigte Stegi sich.
„Gut, dann geh ich gleich duschen."
„Aber erst nach einer Revanche-Runde." Stegi setzte sich wieder auf. „Du darfst auch die Strecke aussuchen." Er ließ ihre Hände verschränkt und entschied, nur mit der linken Hand zu spielen.
„Obwohl du gewonnen hast?"
„Du sollst auch eine faire Chance bekommen."
Tim schmunzelte. „Okay. Dieses Mal werde ich dich fertigmachen."
~ * ~
„Die letzten Tage waren wohl ziemlich..." Tobi ließ eine Pause, und Stegi fragte sich, ob er dramatisch sein wollte oder nur nicht wusste, was er sagen sollte. „... ereignisreich."
„So kann man das wohl sagen." Er grinste, auch wenn Tobi ihn sowieso nicht sehen konnte. „Aber das ist ja nichts schlechtes."
„Vor Allem nicht in dem Fall, nein." Tim war wirklich duschen gegangen und Stegi nutzte die Chance, um endlich wieder mit Tobi zu reden: In den letzten Tagen war das untergegangen, und er hatte eine möglichst schnelle Zusammenfassung der Ereignisse erzählt. „Und bei dir so?"
„Familie besuchen und sowas, ne? Ein bisschen was mit Freunden." Tobi lachte. „Hey, es waren nur ein paar Tage. So viel passieren kann da gar nicht."
„Kann schon."
„Ja, du hast so viel erzählt, dass ich gleich schon wieder losmuss, bevor ich die Chance hatte, was zu sagen", ereiferte er sich. „Es ist unwahrscheinlich, wenn du es so genau wissen willst."
„Ich weiß schon, was du gemeint hast." Augenrollend rückte Stegi sein Headset zurecht und setzte sich in einer anderen Position hin – langsam schliefen seine Beine an. „Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass so viel los war, aber man darf ja wohl mal fragen."
„Ist das eine Beleidigung?"
„Du meintest selbst, dass es unwahrscheinlich ist."
„Jetzt erzähle ich dir nicht die spannenden Neuigkeiten aus meinem Leben." Tobi betonte die Worte übertrieben eingeschnappt, gerade ein Lachen verbergend. „Ich habe die Liebe meines Lebens kennengelernt und wir sind zusammen durchgebrannt."
„Als du deine Familie besucht hast? Ekelhaft."
„Aber ich wohne jetzt auf Mallorca und bin dauerbesoffen."
„Du weißt, dass du ziemlich dumm bist manchmal?", fragte Stegi, und gerade wollte er fragen, was Tobi an Silvester vorhatte und ob sie demnächst wieder zocken wollten, als die Tür aufging und Tim das Timmer betrat. Stegi drehte den Kopf weg vom Laptop und in seine Richtung. „Hey."
„Hey?", antwortete Tobi verwirrt aus dem Headset. „Auch schön, dich zu sehen."
„Tim ist grad reingekommen", erklärte Stegi für Tobi, der über Teamspeak offensichtlich nicht sehen konnte, was gerade im Zimmer passierte.
„Also ist es so ein Hey-Hey", sagte er, das erste Hey in einer Tonlage, die wohl furchtbares Flirten sein sollte. „Aber grüß Tim mal von mir."
Tim stellte sich gerade neben den Schreibtisch und sah zu Stegi. „Mit wem redest du?"
„Tobi. Ich soll dich grüßen."
„Grüß mal zurück."
„Weißt du", meinte Stegi und nahm das Headset ab, „Du kannst ihn auch einfach selbst grüßen."
Also griff Tim ihm das Headset aus der Hand und sprach ins Mikro: „Hi, Tobi. Viel von dir gehört." Die Antwort verstand Stegi nicht, dann wieder: „Können wir versuchen, klar." Er legte das Headset auf den Schreibtisch. „Tobi fragt, ob wir einfach beide mit ihm sprechen können."
„Wir passen hier beide hin", bot Stegi an und klopfte auf die leere Stelle vom Sofa.
Als Tim sich setzte, griff er um Stegis Hüften herum und zog ihn auf seinen Schoß. „Sehe ich anders."
„Schwul." Stegi lachte, als Tim ihn in den Nacken küsste, dann zog er das Kabel aus dem Laptop, damit sie über die eingebauten Lautsprecher sprechen konnten.
„Mensch", merkte Tobi in wesentlich schlechterer Audioqualität an. „Ich dachte schon, ihr braucht ewig."
„Wenn du auch so spezielle Fragen stellst", sagte Stegi. „Uns beide auf einmal? Sicher, dass du das willst?"
„Was habt ihr denn vor? Das klingt nicht sehr, na ja, du weißt schon. Jugendfrei."
„Wir sind nur beide nervig", erklärte er. „Und auch gut zu wissen, dass du zuerst daran denkst, Arsch."
„Was bin ich froh, dass ich nicht lange Zeit habe."
Tim lehnte sich näher an den Bildschirm, als würde das die Tonqualität ändern. „Fängt ja super an."
„Deine Haare sind nass", beschwerte Stegi sich, als sie seine Wange streiften.
Tobi meldete sich wieder zu Wort. „Heul leise." Er lachte. „Das ist also der berüchtigte Tim, was? Ich hätte deine Stimme irgendwie für, na ja, weniger tief gehalten."
„Ist das was gutes?", fragte Tim. „Ich bin mir nicht sicher."
„Stegis Entscheidung", meinte Tobi dazu nur. „Ich hab viel von dir gehört."
„Nur Gutes, hoffentlich."
„Stegi hat mich am Anfang vollgeheult, weil er ein furchtbares Projekt machen muss mit so 'nem komischen Typen, aber das warst bestimmt nicht du", sagte Tobi sarkastisch.
„Ich –", setzte Stegi an, realisierte aber schnell, dass er sich nicht verteidigen konnte. Tobi hatte Recht: Er war am Anfang wirklich nicht begeistert darüber gewesen, nun mit ihm zusammenarbeiten zu müssen, auch wenn Tim wirklich nichts dafürgekonnt hatte. „Es hat sich schnell gelegt?"
Tim legte sein Kinn auf Stegis Schulter ab. „Ich habe schon gemerkt, dass du anfangs nicht so Bock auf die Sache hattest."
„Es war ein Schulprojekt. Wie könnte ich?"
„Mit anderen Menschen", merkte Tobi an. „Quasi Folter."
„Ich fand's nicht so schlimm." Tim zögerte, bevor er fortfuhr. „Und ich habe mich darüber gefreut, mit dir zusammenzuarbeiten, wirklich. Ich habe mich nicht umsonst nicht für jemanden aus meinem Freundeskreis entschieden."
„Ja, denn das waren Arschlöcher", murmelte Stegi, etwas, das Tim gekonnt überhörte.
„Ich fand dich irgendwie cool. Du mich anscheinend nicht."
Stegi grinste. „Ich bin unwiderstehlich."
„Dagegen habe ich Einwände." Tobi räusperte sich. „Tim hat einfach schlechten Geschmack, wenn ich das mal so sagen darf."
Daraufhin rollte Stegi nur mit den Augen. „Meintest du nicht, du musst bald auflegen?"
„Muss ich wirklich."
„So war das dann auch wieder nicht gemeint!", ruderte er zurück. „Ich lasse mich gern von dir beleidigen."
„Kinky", merkte Tim an. Stegi boxte ihn.
„Wirklich. Ich bin noch verabredet, und ich bin eh schon spät dran wegen euch zwei Idioten." Tobi beendete die Unterhaltung jedoch noch nicht. Für einige Sekunden sagte niemand etwas. „Aber ehrlich", fuhr er dann fort, „Ich freue mich für euch. Und ich hab's gekommen gesehen – Das wollte ich nur anmerken."
„Du kriegst nen Fan-Aufkleber zum Geburtstag geschenkt", versprach Stegi.
„Alles, bloß das nicht." Tobi lachte. „Alles Gute euch, ja? Wir schreiben bestimmt noch, aber ich muss echt los."
Tobi verließ den Channel, bevor Stegi oder Tim sich verabschieden konnten. Kurz sah Stegi den Bildschirm an, dann klappte er den Laptop zu. „Ich mag ihn", sagte Tim.
„Das will ich ja wohl hoffen."
„Du mochtest auch meinen Freundeskreis damals auch nicht."
„Berechtigterweise, wenn ich das so sagen darf", merkte Stegi an. Er lehnte sich gegen Tims Oberkörper und sein Freund schloss die Arme fester um ihn. „Und jetzt hast du ja bessere Freunde. Und mich."
Für eine Weile lagen sie nur dort, Tims Herzschlag in Stegis Ohren widerhallend. Er konnte sich verdammt glücklich schätzen, dass er ihn damals ausgewählt hatte – Eine kleine Entscheidung, die dafür gesorgt hatte, dass sein Leben eine Hundertachtzig-Grad-Wende vollzog. Er konnte sich kaum daran erinnern, wie sein Leben gewesen war, bevor dieser Junge hinein gestolpert war; und der Gedanke, dass diese Nähe vor kurzer Zeit noch unvorstellbar gewesen wäre, war schwer zu glauben.
Tim verschränkte seine Hände mit Stegis, als dieser seinen Kopf in den Nacken legte und ihn küsste. „Das wird unbequem", merkte Tim an, ein Lächeln auf den Lippen.
Langsam drehte Stegi sich so, dass er sich nichts ausrenken würde. „Ich bin ja immer noch beleidigt, dass wir neulich unterbrochen wurden."
„Wie gut, dass Lucy wieder in Freiburg ist, was?"
Stegi legte seine Lippen wieder auf Tims, diesmal energischer, und vergrub seine Hand in seinen immer noch nassen Haaren.
Ich habe die Klausurenphase & den NaNoWriMo (dieses Projekt, bei dem Leute versuchen, 50.000 Wörter in einem Monat zu schreiben) überstanden und lebe tatsächlich noch, auch, wenn ich mich 'ne Weile nicht gemeldet habe! Aber ich hoffe, ihr seid noch dabei.
(Songzitat: Bastille - Glory)
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