Trochian der Gespaltene - Kapitel 10.1
Der Soldat schaute den Abgesandten missbilligend an und raunte unhöflich: „Ich kann euch hier nicht gebrauchen. Wenn ihr die Gruppe finden wollt, folgt den Spuren nach Buiton." Dann drehte er sich um und kehrte zu seinen Aufgaben zurück. Der Aufseher blinzelte ärgerlich Windar an und bedeutete ihm, sich anzuschließen. Sie bestiegen ihre Pferde und folgten den Spuren, die ihnen der Mann kurz zuvor gezeigt hatte.
Sie waren jetzt schon seit einigen Tagen wieder unterwegs. Nach seinem Verhör durch Risotatus hatte man ihn zurück ins Zimmer gebracht, wo er mit Windar festgesessen hatte.
Er hatte es dem Magier, als „falscher" Trochian, übel genommen, dass er bei seinen Verhören eingeknickt war und ebenfalls alles über die Heiratspläne zwischen ihm und der Thronerbin Areli verriet.Am nächsten Tag war Risotatus höchstselbst in seinen Gemächern aufgetaucht und hatte erklärt, dass seine Tochter von Josuan Tiguadade und den anderen Eingeweihten entführt worden sei und man ihre Spur am Fasua-Pass aufgrund einer Lawine verloren habe. Er wünschte, dass Trochian sich an der Suche beteiligte und ihr folgte. Risotatus vermutete, dass Nassia und ihre Entführer auf dem Weg nach Sendari waren, wobei er das nicht weiter ausführte. Falls sie auf ihrer Reise an interessante Informationen kamen, befahl er ihm, diese in schriftlicher Form an ihn persönlich adressiert an die Befehlshaber der Städte auszuhändigen. Zusätzliche Infos gab er ihm nicht und verschwand, sobald er eine dürftige Verabschiedung hinter sich gebracht hatte.
Zusammen mit ihrem alten Führer, dem Nasik Gostian, brachen sie auf und reisten, zu Trochians Missfallen, abermals durch die Wüste. Der einzige Lichtblick war, dass Windar ihm heimlich seine Erinnerungen zurückgab, denn sie hatten entschieden, dass ihnen im Augenblick keine Gefahr durch Entdeckung drohte. Allerdings spielte er gegenüber ihrem Begleiter weiter den hochnäsigen Adligen, aber er war froh, dass er zu seinem Freund Windar wenigstens mal wieder nett sein durfte. Sein Magierfreund gab es zwar nicht offen zu, doch sie wussten beide, dass der „falsche Hirsch" ein arroganter Schnösel war. Der Magier riss sich in seiner Gegenwart unter größten Anstrengungen zusammen, um dem „falschen Hirsch" nicht die Leviten zu lesen. Den Namen hatte Windar ihm einmal gegeben, als er es doch übertrieben hatte mit seinen Mäkeleien – seitdem nannte er ihn immer so.
Ein paar Tage nach ihrer Abreise aus Zinoka kamen sie an den Fasua-Pass, der seit dem Lawinenunglück schwer zu bereisen war. Dort waren noch Risotatus Truppen unterwegs und versuchten, die Passage wieder zu öffnen. Sie berichteten, dass sie ein Lager entdeckt hatten, von dem aus eine deutliche Spur Richtung Buiton verlief. Ebendieser Fährte folgten Windar und Trochian mit ihrem Führer, aber als die Stadt in Sicht kam, verlor sie sich.
Der schnellste Weg führte durch Buiton, wenn sie Sendari anpeilten. Man konnte so zur Küste reisen und von dort mit dem Schiff in die Pyramidenstadt übersetzen. Hatte die Gruppe einen Umweg in Kauf genommen, um ihre Spuren zu verwischen? Windar und Trochian beschlossen deswegen kurzentschlossen sich von Gostian zu trennen und nicht nach Buiton zu ziehen, sondern weiter südlich über Giptos zu reisen. Der Magier vermutete, dass die Gruppe absichtlich eine falsche magische Fährte gelegt hatte. Falls ihr Reiseführer auf die Gesuchten stieß, sollte er ihnen eine Nachricht über die Befehlshaber der Stadt schicken. Ansonsten stand es ihm nach Buiton frei, zu reisen, wohin er wollte.
Einen Tag später schon kamen Windar und Trochian gegen Mittag in Giptos an. Die Wachen dort waren zuvorkommend und halfen ihnen, eine weitgerühmte Herberge zu finden: „das fliegende Möpschen". Ein angenehmer Ort, um sich etwas von der Reise zu erholen. Giptos war eine einladende Stadt, aber der Abgesandte achtete nicht auf seine Umgebung, als die Wache sie durch die bunten Straßen führte. Ein Diener, der bereits auf sie wartete, begleitete sie zur Residenz des Statthalters Äsnat dem Gelben. Dieser antwortete er auf jede ihm gestellte Frage nur einsilbig oder begann eine Lobrede auf seinen Herren. Daher verkniffen sie sich bald weitere höflich gemeinte Erkundigungen zu Stadt und Leuten.
Trochian war froh, als sie endlich die Residenz erreichten, an deren Eingang sich eine Flagge bauschte. Auf ihr prangte ein Spinnennetz, in dem eine übergroße schwarz-neongelbe Wespenspinne saß, die ihn verschwörerisch anzusehen schien. Er hatte jedoch kaum Zeit, das Wappen genauer zu betrachten, weil Äsnat ihn höchstpersönlich in Empfang nahm. Der Aufseher fragte sich, ob das Familienemblem ihm den Namen ‚der Gelbe' beschert hatte – er schien Nasikvorfahren zu haben und war demzufolge eher blau als gelb. Er hatte nie zuvor einen so fettleibigen Nasik gesehen, wobei er trotzdem mit Wendigkeit überraschte.
„Meine lieben Gäste! Ich freue mich euch in Giptos begrüßen zu dürfen. Eine der letzten Nasiksiedlungen überhaupt. Mit Stolz kann ich sogar behaupten, dass es überhaupt die größte Stadt auf der Ostseite des Gebirges Zin ist. Habt ihr alles zu eurer Zufriedenheit gefunden?" Mit der Frage entstand eine kurze Unterbrechung im Redeschwall des äußerst imposante Mannes, wobei er ihnen aber nicht die Gelegenheit gab darauf zu antworten. Schon deutete er auf einen weiteren Anwesenden, der neben ihn getreten war. „Das ist übrigens Geisun Troms, mein Stellvertreter und sozusagen meine rechte Hand." Der Mann trat nach vorne und verneigte sich vor Trochian, der ihm huldvoll zunickte. Äsnat ließ dem Aufseher erneut keine Zeit, etwas zu erwidern. „Wie dem auch sei, hier, in meinem Haus, gibt es jedenfalls alles was euer Herz begehrt", und er führte sie zu einem Raum mit einem großen Tisch, der schwer mit Essen beladen war. Nicht einmal im Schloss hatte Trochian so viel Nahrung an einem einzigen Ort gesehen. Der Aufseher nutzte die Gunst der Stunde, denn Äsnat schwieg für den Moment, um endlich etwas zu sagen.
„Ich fühle mich sehr geschmeichelt in diesem Ausmaß von euch empfangen zu werden, Mylord Äsnat", begann er eine Frage, aber er wurde schon wieder von seinem Gegenüber unterbrochen: „Nicht doch Trochian, wir sind doch hier unter uns. Einfach Äsnat reicht völlig. Darf ich mir die gleiche Freiheit herausnehmen?"
Der Aufseher schmunzelte in sich hinein, ihm war so eine Handhabung gleichgültig, aber der „falsche Hase" wäre sicher vor Schreck umgefallen. Deshalb gab er sich alle Mühe, etwas pikiert zu gucken, schließlich eine gute Miene zum bösen Spiel vorzutäuschen und übertrieben höflich Äsnats Angebot zu akzeptieren.
„Nun dann setzt euch bitte, ihr seid sicher hungrig", lud sein Gastgeber sie an den Tisch ein. Trochian kam der Aufforderung galant nach und versuchte Windar zu ignorieren, für den kein Stuhl bereitgehalten wurde und der sich demnach pflichtschuldig an die Wand stellte. Selbst Geisun war zu der Tafel eingeladen worden und er fiel mit Freude über das Essen her. Interessiert betrachtete der Aufseher ihn, er war ebenfalls ein Nasik.
„Erzählt mir bitte von eurer Reise? Ich weiß leider nur, dass ihr unter dem speziellen Schutz von Herrscher Risotatus steht und das ein paar Verdammte auf der Flucht sind, die ihr aufspüren sollt. Habt ihr schon eine Spur? Sind sie etwa hier in Giptos? Es wäre nichts schrecklicher für mich als Verräter zu beherbergen. Vielleicht könnt ihr mir ja etwas darüber sagen?", erkundigte sich Äsnat.
Trochian hatte gerade in eine Frucht gebissen, deren Saft jetzt auf den Teller tropfte. Er tupfte sich die Flüssigkeit mit einer Serviette vom Kinn und antwortete ausweichend: „Nun, wir wissen nicht genau, wo sie sind. Es wäre überaus wertvoll für uns, wenn ihr Hinweise für uns hättet."
Äsnat lachte herzlich. „Ich soll euch meine Geheimnisse verraten? Aber was habe ich denn davon?", fragte der Gelbe verschlagen. Trochian sah ihn abschätzend an. „Man sagt ihr seid einer von Herrscher Risotatus treuesten Untertanen, was könnte euch dann wertvoller als seine Dankbarkeit sein?", gab der Aufseher trocken zurück.
Dieses Mal klopfte Äsnat amüsiert auf den Tisch. „Recht so, Trochian. Bekämpft mich mit meinen eigenen Waffen. Ihr könntet aber tatsächlich etwas für mich tun, so von treuem Untertan zu treuem Untertan", beschwichtigte er. Bei diesen Worten grinste er von einem Ohr zum anderen und eröffnete: „Wenn ihr euch gestärkt habt, würde euch Geisun gerne einem unserer Gefangenen vorstellen. Und wenn ihr ihm schon einmal begegnet seid, dann wüssten wir das gerne. Meint ihr das wäre machbar?"
Trochian nickte zögerlich. Was hatte er für eine Wahl, wenn er seine wahren Verbündeten verschleiern wollte.
„Ich möchte euch an diesem Punkt noch nichts über unseren Informationsstand sagen. Der würde vielleicht euer Urteil trüben. Deshalb lasst uns jetzt das Mahl genießen. Die unerfreulichen Dinge holen uns noch schnell genug wieder ein", beendete Äsnat das Thema, erhob sein Glas und prostete ihm zu. Trochian versuchte sich weiter auf das Gespräch zu konzentrieren, das der Gelbe erneut an sich gerissen hatte, während er Unmengen an Essen in sich hineinschaufelte. Fasziniert beobachtete der Abgesandte, wie Äsnats Mund keine Sekunde still stand. Er erzählte von Giptos und seiner alteingesessenen Familie, die als erste Partnerschaften zwischen Nasiks und Menschen akzeptiert hatte. Aber Trochian folgte kaum seinen Ausführungen. Er grübelte, wen der gewaltige Mann gefangen hatte.
Nach einer Weile aß niemand mehr etwas und das Gespräch hatte sich den verschwörerischen Machenschaften der Verdammten zugewandt. Der Aufseher nickte nur gelegentlich und sagte „oh", „ah" oder „ach wirklich?". Was Äsnat scheinbar reichte, denn er erzählte ohne Unterlass. Unvermittelt gab er seinem Untergebenem ein Zeichen und gebot dann: „Nun.... Trochian, wir sehen uns später wieder. Euer Diener kann ja bereits in die Herberge zurückkehren. Bitte folgt jetzt Geisun." Schon stand er schwerfällig auf und spazierte, ohne sich weiter um sie zu kümmern, aus dem Raum. Er selbst nickte Windar zu und sagte kurz angebunden: „Bis später." Dann folgte er Geisun, der ihm eine Tür aufhielt.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro