54. Kapitel | Hoch Hinaus
And if you're in love, then you are the lucky one
„Sport?", stöhnte Stegi auf, als Tim ihm ihre Pläne für den Tag präsentierte. „Ich dachte, wir machen was Entspanntes oder so."
„Vertrau mir, das wird witzig."
„Klettern? Ich bin ewig nicht geklettert."
Tim zuckte mit den Schultern. „Na ja, es ist Bouldern. In der Halle. Die haben schon einfache Routen für dich. Und ich war auch ewig nicht klettern. Wir sind also zusammen scheiße."
Immerhin war er wirklich kreativ gewesen. „Aber ich werde dich besiegen."
„Wie willst du mich bitte besiegen?"
„Oh, du wirst schon sehen", sagte Stegi bedeutungsschwanger (Hauptsächlich, weil er keine Ahnung hatte, wie er Tim besiegen sollte oder Bouldern überhaupt genau funktionierte).
„Du solltest ne Jogginghose mitnehmen." Tim hatte sich schon seinem Koffer zugewandt, um seine herauszusuchen. „Warum habe ich meine Sachen nochmal nicht ausgepackt?"
„Faulheit?", riet Stegi, seinen eigenen Kleiderschrank öffnend.
„Ich verfluche mich." Tim verteilte ein paar Shirts und Boxershorts auf dem Boden, ehe er eine Jogginghose ganz unten aus seinem Koffer zog. „Ich wusste doch, dass es ne gute Idee wäre, mehrere einzupacken."
„Wow, du bist ja so schlau", sagte Stegi ironisch.
„Bin ich, nicht wahr?"
Augenrollend nahm er ein T-Shirt und eine Jogginghose aus dem Schrank und griff nach seinem Rucksack, der neben dem Schreibtisch stand. „Aber lass uns erstmal was essen."
„Also ich wollte jetzt nicht ohne Frühstück los, keine Sorge."
„Man weiß ja nie!", verteidigte Stegi sich. „Kommst du dann in die Küche?"
Sie frühstückten in der Küche sitzend. Außer ihnen war niemand da – Die Feiertage waren vorbei. Stegis Eltern arbeiteten wieder, Lucy war noch kurz in die Stadt gefahren, um etwas zu besorgen. Sie würde morgen wieder fahren, früher als erwartet, und Stegi würde es ihr nie im Leben sagen, aber das machte ihn ein wenig traurig.
„Übermorgen ist schon Silvester."
Tim murmelte eine Zustimmung – jedenfalls hätte Stegi es so interpretiert, aber er hatte auch den Mund voll.
„Das wird merkwürdig werden." Er ließ seinen Löffel in die fast leere Müslischüssel gleiten. „Es ist gar nicht so lange her, dass ich die Leute alle gesehen habe, aber, na ja –" Er gestikulierte zwischen ihnen.
„Glaubst du, sie haben damit ein Problem?"
„Absolut nicht!" – Er schüttelte den Kopf, um das zu unterstreichen – „Aber es sind ja nicht nur vier, fünf Leute da, sondern auch noch deren Freunde. Und einige von denen sind garantiert auch aus meiner Schule." An sich war Stegi bewusst, dass für Tim das Outing eigentlich okay gelaufen war, und selbst, wenn seine Schule anders war: Alle Menschen dort, die zählten, akzeptierten ihn. Trotzdem: Er konnte nichts dagegen tun, dass der Gedanke ihn nervös machte. Auch hier musste es Leute wie Jan oder Mo geben.
„Wir können an dem Abend auch so tun, als wären wir nichts Anderes als Freunde." Tim lächelte. „Ist doch kein Problem."
„Nein, ich –", setzte er an, überlegte dann erst, was er eigentlich sagen wollte. „Ich glaube nicht, dass die jemanden einladen würden, der homophob ist. Ich kenn die Leute ja." Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Außerdem muss ich ja irgendwem einen Neujahrskuss geben."
„Das ist so kitschig."
„Ich darf das."
„Hey, ich habe nie gesagt, dass ich das schlimm finde!"
Stegi lachte. „Dann ist ja gut." Er trank seinen Kaffee in einem großen Schluck aus und griff dann seine Schüssel. „Wollen wir dann los?"
~ * ~
Stegi ignorierte Tims Hinweise, man sollte sich vor dem Sport aufwärmen. Stattdessen sah er sich in der Halle um, darauf wartend, dass sein Freund fertig war.
Sie waren relativ früh und es war noch dementsprechend leer. Ein paar Leute feuerten jemanden an, der gerade eine als schwierig markierte Strecke zu klettern versuchte (Stegi war äußerst fasziniert davon, dass er fast bis zum Ende kam, bevor er abstürzte); ein paar Jugendliche versuchten sich an einfacheren Routen.
„Bereit?", fragte Tim und legte ihm einen Arm um die Schulter.
Stegi nickte. „Jap. Wo fangen wir an?"
„Da?" Tim zeigte auf eine der Routen direkt vor ihnen.
Bevor er überhaupt noch etwas sagen konnte, meldete Stegi sich zu Wort. „Ich will zuerst!" Mit einem Hechtsprung begab er sich zum Anfang, während Tim hinter ihm stand, Arme verschränkt.
„Und du wolltest was Entspanntes machen..."
Stegi streckte ihm die Zunge raus und warf einen kurzen Blick auf die Route. Er war wirklich lange nicht geklettert, vor allem nicht so: Ungesichert, auf festen Routen, nicht wirklich hoch, mit diesen Klettergriffen.
Er hatte ein bisschen Angst, dass er abrutschen würde, aber er schaffte es, den ersten Meter zu klettern. Zuerst langsam, dann schneller – Es war wirklich nicht sonderlich schwierig. Tatsächlich fand er die Route bald fast von selbst. Es dauerte nicht lange, bis er oben war.
Als er wieder nach unten gesprungen war, sah Tim zu ihm. „Und?"
„War eZ."
„Dann will ich mal."
„Aber nicht dieselbe!", protestierte Stegi. „Du könntest abgeschaut haben." Zwar glaubte er nicht, dass Tim sonst großartige Schwierigkeiten damit gehabt hätte, aber sein Augenrollen war es wert.
„Also gut."
Stegi setzte sich auf den Boden, während Tim eine andere Strecke inspizierte. Er beobachtete seinen Freund, wie dieser schließlich anfing, nach oben zu klettern; nur manchmal kurz zögernd. „Geschafft!", rief er schließlich von oben herab und ließ sich fallen. „Na, was jetzt?"
Stegi grinste und hielt ihm seine Hand hin. „Du hilfst mir hoch und wir suchen uns was neues?"
Sie gaben das abwechselnd klettern schnell auf. Stattdessen versuchte Stegi, Tim zu anderen Herausforderungen anzustacheln („Wir fangen gleichzeitig an und wer zuerst oben ist, gewinnt?"). Sie hatten einen Stand von drei zu vier – Stegi führte, sehr zu seiner Freude –, als Stegi sich theatralisch auf den Boden fallen ließ.
„Meine Hände tun weh", verkündete er. „Ich bin für eine Pause."
„Ich bin dabei." Tim setzte sich neben ihn. „Aber nicht zu lange."
„Ganz ruhig." Grinsend lehnte Stegi sich an seine Schulter. „Du musst nicht übermotiviert sein, nur, weil du doch noch besser sein willst als ich."
„Das ist alles furchtbar für dein Ego, weißt du?"
„Also ich sehe das Problem nicht."
„Ich weiß", seufzte Tim. „Ich weiß."
Stegi beobachtete die anderen Jugendlichen. Eine von ihnen, ein Mädchen mit kurzen, schwarzen Haaren, deutete auf eine rot markierte Strecke (Stegi ging davon aus, dass rot schwierig bedeutete) und boxte den Typen neben ihr in die Seite. Was sie sagte, konnte er nicht verstehen, aber er lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Gruppe.
Der Typ schüttelte den Kopf, aber einer seiner Kumpels klopfte ihm auf den Rücken und gestikulierte nach oben.
„Glaubst du, er macht es?", flüsterte Stegi Tim zu.
Nach ein paar Sekunden, in denen Tim die Szene ebenfalls beobachtet hatte, nickte er. „Denke schon."
„Aber er schafft's nicht."
Sie sollten richtig liegen: Der Typ versuchte es, aber er schaffte es kaum, den ersten Griff zu fassen zu kriegen – geschweige denn die folgenden. Als er vielleicht fünfzig Centimeter über dem Boden aufgab und wieder nach unten sprang, lachten seine Freunde, das Mädchen legte ihm einen Arm um die Schulter und sagte etwas Unverständliches.
„Das ist auch wirklich unmöglich." Stegi musterte die Strecke – Er konnte kaum herausfinden, wie man sich festhalten sollte, so klein waren die Griffe. „Kein normaler Mensch kann das schaffen."
„Wie gut, dass ich nicht normal bin."
Er warf Tim einen sehr zweifelnden Blick zu. „Du willst da hochklettern?"
„Ich will es versuchen."
„Weißt du, du musst das nicht tun, um mich zu beeindrucken oder so."
„Wer sagt, dass ich das deswegen tue?" Tim rappelte sich vom Boden auf.
Stegi zog eine Augenbraue hoch, schwieg aber sonst. Stattdessen ließ er sich von Tim hochziehen und stolperte hinter ihm her bis zu der Strecke, an der der andere Junge gerade gescheitert war. Sofort bemerkte er die Blicke in ihrem Rücken: Die Gruppe beobachtete sie, und das nicht unbedingt unauffällig.
Hoffentlich würde Tim ihnen eine Show bieten, sonst würde das hier ganz schön peinlich werden. Stegi vergrub die Hände in den Taschen und sah zu, wie Tim seine Hände auf die ausgeschilderten Startpunkte legte. Und dann: Erster Fuß, zweiter Fuß. Er musste sich strecken, um den nächsten Griff zu erreichen (kein Wunder, dass der andere es nicht geschafft hatte: Er war fast einen Kopf kleiner), und seine Finger kratzten über das Plastik, kurz vor dem Abrutschen.
Für ein paar Momente hielt Stegi den Atem an, aber dann schaffte er es doch noch, Halt zu finden. Er zog sich noch weiter nach oben, und eine endlose Minute später hatte er es auf die Höhe geschafft, die auch der andere Junge erreicht hatte.
Hinter ihnen flüsterte die Jugendlichen-Gruppe.
„Komm", flüsterte Stegi. Tim trug ein Tanktop und er konnte deutlich erkennen, dass seine Arme zitterten. (Nicht, dass er sich über den Anblick beschwert hätte.) Die nächste Stufe würde schwierig werden: Nicht einmal Tim war groß genug, um sie in einem Schritt zu überwinden.
Also schaffte er es – wie auch immer – seine Finger in dem Griff einzuhaken und sprang mit den Beinen zum nächsten. Für ein paar Sekunden baumelten seine Füße in der Luft, seine Hand rutschte nach unten, aber er fand gerade noch so Halt, balancierte mit den Zehenspitzen auf dem winzigen Plastikvorsprung. Einer der Jugendlichen hinter ihnen rief ein „Nicht schlecht!" nach oben. (Also war das beobachtet fühlen keine Einbildung.)
Stegi biss die Zähne zusammen, als Tim nach oben tastete, um höher zu kommen. Seine Fingerspitzen kratzten über den Griff, und für einen Moment sah es fast so aus, als hätte er ihn – Dann verlor er das Gleichgewicht und sprang nach unten.
Nichtsdestotrotz: Stegi hätte es wohl nicht mal geschafft, sich an dem ersten Griff festzuhalten. Tim schüttelte seine Arme aus, während er auf ihn zukam. „Bevor du lachst, versuch erstmal selbst, das –"
Stegi küsste ihn – Egal, ob sie noch beobachtet wurden. Für einen Moment schien Tim verdutzt, dann erwiderte er den Kuss. Als er wieder einen Schritt zurücktrat, lächelte er. „Weißt du", meinte Stegi, „Ich glaube, als du gesagt hast, du warst lange nicht klettern, hast du gelogen."
Auf die Bemerkung ging Tim gar nicht erst ein. „Witzig, dass ausgerechnet beim klettern versagen dein Fetisch ist."
Stegi boxte ihn in die Seite. „Nur ich darf so dumme Kommentare machen."
„Habe ich denn jetzt wenigstens gewonnen?"
„Du warst nicht oben, Timmi."
„Ist das ein Nein?", fragte Tim.
Stegi dachte eine Weile darüber nach. „Es ist ein Ja, wenn du dafür bei McDonalds was ausgibst."
„McDonalds ist ne super Idee."
„Deine Hände schwitzen", bemerkte Stegi scherzhaft, als Tim ihre Finger miteinander verhakte, aber er musste trotzdem lächeln – Vielleicht war er gerade wirklich der glücklichste Typ in der Stadt, dachte er, und dann viel ihm auf, was für ein dumm verliebter Gedanke das war.
„Kein Wunder nach der Tour." Tim lachte. „Hat das mit dem Beeindrucken denn wenigstens ein bisschen funktioniert?"
Stegi lächelte bloß noch ein wenig breiter.
Ich hoffe, die von euch, die zur Schule gehen, sind gut im neuen Schuljahr angekommen :D Also, außer ihr habt noch Ferien. Ich kann hier das übliche Gelaber a lá "sorry" anbringen oder ich kann sagen: Bouldern macht wahnsinnig Spaß, probiert es aus! Und ich hab schon für jedes der letzten Kapitel eine kleine Szene geschrieben (es werden leider nicht mehr viele) - Also gibt es vielleicht Hoffnung?
Ich schreibe dieses Jahr Abi & in zwei Wochen kommt die Klausurenphase und tackelt mich zu Boden, aber hoffen wir mal, dass ich bis dahin ein bisschen was Geschrieben kriege. Falls ihr im Hintergrund leise darüber lacht: same here. Anyway! Ich hoffe, ihr seid noch ein bisschen in der Story drin, und damit ciao.
(Songzitat: Daughter - Youth)
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