
[16]
Jisung PoV
Nervös spielte ich mit der Hand meines Freundes, der neben mir im Bett lag und beobachtete, wie ich mit der Zeit immer aufgeregter wurde.
"Jisungie, ich weiß, dass du gerne und zu viel denkst, aber bitte versuch dich zu entspannen. Ich kann mir nicht ansehen, wie du dich hier selbst verrückt machst.", sagte Minho sanft, doch es änderte nichts. Ich hasste es, wenn ich nicht im geringsten sagen konnte, wie eine zukünftige Situation ablaufen würde. Ich brauchte Vorhersehbarkeit, denn durch sie bekam ich auch Sicherheit.
"Wenn ich könnte, würde ich mich entspannen, aber ich bin zu nervös, Min. Ich hab keine Ahnung, was passieren wird und das stresst mich. Es könnte alles passieren und ich will auf das Schlimmste vorbereitet sein."
"Wenn ich das richtig verstanden habe, ist zwischen euch beiden einfach nur ein riesen großes Missverständnis entstanden, aber das wird sich jetzt alles klären, also bitte zerbrich dir darüber nicht deinen hübschen Kopf. Schließlich hast du nur einen davon."
Er strich mir behutsam mit einer Hand durch mein Haar und fuhr dann fort.
"Was soll ich denn machen, wenn dein Kopf irgendwann einfach explodiert vor lauter Nachdenken? Boooom... Und dann brauch ich einen neuen Jisung." Beim 'Boom' klopfte er einmal gegen meinen Kopf, ehe er seine Hand wieder durch meine Haare wandern ließ.
"Du bist blöd, Min.", beschwerte ich mich, doch konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
"Ich weiß. Bekommt dein blöder Freund trotzdem einen Kuss?"
"Wenn mein blöder Freund das will.", lachte ich und küsste ihn zärtlich. Ich konnte kaum genug bekommen von den Gefühlen, die mich durchströmten, wenn Minho mich küsste. Sie nahmen mich komplett ein und für diesen einen Moment gab es nur noch ihn und mich.
Es klopfte leise an der Tür. So leise, dass ich zunächst dachte, dass es an der Tür nebenan geklopft hatte, und deshalb einfach weiter Minho's Lippen in Anspruch nahm, bis sich hinter uns jemand räusperte und wir auseinander fuhren.
"Entschuldigt, dass ich euch unterbreche. Jisung, wir wollten reden? Am besten gehen wir dafür irgendwo hin, wo wir alleine sind.", sagte Kiwoo, der gerade das Zimmer betreten hatte.
Ich schüttelte daraufhin nur den Kopf. In dieser Situation brauchte ich Minho an meiner Seite, damit ich mich sicher fühlen konnte. Außerdem wollte ich ihn nicht alleine lassen.
"Wir können bei Minho bleiben. Das ist kein Problem."
"Baby, du musst nicht bei mir bleiben. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich halte das alleine aus."
"Ich aber nicht.", flüsterte ich und war mir sicher, dass er mich verstanden hatte, als er unsere Hände miteinander verschränkte und beruhigend über meinen Handrücken fuhr.
"Okay, dann bleiben wir bei Minho, wenn dir das lieber ist. Ich fang einfach an zu erzählen, was passiert ist."
Er erzählte, wie er damals gefragt wurde, ob er an einem Hilfsprojekt außerhalb des Landes teilnehmen wollte und hatte ohne groß zu zögern zugesagt. Zuhause hatte ihn meine Mutter vor die Wahl gestellt. Das Projekt oder wir. Es musste eine grausame Entscheidung für ihn gewesen sein, besonders da er sich schon für das Projekt angemeldet hatte. Es war alles unterzeichnet und so hatte er nur diese Möglichkeit. Deshalb ging er. Als er weg war, erhielt er einen Anruf von meiner Mutter, dass wir bei einem Autounfall umgekommen wären und dass es alles seine Schuld gewesen wäre, weil er nicht da war, um sich um uns zu sorgen. Er wollte zu unserer Beerdigung kommen, doch hatte er nie ein Datum gewusst, sonst wäre der ganze Schwindel schon viel früher aufgeflogen. Das Projekt fand irgendwann sein Ende und er wurde mit den anderen Ärzten nach Hause geschickt. Und nun saß ich hier vor ihm. Lebendig.
"Das ist die Wahrheit? Ich hab fast ein Drittel meines Lebens in dem falschen Glauben gelebt, dass du abgehauen bist, weil du keine Lust mehr auf uns hattest? Die typische 'Ich geh Milch holen'-Geschichte?", fragte ich ungläubig, als er mit seiner Erzählung geendet hatte.
"Es war nie so, wie du es gedacht hast, Jisung. Ich wollte euch nie verlieren. Ich habe so viel um euch geweint und es tut mir unendlich leid, dass ich nie für euch da sein konnte. Ich hab so unfassbar viel in eurem Leben verpasst... Auch wenn eine einfache Entschuldigung nicht reicht, will ich es zumindest versucht haben."
"Du hast recht. Eine einfache Entschuldigung reicht noch lange nicht. Ich bin durch die Hölle gegangen, als du nicht da warst. Ich war kurz davor, mir einfach ein Messer in den Bauch zu rammen. Dann wäre es endlich vorbei gewesen."
Minho drückte meine Hand fester und sowohl ihm als auch Kiwoo, meinem Vater, liefen vereinzelte Tränen über die Wangen. Ich hätte weiter darüber reden können, was alles passiert war, doch dann hätte Minho nur noch mehr geweint und das wollte ich nicht.
"Ich kann mir vorstellen, dass es hart war... Dafür steht vor mir jetzt ein starker junger Mann. Du warst wirklich stark, Jisung."
"Ich hätte aber nicht stark sein müssen! Ich war ein verdammtes Kind! Ich hätte geliebt werden müssen. Ich hätte mich behütet fühlen müssen. Aber all das ist mit dir zusammen gegangen. Liebe, Geborgenheit... Ich hatte das nicht mehr, bis Minho in meinem Leben aufgetaucht ist. Kannst du dir vorstellen, wie einsam diese Jahre für mich waren?"
"Du hast Recht. Ich habe versucht, anderen Kindern diese Geborgenheit zu geben, indem ich ihnen einen Teil ihrer Sorgen nahm, aber ich hab dabei nicht daran gedacht, was das mit euch macht. Ich habe so sehr versucht, anderen Kindern diesen Kampf zu nehmen und dabei meine eigenen aus den Augen verloren. Und das ist etwas, das mir sehr leid tut und wofür ich mich wirklich sehr schäme. Gibst du deinem alten Herrn trotzdem eine Umarmung?", fragte er, doch mal wieder schüttelte ich den Kopf, weshalb er mich verletzt ansah. Ich warf Minho kurz einen hilfesuchenden Blick zu, da ich gerade ein wenig überfordert war.
"Soll ich es ihm sagen, Sungie?", fragte mein Freund, doch ich schüttelte nur wieder den Kopf.
"Es hat ihn nichts zu interessieren. Wenn ich ihn nicht umarmen möchte, dann hat das seine Gründe und das sollte er auch wissen. Was genau diese Gründe sind, hat ihn nach diesen Jahren nichts mehr anzugehen.", antwortete ich. "Ich brauche erstmal Zeit, um das alles zu verdauen. Mehr als zwei Stunden."
"Das ist okay, Jisung. Geh mit deinem Freund nach Hause. Es ist schön zu sehen, dass deine Mutter es einfach akzeptiert. Sie hatte bis jetzt wirklich viele Probleme mit Homosexualität, aber ich finde es gut, dass sie ihre Meinung dazu für dich geändert hat."
Ich biss mir auf die Unterlippe. Eine alte Angewohnheit, die ich wohl in diesem Leben nicht mehr los werden würde.
"Sie weiß es nicht?", fragte er überrascht.
"Sie weiß es nicht. Weder dass ich auf Jungen stehe, noch dass ich mit Minho zusammen bin..."
"Du solltest es ihr sagen, auch wenn ihre Reaktion nicht so wird, wie du es dir wünscht. Minho, pass gut auf ihn auf. Ich zähle da auf dich. Er wird dich brauchen. Und Jisung... Ich hoffe, dass du es eines Tages schaffst mir zu verzeihen."
Damit verließ er den Raum wieder. Und ich war immer noch genauso durcheinander wie zuvor. Auch wenn ich jetzt mehr wusste, hatte ich immer noch das Gefühl, eigentlich nichts zu wissen.
"Du hast ihn gehört, Ji. Lass uns nach Hause."
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