SIEBENUNDZWANZIGSTES
❧Freundschaft: Sowas wie Liebe, nur mit Verstand ☙
„Es tut mir echt unglaublich leid Matti", rief Bonnie lächelnd und versuchte dabei den Weihnachtsmarkttrubel zu übertönen, „Aber ich hab noch eine Verabredung." Er winkte ab. „Alles gut", erwiderte er, „Nach den zwei Stunden in der Bibliothek den nächsten zwei Stunden hier draußen im Kalten, freue ich mich unglaublich auf mein kuscheligen und riesengroßes Bett." Er grinste und offenbarte dabei seine weißen Zähne, angesteckt lächelte sie zurück. Ihre Wangen schienen in einem satten Rot, ebenso ihre Nase und die Fingerkuppen, welche sie kaum noch spürte.
„Dann bedanke ich mich also für meinen Kakao und den lecken Baumstriezel und verabschiede mich", erklärte er und umarmte sie. Sie erwiderte die Umarmung und drückte ihn fest an sich. Es hatte ihr gefehlt, den Kontakt zu ihm hatte sie vermisst.
„Danke für den netten Nachmittag", flüsterte Bonnie und nur weil sie noch immer ihren Kopf an seiner Schulter liegen hatte, konnte er sie hören. „Klar doch und nächstes Mal wieder." Er löste sich von ihr, einen Moment sahen sie sich noch an und dann verschwand er in der Menschenmenge. Kurz sah das Mädchen ihm nach, bevor sie sich umdrehte und zum Treffpunkt mit Nolan lief.
Heute hatte sie eine Aufgabe, Nolan sollte die Wahrheit kennen.
„Hi". Bonnie sah und hörte Nolan schon vom Weiten. Wie verrückt wedelte er mit seinen Armen und rief dabei „Hi" und „Bonnie, hier bin ich!", wahrscheinlich beabsichtig brachte er sie zum Lachen. „Ich sehe dich schon", rief sie ihm entgegen und verschnellerte kurz ihren Schritt. Als sie bei ihm ankam, drückte er sie an sich und legte seine Arme fest um sie. Es war nicht unangenehm, aber etwas merkwürdig.
Bei der Übernachtung im Hofhaus hatte er sie im Schlaf zwar umarmt, aber am Morgen lagen sie wieder getrennt voneinander.
Bonita war sich nicht einmal sicher, ob er ihre nächtliche Umarmung bemerkt hatte. Endlich ließ er sie los.
„Du hast gesagt, es ist dringlich? Was Wichtiges musstest du mir sagen, dass es nicht bis zum nächsten Treffen in Noahs Arche warten konnte?", erkundigte er sich. Noahs Arche, ihr gemeinsames großes Projekt – Die Renovation des Hauses... Sie atmete lange ein und seufzte dann. „Erinnerst du dich an die Geschichte, die ich schreibe?"
Sie ließ ihn nicht antworten, sondern sprach sofort weiter: , „Die Geschichte ist meine Realität und egal wie seltsam es klingt, ich schwöre bei allem was mir lieb und wichtig ist, dass es für mich real ist. Ich will, dass du mich aussprechen lässt und dann, dann darfst du mich fragen. Dann darfst du mir sagen, wie sehr ich verrückt bin."
Gemeinsam liefen sie über die einsamen Straßen der Stadt und entfernten sich immer mehr von dem Stadtrand. Wie ein Wasser sprudelte die Worte aus ihr, ein nächster Klumpen Gestein fiel ihr vom Herzen und erleichterte jeden ihrer nächsten Schritte.
Sie sah an ihn an, wartete auf seine Reaktion. Es schien, als würde ihr Leben an dem was folgte, abhängig sein.
„Ich glaub dir", sagte Nolan relativ neutral und stemmte dabei seine Hände in die Hüfte.
„Was?", keuchte sie erleichtert, „Ehrlich?"
Sie musterte ihn, ob er sie verarschte? „Natürlich Bonnie, ich habe keinen Grund die nicht zu glauben – Wenn du es sagst, ist es so", erwiderte er schulterzuckend. Dankbar fiel sie ihm um den Hals. „Also, du träumst, dass du stirbst. Und irgendwie weißt du dein Todesdatum und dieses kommt dir rasend entgegen", fasste er die wichtigsten Fakten zusammen. Sie nickte, was anderes sollte sie auch tun?
Irgendwie gefiel ihr diese Reaktion mehr als die von Matti.
„Weil wir Freunde sind" – Vielleicht hatte Nolan dasselbe gemeint, aber zumindest hatte er es gut formuliert.
Der Himmel färbte sich mittlerweile in ein schönes Lila und Blau, erste Sterne bedeckten ihn und verliehen ihm magische Muster. „So schön", flüsterte sie und sah hoch. Die Zeit verging zu schnell. „Ich sollte meiner Mutter schreiben", sagte Bonnie und griff nach ihrem Handy. Kein verpasster Anruf - kein Wunder, immerhin glaubte ihr ihre Mutter und vertraute ihr selbst nach einem großen Streit.
Anstatt wie gesagt zu schreiben, tippte sie die Telefonnummer ihrer Mutter ein und wartete dann, bis diese abhob. „Hey Mama", begrüßte Bonita sie und überdachte kurz, was genau sie sagen sollte, „Ich bin noch unterwegs und schreib dir später wann ich nach Hause komm."
Es konnte vielleicht noch lange dauern, warum sollte sie sich an eine feste Uhrzeit krallen. „Hi Biene", erklang nun endlich die Stimme ihrer Mutter, „Ich bin selbst nicht zu Hause, aber alles gut. Ich ruf nur schnell bei Franzi an und sag es ihr."
Bonnie hielt das Hand etwas weiter von ihrem Ohr. „Warum schreist du so Mama?", erkundigte sie sich. Und wo bist du überhaupt? „Ist bisschen laut hier", erklärte Vera ihrer Tochter und erst jetzt, wo sie genauer hin hörte, bemerkte sie die Musik im Hintergrund. Egal. „Wo bist du denn Mäuschen? Bei Lily?", fragte Vera, ein leises Rauschen legte sich über ihre Stimme, aber Bonnie wusste ja, was ihre Mutter wollte. Sie zögerte etwas. Es ist doch besser wenn ich bei einer Freundin im Haus bin, als dass ich draußen im Kalten bin. „Ja genau, ich muss jetzt aber", versuchte das Mädchen schnell das Gespräch zu beenden. „Melde dich falls was ist", erwiderte ihre Mutter und legte auf. Ohne Abschied? Sie runzelte ihre Stirn, verstaute ihr Handy dann aber in ihrer Jackentasche.
„Alles gut?", wollte Nolan von ihr wissen. „Ja alles gut", antwortete sie knapp.
Vor ihnen lag eine einsame Straße, Bäume standen dich aneinander gedrängt auf der einen Seite und die zweite Seite bedeckten verschneite Felder. Der helle Mond, auf dem wolkenlosen Himmel, schien auf sie nieder und erhellte ihren Weg.
Seine dicke schwarze Winterjacke glänzte und ließ seine Schultern breiter wirken, als sie eigentlich waren. Allmählich fror sie etwas unter ihrem Mantel, immerhin hatte sie beinahe den ganzen Nachmittag draußen verbracht und somit verwunderte es sie nicht besonders,
dass die Kälte ihr langsam in die Knochen kroch.
Etwas Bewegung würde ihr bestimmt guttun. „Wie wärs, wenn wir auf dem Eis rutschen würden?", schlug sie grinsend vor.
Die Straße vor ihnen war nur so vom Glatteis bedeckt und bisher liefen die beiden sehr langsam, um einen Fall zu verhindern. „Spinnst du?", fragte er sie ungläubig, „Bist du auf deinen Kopf fallen, oder bist du vielleicht schon?" Sie lachte. „Nein, aber schau mal."
Sie nahm etwas Anlauf und glitt dann mehrere Meter über das Eis. Etwas ungeschickt wedelte sie mit den Armen, hielt ihr Gleichgewicht aber. „Es geht und es macht Spaß, es ist als würde man auf Wellen reiten!", rief sie zu ihm nach hinten und ließ sich erneut über das Eis gleiten. Zögernd machte er es ihr nach, fiel beim erstens Versuch zu Boden und lachte. „Ich kann es nicht!", rief er ihr zu und schüttelte grinsend seinen Kopf.
„Lüge!", erwiderte sie laut, „Es gibt kein: Ich kann das nicht!" Sie hatten die Stadt längst verlassen, um sie herum befand sich nichts anderes als Bäume und Schnee. Nur in der Ferne erkannte sie die kleinen Lichter aus den Fenstern der Häuser.
Endlich kam er bei an. „Komm!" Ohne zu überlegen griff sie nach seiner Hand und zog ihn mit sich. An manchen Stellen fehlte das Eis und ihre Füße blieben dort hängen, doch sie schafften es, sich aufrecht zu erhalten und machten einfach weiter. Gemeinsam rutschten sie über den Boden, stolperten manchmal etwas, aber fingen sich immer. Ein warmes Gefühl hatte sich in ihrem Brustkorb breitgemacht und verteilte sich im gesamten Körper, genau wie als sie mit Matti auf dem Weihnachtsmarkt einen Baumstriezel geteilt hatte.
Plötzlich fiel Nolan und dieses Mal zog er sie auch mit. Erschrocken schrie sie auf, erwartete schon den Schlag auf ihren Kopf, aber ein paar Zentimeter über dem Boden wurde sie aufgefangen. Nolan hatte sich mit seinen Unterarmen aufgefangen und lag nun, mit Kopf und Rücken vom Boden gehoben unter ihr. Bonnie hatte er bei seinem Fall mit aufgefangen und sie so vor einer Verletzung bewahrt.
„Danke", keuchte sie, denn obwohl ihr Kopf verschont geblieben war, knallte sie mit, zum Glück, halber Schnelligkeit auf den Boden. Der Schlag hatte ihr die Luft aus der Lunge gepresst und nun musste sie erstmal, wieder atmen. Ihr Brustkorb senkte sich erstmal unkontrolliert, fing dann wieder seinen Takt. Ihr Rücken schmerzte, aber ansonsten ging es Bonnie gut.
„Alles gut?", flüsterte sie in die Dunkelheit. Der Mond hatte sich hinter die Bäume verkrochen und die Sterne alleine, spendeten nur wenig Licht. „Meine Arme tun ein bisschen weh, aber ansonsten geht's mit gut", erhielt sie als Antwort und atmete erleichtert aus.
Bonita drehte sich zur Seite und musterte die Finsternis. Mit viel Mühe erkannte sie seinen Umriss. Seine Augen glänzten im schwachen Sternlicht und wirkten auf den ersten Blick Silber.
„Ich bin so dankbar, dass du mir glaubst", flüsterte sie. Nolan drehte sich ihr zu. „Es ist doch selbstverständlich, du hast einfach zu viele gute Gründe, die einfach alles erklären. Den ganzen Sinn des Universums!" Sie lachte. „Quatsch, aber nochmal danke..."
Zusammen schwiegen sie und bewunderten die Sterne. „Schau mal da!", sagte er plötzlich. „Eine Sternschnuppe?", fragte sie verwundert und begeistert zugleich. „Nein, es schneit."
Tatsächlich. Winzige Schneeflocken fielen auf ihren Mantel und tauten sofort auf. „Können wir bitte fragen?", erkundigte sie sich nach einer Weile, „Es ist schon ein bisschen kalt." Hastig erhob er sich. „Hab schon gehofft, dass du fragst", erwiderte er lachend und klopfte seine Klamotten ab.
„Ich glaub ich sollte nach Hause", murmelte sie leise. „Ich begleite dich!", bot Nolan sofort an, genau wie ein richtiger Gentleman.
„Hoff ich doch mal"
Und dann geschah etwas was sie nicht kommen sah.
Nolan zog sie zu sich und sah ihr, trotz Dunkelheit, tief in die Augen. Er beugte sich zu ihr vor und sie spürte seinen warmen Atem an ihren Lippen und am Hals. Ihr Herz begann zu rasen und ihre Hände wurden, entgegen der eisigen Kälte, schwitzig. Nolan griff nach ihrer Hand und wollte sie umfassen, sie fühlte seine kalten Finger an ihrer Haut.
Schnell entzog sie sich ihm und drehte ihr Gesicht weg.
Nein!
„Ohh", flüsterte Nolan kaum merklich.
Sie trat einen Schritt von ihm weg und schwieg. Im Dunkeln konnte sie nicht seine Mimik lesen, er stand einfach da und wenn sie nicht wüsste, dass er dort stand, würde sie keinen Menschen erkennen.
Nolan..., dachte sie, Warum?
In diesem Moment klingelte ihr Handy.
„Ja Mama?", fragte sie mit zittriger Stimme. „Hey Biene? Bist du schon zu Hause. Na bestimmt nicht", Vera lachte, „Ich komm in etwa einer Dreiviertelstunde Heim, könntest du dann bitte schon zu Hause sein? Ich würde gerne schlafen gehen, ohne dir nachzutelefonieren, weißt du. Ich hab wirklich..." „Alles gut Mama, ich werde zu Hause sein.", blaffte sie genervt, „Und wecke mich nicht, wenn du Heim kommst. Lass mich einfach schlafen."
In der Leitung knackte es, aber es blieb still. Sie hörte nur den Atem ihrer Mutter. „Ist etwas passiert?", hörte Bonnie ganz leise, oder bildete sie es sich nur ein? „Alles gut bei dir? Bist du krank, oder sowas?", erkundigte sich ihre Mutter zögernd. „Nein Mama, ich bin einfach nur müde, so richtig doll müde." Sie konnte es beinahe hören wie ihre Mutter den Kopf schüttelte und eine Augenbraue hob. „Also wenn morgen nicht Sonntag wäre, dann..." Bonnie stöhnte, warum musste sie immer jeder so strapazieren?! „Ja, ja, ja. Ich weiß doch. Darf ich jetzt auflegen? Ich muss auch mal los", beinahe hätte sie „Ich muss ja noch meine Sachen packen", gesagt um den Anblick zu halten, sie wäre bei Lily, genauso hätte sie sich aber an Nolan verraten... Dieser Augenblick war doch unangenehm genug!
„Alles klar Biene, grüß Lily von mir und bis später", erwiderte ihre Mutter, „Also eigentlich bis Morgen. Ich darf dich nicht wecken, hab ich mir gemerkt! Gute Nacht schonmal."
„Mach ich", seufzte sie, „Und gute Nacht."
Dann drückte sie endlich den roten Knopf und beendete somit das Gespräch. Nolan war einige Schritte vorgegangen und kickte einige Steinchen rum. Endlich zeigte sich der Mond wieder. Es machte die unangenehme Stille nicht besser, aber wenigstens erleuchtete er deren Weg. Nur eine Frage wiederholte sich die ganze Zeit in ihrem Kopf und füllte ihn komplett aus.
Warum?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro