Nassia - Kapitel 7.4
Als Nassia erwachte, befand sie sich in einem großen beleuchteten Raum statt im Djodo. Dafür wuselten viele Gnomlinge um jemanden herum, der heftig zuckte. War das Lao? Überrascht sprang sie auf. Was war hier los? Die Schlangenwesen ließen sie zu ihm und im selben Augenblick hörten seine Anfälle auf.
Lao richtete seinen Blick auf Nassia. „Das war dein Vater. Er hat mich gerufen. Wir wussten, dass das früher oder später passieren würde. Deshalb hielt ich an. Wenn ich zu weit von dir entfernt bin kann ich dich nicht abschirmen und jemand anderes darf dich nicht ohne deine Erlaubnis ins Dunkel schicken."
Nassia war entsetzt. Wie hatte ihr Vater Lao solche Schmerzen zugefügt? Erst jetzt bemerkte sie die feindseligen Blicke einiger Gnomlinge, aber viele von ihnen zogen sich schnell zurück. Nur vier Schlangenwesen blieben.
Lao stellte diese vor: „Das ist Tiana, meine Frau, und das sind unsere drei Schützlinge Lianasa, die Regenbogenfarbene, Fatuna, die Blaue, und Miata, die Orange." Die weiblichen Wesen verbeugten sich in Nassias Richtung und sie kopierte ihre Handlung. Beeindruckt sah sie auf die Gnomlingmädchen, die sich von den Gnomlingen, denen sie bisher begegnet war, unterschieden. Ihre Haut schimmerte, wie ihre Namen schon verrieten, nicht dunkel, noch waren sie schwarz gekleidet. Fatunas Schuppen schillerte wie ihr Gewand in verschiedenen Blautönen, Miata funkelte Orange-Rot und Lianasa leuchtete in allen Farben. Fasziniert beobachtete Nassia die Farbenpracht. Dann fiel ihr Blick auf die unscheinbare Tiana. Sie war vermutlich das älteste Wesen, das sie jemals gesehen hatte. Ihr Gesicht war zerfurcht von Falten, aber durch ihren schwarzen Körper erkannte man das erst beim zweiten Hinsehen.
„Wirst du mit mir Reisen, Nassia Kataniade?", fragte der blaue Gnomling. Die Thronfolgerin nickte ergeben.
„Noch nicht, Fatuna. Sie muss erst noch mehr erfahren", meinte Lao und stöhnte von den Schmerzen. Dann befahl er: „Lasst uns allein." Sein Schützling sah ihn wütend an. Für einen Moment wirkte es, als ob sie widersprechen würde, jedoch beugte sie sich der Anordnung.
Nassia wandte sich voller Mitgefühl zu Lao.
„Dein Vater hat mich schon vor einer Weile gerufen. Weil ich es ignoriert habe, hat er mich bestraft", erklärte er leise.
Nassia schüttelte traurig den Kopf. Sie begriff nicht, was geschah.
„Wir sind Sklaven. Es sei denn, jemand aus deiner Familie erlöst uns von unserem Fluch." Er seufzte schwer, dann fuhr er fort: „Es gibt einen geheimen Ort, weit weg von Zinoka. Das Ravia. Dort wird unsere Königin versteckt und nur wenn du sie uns zurückbringst, können wir uns von den Fesseln lösen. Es kann gar nicht anders sein – dich schickt das Schicksal."
Nassia zuckte irritiert mit den Schultern.
Lao erklärte: „Nur jemand aus deiner Familie kann hinein. Nur jemand aus deiner Familie kann für uns bitten. Mehr weiß ich nicht."
Fassungslos betrachtete Nassia Lao. Er wusste nicht wirklich viel darüber.
„Du wirst das Richtige tun. Falls du uns nicht hilfst, wird jemand anderes kommen", beschwichtigte der Gnomling.
Das hörte sich alles sehr mysteriös an. Wieso ließ ihr Vater nur so etwas zu?
Lao verkrampfte sich wieder vor Schmerzen. Er keuchte: „Der Herrscher wird immer ungeduldiger. Er ruft mich. Wenn ich gehe, bist du nicht mehr sicher hier unten. Denn ich muss ihn zu dir bringen, wenn er es befiehlt. Nur wenn ich nicht weiß, wo du bist, kannst du entkommen." Er wirkte unheimlich traurig und müde.
Nassia sah ein weiteres Problem und behutsam erkundigte sie sich: „Ich habe nicht nur freundliche Blicke gesehen. Deshalb frage ich dich: Was werden die Gnomlinge mit ihren Peinigern machen, wenn sie befreit werden?" „Du hast Recht, die Gnomlinge trauen keinen Sonnenguckern", bestätigte Lao ehrlich. „Aber nicht alle sind den Sonnenguckern böse, Nassia. Viele wissen, dass es einige Wenige sind, die uns versklaven. Ich werde alles tun, um euch zu beschützen. Ich glaube daran, dass unsere Völker wieder friedlich zusammen leben können. Hab Vertrauen."
Nassia seufzte. Da krümmte sich Lao abermals vor Schmerzen und fiel zu Boden. „Dein Vater", presste er hervor. Dann stürmten seine Schützlinge zu ihnen. Fatuna packte Nassias Hand und zog sie mit sich, Lianasa kümmerte sich um den Lao.
„Komm, du musst zurück Laobabo", flüsterte sie.
„Halt", murmelte Lao. Er drehte sich zu Nassia und rief eindringlich: „Bitte, vergiss uns nicht. Vielleicht findest du einen Weg uns zu helfen. Bitte." Die Thronerbin schaute verzweifelt auf den sich windenden Gnomling und nickte entschlossen.
Lianasa winkte ihr zu: „Viel Glück!" Fatuna zog Nassia endgültig hinter sich her und rief: „Jetzt komm! Wenn er zurückkehrt, habt ihr nicht mehr viel Zeit. Hättest du nicht früher aufwachen können?"
Nassia schaute irritiert das Schlangenwesen an. „Du hast ewig geschlafen", erklärte diese feindselig. Was hatte denn das damit zu tun?
Verärgert folgte sie der stolzen Fatuna in einen Maschinenraum – er war mindestens zehn Mal so groß, wie der Erste. Die Gnomlinge schienen über ihr Auftauchen informiert zu sein, denn sie halfen ihnen, ohne Fragen zu stellen. Sie brachten sie zu einem Djodo. Alle standen um sie herum und warteten darauf, dass sie wieder sprang. Aber sie hatte dazu gelernt.
Hilflos sah sie sich im Raum um, bis sie ein paar Rinnen entdeckte. Auf diese deutete sie.
„Du möchtest eine Rutsche?", fragte Fatuna.
Nassia nickte.
„Schade", sagte das blaue Schlangenwesen und einige andere Gnomlinge holten enttäuscht eine Rinne herüber. Sie rutschte dieses Mal ohne Zwischenfälle in den Fahrball. Fatuna folgte ihr kurz darauf.
„Du willst nach wie vor zum Fasua-Pass?", fragte sie.
Nassia bestätigte dies, jedoch nicht ohne eine gewisse Skepsis. Sie war noch wütend auf Fatuna.
„Gut dann treffen wir bald deine Freunde", erklärte der Gnomling.
Nassia nickte schon etwas freundlicher, denn sie hätte gern mehr von den Umständen hier unten gehört.
Die Blaue reichte ihr Essen, nach einer Weile fragte sie ungeduldig: „Hast du alles gegessen? Wir müssen wirklich los."
Nassia bestätigte, dass sie satt war. Sie deutete fragend auf die Reste, die Fatuna in einen Behälter entsorgte.
„Wir essen Algen aus dem Meer, Moos und Pflanzen aus unseren Höhlen und Fleisch von unseren Farmen", erklärte Fatuna lächelnd. Nassia wollte gar nichts Genaueres wissen. Dann sah sie zum ersten Mal das Gnomlingmädchen so lautlos lachen, wie es Lao immer getan hatte. Schräg betrachtete sie ihre Begleiterin.
Sie hatte so viele Fragen, die sie dem Gnomling stellen wollte. Aber Fatuna unterbrach sie, bevor sie anfing: „Ich muss mich konzentrieren, bitte nicht jetzt." Nassia fragte sich, wann sie die nächste Gelegenheit bekäme, um mehr zu erfahren.
„Möchtest du, dass ich dich beeinflusse? So dass du das schnelle Auf und Ab nicht so stark spürst?", erkundigte sich Fatuna. Nassia nickte, zeigte aber nur auf ihren Bauch, um dem Gnomling zu zeigen, dass sie es nicht übertrieb. Fatunas einzige Reaktion war ein Nicken und ein komischer Blick. Dann begann die Reise aufs Neue.
Sie ritten mehrere Stunden dahin, nur zwei Mal passierten sie eine Schlucht, wo es Tageslicht gab. Irgendwann schaltete Fatuna die Maschine ab und verkündete: „Wir sind da!" Nassia hatte nicht einmal bemerkt, dass sie gehalten hatten. Der Gnomling sprang elegant aus dem Gefährt, denn der Djodo war an einer Verankerung befestigt. Als sie aus dem Djodos kletterte, rief Fatuna: „Es war mir eine Ehre. Vergiss uns nicht. Erzähl niemandem etwas von dem, was du gesehen und gehört hast!" Schon war sie hochgehüpft und die Djodo-Tür schloss sich.
Neben der verdatterten Nassia hüstelte ein weiterer Gnomling. „Ich bin Jo. Komm."
„Natürlich!", dachte sie. Seit sie bei den Schlangenwesen war, machte sie überhaupt nichts anderes mehr als mitkommen. Jo drehte sich um und führte sie zu einer Tür. Hinter dieser sah sie ihre Reisegefährten wieder. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dabei waren nur ein paar Stunden seit ihrer Trennung vergangen.
„Nassia, gütiger Wustu. Da bist du ja endlich. Alles in Ordnung?", rief Semio und wirkte erleichtert. Sie nickte glücklich und fiel ihm freudestrahlend um den Hals. Die gesamte Gruppe schaute interessiert zu ihnen. Ateras trat ebenfalls auf sie zu und sagte: „Gut, dass du wieder da bist." Mit einem Seitenblick auf Josuan rief er allen anderen zu: „Los, packt zusammen. Wir verlassen die Gnomlinge und ihre Gastfreundschaft jetzt wieder!" Der Abgesandte bestätigte die Anweisung seinen Gefährten und fragte dann direkt an Nassia gewandt: „Was ist passiert?" Die Thronerbin sah ihn aufmerksam an, antwortete aber nicht. Es war Ateras, der sich an ihr vorbei drückte und Semio ebenfalls zur Eile antrieb. In Josuans Richtung sagte er: „Das hat doch noch Zeit. Wir haben schließlich noch eine lange Reise vor uns."
Der schien sich damit zufriedenzugeben, denn er kehrte zu seinen Gefährten zurück, um sich ihnen anzuschließen.
Als alle mit Zusammenpacken beschäftigt waren und nur Semio Nassia Aufmerksamkeit schenkte, fragte die Thronerbin leise murmelnd: „Seit wann wartet ihr?"
„Wir sind schon den ganzen Tag hier! Ich bin ganz schön nervös geworden. Das kannst du mir glauben", erklärte er ungeduldig. Nassia sah ihn verdattert an. Wie war das möglich? Hatte Fatuna etwa recht, so wütend zu sein, weil sie so lange geschlafen hatte?
„Können wir?", fragte Jo. Alle versammelten sich um ihn und gaben ihre Zustimmung. „Hinter dieser Tür kommt ihr in ein Tal. Gleich am Anfang warten eure Pferde. Ihr könnt sie nicht verfehlen. Der Pass ist nur ein paar Stunden Richtung Osten. Wir verabschieden uns hier und werden die Tür versiegeln. Ihr könnt nie wieder hierher zurück. Macht euch unverzüglich auf den Weg. Wir ziehen uns weit zurück, so dass wir eure Spur verlieren."
Alle riefen nach dieser Ansage wild durcheinander. Als sie sich gesammelt hatten, verabschiedeten sie sich dankbar von ihren Wegbegleitern. Die Tür wurde geöffnet und helles Licht strömte herein.
Nassia war geblendet. „Viel Glück euch allen!", rief Jo. „Und vergesst uns nicht."
Sie grüßte Jo zum Abschied und formte mit den Lippen das Wort: „Danke." Haufenweise Fragen blieben unbeantwortet. Sie schüttelte verärgert den Kopf. Zufällig lief Josuan neben ihr, dabei sah er sie aufmerksam und fragend zugleich an. Nassia zuckte nur widerwillig mit den Schultern. Sie würde niemandem von dem Schlangenvolk erzählen. Nicht einmal, wenn sie sich dazu entschloss, wieder zu sprechen, damit keiner erriet, wer sie war.
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