21. Kapitel
"Gefahr?", wiederholte ich und kniff nachdenklich die Augenbrauen zusammen. "Etwa durch", ich zögerte, "Venatoren?"
"Du hast es erfasst." Keith nickte und fuhr sich einmal mit gespreizten Händen durch sein - vermutlich noch vom Schlaf - verstrubbeltes Haar. "Ich meine, wir leben in ständiger Gefahr vor ihnen und es kommt immer wieder zu kleineren oder auch etwas größeren Auseinandersetzungen", er warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu und ich musste unwillkürlich an Caden und den kleinen Hinterhof in London zurück denken, wo dieser versucht hatte, mich mit einem Messer zu erstechen, "allerdings ist dies noch lange nicht mit dem zu vergleichen, was der Donnervogel uns ankündigt."
"Und was kündigt er uns genau an?" Hastig wischte ich die Erinnerungen an meinen nun toten Freund mit einer fahrigen Handbewegung beiseite und beugte mich ein Stück weit vor, um ihn besser fixieren zu können.
Keith schwieg. Mit seinen Händen spielte er an dem grün leuchtenden Anhänger an seinem Hals herum, drehte ihn zwischen seinen Fingern, als würde er überlegen, dann sagte er: "Wir können nie voraussagen, was genau auf uns zu kommt. Das Einzige, was wir bereits jetzt einschätzen können, ist, dass das, was auch immer es sein mag, katastrophale Schäden für die Zukunft der Schamanen haben könnte, wenn es nicht aufgehalten wird."
"Und an diesem Punkt", mischte sich nun auch wieder Logan ins Gespräch ein, "kommst du ins Spiel."
"Komme ich ins Spiel?" Verwundert zog ich beide Augenbrauen in die Höhe. "Was soll ich denn damit zu tun haben? Ich meine, außer das der Phönix nun anscheinend mein Totemtier ist."
Cassandra schnalzte mit der Zunge und deutete auf mich. "Genau das ist der Punkt, Frye. Der Phönix ist dein Totemtier. Nicht das von Keith, nicht das von Logan und auch nicht das meine. Der Donnervogel hat dich ausgesucht und das sicherlich auch nicht ganz ohne Grund."
"Mit anderen Worten", sprach Penelope weiter und strich sich eine honigblonde Locke hinter das Ohr. "Du bist diejenige, die diese Gefahr aufhalten muss. Zumindest sieht das der Donnervogel so vor."
"Und ob man das beglückwünschen sollte oder nicht, liegt ganz alleine im Auge des Betrachters", fügte Cassandra ungehalten hinzu und kassierte dafür ein Augenrollen ihrer Sitznachbarin. "Was?" Sie hob abwehrend die Hände. "Es ist schließlich nicht sonderlich ungefährlich." Penelope seufzte bloß auf und schüttelte den Kopf, dann sah sie wieder mich an.
Und nicht nur sie sah mich an. Wieder einmal schien die gesamte Aufmerksamkeit des Tisches auf mir zu liegen, ganz so, als würden sie allesamt nun darauf warten, dass ich freudig klatschend ihrem Gespräch zustimmen würde.
Tat ich allerdings nicht. Stattdessen runzelte ich die Stirn, öffnete den Mund, um zum Sprechen anzusetzen, ehe ich ihn dann doch wieder lieber schloss. Logan, der mir direkt gegenüber saß, zog fragend eine Augenbraue in die Höhe, als versuche er mich damit zu einer möglichst schnellen Antwort zu drängen.
"Einen Moment", gab ich schließlich gedehnt von mir und ließ meinen Blick einmal durch die Runde wandern. "Wollt ihr damit etwa sagen, dass ich alleine gegen einen ganzen Haufen von Venatoren kämpfen muss? Nur, da mich irgendsoein geisterhaftes Federvieh zu seinem Schamanen erklärt hat?"
"Nicht alleine", sagte Sharon neben mir und mischte sich somit zum ersten Mal überhaupt wieder in das Gespräch am Tisch ein, seitdem sie uns untereinander bekannt gemacht hatte. "Und nenne dein Totem bitte nicht ein geisterhaftes Federvieh", fügte sie mit tadelndem Unterton hinzu. "Ich habe dir bereits gesagt, dass Totemtiere sehr schnell beleidigt sein können und das möchtest du sicherlich nicht in deinen ersten Tagen als Schamane erleben."
Natürlich nicht. Ich biss mir auf die Unterlippe. Egal, wie begeistert ich bis vor geschätzt einer Stunde noch gewesen war, dass mich überhaupt ein Totemtier erwählt hatte, so schwand meine Freude daran immer mehr dahin.
Nicht nur, dass mein Totem anscheinend ein Vorbote einer nahenden Gefahr war, nein. Nun sollte ich diese Gefahr anscheinend auch noch aufhalten, ungeachtet der Tatsache, dass ich bis vor wenigen Tagen nicht einmal geahnt hatte, dass ich ein Schamane war und solche Orte wie Cetan Wí überhaupt existierten.
"Also", sagte ich schließlich und klopfte mit meinen Fingerkuppen auf der hellen Holztischplatte herum. "Was meinen Sie mit 'nicht alleine'?"
"Das, was es aussagt", erwiderte Sharon und sah mich ernst an. "Dass wir dich nicht alleine in einen Kampf oder desgleichen lassen werden. Wenn es überhaupt zu einem Kampf kommen sollte, natürlich." Sie zauberte sich ein kleines, zuversichtlich wirkendes Lächeln auf die Lippen, was allerdings die Anspannung auf ihren Gesichtszügen nicht wirklich verbergen konnte.
"Es gab schon viele Phönixschamanen, die sonderlich große Gefechte umgehen konnten, indem sie die Gefahr bereits im Vorhinein eindämmten. Zwei vergangenen Phönixträger schafften es sogar schon, den gesamten Konflikt, der mit ihrem Totem angekündigt wurde, ganz zu umgehen."
"Was reiner Zufall war und mit jeder Menge Glück zu tun hatte", warf Logan mit ein und Sharon seufzte bloß auf, warf ihm einen unverkennbaren Danke-für-deine-Unterstützung-Blick zu.
"Wie auch immer", sagte sie und steckte sich einige ihrer dunklen Locken zurück unter ihr Kopftuch, die darunter hervor gerutscht waren. "Zumindest werden wir versuchen, dich so gut wie möglich aus all dem hier raus zu halten. Wir haben genügende Netzwerke verteilt über den gesamten Erdball. Ich werde sie dazu anordnen, die Augen nach möglichen Unruhen offen zu halten. Das Gleiche gilt übrigens auch für deine Familie, Cassandra." Sie warf der schwarzhaarigen Schönheit ihr gegenüber einen bedeutungsvollen Blick zu. "Bitte benachrichtige sie."
"Natürlich." Cassandra neigte den Kopf und nickte zustimmend, zog sogleich ein Handy aus ihrer Hosentasche hervor und begann eilig auf dem Bildschirm herum zu tippen.
Ich erinnerte mich daran, wie Zack mir erzählt hatte, dass ihre Familie schon lange mit einem Angriff der Venatoren gerechnet hatte. Einen Angriff wie vor sechzehn Jahren in Cetan Wí, wo mein Erzeuger sein Leben gelassen hatte. Mein Erzeuger, der auch vom Phönix erwählt worden war.
"Und was machen wir jetzt genau mit Megan?", räusperte Keith sich schließlich nach einem Moment der Stille im Raum, in dem man nur das Klackern von Cassandras Nägeln auf dem Bildschirm vernehmen konnte, und sah zwischen Sharon und mir hin und her.
Gute Frage. Was geschah nun mit mir?
Sharon fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und rieb sich die Schläfe. Sie wirkte erschöpft. "Wir werden sie trainieren. Was sonst?" Sie blinzelte durch einen Vorhang aus dichten Wimpern zu mir herüber. "Nur für alle Fälle", versicherte sie mir und diesmal war das kleine Lächeln, dass ihre Mundwinkel nach oben bog, echt. "Wenn es vielleicht doch anders kommt, wie wir es erwarten. Außerdem musst du so oder so hier deine Ausbildung als Schamane absolvieren, also sollten wir nicht abwarten."
Sie hob die Hand und legte diese mir behutsam auf meinen Oberarm, dann sagte sie leise, sodass beinahe nur ich sie hören konnte: "Die Jägerclans werden sich schon um alles kümmern. Sie sind mit der Zeit und der Zahl der Angriffe immer organisierter geworden. Sie werden bald schon wissen, was sie genau tun müssen, um die Venatoren aufzuhalten, das verspreche ich dir."
***
Als ich wieder das große, weiße Landhaus verließ, war die Sonne bereits ein gutes Stück den Himmel empor geklettert und hatte augenscheinlich schon den einen oder anderen Campbewohner vor die Haustür gelockt.
Logan und Keith waren bereits vor zehn Minuten verschwunden und Cassandra und Sharon waren im kleinen Versammlungsraum zurück geblieben, um noch etwas zu besprechen, weswegen einzig und alleine Penelope übrig blieb, die mit mir zusammen die große Gasse hinab schritt, die Hände in den Taschen ihrer Jeans vergraben, die grünen Augen gedankenverloren in die Ferne gerichtet.
Zugeben war sie mir auf diese Art und Weise eine sehr angenehme Begleitung, denn mir schossen viel zu viele Gedanken durch den Kopf, als das ich eine ordentliche Konversation hätte führen können.
Ich war nun also ein Phönixträger. Oder besser gesagt der Phönixträger, wenn man die Tatsache bedachte, dass es anscheinend immer nur einen von ihnen geben konnte. Nachdenklich kratzte ich mich hinterm Ohr.
Auf der einen Seite war ich erleichtert darüber, dass Sharon mir den 'Konflikt mit den Venatoren', wie sie ihn genannt hatte, ersparen und somit mit anderen Kräften, den Jägerclans, die mögliche Gefahr aufhalten wollte.
Auf der anderen Seite wiederum enttäuschte diese Tatsache mich irgendwie. Nicht, dass ich vorgehabt hätte, mich freiwillig mit einem Haufen von Venatoren zu prügeln, nein.
Aber ich hätte wenigstens gerne die Chance gehabt, mich als Phönix, wie sie mich nannten, beweisen zu können. Ich hasste es untätig rumsitzen zu müssen, wenn ich eigentlich helfen konnte. Wenn ich helfen sollte. Ich hasste es auf die Reservebank abgeschoben zu werden, da man mir nicht zutraute, das zu tun, was auch immer man von mir verlangte. Das war nicht ich.
Unwillkürlich fühlte ich mich in den Sportunterricht der achten Klasse zurück erinnert. Damals, als mein stinkiger Sportlehrer Mr Fletcher mich beinahe durchgehend am Rand sitzen und zusehen gelassen hatte, schlichtweg mit der Begründung, ich sei zu schlecht, um bei den Volleyballteams, die sich in der Vorbereitung für die Schulmeisterschaften befanden, mit zu spielen. Auch, wenn besagte Teams mehr oder weniger aus meiner gesamten Klasse bestanden und ebenfalls nicht gerade besonders olympiareif gespielt hatten.
Ja, es mochte eventuell stimmen, dass mein Talent im Volleyball sich deutlich in Grenzen hielt, aber dennoch war dies keine Begründung dafür gewesen, mir nicht die eine oder andere Chance zu geben.
In diesem Moment fühlte ich mich genau wie damals in der Turnhalle, nur, dass es hier um einiges mehr ging, als um eine einfache Schulmeisterschaft.
Du bist einfach nur wütend, weil du den Ball nie wirklich über das Netz bekommen hast, kommentierte eine spitze Stimme im hinteren Teil meines Kopfes und ich verdrehte die Augen. Penelope, die stumm neben mir her lief, dies aber offensichtlich mitbekommen hatte, zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.
"Was ist los?"
"Nichts." Ich machte eine wegwerfende Handbewegung, aber als sie nicht damit aufhörte, mich schräg von der Seite her anzusehen, seufzte ich ergeben auf. "Ich ärgere mich bloß", gestand ich ihr.
"Warum?", fragte Penelope und blieb stehen. "Ich meine, Sharon versucht dich aus all dem heraus zu halten. Du solltest dich freuen." "Tue ich aber nicht." Ich schüttelte den Kopf. "Ich meine, ja, dass sollte ich vielleicht, aber ich mag es nicht, wenn man mich einfach beiseite schiebt und mir keine Chance gibt, mich zu beweisen. Schließlich ist es doch so, wie du es gesagt hast. Der Phönix hat mich ausgesucht, um diese Gefahr, die er angekündigt hat, aufzuhalten. Nicht Sharon und auch nicht Cassandras Jägerclans."
Penelope sah mich wortlos an, dann zog sich ein kleines Lächeln über ihre Lippen und sie schüttelte nur den Kopf. "Du bist neu hier, Megan", sagte sie. "Du wurdest erst vor wenigen Stunden zum Phönixschamanen erwählt und - ohne dir zu nahe treten zu wollen - du kennst diese Welt hier nicht. Du kennst nicht unsere Geschichte. Du kannst weder die Venatoren, noch die Verantwortung, die automatisch auf dir liegen würde, wenn du dich als Phönix an die Front stellst, einschätzen. Du weißt rein gar nichts über dieses Totemtier, außer, dass es Gefahr bedeutet."
Sie machte eine kurze Pause und sah hinauf zum Himmel, wo ich wieder die Falken entdecken konnte, die gleich Wächtern in Kreisen über das Waldgebiet hinweg schwebten. "Sharon hat die richtige Entscheidung getroffen", sagte sie dann. "Wenn du diese Welt hier besser kennen lernst, dann wirst du es garantiert auch bald verstehen. Viele Schamanen haben wegen deinem Totem schon ihr Leben lassen müssen, seien sie der Träger dieser Kraft gewesen, die dir von ihm verliehen wurde, oder nicht.
Du wirst erst lernen müssen, was es bedeutet, ein Phönix zu sein. Erst dann wird Sharon eventuell in Betracht ziehen, dich einzusetzen und das auch sicherlich nur widerwillig."
"Wieso das denn?", fragte ich und erinnerte mich an die Gestalt des kleinen Jungen zurück, die Jonathan Grey in der Geisterwelt kurzzeitig angenommen hatte. "Schließlich gab es sicherlich schon um einiges jünger Phönixschamanen als mich."
"Mag sein." Penelope zuckte mit den Schultern. "Aber das interessiert Sharon nicht. Sie fühlt sich verantwortlich für dich, weißt du? Mehr, als für jeden anderen Jungschamanen hier in Cetan Wí sonst."
Überrascht runzelte ich die Stirn. Sie fühlte sich verantwortlich für mich? Warum?
Am liebsten hätte ich diese Frage laut ausgesprochen, aber ehe ich auch nur ansatzweise den Mund öffnen konnte, deutet Penelope hinter mich. "Wir sind übrigens da. Hausnummer 17, richtig?" Perplex drehte ich mich um und nickte dann langsam, als ich realisierte, dass wir bereits vor meiner Wohngemeinschaft standen. Hätte Penelope nicht angehalten, wäre ich wahrscheinlich einfach an ihr vorbei gelaufen.
"Gut." Sie lächelte. "Dann verabschiede ich mich hier am Besten von dir. Ruh dich gut aus. Die nächsten Tage werden sicherlich anstrengend." Sie winkte mir zu und ehe ich auch nur etwas erwidern konnte, lief sie schon eilig auf eine der vielen Lücken zwischen den einzelnen Ferienhäusern zu, um im Wald zu verschwinden.
Natürlich. Schließlich saß sie im Camprat. Da hätte ich erwarten können, dass sie bereits zu den Bewohnern zählte, die schon eine lange Zeit hier in Cetan Wí ihr Leben verbrachten und aus diesem Grund nicht mehr in der großen Gasse wohnten.
Einen Moment lang sah ich ihr nachdenklich nach, ging noch einmal die letzten Sätze, die sie zu mir über Sharon gesagt hatte, in meinem Kopf durch, dann drehte ich mich langsam um und ging ebenfalls hinüber zu meiner Wohngemeinschaft.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro