
52. Kapitel | Anfang
I absolutely love you, but we're absolute beginners
Am nächsten Morgen wachte Stegi auf, weil jemand gegen die Zimmertür klopfte.
Im Schlafen hatte Tim seinen Arm um ihn gelegt und ihn nah an sich herangezogen. Etwas widerwillig schob Stegi Tims Arm beiseite und setzte sich auf. „Ja?"
Seine Mutter öffnete die Tür. „Ich wollte euch Jungs nur Bescheid sagen, dass wir jetzt frühstücken. Aber Tim scheint ja noch zu schlafen?"
„Ich wecke ihn", versprach Stegi. „Geh ruhig schonmal wieder zu den anderen." Eigentlich wollte er nur, dass sie möglichst schnell den Raum verließ, denn irgendwie fand er die ganze Situation gerade so wahnsinnig merkwürdig.
Er hatte Tim geküsst. Fuck. So richtig verarbeitet hatte sein Hirn das noch nicht verarbeitet. Seine Mutter im Zimmer konnte er da nicht auch noch gebrauchen.
Immerhin schien sie den Hinweis zu verstehen. „Bis gleich!"
Ein kurzes Lächeln warf Stegi ihr noch zu, bevor sie den Raum verließ, dann wandte er sich Tim zu und pikste ihn testeshalber in die Seite. „Timmi, aufstehen."
„Hmmm", kam es nur zurück. „Gleich."
„Es gibt Essen."
Das schien Tim zumindest ein bisschen zu motivieren, denn er schob die Decke zur Seite und blinzelte verschlafen. „Essen klingt gut."
„Ich bring's dir nicht ans Bett", lachte Stegi und hielt ihm eine Hand hin. „Soll ich dir hochhelfen?"
„Als wärst du nicht zu sehr Lauch dafür", murmelte Tim, ließ sich aber bereitwillig von ihm hochziehen. „Ich zieh mich nur kurz um."
Stegi nickte. „Ich mich auch."
Während er sich aus dem Schrank Klamotten heraussuchte, spürte er Tims Blick in seinem Rücken. Stegi brauchte länger (um fair zu sein: er hatte mehr Auswahl), und gerade, als er sich mit einem Stapel Klamotten in den Händen umdrehte, zog Tim sich sein T-Shirt über den Kopf. „Beeil dich mal, ich will nicht umsonst aufgestanden sein." Er lachte aber dabei und Stegi erwiderte mit einem Grinsen.
Irgendwie wünschte er in dieser Situation, er hätte Ahnung von, nun ja, irgendwas. Schließlich hatte er gestern Abend Tim geküsst (oder, besser gesagt, Tim hatte ihn geküsst) und das machte das ganze hier zu einem etwas anderen Morgen als die, die sie bisher erlebt hatten.
(Waren sie jetzt zusammen? Sollte er das ansprechen? Wie sollte er sich allgemein verhalten? Bisher war es einfach so wie immer. Was nicht zwingend schlecht war, aber er hatte das Gefühl, wenigstens etwas sollte anders sein.)
Nachdem er sich aber schließlich auch umgezogen hatte, frühstückten sie. Stegi würde es ohne Zweifel als eines der merkwürdigsten Frühstücks seines Lebens einstufen: Er und Tim, die wissende Blicke austauschten; und dann noch seine Schwester und seine Eltern, die über ihren Tag gestern redeten, von der Familie erzählten, erwähnten, dass sie den Tag heute nutzen wollten, um einfach mal ins Umland zu fahren nach dem Weihnachtsstress. „Ist schließlich der letzte freie Tag", erwähnte seine Mutter, „Das muss man ja ausnutzen."
Währenddessen trommelte Stegi mit den Fingern auf seinem Oberschenkel, zwang sich, ein Brötchen zu essen, und antwortete „War echt cool" auf die Fragen danach, wie es denn am Meer gewesen sei.
Aber auch dieses Frühstück ging vorbei.
„Das war echt weird", fand auch Tim, als sie wieder in Stegis Zimmer saßen, sich gegenüber auf dem Bett.
Stegi lachte. „Ja. Und wie."
Tim strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte schief. „Also", setzte er an, stoppte dann aber, fuhr sich noch einmal durch die Haare, obwohl er keinen Grund mehr dazu hatte. „Was ich dich fragen wollte – Sind wir jetzt zusammen?"
Sind wir jetzt zusammen? Irgendein Teil von Stegi war automatisch davon ausgegangen. Klar, ein Kuss war jetzt nicht dasselbe wie eine Beziehung und es gab genug Leute, die viel mit Leuten rumknutschten, mit denen sie nicht zusammen waren (Oskar zählte beispielsweise dazu, laut eigener Aussage jedenfalls, und Luca fand das in Ordnung, solange Luca davon wusste). Aber er hoffte, Tim zählte nicht dazu. „Ja. Nur, wenn du das auch willst, natürlich, aber ja."
„Ich glaube, es gibt wenige Dinge, die ich mehr will."
Stegi lächelte. „Dann bist du jetzt wohl mein Freund." Er musste lachen, weil es so merkwürdig war, die ganze Situation. So neu. Für sowas gab es schließlich auch keinen Leitfaden, keine Regeln. Vielleicht hätte er sich vorher Gedanken darüber machen sollen.
„Ja." Tim grinste.
Er küsste Tim, das erste Mal seit dem Abend, und immer noch machte es ihn so unfassbar glücklich. Als Tims Lippen sich langsam und erst zögerlich gegen seine bewegten, lächelte er und rückte näher an ihn heran.
(Vorher Gedanken machen war ja eh überbewertet.)
Auch auf Tims Gesicht hatte sich ein Lächeln ausgebreitet. „Ich bin sehr froh, dass du das gesagt hast gestern, übrigens."
„Ich auch", gab Stegi zu. Für ein paar Sekunden schwieg er. „Gestern Abend war mein erster Kuss. Mein erster richtiger jedenfalls."
„Richtiger?"
„Na ja. Sowas wie Kindergarten rausgestrichen. Da erinnere ich mich eh kaum dran."
Tim lehnte sich etwas nach hinten, bis er mit dem Rücken an die Kante des Bettes stieß. „Das ist süß." Er lachte. „Aber nicht so überraschend, wenn man bedenkt, wie häufig du mit Leuten geredet hast."
Kurz wollte Stegi zu einem Protest ansetzen, entschied sich dann aber doch dagegen, weil Tim leider Recht hatte. Zugeben würde er das natürlich nie.
„Mein erster Kuss war auf irgendeiner Party beim Flaschendrehen. Ich muss zugeben, das hier ist besser."
„Das will ich doch auch hoffen."
Stegi tastete nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger miteinander, während er sich näher zu Tim setzte. „Übrigens bin ich wahrscheinlich auch ganz furchtbar in dem ganzen Beziehungskram."
„Ich auch", gab Tim zu, „Aber wir kriegen das schon hin."
„Sicher?"
Tim strich mit seinem Daumen über Stegis Handrücken, eine Geste, die sein Herz viel zu warm werden ließ. „Sicher."
~ * ~
Den Rest des Tages verbrachten sie damit, Serien zu schauen und zu reden. Stegi wusste nicht genau, wie er es sich überhaupt vorgestellt hatte, mit Tim zusammen zu sein. Die Dinge waren nicht großartig anders, außer, dass es sich weniger verboten anfühlte, ihm so nah zu sein.
Es lief Breaking Bad und sie erzählten sich Geschichten von schlechten Chemielehrern und anderen guten Serien.
Stegi ließ eine Hand gedankenabwesend durch Tims Haare fahren, während dieser auf den Bildschirm konzentriert war. „Ich habe Hunger", merkte er an. „Timmi, mach was."
„Essen aus dem Nichts herzaubern?"
„Zum Beispiel?"
Tim befreite sich aus seinem Griff und pausierte die Serie. „Essen holen?"
„Können wir nicht auch bestellen?"
„Am 26.? Viel Glück." Tim stand auf und hielt Stegi seine Hand hin.
Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Stegi ließ sich von Tim auf die Beine ziehen und ließ seine Hand nicht los. Seine Eltern waren an einem Ort namens Blockland wandern, im Dezember, aber Stegi hatte nicht mitkommen wollen, genauso wenig wie seine Schwester. Keine Überraschung – Die Temperaturen lagen bei etwa 0 Grad.
„Glaubst du, Lucy will auch was?", fragte Tim.
„Du bist viel zu nett." Stegi griff seine Jacke, ohne sich zu fragen, wie er sie anziehen wollte, während er Tims Hand hielt. „Sie kann sich selbst was machen, sie ist alt genug."
„Aber –", setzte Tim an.
Hinter ihnen knarrte die Tür. Reflexartig ließ Stegi Tims Hand los und drehte sich um, bemüht, möglichst nicht geschockt auszusehen. „Will ich auch was?", fragte Lucy.
„Essen", brachte Stegi gerade noch heraus, bevor die Pause zu lang wurde. „Wir wollten Essen holen."
„Was hat denn auf?"
Er zuckte mit den Schultern. „Der Chinese, bei dem wir neulich waren, glaube ich."
„Bringt mir mal was mit. Vegetarisch, bitte." Damit schloss sie die Tür wieder.
Stegi atmete hörbar aus und warf einen Blick zu Tim, der während der gesamten Konversation gar nichts gesagt hatte. „Wollen wir?"
Erst, als sie eine Straße weiter waren, wagte Stegi es, das anzusprechen. Als würde Lucy ihnen von der Wohnung aus zuhören – Wie lächerlich. Neben ihm hatte Tim seine Hände in den Jackentaschen vergraben. „Wie sollen wir das denn machen?", fragte er. „Mit meiner Familie."
Das ihm das peinlich war, war lächerlich. Aber sein Herz klopfte immer noch nicht ganz im Takt, wenn er an Lucy dachte. Was, wenn sie ihre Gespräche in seinem Zimmer gehört hatte? Oder wenn sie irgendwann die Tür ohne Klopfen öffnete und er nicht schnell genug reagierte, um zu verheimlichen, was los war?
„Es ist deine Familie. Ich hätte kein Problem damit, wenn sie es wissen – Sie haben den Regenbogenpin an meinem Rucksack so oder so gesehen. Aber es ist deine Entscheidung, okay? Mach nichts, wozu du nicht bereit bist."
Stegi nickte. Für eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander. „Ich will es ihnen sagen – Es ist einfach scheiße, es zu verschweigen. Und sie sind ja nicht homophob oder so. Aber es ist auch schwer. Ich will nicht, dass alles anders wird zwischen uns, weißt du?"
„Hey." Tim lächelte aufmunternd. „Ich bin auch noch nicht bei meiner Mutter geoutet, und ich weiß es nicht erst seit ein paar Monaten, sondern seit über einem Jahr. Lass dir Zeit."
„Du redest, als wärst du ein supererfahrener Typ." Stegi lachte. „Dabei bist du nur ein siebzehnjähriger Schwuler, der gestern zum ersten Mal einen Jungen geküsst hat."
„Woher willst du das wissen?"
„Ich kenne niemanden, der es sonst gewesen sein könnte." Er zuckte mit den Schultern. „Beweis mir das Gegenteil."
„Mo", meinte Tim mit todernster Stimme.
Zuerst sah Stegi ihn entgeistert an, bevor er Tim in die Seite boxte. „Hör auf, zu lügen."
„Dein Gesichtsausdruck ist es wert."
„Ich hasse dich", murmelte er.
Tim lachte. „Tust du nicht."
Stegi wäre gerne länger eingeschnappt gewesen, aber er konnte nicht. „Tue ich nicht", gab er zu. „Wir sind übrigens gleich da."
„Lenk nur vom Thema ab."
Der Laden lag tatsächlich direkt um die Ecke. Stegi bestellte drei Gerichte zum Mitnehmen und setzte sich mit Tim an einen der Tische, während sie warteten. „Es ist aber okay, es meinen Freunden zu erzählen?", fragte er. „Die wissen größtenteils sowieso, dass ich bi bin und ziemlich, nun ja, verliebt in dich." Er konnte nicht glauben, dass er rot wurde, aber der Spiegel an den Seiten des Restaurants sprach Bände.
„Ziemlich verliebt ist eine süße Umschreibung." Tim setzte sich ihm gegenüber hin. „Aber ja. Das ist okay."
Stegi lehnte sich nach hinten und sah nach draußen. Auf den Straßen lag Schneematsch und es nieselte. Das war wohl norddeutsche Weihnachtsromantik. Trotzdem: Gerade konnte er sich keinen Ort vorstellen, an dem er lieber gewesen wäre.
Unter dem Tisch griff er Tims Hand und lächelte. „Es ist ein guter Tag." Er lachte. „Oder?"
„Ist es."
Er schaute aus dem Fenster und beobachtete die Leute, hin und wieder ein paar Worte mit Tim wechselnd, bis ihr Essen fertig war. „Hey, Jungs!", rief der Kellner zu ihnen rüber und Stegi gab ihm ein großzügiges Trinkgeld. Diesmal lies er Tims Hand nicht los, als er aufstand.
Auf dem Weihnachtsmarkt war alles in Ordnung gewesen und gerade war sowieso niemand auf den Straßen. Sollten die Leute hier doch denken, was sie wollten.
(Warum konnte er dieselbe Einstellung nicht seiner Familie gegenüber haben?)
Ich bin nicht tot, nein! Und ich tauche mal wieder um zwei Uhr nachts aus der Versenkung auf, lade was hoch und haue wieder ab, na ja. Das das Update so lange gedauert hat, tut mir Leid, es gab diverse Gründe dafür. Und es tut mir auch Leid, dass es so kurz ist, aber ich habe mich ziemlich schwer getan mit dem hier.
Egal - Wir sehen, ganz Friede-Freude-Eierkuchen ist es noch nicht, aber das wird schon noch ;) Auf jeden Fall sind die beiden zusammen und das ist doch erstmal das Wichtigste, richtig?
(Songzitat: David Bowie - Absolute Beginners)
(Hört ihn euch an, er passt so perfekt zu diesem Kapitel, dass ich mich kaum für eine Zeile entscheiden konnte!)
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