33. Kapitel | Vielleicht
Pain's more trouble thanour love is worth
„Was wird aus dir?", fragte Stegi und blickte von der Skizze hoch, die er gerade anfertigte.
Verwirrt sah Tim ihn an. „Wie, was wird aus mir?" Er hatte doch noch angefangen, Geschichte zu lernen, abends irgendwann. Obwohl Ferien waren. Aber irgendwann musste er es ja machen und er hatte gemeint, er wolle es noch ausnutzen, dass Stegi ihm helfen könnte.
„Wenn ich weg bin." Er ließ den Stift auf den Boden fallen und legte das Blatt zur Seite. „Nach den Ferien, besonders. Was ist mit Jan? Und Mo? Und Fabian und Stefan?"
„Du machst dir Sorgen um mich", stellte Tim fest.
„Natürlich. Du bist mein bester Freund und ich du hast so viel für ich aufgegeben und ich will nicht, dass dein Leben deswegen beschissen wird und das alles meine Schuld ist. Oder dass es dir scheiße geht, weil du du selbst bist. Das ist so falsch, weiß du?"
„Ja. Das ist es. Aber du musst dir keine Sorgen machen, ich kriege das hin."
„Tim", meinte Stegi, eigentlich nur, um Zeit zu schinden und sich Worte zurechtzulegen. „Ich will mir aber Sorgen um dich machen, okay? Auch, wenn das kein schönes Gefühl ist. Du bist mir wichtig und ich mag dich, darum bin ich so besorgt, das ist doch auch etwas Gutes, irgendwie. Ja, ich weiß, wie furchtbar kitschig und dumm sich das alles anhört, aber ich musste das einfach mal sagen, geradeheraus, weil du es ja sonst nie verstehen wirst. Du scheiß Idiot verstehst einfach keine Andeutungen."
Ein paar unendlich lange schweigsame Sekunden lang drehte Tim seinen Kugelschreiber in der Hand, ehe er endlich etwas sagte. „Danke. Ich bin es nur nicht gewohnt, dass die Leute sich so sehr um mich sorgen."
Stegi grinste schief. „Und ich bin es nicht gewohnt, mich so sehr um andere Leute zu sorgen. Was für ein merkwürdiges Paar wir sind."
„Noch jedenfalls."
„Tja, noch", murmelte Stegi. „Und was dann?"
„Ich schätze mal, ich werde mehr mit den Leuten von Physik oder Informatik rumhängen. Ich weiß, es ist ein Klischee, aber die sind die nicht ganz so beliebten Nerds, also bleib ich schön im Hintergrund und die sind alle echt okay da. Und Jan und Mo kann ich ignorieren. Hoffentlich."
„Aber du ersetzt mich nicht, oder?", rutschte es ihm heraus, bevor er über die Worte genau nachdenken konnte. Manchmal könnte er sich wirklich schlagen dafür, wie schnell er eifersüchtig wurde oder Angst hatte, Menschen zu verlieren.
„Nein. Niemals. Ich glaube nicht, dass jemand von denen dich ersetzen könnte."
Stegi lächelte. „Ich bin eben einzigartig. Aber wirklich – danke, Tim. Für alles."
„Ja", murmelte er. „Für alles."
*
Es war Nacht und der Bildschirm seines Laptops natürlich zu hell.
Stegi war nach Hause gegangen, als Max aufgekreuzt war (allein schon, um Tim Zeit zu geben), und hockte jetzt im Schneidersitz auf seinem Bett, Spotify vor ihm geöffnet. Was für Musik Tim wohl mochte? Irgendwie hörte er immer nur Radio. Aber Stegi war eh der Meinung, dass sein eigener Musikgeschmack großartig war, da würde Tim das bestimmt trotzdem mögen.
Kurz hatte er sich gefragt, ob eine CD mit seinen Lieblingssongs nicht irgendwie bescheuert war. Zu viel. Oder zu wenig. Aber andererseits war es eine gute Idee und Tim hatte es quasi selbst herausgefordert.
Außer Happy Birthday von Weekend hatte er bisher nur keinen einzigen Song, und der war auch nur aus rein ironischen Gründen dabei. Vielleicht wäre Alive in the Summer ja noch passend, das Lied, nach dem Tim ihn vor ein paar Tagen gefragt hatte. Und How To Safe a Live als alter Klassiker.
Gähnend scrollte er sich durch seine eigene Playlist. Tim hatte ja recht, sie war wirklich ein ziemliches Chaos, dem er selbst kaum Herr wurde; aber Songs rauszunehmen, kam nicht in Frage, egal, wie oft er sie skippte, wenn sie liefen. Langsam füllte sich die Liste, mit all den Songs, die sie in den letzten paar Wochen viel gehört hatten, denen, die besonders gut waren, denen, die zur Situation an sich passten.
„It's alright, we are rainmakers in autumn times", summte er und wägte ab, den Song mit reinzunehmen oder nicht. Aber warum eigentlich nicht? Im schlimmsten Fall konnte er ihn immer noch von der Liste streichen.
Plötzlich vibrierte sein Handy und er legte den Zettel zur Seite, um die Nachricht von Tim zu lesen.
22:46 Rate mal, wer seinem kleinen Bruder (endlich) erzählt hat, dass er schwul ist!
22:46 Tipp: Sein Name fängt mit T an
22:47 AHH!
22:47 Wie ist es gelaufen?
22:47 Will nicht aufdringlich sein. Höchstens ein bisschen. Abeeeer...?
22:49 Vielleicht erzähl ich dir das morgen einfach in echt?
22:49 Schreiben ist so anstrengend und ich hab Angst, dass Max mitkriegt, wie ich über ihn rede
22:49 Klar. Aber wenigstens ein bisschen?
22:50 Gut. Ich könnte fast schreien, aber das wär n bisschen auffällig
22:50 SUPER! (Und ich schrei für dich.)
22:51 Kommst du bei mir vorbei? So gegen Mittag irgendwann, klingel einfach.
22:51 Mach ich!
22:51 Gute Nacht.
22:53 Du schläfst schon?
22:53 Gute Nacht!
Tim las die Nachricht nicht einmal. Anscheinend schlief er wirklich. Es war zehn vor elf und der Typ erst sechzehn? Stegi schüttelte verwirrt den Kopf – sollte einer mal Tim verstehen – und wandte sich wieder der Playlist zu. Bis Tobi sich meldete, weil sie die ganzen Nächte wahrscheinlich durchzocken würden, hatte er dann immerhin noch etwas zu tun.
Tatsächlich dauerte es noch zwei Stunden, bis Tobi online kam. „Hey, im Gegensatz zu dir hab ich Freunde, mit denen ich meine Abende verbringe", lachte er, als Stegi sich im TS beschwerte, weil er erst jetzt da war. „Wir haben noch einen Film geguckt und so."
„Film gucken, aha", meinte Stegi nur und grinste. „Also, was spielen wir? Und ich hab auch Freunde, damit das mal klar ist."
„Einen. Warum verbringst du nicht deine Zeit mit Tim? Du bist doch sonst immer bei ihm."
„Er hat keine Zeit."
Tobi lachte nur. „Uhh, da wurde jemand versetzt."
„Nein, er hat wirklich was vor, vertrau mir." Beim Gedanken daran, was genau Tim heute Abend vorgehabt hatte, huschte ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht. Alles war gut. Tim hatte es geschafft. Wie glücklich und erleichtert er wohl gerade sein musste?
„Was denn?"
„Tim ist schwul", kam es Stegi über die Lippen, bevor er genauer darüber nachdenken konnte. „Und eigentlich sollte ich dir das gar nicht erzählen, aber -"
„Warte mal", unterbrach Tobi ihn. „Schwul wie ihn Ich benutze dieses Wort als Beleidigung oder schwul wie in Er steht auf Männer?"
„Letzteres."
„Und? Was ist heute Abend? Hat er ein Date mit seinem potenziellen Future Husband?"
„Nein. Er erzählt's seinem kleinen Bruder. Aber, wie gesagt, ich sollte dir das nicht sagen und am besten vergisst du es ganz schnell wieder."
„So funktioniert das nicht!", protestierte Tobi. „Aber ich erzähl's schon niemanden. Ich mein, hier kennt eh niemand Tim, daher würd's ich auch nicht, wenn du mich nicht darum gebeten hättest, aber... Du weißt schon."
„Ja." Für ein paar Sekunden breitete sich peinliches Schweigen aus. „Weißt du, welchen Gedanken ich wegen dir nie wieder loswerden werde?"
„Nein, aber ich will es unbedingt wissen."
„Tim, wie er Dear Future Husband singt."
„Klingt doch gar nicht so schlimm?"
„Oh doch, das ist es. Hast du Tim mal singen gehört? Er singt schlimmer als ich." Stegi drehte sich kurz vom PC weg und griff nach der Liste mit den Songs, wobei ihm das Headset vom Kopf rutschte. „Fuck", murmelte er, während er das Ding wieder richtete.
„Das ist echt – was ist los?"
„Musste nur was holen und das Headset-Kabel ist zu kurz", beschwerte er sich.
„Was denn?"
„Dear Future Husband muss wegen deinen bescheuerten Worten jetzt unbedingt auf die Liste der Songs, die ich Tim schenke. So zum Geburtstag. Und so."
„Du schenkst ihm Songs zum Geburtstag?"
„Er hat es quasi selbst herausgefordert."
„Stehst du irgendwie auf ihn?", fragte Tobi und Stegi war überrascht, wie ernst er klang. Er redete mit Tobi nicht über so persönlichen Kram. Eigentlich zockten sie nur und machten sich über Sachen lustig. „Ich weiß, ich mach da dauernd Witze drüber, aber... Mal wirklich?"
„Was?", fragte er ein wenig verwirrt. „Wie kommst du denn jetzt darauf?"
„Ich kenn dich seit drei Jahren und ich hab Glück, wenn du mir überhaupt zum Geburtstag gratulierst. Und jetzt steckst du so viel Mühe in Tim? Und dann auch noch Lieder? Das verschenkt kein Mensch platonisch, Stegi, mal ehrlich." Ein Räuspern. „Hab ich dir von dem Mal erzählt, als ich Jenny in der sechsten Klasse ein Mixtape gemacht hab, weil ich sie voll süß fand? Sie mich nicht und dann habe ich sie gehasst, aber das ist eine andere Geschichte. Was ich sagen will, das ist voll das klischee-kitschige Geschenk."
„Du hast jemandem in der sechsten Klasse sowas geschenkt?"
„Es war Má Cherie drauf."
„Baby, when you're close to me, I know you are má cherie?"
„Es war echt richtig übel. Aber das hier ist nicht über mein gebrochenes Herz, als ich elf war, sondern über dich. Auch, wenn ich da echt nicht gern drüber rede mit dir."
„Ich auch nicht", murmelte Stegi nur. „Warum tun wir es dann überhaupt? Das ist eh voll kindisch."
„Sehr gute Frage. Also, stehst du jetzt auf ihn?"
Er zuckte mit den Schultern, bevor ihm auffiel, dass Tobi ihn nicht sehen konnte. „Weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich schwul bin, weißt du? Ich find Frauen attraktiv."
„Chrissy zum Beispiel?"
„Chrissy zum Beispiel", lachte Stegi. „Aber keine Ahnung, ob ich bi bin. Es gibt Jungs, die ich gutaussehend finde, aber Gott, wo ist die scheiß Grenze zwischen gutaussehend und attraktiv?"
„Seh ich aus, als wüsste ich das? Ich bin wahrscheinlich der straighteste Typ dieser Welt."
„Ich kann dich nicht sehen", erinnerte er ihn. „Und Tim... Ich mag ihn. Wirklich. Die Frage ist nur, wie. Und ob das überhaupt funktionieren würde, immerhin leb ich in ein paar Tagen am anderen Ende des Landes."
„In ein paar Tagen schon..."
„Außerdem sind Liebesgeschichten eh scheiße und enden tragisch. Ich hab keine Lust darauf. Es ist doch alles gut so, wie es ist."
„Vielleicht", murmelte Tobi. „Vielleicht."
„Ich will ihn nicht verlieren. Nicht wegen sowas lächerlichem."
„Emotionen sind lächerlich?"
Stegi zuckte schon wieder mit den Schultern. „Vielleicht. Ich mach mal Schluss. Du hast mir echt die Lust genommen, noch was zu zocken. Nacht."
„Nacht. Und denk dran – Vielleicht solltest du mal mit Tim reden", meinte Tobi noch altklug (als wenn der Ahnung von irgendwas hatte), bevor er disconnectete.
Irgendwie war im Moment alles ziemlich vielleicht.
Ich weiß, es kam jetzt echt lange nichts mehr. Das hatte auch Gründe. (Die leider nicht storybezogen sind, ich hab quasi nix geschrieben die letzten paar Wochen über.) Danke auch nochmal an @minnicat3, die mich ans Hochladen erinnert hat :D
Und ich hätte gern ein anderes Kapitel hochgeladen, auf das ich vielleicht ein wenig stolzer bin als das, oder eins, das länger ist, aber hey, das hier hat etwas Plot und Stegi sieht langsam mal Dinge ein, das ist doch mal was! ;P
Songzeile: Demi Levato - Heart Attack
Weitere zitierte/erwähnte Songs: Weekend - Happy Birthday, Tim McMorris - Alive in the Summer, The Fray - How To Save a Life, Satellite Stories - Come Back Conversation, Meghan Trainor - Dear Future Husband, DJ Antoine - Má Cherie
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro