Suaso der Assassine - Kapitel 16.2
Irgendwann kamen sie wieder in weniger bevölkerte Bereiche der Stadt. Endlich, denn hier gab es eine Tür in den Untergrund, die von den Assassinen genutzt wurde und die unbewacht war. Tamin zögerte nur kurz, lief dann willig vorwärts. Suaso hätte ihm hier alles erklären können, aber er wusste nicht, wie viel Zeit sie hatten. Er verband dem Fakir die Augen und marschierte zügig weiter, denn er beabsichtigte die Entdeckung durch die Assassinen zu vermeiden. Endlich erreichten sie den geheimen Ausgang aus der Stadt. Als Tamin und er hinaustraten, versank die Sonne hinter den Bergen. Suaso zögerte kurz, aber der Fakir war kein Feind, er hatte genug gelitten. Deshalb nahm er ihm die Augenbinde ab. „Das war leider notwendig, um dich aus der Stadt zu bekommen. Du wurdest ganz schön gut bewacht", erklärte er.
Tamin sah ihn überrascht an. „Du kommst nicht von...", er schwieg wieder.
„Nein, ich komme nicht von Mondola", antwortete Suaso.
„Aber du weißt von ihr", stellte der Fakir sachlich fest.
„Ja. Aber ich weiß nicht, was ihr Problem mit dir ist", bemerkte der Assassine.
Tamin schwieg. Suaso sah ihn aufmunternd an, weil es seinen Zwecken diente: „Alles zu seiner Zeit. Ich bringe dich zu Freunden, die auf dich aufpassen werden. Inzwischen kläre ich das mit Mondola."
Tamins Augen wurden groß vor Entsetzen. „Egal wer du bist, aber so verrückt kann keiner sein!", rief er.
„Ich bin Suaso", erklärte er. Der Fakir riss seine Augen noch weiter auf, dann sah er verlegen weg.
„Sie hat also von mir erzählt", stellte der Assassine fest.
„Ja-a", stotterte Tamin. „Sie hat, sie hat mal das eine oder andere fallenlassen."
„Du weißt also, was wir sind?", fragte Suaso, denn er sah keinen Grund, sein Geheimnis vor ihm zu verbergen, er würde es sowieso erfahren, wenn er es nicht schon lange kannte. Tamin sah so aus, als wäre er am liebsten im Erdboden versunken, dennoch nickte er kurz. Suaso sah nachdenklich auf ihn und fragte sich, warum Mondola ihn nicht tötete.
„Sie hat sich immer über deine Naivität lustig gemacht", flüsterte Tamin. „Sie wusste, dass sie niemals alleine eine Chance gehabt hätte und am Anfang", wisperte er zitternd, „am Anfang dachte sie, dass du sie durch die Schule bringen würdest. Sie sagte immer, dass ihr Vater sie sicher ohne dich erwürgt hätte." Tamin sah in die Ferne. „Am Ende hat sie ihn erwürgt. Mit bloßen Händen." Suaso blieb unbewegt. So etwas erzählte man sich über sie? Kein Wunder, dass die Leute Angst vor ihr hatten, der Wahrheit entsprach das gewiss nicht.
Ab da schwiegen die beiden, bis sie an die Stelle mit Blick auf Sendari kamen. Tamin war beeindruckt, weil er die Stadt nie zuvor verlassen hatte und er keine Vorstellung von den Ausmaßen seines Wohnortes gehabt hatte. „Sei gewarnt", sagte Suaso, „du musst dich nicht fürchten. Niemand meiner Freunde wird dir etwas tun, auch nicht die Drachen." Tamin starrte ihn fassungslos an, nickte aber schließlich tapfer. Sie traten ins Gebüsch und schlugen sich ein Stück mit der Machete durch die engen, dornigen Äste. Bis auf die krachenden Hiebe war es still, doch damit hatte Suaso gerechnet. Die Flugechsen hatten sie sicher längst bemerkt.
Sie traten auf die Lichtung und er spürte wie Tamin sich neben ihm versteifte, als er die Drachen erblickte. Sie saßen alle um ein blaugerändertes Feuer herum, das Faniso magisch entfacht haben musste, so dass man es nur in einem Umkreis von ein paar Schritten sah. Suaso packte Tamin am Arm, damit er nicht auf dumme Ideen kam. Der Fakir lief weiter, wie ein Lamm zur Schlachtbank mit hängendem Kopf und sie setzten sich ans Feuer. Der Assassine stellte ihn vor und dann erzählten sie Tamin abwechselnd von ihrer Mission. Der staunte mit offenem Mund und sagte immer wieder Dinge, wie „unmöglich", „tatsächlich" oder „ihr wollt mich wohl für dumm verkaufen?"
Suaso beteiligte sich nicht an dem Gespräch und beobachtete ihn stattdessen genau. Am Ende als Semio die letzten Worte sprach, saß Tamin schon seit einer Weile still da. „Seid ihr sicher, dass ihr nach mir sucht?", fragte er ungläubig. Der Assassine bestätigte ihm dies sofort, denn er hatte nur auf solche Selbstzweifel gewartet: „Ja, Kanju hat dich erkannt."
„Hat er auch genau hingesehen?", fragte der neue Gefährte. Alle sahen ihn aufbauend an. Es war für keinen von ihnen leicht, so einen Wahnsinn zu akzeptieren. „Ich bin eigentlich nicht der wahre Fakir. Das ist mein Bruder, Tamin. Ich bin eigentlich Naduk."
Jetzt sahen alle ihn verständnislos an und Suaso sagte langsam: „Aber Kanju hat dich erkannt."
„Tja, mein Bruder sieht mir unheimlich ähnlich", warf er ein. Dann brach er wieder in Tränen aus. Suaso saß wie versteinert da, er konnte es nicht fassen, dass jemand so schnell die Kontrolle verlor.
Massua ergriff das Wort: „Jetzt mal langsam, was willst du uns sagen?" Naduk starrte den Mann erschrocken mit großen Augen an und sah kläglich zu dem Assassinen.
„Stopp", rief dieser unmissverständlich. „Ich höre mir das alleine an."
Massua riss seinen Kopf nach oben und protestierte: „Ich denke, wir wollen das alle hören, Suaso."
„Du wirst alles von Wichtigkeit erfahren, den Rest wirst du mir überlassen müssen", erwiderte er. Massua zögerte, aber Semio legte ihm die Hand auf die Schulter und keiner widersprach, als Suaso Naduk in den Wald bugsierte.
Sie liefen ein gutes Stück, bis der Assassine eine Kette mit einem Talisman aus seiner Tasche zog. Sie würde dafür sorgen, dass niemand sie unbemerkt belauschte, denn sie leuchtete, wenn jemand – auch Drachen – in Hörweite kamen. Als sie erlosch, hielt er inne und setzte sich. Naduk lud er auf den Platz ihm gegenüber ein, der zögernd ins Gras sank. Suaso sagte nichts, dafür begann der Andere stockend zu erzählen: „Ich, ich habe Tamin fast umgebracht. Damals mit Mondola", schluchzte er leise. „Früher war Tamin viele Jahre als Fakir in Sendari unterwegs. Mich und Mondola interessierte das gar nicht. Wenn Mondola anderweitig beschäftigt war, zeigte mir Tamin seine Kniffe, aber eigentlich wollte ich nie Fakir werden, obwohl ich die Gabe dazu besitze. Das Schicksal sorgte durch einen Unfall dafür, dass ich meine Meinung änderte, als ich ungefähr 15 Jahre alt war. Tamin war damals 18. Ein Streit zwischen Tamin und Mondola eskalierte und Mondola warf einen Stein nach meinem Bruder. Es ging glaub ich darum, wie viel er von seinen Einnahmen an sie abgeben sollte. Unwichtig." Naduk schloss die Augen und flüsterte: „Ich hätte Mondola aufhalten können, aber ich tat es nicht. Er blutete. Überall war Blut." Der Fakir kam ins Stocken, fasste sich nach einer Weile und berichtete: „Er starb nicht. Wie auch mit dieser Gabe? Aber er war danach nicht mehr er selbst. Eher wie ein Kind. Mondola zwang mich seinen Platz einzunehmen. Wir erzählten überall, dass ich ertrunken sei, so dass niemand Fragen stellte." Verbittert beschrieb er weiter: „Nicht, dass diese Gefahr bestanden hätte. Es gab eine kleine Beerdigung, aber da meine Mutter schon lange tot war und mein Vater sich ohnehin nie für uns interessiert hatte, kam außer mir niemand. Die Geschäfte liefen gut, sogar noch besser als vorher. Mondola wurde meine Beschützerin und wir machten gutes Geld. Wir hatten sogar nach einiger Zeit genug Geld, um Tamin in einem abgeschiedenen Haus zu verstecken und versorgen zu lassen." Naduk schluchzte wieder.
Suaso bemerkte, dass der Fakir nicht erwähnte, wo der Verletzte unter gekommen war, bevor sein Bruder sich finanziell um ihn gekümmert hatte. Die Assassinen kamen überhaupt nicht zur Sprache, wahrscheinlich hatte er zu lange in Angst und Schrecken gelebt, als dass er jemals davon sprechen würde.
Naduk fuhr fort: „Mondola verlor irgendwann das Interesse an uns und versuchte uns loszuwerden. Der Versuch misslang, aber ab da schikanierte sie mich, wo sie nur konnte." Der Fakir warf Suaso an dieser Stelle einen scheuen Blick zu, dann nahm er die Geschichte wieder auf: „Ich wusste schon immer was sie in dieser Schule geworden war, denn als wir jünger waren, hat sie mir alles erzählt. Ich habe sie geliebt, aber für sie war ich sicher auch nur ein Mittel zum Zweck. Als sie versuchte mich und Tamin loszuwerden, habe ich alles aufgeschrieben und das Dokument versteckt, als eine Art Lebensversicherung. Ich besitze es immer noch, aber sie hält seit Jahren meinen Bruder gefangen. Manchmal darf ich ihn sehen, aber es wird immer seltener." Traurig sah Naduk in die Ferne.
Suaso wusste, was zu tun war. „Wo ist das Dokument?" Der Fakir sah auf und fing wieder an zu zittern. Dennoch erklärte er dem Assassinen, wo es sich befand. Allerdings war es nur Naduk möglich, es zurückzuholen. Im Augenblick konnte Suaso sich nicht darum kümmern. Er hatte einen Termin und den durfte er unter gar keinen Umständen verpassen. Deshalb brachte er den Fakir zurück, ohne irgendetwas zu erklären. Er verabschiedete sich, um in die Stadt zurückzukehren. Einige sahen ihn zwar verärgert an, aber das kümmerte Suaso nicht.
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