[01]
Jisung PoV
"Ciao! Bis nachher!", verabschiedete ich mich von meiner Mutter, als ich an diesem Morgen das Haus verließ, um in die Schule zu gehen. Wirklich motiviert war ich nicht, aber wer war das schon an einem langweiligen Dienstag Morgen kurz nach den Herbstferien? Richtig. Niemand. Und man war noch viel weniger motiviert, wenn der eigene Sitznachbar Lee Minho hieß.
Er war zwar ziemlich nett zu mir, aber er war mir viel zu aufdränglich. So war er zu keinem der anderen Schüler in unserer Klasse. Minho war eher bekannt als der Junge, der bei jeder Gelegenheit einen fiesen Spruch raushaute und sich von den anderen fern hielt. Nur ich schien da irgendwie eine Ausnahme zu sein. Egal wie sehr ich auch versuchte, ihn von mir weg zu stoßen, er ließ einfach nicht locker und das konnte ich an ihm nicht ausstehen. Das konnte ich an keiner Person ausstehen.
Als hätte jemand meine Gedanken gehört, kam gerade Minho die Straße runter, die ich überqueren musste. Na super.
Er hob seine Hand zum Gruß, doch ich tat einfach so, als hätte ich ihn nicht gesehen und ging weiter. Sorry, Minho, aber ich mache mir nicht nur für dich die Mühe anzuhalten.
"Willst du mich echt einfach eiskalt ignorieren?", fragte Minho, der zu mir gelaufen war und mir nun seine Hand zwischen die Schulterblätter gelegt hatte. Ich spannte automatisch meine Schultern an, als das übliche, unangenehme Kribbeln sich langsam über meinen Rücken ausbreitete. Es war ein schreckliches Gefühl. Wie tausende kleine Insekten, die unter meiner Haut herum krochen und sich ins Fleisch bissen, während sich langsam ein großer, spitzer Stein in meine Wirbelsäule bohrte.
Ich biss vor Schmerzen meine Zähne zusammen und wartete darauf, dass er seine Hand wieder weg nahm. Auch wenn meine Schmerzen nicht echt waren, konnte ich sie nicht einfach ignorieren. Am liebsten würde ich einfach seine Hand wegschlagen, aber dann würde das Kribbeln sich auch auf meiner Hand ausbreiten.
"Ich hab dich nicht ignoriert. Ich hab dich nur nicht gesehen. Kannst du jetzt bitte deine Hand da weg nehmen?", fragte ich genervt und er zog seine Hand zurück.
"Sorry, hab ganz vergessen, dass du ja kein Fan von Berührungen bist."
"Das stimmt nicht. Ich mag Berührungen. Nur deine halt nicht.", grummelte ich, woraufhin er mich ein wenig verletzt ansah. Selbst Schuld. Er wusste, dass ich es nicht mochte, von ihm angefasst zu werden, also sollte er einfach besser aufpassen, was er tat. Ich war immer noch zu sehr auf die Schmerzen auf meinen Schultern fixiert. Wie sehr wünschte ich mir, sie einfach ausblenden zu können... Und dann musste er mich auch noch an so einer bescheuerten Stelle anfassen, an der ich mich nicht gut kratzen konnte.
Ja, ich kratzte mich da, wo ich berührt worden war. Nicht damit ich blutete und das Gefühl bekam, dass das Stück Haut verschwand, sondern weil der reale Schmerz mir half, mich von den Schmerzen, die ich mir einbildete, abzulenken. Er ersetzte förmlich den falschen Schmerz.
Tatsächlich mochte ich Berührungen nicht wirklich, auch wenn ich eben etwas anderes gesagt hatte. Aber ich vermisste sie trotzdem. Ich vermisste es, einfach eine Umarmung zu bekommen, wenn ich eine brauchte. Ich vermisste es, durch Menschenmassen laufen zu können, ohne durchzudrehen. Ich vermisste es, ein normaler Junge zu sein.
"Schon verstanden. Ich versuche drauf zu achten, dass ich dich nicht anfasse.", seufzte er enttäuscht und ich hoffte wirklich, dass er es nicht einfach so sagte.
"Danke, Minho.", bedankte ich mich, auch wenn ich mich eigentlich nicht bedanken müsste. Das von ihm war keine nette Geste sondern etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte. Er hielt den Abstand ein, den ich von ihm wollte, und respektiert das, so wie es eigentlich jeder machen sollte. Doch bedauerlicherweise interessierte es heutzutage niemanden mehr, ob sie dir näher kommen sollten oder nicht. Es war egal, was du wolltest, und wenn es dir nicht passte, solltest du dich einfach nicht so anstellen und aufhören so eine Dramaqueen zu sein. So etwas wie Verständnis war fast komplett verschwunden.
Wir liefen schweigend nebeneinander zur Schule, doch als wir noch gute 5 Minuten laufen mussten, miaute hinter uns eine Katze, nach der Minho sich sofort umdrehte. Ich war mir ziemlich sicher, dass er Katzen mochte. Irgendwann hatte er, glaube ich, erzählt, dass er selbst welche hatte.
"Was machst du denn hier, Soonie?", fragte er das süße Fellknäuel und begann die Katze hinter ihren Ohren zu kraulen. "Du weißt doch, dass du nicht mit in die Schule kannst."
Wieder miaute die Katze und ich musste lächeln. Irgendwie war das ziemlich süß. Also die Katze, nicht Minho.
"Du kannst sie auch streicheln, Jisung. Sie macht nichts.", meinte er und nahm sie auf den Arm, sodass ich sie streicheln konnte.
(A/N: Ich hab keine Ahnung, welches Geschlecht Minho's Katzen haben. Vergebt mir.)
Eigentlich wollte ich nicht so nah an Minho ran, erst recht nicht mit meinem Gesicht, aber die Katze war einfach zu niedlich und ich konnte nicht widerstehen. Trotzdem versuchte ich, ihm nicht zu nahe zu kommen.
"Ist das deine Katze?", fragte ich Minho nach einer Weile und streichelte seine Katze.
"Ja, ist sie. Eine meiner drei Katzen. Jisung, das ist Soonie. Soonie, das ist Jisung. Ich würde ihn gerne besser kennenlernen, aber ich glaube, er mag mich nicht besonders.", antwortete er.
"Meooowww"
"Ich weiß auch nicht wieso. Vielleicht sagte er es mir ja irgendwann."
"Wer weiß. Vielleicht erfährst du es auch nie.", erwiderte ich. "Und jetzt solltest du aufhören, mit Soonie zu reden. Wir müssen zur Schule, bevor wir zu spät kommen."
"Ist ja gut.", lachte er und ließ Soonie runter.
"Pass auf die anderen beiden auf, Soonie.", ermahnte er sie noch, ehe wir uns beide wieder auf den Weg in die Schule machten. Natürlich waren wir zu spät dran. Was hätte man auch sonst erwarten sollen?
"Lee Minho, Han Jisung, ich hätte gerne eine Erklärung dafür, dass ihr beide zu spät seid und dann auch noch zusammen hier auftaucht. Und erklärt mir nicht, dass ihr verschlafen habt und es euch zufällig gleichzeitig aufgefallen ist.", stellte uns unser Ethiklehrer zur Rede, als wir im Klassenraum ankamen.
"Ich hab Jisung bei sich zu Hause abgeholt, aber er war noch nicht fertig, weil er seine Sachen nicht alle gefunden hat, deshalb habe ich ihm suchen geholfan. Ansonsten wäre er alleine zu spät gekommen und hätte nichts an Materialien dabei.", erfand Minho schnell eine Ausrede, die sogar noch ziemlich glaubwürdig klang. Beeindruckend...
"Stimmt überhaupt nicht. Die beiden wurden vorhin knutschend an der Straße gesehen.", hörte man eine Stimme leise sagen. Ich wusste leider nicht genau von wem sie kam, denn ansonsten hätte ich dieser Person den Hals umgedreht.
"Was habt ihr dazu zu sagen?", fragte unser Lehrer vorwurfsvoll.
"So ein Schwachsinn! Ich würde Minho nicht küssen und er mich nicht. Ich bin genauso straight wie er.", erwiderte ich, was eigentlich glatt gelogen war. Ich stand auf Jungen, aber das musste ja niemand meiner Klassenkameraden wissen.
"Was ist dann das hier?", kam es von einer meiner Mitschülerinnen und sie hielt ihr Handy hoch. Darauf war ein Bild zu sehen, wie Minho mit dem Rücken zur Kamera stand, mich halb verdeckte und man erkennen konnte, dass wir wirklich nah beieinander standen. Es sah wirklich ein wenig so aus, als ob wir uns küssen würden.
"Okay, ihr habt uns erwischt. Das sind Jisung und ich wie wir uns heute Morgen auf dem Weg zur Schule küssen. Wir sind zusammen.", log Minho. Vermutlich tat er das, um dieser unangenehmen Situation zu entfliehen, doch trotzdem machte es mich wütend.
"Was redest du da für einen Müll, Minho! Wir sind nicht zusammen und werden es auch nie sein! Ich bin straight! Ich steh nicht auf dich und auch auf keinen anderen Typen. Wir haben da nur deine Katze gestreichelt, die du auf dem Arm hattest!", regte ich mich auf.
"Okay, dann lasst uns sagen, dass das Foto hier keinen guten Beweis darstellt. Bitte setzt euch, damit wir den Unterricht fortsetzen können.", forderte uns unser Lehrer auf und wir taten, was er gesagt hatten, woraufhin er eine seiner unzähligen Lebensgeschichten auspackte, die zwar niemanden interessierte, aber immer noch besser war als Unterricht.
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