Gabea die Linguali - Kapitel 13.2
Als sie endlich auf den Hof kam, war sie zwar nass bis auf die Knochen, doch zumindest die Kühe waren glücklich. Bonsti war zurück und ein Feuer brannte im Kamin, das hatte sie schon von Weitem gesehen. Beim Näherkommen erkannte sie, dass ein Pferd im Hof stand. Hatten sie etwa Besuch? Gabea pfiff und ihr Wolfshund kam gleich zu ihr, er hatte vor der Hütte gelegen. „Was ist hier los, Callo? Wer ist da?", fragte sie ihn argwöhnisch.
„Wuff, ein Fremder der deine Hilfe braucht. Er ist ein Guter!", erklärte der Rüde. Gabea lächelte. Der Hund hatte meistens eine ausgezeichnete Spürnase für so etwas. Sie bereute, dass sie ihn nicht dabei hatte, als sie diesen Hikto getroffen hatte. Falls das überhaupt sein richtiger Name war. Er hatte ihr eine Gänsehaut verursacht, auch wenn sie nicht sagen konnte, warum.
Sie tätschelte Callo den Kopf und betrat forschen Schrittes das Haus. Ihr Gefährte Bonsti war so gutherzig, vertrauensvoll und oft nur voller Neugier. Daher sorgte sie sich immer, wenn er wieder eine arme Seele, wie er es nannte, mitbrachte und sich ihre Lebensgeschichte erzählen ließ.
Bonsti sprang gleich auf und trat zu ihr: „Gabea. Da bist du ja endlich! Schön, ich möchte dir gerne Kanju vorstellen." Er sah sie verschwörerisch an.
Sie quittierte die Geste ihres Gefährten lächelnd und begrüßte dann den älteren, aber rüstigen Mann. „Kanju", meinte sie nickend in seine Richtung.
Der strahlte sie förmlich an und rief: „Gabea! Guten Tag!" Bonsti erklärte, dass der Besucher ein Pferd habe, das einen Unfall mit ihm hatte und seitdem nicht mehr leben wollte. Sie hatte zwar nie zuvor von einem selbstmörderischen Tier gehört, aber es war wohl Kanjus Liebling und er ertrug es kaum, wie es litt. Deshalb hatte er sich auf die Suche begeben, um das Pferd wieder zur Vernunft zu bringen. In der Stadt hatte er dann von ihr erfahren. Als er hörte, dass Bonsti regelmäßig nach Giptos kam, um seine Erträge vom Hof zu verkaufen, hatte er auf ihn gewartet. Kanju hoffte, dass er bei ihnen Hilfe bekommen würde. An diesem Punkt unterbrach der Mann ihren Gefährten mit einem Hüsteln und erklärte: „Ich weiß, es ist eine lange Reise, aber an dem Pferd liegt mir wirklich sehr viel. Ich bin bereit, euch die Unannehmlichkeiten gut zu bezahlen."
„Reise? Wieso Reise?", fragte Gabea irritiert.
„Wir müssten bis nach Sendari, Gabbi", erklärte Bonsti da. Er zumindest schien schon überzeugt.
„Jetzt, sofort?", ergriff sie entsetzt das Wort.
Ihr Gefährte nickte begeistert.
„Wir können hier doch nicht einfach weg!", rief Gabea erschrocken. Bonsti war ein Tagträumer. Er reiste gerne, am liebsten weit und er hatte sich von ihr nur dazu überreden lassen sesshaft zu werden, weil das Leben mit ihr sicher niemals langweilig wurde. Ihre Gabe sorgte dafür.
„Doch. Kanju wird uns fürstlich entlohnen. Gabbi, wirklich. Wir sollten das tun. Du kannst doch so gut mit Tieren umgehen und du wirst dem armen Pferd schon helfen können. Und selbst wenn nicht, dann wird man uns den Versuch entlohnen. Zudem kommen wir hier mal raus", bei den letzten Worten sah er sie zweideutig an.
Gabea öffnete den Mund, um ihn gleich darauf wieder zu schließen – sie war fassungslos. Was dachte sich Bonsti nur dabei? Sie konnten hier nicht weg. „Ich habe noch nie einen solchen Unsinn gehört!", polterte sie los.
Sie schimpfte und schimpfte, bis ihr Gefährte sich vor ihr aufbaute und nicht minder wütend erwiderte: „Jetzt mach aber mal einen Punkt, ja? Ich dachte immer, du findest es nicht gut, dass die Menschen und Nasiks sich immer nur um sich kümmern und die Tiere nur ausnutzen. Hier hast du mal die Chance, etwas wirklich Gutes zu tun. Und hast nur Ausreden?"
Gabea starrte ihn an. „Du weißt genau, dass es das nicht ist", flüsterte sie. Zum einen hatte sie Angst, dass man ihre Begabung entdeckte. Nicht nur sie würde dafür büßen, dass sie eine Linguali war. Nein, Bonsti würde ebenfalls bestraft werden, weil er sie jahrelang versteckt hatte. Außerdem konnte sie nicht vom Berg weg, wobei es sie im Augenblick ohnehin nicht dort hochzog. Aber das ahnte er nicht.
„Tatsächlich?", hakte Bonsti wütend nach. Natürlich sah er hier eine Chance für sie zwei. Er hatte immer gesagt, dass sie zu Höherem bestimmt war. Eine Antwort wartete er nicht mehr ab, er rannte grimmig aus der Hütte. Sprachlos sah Gabea ihm hinterher. Kanju sah sie aufmerksam an, aber nicht erbost. Die Linguali ließ ihn stehen und stürmte Bonsti nach. „Sag mal bist du verrückt, mich vor dem Mann so bloßzustellen?", fragte sie ungläubig.
Ihr Gefährte drehte sich zu ihr um. „Verstehst du denn nicht? Das ist unsere Chance. Und du siehst überall bloß wieder Gefahren und Hindernisse!", erwiderte er verzweifelt. Abermals ließ er sie stehen und hastete über den Hof davon.
Callo, der neben sie getreten war, kommentierte: „Warum wollen Menschen bloß immer alles verändern? Es ist doch gut, wie es ist." Gabea sah ihn streng an. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Tiere allesamt still waren. Falls wahr war, was Kanju sagte, dann hatte Bonsti recht. Aber was, wenn nur ein Häscher vor ihnen stand, der sie aus der Reserve lockte, um sie vor der ganzen Welt anzuprangern?
Gabea ließ die Schultern hängen und kehrte zurück. Sie beäugte Kanju. „Wie habt ihr mich gefunden?", wollte sie wissen.
„Ich bin durch die Gegend gereist und habe nach Leuten gesucht, die sich mit Tieren auskennen – wirklich auskennen. Glaubt ihr, dass ihr so jemand seid?", erwiderte er abgeklärt.
Gabea schüttelte wieder ungläubig den Kopf. „Ihr seid wirklich weit gereist und dann glaubt ihr, dass ausgerechnet wir euch weiterhelfen können?", fragte sie.
„In der Stadt spricht man sehr lobend von euch", bemerkte er zuversichtlich. Das stimmte zumindest, die Leute kamen öfter zu ihr mit ihren tierischen Problemen und manchmal fragte sie sich, ob sie ahnten, was sie war.
Sie seufzte und wechselte das Thema: „Habt ihr Hunger?"
„Ich wäre sehr dankbar über eine Kleinigkeit zu Essen", antworte Kanju höflich. Gabea stellte sich an den Herd und fing an, Gemüse zurechtzuschneiden. Sie selbst hatte ebenfalls Hunger. Stillschweigend briet sie ein paar Kartoffeln, Bohnen und Möhren an. Fleisch gab es bei ihnen nicht. Wenn man mit jedem Tier vorher eine enge Beziehung aufbaute, brachte man es nicht fertig, die Lebewesen zu töten, geschweige denn sie zu verspeisen. Selbst Fisch hatten sie seit langer Zeit nicht mehr angerührt. Gabeas Lingualifähigkeit erstreckte sich zwar nicht auf die Tiere des Wassers, dennoch hatte sie mit jedem Wesen Mitleid, dessen Leben beendet wurde, damit ander satt waren. Als das Essen nach einer Weile fertig war, würzte sie mit Kräutern und Salz. Sie stellte drei Teller auf den Tisch und schenkte Tomatensaft in Gläser ein. Dann bedeutete sie Kanju, sich zu setzen.
„Iss nur", sie deutete auf die Pfanne, „Bonsti wird sicher später essen."
„Ich wollte nicht, dass ihr wegen mir ein Zerwürfnis habt", entschuldigte sich der ältere Herr.
„Ist schon gut. Das gehört wohl dazu", erwiderte sie und versuchte zu lächeln. „Wir werden uns schon zusammenraffen. Er wird sowieso bekommen was er will. Viel zu lange saßen wir hier fest." Sie schaute aus dem Fenster, man sah die Berge dort draußen. „Ich muss gestehen, dass die Reise seine positiven Seiten hat. Aber sagen Sie ihm das bitte nicht." Wahrscheinlich hätte sie vor ein paar Tagen nicht so gesprochen. Doch aufgrund der Begegnung mit dem Wolf wünschte sie sich so weit wie möglich weg von den Bergen.
Kanju nickte lächelnd.
Da öffnete Bonsti geräuschvoll die Tür. Er stapfte an den Tisch und setzte sich vor seinen Teller, ohne etwas anzurühren. Er sah Gabea herausfordernd in die Augen. Die nickte nur ergeben, als ob sie den Ausgang des Streits nicht schon längst vorhergesehen hatte. Sie legte ihre blaue Hand auf Bonstis Weiße. Ihr Gefährte drehte seine Handfläche nach oben und erwiderte ihren Händedruck sanft.
„Was ist mit den Tieren?", fragte Gabea.
„Die geben wir an Tirks. Der wird sich in unserer Abwesenheit gut um sie kümmern. Callo nehmen wir mit", meinte Bonsti.
Gabea nickte zustimmend. Dann sah sie zu Kanju: „Wann geht es los?"
„Wann immer ihr bereit seid", erwiderte er glücklich.
Die Gefährten sahen sich einvernehmlich an. „Gib uns einen Tag, um alles zu regeln", bestimmte Bonsti.
„Ich komme euch übermorgen bei Sonnenaufgang hier abholen, dann geht es direkt nach Sendari", sagte Kanju und stand auf. „Danke für das Essen. Falls ihr Pferde braucht für die Reise, trefft mich einfach morgen in der Stadt. Bonsti weiß, wo ihr mich findet."
Kanju hob zum Abschied die Hand, steuerte die Tür an und rief: „Bis dann."
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