Erinnerungen
"Cheers.", sprach der Mann zu allen. Das Glas hob er hoch und richtete es auf mich und dann wurde es still. Der Mann blickte auf mich und seinen Blick von mir zu nehmen fiel ihm vorerst nicht in den Sinn. Er war nicht alt, der jüngste aber auch nicht mehr. Mehrere graue Strähne versteckten sich in seinen braunen Locken. Um sein breites Lächeln waren schon einige Falten zu erkennen, welche alle durch andere Menschen, welche er ebenfalls, wie mich in diesem Augenblick, angelächelt hatte, entstanden waren. Seine eisgrauen Augen ließen ihn noch weiser, freundlicher und auch älter aussehen. Allein sein gemütliches und fröhlich wirkendes Auftreten hätte mir schon gereicht, um ihn mein Leben anzuvertrauen, doch so bin ich nicht mehr. Ich vertraue nicht mehr blind Menschen, aber dass musste er ja nicht wissen. Während ich ihn noch weiter musterte, wurde mir ebenfalls ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, welches ich wie die anderen auch in die Luft hob.
"Cheers auf den Wunsch, dass diejenigen hier wären, die es nicht sind.", fügte der Mann mit seiner rauen, tiefen Stimme hinzu. Viele glaubten wahrscheinlich, es ginge um die Liebsten, die, die nicht mehr da sind, die, die nicht mehr da sein können, die, die nie wieder kommen dürfen und die, die spurlos verschwanden. Doch ich wusste, um wen es ging. Denn ich hatte den selben Wunsch, auf welchen grade angestoßen wurde. Dass derjenige hier wäre, der es nicht mehr ist. Sie alle tranken heute mehr als nur ein Glas, denn diese Drinks bringen bekanntlich alle Erinnerungen zurück, von allem, was sie mit ihrer Person durchgemacht hatten. Aus einer Ecke hörte ich, wie zwei verletzte Männer für sich selbst anstießen, und zwar auf diejenigen, die sie unterwegs verloren hatten. Lächerlich. Dass würde denjenigen auch nicht viel weiterhelfen.
"Warum trinkst du nichts, Joana?", fragte mich der Mann, welcher nun neben mir stand.
"Aus einem einfachen Grund. Dieser Sekt bringt die Erinnerungen zurück, sobald man ihn hinunter schluckt.", antwortete ich, ohne ihn anzusehen.
"Und das wäre so schlimm?"
"Aber klar, wenn man vergessen und nicht erinnern möchte."
"Wie du meinst, aber vergiss nicht, die Erinnerungen bringen Schmerz, doch vor allem bringen die Erinnerungen dich selbst zurück."
"Aber ich bin doch schon hier."
"Joana, weißt du, es gibt eine Zeit, an die ich mich erinnere, als ich keinen Schmerz kannte. Als ich glaubte, es gäbe ein für immer und alles würde so bleiben wie es ist. Jetzt fühle ich mich wie im Dezember, wenn jemand ihren Namen sagt, weil ich sie nicht anrufen kann, aber ich weiß, dass ich es eines Tages tun werde. Jeder wird manchmal verletzt. Jedem tut es eines Tages im Herzen weh. Aber alles wird gut. Verstehst du?"
"Warum musst du immer so reden?"
"Wie reden?"
"So, dass man zwischen den Zeilen lesen muss, um zu verstehen, wovon du grade sprichst."
"Nun, weil es einerseits Spaß macht, die Leute so zu ärgern und andererseits, weil ich nun mal die Rolle des weisen Anführers habe und diese auch erfüllen muss. Jetzt geh und nimm dir ein Glas und sag: Ja!"
"Ich habe schon ein Glas.", ich hielt es vor seinem Gesicht,"Und wozu soll ich ja sagen?"
"Hierzu,", er stoß mit meinem Glas an und sagte währenddessen,"Auf auf den Wunsch, dass er hier ist, aber er es nicht ist."
Ich atmete aus, dann aber entschied ich mich, auf diesen Mann zu hören:"Ja, Cheers.", und so trank ich an diesem Abend doch noch etwas.
"Hat der Sekt schon deine Erinnerungen zurück gebracht?", fragte der Mann nach einer Weile.
"Wie sollte ich vergessen können, nach all dem, was wir durchgemacht haben?", er zuckte zur Antwort nur mit den Schultern. Er ging wieder. Ich bleib stehen. Nachdem mein Glas leer war zog ich mich etwas an einem Tisch zurück. Mein enges, rotes Cocktailkleid, machte mir das sitzen allerdings schwer, weshalb ich wieder unter die Menschen ging. Ich gab mein bestes und versuchte mich mit den anderen zu amüsieren, doch ich war nicht betrunken genug, so wie sie, um wirklich Spaß zu haben, weswegen ich die Masse auch schnell verließ und mich auf die Suche nach einer Toilette machte. Als ich diese gefunden hatte und wieder zurück zu den anderen gehen wollte, fand ich auf dem Weg zurück eine Art Terrasse. Man konnte nicht viel erkennen, dadurch, dass es dunkel war, aber die Sterne waren zu sehen. Jeder einzelne, völlig klar, wunderschön am Himmel angeordnet. Ich sah hoch und konnte einige Sternbilder erkennen. Und dann kamen die Erinnerungen. Die Erinnerungen, als er und ich in einen solchen klaren Nachthimmel sahen. Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief. Es fühlte sich an, als würden die Erinnerungen ihn zurückbringen, doch das konnten sie nicht. Wie seine Frau, von welcher der Mann gesprochen hatte, war Eddy ein neuer Mensch. Jemand, mit falschen Erinnerungen, jemand, von dem ich mich fern halten musste, denn Menschen, Dinge und alles andere, was ihn an sein altes Leben erinnern könnte, würde ihn sofort umbringen. Es tut weh. Wir wissen wo er lebt, wir kennen seine neue Familie, seinen neuen Beruf, seine jetzige Telefonnummer, wie auch bei allen anderen, doch wir dürfen nicht mit ihnen in Kontakt treten. Ich erinnere mich an diese Zeit, in welcher ich so oft, wie als ich an diesem Abend an dieser Terrasse stand, in den Himmel sah, in der ich mich so verloren gefühlt habe. Als ich das Gefühl hatte, der ganze Hass sei zu mächtig, um aufzuhören. Jetzt fühlt sich mein Herz wie eine Glut an und es erhellt die Dunkelheit wieder. Es geht mir besser. Ich werde diese Fackeln tragen, damit er, tief in sich drin, wo der wahre Eddy versteckt ist, weiß, dass ich niemals fallen werde, auch ohne ihn.
Und die Erinnerungen bringen dich zurück, Erinnerungen bringen dich zurück.
Hey und danke fürs Lesen! Vielleicht ist es ein paar von euch aufgefallen, aber in dieser Kurzgeschichte ist ein Lied versteckt. Genauer gesagt ein Songtext. Ich gebe euch einen Tipp:
Der Titel des Kapitels ergibt in englisch übersetzt den Titel des Liedes.
Wer es noch immer nicht weiß:
Es ist das Lied "Memories" von Maroon 5.
Danke fürs Lesen und bis zum nächsten Mal!
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