16. Kapitel
Nachdem ich mein Gespräch mit Vic beendet und aufgelegt hatte, beschloss ich mich auf in Richtung Wohnzimmer und somit auch gleichzeitig auf in Richtung Küche zu machen - ich verspürte einen wahnsinnigen Hunger.
Unten erwartete mich bereits Chloe, welche es sich auf dem dunkelbezogenen Sofa gemütlich gemacht hatte und gelangweilt eine Fernsehzeitschrift durchblätterte. Sie bemerkte mich nicht, als ich am Fuße der Treppe stehen blieb. Ihr Blick schien abwesend und gedankenverloren, während ihre Augen desinteressiert über die bedruckten Seiten des Magazins glitten. Mit ihren Fingern knickte sie kleine Eselsohren in die unterste Ecke der jeweilige Seite, die sie aufgeschlagen hatte.
Als ich mich räusperte, sah sie ein wenig überrumpelt auf, fasste sich allerdings wieder innerhalb von Sekunden und schenkte mir ein knappes Lächeln. "Auch schon wach?"
Mit einer mühsamen Bewegung erhob sie sich sogleich und legte die Zeitschrift auf das niedrige Glastischchen direkt vor sich ab. "Ich habe dich heute ausschlafen gelassen", meinte sie dann und streckte sich einmal ausgiebig wie eine Katze, die gerade von einem kleinen Nickerchen aufgewacht war, ehe sie sich an dem benannten Glastischchen und an mir vorbei in Richtung Küche schob. "Sharon meinte, dass du das nach dem gestrigen Tag dringend nötig hättest."
Ja. Da hatte Sharon wohl Recht gehabt. Der ausgiebige Schlaf hatte mir tatsächlich gut getan und mir geholfen, meine Gedanken zu ordnen. Zumindest einigermaßen. Ansatzweise.
Nach wie vor konnte mein Gehirn sich nicht wirklich mit der Tatsache abfinden, dass ich mich nun in einem Camp voller Schamanen befand. Geschweige denn, dass ich selber ein solcher Schamane sein sollte.
"Wann steht ihr denn hier für gewöhnlich auf?", fragte ich, als ich Chloe nachfolgte und die Küche betrat. "Unter der Woche meistens so gegen acht Uhr. Manchmal früher, manchmal später", erwiderte diese.
Ich sah auf die Digitaluhr, die direkt neben dem Herd an der Wand hing. Es war schon beinahe elf Uhr vormittags. "An Wochenenden variiert es immer wieder", fuhr meine Mitbewohnerin weiter fort. "Kommt ganz darauf an, ob du morgens für irgendwelche Dienste oder spezielles Training eingeteilt bist oder nicht. Manchmal bekommt man sogar die Ehre erteilt, bis in den Mittag hinein durchschlafen zu dürfen." Chloe grinste kurz.
Dann strich sie sich einige blaue Haarsträhnen aus der Stirn und zog sich einen Küchenstuhl herbei, um sich auf diesem nieder zu lassen, wobei sie die Rückenlehne nach vorne drehte, um auf dieser ihre Ellenbogen aufzustützen. Sie deutete auf eine halb geleerte Pfanne Rührei auf dem Herd. "Kannst dich bedienen, wenn du willst. Oder du holst dir die Cornflakes dort drüben aus dem Schrank, steht dir alles frei zur Wahl."
"Danke." Ich nickte, griff nach einem noch unbenutzten Teller gleich neben der Pfanne und schaufelte mir das Rührei auf diesen drauf. Mein Magen knurrte bereits wie ein hungriges Tier.
"Also", sagte Chloe, während sie mich beim Essen beobachtete, was echt unangenehm war - ich hasste es, wenn Menschen das taten. "Was willst du heute machen?" "Wie was will ich heute machen?" Ich runzelte fragend die Stirn und pickte mit meiner Gabel ein Stückchen Paprika auf. An Stelle von Speck, wie Mum es immer tat, hatte Chloe Gemüse unter das Ei gemischt. Natürlich, schließlich war sie Vegetarierin.
Meine Mitbewohnerin zuckte bloß mit den Schultern. "Man hat mir den Tag frei gegeben, damit ich dich in Ruhe in das Camp einführen kann. Das heißt kein Training, kein Küchendienst und erst Recht kein Unkraut zupfen für mich. Muss Wohl der Vorteil daran sein, wenn man eine neue Mitbewohnerin bekommt." Sie lächelte schwach und schnippte ein imaginäres Staubkorn von der Lehne ihres Stuhls.
"Hattest du denn zuvor noch nie eine andere Mitbewohnerin?", fragte ich neugierig.
"Doch, natürlich hatte ich schon mal eine", erwiderte sie. "Allerdings war ich damals der Neuling gewesen und sie diejenige, die den Frischling abbekommen hat. Also war ich quasi du und sie war quasi ich gewesen." Sie kratzte sie am Nacken. "Naja, hat allerdings nicht wirklich lange gehalten", fügte sie dann leise hinzu.
"Inwiefern meinst du das?" Ich musterte sie kritisch. Chloes hellblauen Augen schienen auf einmal ein wenig glasig, als würde sie bei dem Gedanken an ihre ehemalige Mitbewohnerin jeden Moment in Tränen ausbrechen.
"Sie ist gegangen." Das flüchtige Lächeln, dass mir wahrscheinlich signalisieren sollte, dass alles in Ordnung war, war bloß aufgesetzt. "Es gab da so eine Sache mit ihrer Familie, weswegen sie das Camp frühzeitig verlassen musste." Sie presste die Lippen aufeinander und schwieg. Ihre Finger malten unruhige Kreise auf die Rückenlehne ihres Stuhles.
Ich beschloss nicht weiter nachzuhaken. Chloe blinzelte ein paar mal, schüttelte sich einige Haarsträhnen in die Stirn, nur, um sie daraufhin wieder hinter ihr Ohr zu streichen. "Und?", fragte sie dann und sah mich wieder an. "Was soll ich dir heute genau zeigen? Vielleicht den Nachtblumen-See? Obwohl, den hat dir Sharon sicherlich gestern bereits gezeigt." Sie überlegte kurz. "Wie wäre es mit den Trainingsplätzen", schlug sie dann schließlich vor. "Die hast du garantiert noch nicht gesehen und mit ein bisschen Glück treffen wir dort vielleicht auch auf Zack."
Ich zuckte mit den Schultern, nickte und lächelte Chloe aufmunternd an. "Klingt auf jeden Fall mal interessant." Ich stand auf, um meinen Teller in die Spülmaschine zu räumen. "Na dann", nickte meine Mitbewohnerin, erhob sich ebenfalls und klopfte mit der flachen Hand auf die Tischplatte. "Ich ziehe mir schnell noch etwas anderes an, dann können wir gleich los gehen." Sie machte kehrt und verließ eilig die Küche. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie die ganze Zeit über nicht mehr als ein zerknittertes Schlafshirt und eine karierte Pyjamahose getragen hatte.
***
Was die Trainingsplätze anging, so lagen diese etwas außerhalb von der großen Gasse entfernt auf mehreren verschiedenen Lichtungen verteilt im Wald. Chloe lotste mich zu einem der - laut ihr - etwas größeren hin, wo man bereits vom weitem die lauten Stimmen anderer Jugendlicher vernehmen konnte.
Als der schmale Waldpfad, den wir entlang liefen, schließlich auf einer großen Fläche, bedeckt mit platt getretener, gelber Erde, endete, staunte ich nicht schlecht. Um die geschätzt zwanzig Teenager trainierten vor uns auf der weit ausläufigen Lichtung. Allesamt umgeben von glühenden, um sie herum tanzenden Lichtfäden in allen möglichen Farben und Formen, mit denen sie entweder Schutzwälle heraufbeschworen oder Angriffe ausübten.
Ihre Bewegungen, mit denen sie die leuchtenden Magiefäden aus dem Nichts heraus zu erschaffen und zu dirigieren schienen, waren leicht und fließend. Beinahe wie ein ganz und gar eigener, individueller Tanz zu einer Musik, die nur sie selber hören könnten.
Ich merkte, wie mir unwillkürlich die Kinnlade herunter klappte. Die Luft um uns herum knisterte leise vor sich hin, als stände sie unter Strom, und die mir vom Nachtblumen-See nur allzu bekannte elektrische Spannung legte sich automatisch über meinen Körper und ließ mich erschaudern.
"Halte dich besser am Rand der Lichtung", wies Chloe mich an. "Es kann echt unangenehm werden, einen dieser Angriffe abzubekommen und du willst deinen ersten, richtigen Tag hier im Camp garantiert nicht auf der Krankenstation verbringen." Sie strich sich ein paar blaue Haarsträhnen hinters Ohr und sah sich um. "Ich gehe dann mal Zack suchen", verkündete sie schließlich und ließ ihre Hände in die Taschen ihrer Hose gleiten. "Willst du mitkommen?" "Gleich", erwiderte ich und betrachtete fasziniert die von durch die Luft schwirrenden Magiefäden umhüllten Teenager vor mir. "Geh du schon einmal ruhig vor. Ich komme nach." Chloe nickte nur, lächelte kurz, als würde sie meine Antwort und die damit zusammenhängende Faszination an den Schamanen und Totemtieren vor mir voll und ganz verstehen.
Dann drehte sie sich um und ging, wie sie es mir gesagt hatte, am Rande der Lichtung entlang davon, die Augen suchend auf die sich hin und her bewegende Masse aus Magie in der Mitte des Traingsplatzes gerichtet.
Eine Weile lang blieb ich noch stehen und beobachtete zwei Mädchen direkt vor mir, deren Lichtfäden gleich Tentakeln immer wieder nacheinander griffen und glühende Funken versprühten, wenn diese mit voller Wucht aufeinander trafen. Die eine von ihnen, ich schätzte sie gerade mal zwölf Jahre alt, kicherte unaufhörlich, während ihre Gegnerin, sie musste um die vierzehn sein, verbissen drein starrte und versuchte, einen Angriff nach dem anderen auf die Kleine auszuüben, was ihr allerdings nicht wirklich gelang. Die Zwölfjährige grinste selbstzufrieden vor sich hin, als sie einen Tentakelhieb nach dem anderen gekonnt abblockte, wobei rosafarbene Schmetterlinge - ihr Totem, wie ich vermutete - ihre Arme und Beine umschwebten, als wollten diese ihr Halt geben.
Ich beobachtete die beiden einen Moment lang interessiert, dann wandte ich mich allerdings ab und ging langsam ein paar Schritte am Rand der Lichtung entlang, in die gleiche Richtung davon, in die Chloe verschwunden war. Aber ehe ich mich dazu entschließen konnte, ihr nun endgültig nachzufolgen und ebenfalls nach Zack zu suchen, fiel mein Blick auf Keith, der, von einem smaragdgrünen Kokon umhüllt, in der Mitte des Platzes stand und mit einem breiten Grinsen auf den Lippen einen Angriff seines Gegners nach dem anderen abzuwehren schien.
Seine Bewegungen waren schnell und kontrolliert, als er einen Schutzwall nach dem anderen heraufbeschwor, um sich so vor Eastons nur so auf ihn herab hagelnden Angriffen zu schützen. Ich beobachtete, wie er konzentriert die Augenbrauen zusammen kniff, um dann mit einer geschickten Handbewegung einen der Angriffe seines Freundes um zu lenken und diesen zurück auf Easton prallen zu lassen. Dieser, vollkommen unvorbereitet, taumelte einige Schritte zurück, fing sich allerdings rasch wieder. Nur, um fest zu stellen, dass sich das Blatt nun gewendet hatte.
Nun war Keith an der Reihe, einen Angriff nach dem anderen auf seinen Freund loszulassen. Die Lichtfäden, die ihn dabei umhüllten, zuckten durch die Luft wie Peitschen. Easton presste die Lippen aufeinander. Je mehr Schutzschilde er erschaffen musste, um sich die gefährlich zischende Magie vom Leib zu halten, desto blasser wurde er, als würden Keiths Angriffe ihm sämtliche Kraft aus dem Körper entziehen.
Das Grinsen auf Keiths Lippen wurde noch ein Stückchen breiter, als er beide Hände hob und plötzlich, wie aus dem Nichts heraus, grünliche Blitze über seine Haut zu zucken begannen. Die Spannung, die in der Luft um ihn herum lag, verstärkte sich unmittelbar, was mich vermuten ließ, dass die Kraft, die sich der Junge da zu Nutze machte, um einiges mächtiger und stärker war, als die der restlichen Jugendlichen.
Keith führte langsam beide Handflächen zueinander, sodass die Blitze mit einem lauten Knistern zwischen seinen Fingerspitzen aufflackerten. Easton schloss die Augen, als wisse er ganz genau, was nun folgen würde und als versuche er verzweifelt, die letzten Reste an Energie in seinem Körper hervorzurufen, um dies zu verhindern. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und begannen zu glühen.
Dann ertönte ein lautes Zischen, Keith drückte beide Handflächen vor und die aus grünlichen Blitzen bestehende, riesige Gestalt eines Löwen löste sich von seinem Körper und stürzte auf Easton zu, dem es noch im letzten Moment gelang, einen Schild in Gestalt eines riesigen Vogels vor sich zu erschaffen. Der Löwe aus grünlichem Licht prallte gegen den Schutzwall, Funken sprühten, als beide Tiergestalten in zahlreiche Splitter von Magie zerschellten. Easton wurde zurückgeschleudert und kam unsanft auf dem Boden auf.
Keith ließ die Hände wieder sinken. Das smaragdgrüne Kokon, welches ihn umhüllt hatte, verblasste augenblicklich. "Hast du wirklich geglaubt, der Schild würde mich aufhalten?", fragte er, während er hin zu seinem Freund trat, der sich langsam wieder aufzurappeln begann. "Nicht wirklich, aber einen Versuch war es auf jeden Fall wert", erwiderte dieser ächzend und griff nach der Hand, die Keith nach ihm ausstreckte. Keith lachte bloß, schüttelte den Kopf und half ihm auf, während Easton etwas über Urschamanen und ihre Sippschaft sagte, was ich allerdings nicht wirklich verstehen konnte, da im selben Augenblick zwei Magieschilde in unserer unmittelbaren Nähe mit einem ohrenbetäubenden Knall aufeinander stießen und somit der Großteil seiner Worte für mich verschluckt wurde.
Urschamanen und ihre Sippschaft? Ich runzelte die Stirn.
Easton klopfte sich den Sand von der Hose und sah sich währenddessen unauffällig um. Wahrscheinlich, um festzustellen, ob ja nicht all zu viele seine Niederlage mitbekommen hatten. Sein Blick glitt über die Jugendlichen auf dem Platz hinweg bis zu mir. Er zog eine Augenbraue in die Höhe, stieß dann Keith in die Seite und nickte in meine Richtung. Sein Freund sah sich um.
Als er mich erkannte, grinste er breit und hob die Hand, verabschiedete sich dann mit einem Schulterklopfen von seinem Kampfpartner und kam mit großen Schritten auf mich zu.
"Na sieh mal einer an", sagte er schelmisch, als er mich erreichte. "Du auch hier?" "Offensichtlich", ich nickte und erwiderte sein Lächeln, was mir nicht sonderlich schwer viel, da sein Grinsen wirklich ansteckend war. "Meine Mitbewohnerin war der Meinung, dass das Training hier ganz interessant werden könnte."
"Und? Ist es denn so interessant, wie sie es versprochen hat?"
Ich ließ mein Blick langsam über die Lichtung voller Schmanen gleiten, lächelte und nickte. "Es ist einfach unglaublich." Keith lachte auf. "Ja, so kann man es auch bezeichnen. Obwohl das, was hier praktiziert wird, noch zu den einfachen Übungen gehört. Du solltest mal Sharon sehen, wenn sie in ihrem Element ist. Oder meinen Bruder. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass er es, selbst nach all den Jahren, in denen wir zusammen hier sind, immer wieder schafft, mich mit seinen Kräften zu beeindrucken."
"Ist Logan denn sehr mächtig?", fragte ich. Keith zuckte mit den Schultern und das Lächeln seinerseits entgleiste ihm kurz für einen Augenblick. "Sagen wir es so", sagte er dann. "Er ist sehr perfektionistisch und ehrgeizig, wenn es um seine Magie geht und trainiert dementsprechend. Er ist gut. Ziemlich gut."
"Du bist aber auch nicht gerade schlecht", erwiderte ich. "Ich meine, diese Sache mit dem Löwen war total abgefahren!" "Wenn du meinst." Seine Mundwinkel zuckten automatisch wieder nach oben, als würde er sich über diese Aussage mehr als freuen. "Es ist an sich ganz simpel", erklärte er mir dann, als sei der Zauber, mit dem er soeben Easton nieder gestreckt hatte, in Wirklichkeit etwas nicht nur ansatzweise Besonderes. "Du musst einfach nur deine Willenskraft in den entsprechenden Punkten nutzen, deine innere Kraft bündeln und besagte Kraft dann eine Gestalt verpassen. Am besten die deines Totemtieres, dann funktioniert es am besten."
Natürlich. Ganz simpel.
"Dann ist dein Totem ein Löwe?" Er nickte. "In meiner Familie war es schon immer üblich, ein Raubtier als Totem zu erhalten. Meine Mum meinte immer, dass das an unserem Blutlinie liegen würde." Er schwieg einen Moment lang und ließ die Hände in die Taschen seiner Hose gleiten.
Dann sah er sich um. Nur, um festzustellen, dass Easton sich von uns abgewandt und sich in den Schatten eines großen Baumes am Rande der Lichtung zurück gezogen hatte, von wo aus er uns mit zusammengekniffenen Augen beobachtete. Neben ihm konnte ich Logan erkennen. Er saß, beide Beine von sich gestreckt, gegen den dicken Stamm gelehnt, die Augen auf ein Buch in seinem Schoß gesenkt.
Wie in einem dieser überaus kitschigen Liebesfilme, die ich so sehr verabscheute, wo der grüblerische, mysteriöse Mädchen-Schwarm nie etwas besseres zu tun hatte, als gedankenverloren in der Natur herum zu sitzen und - wahrscheinlich - poetische Bücher oder so zu lesen, um somit jedem Mädchen in seinem Umfeld den Kopf zu verdrehen. Ich rollte mit den Augen.
Keith, der diese Reaktion bemerkt haben musste, zog fragend eine Augenbraue in die Höhe, aber ich winkte bloß ab.
"Du wirst dein Totem heute Nacht erhalten, nicht wahr?", fragte er schließlich, um unser Gespräch weiter fort zu setzen. "Höchstwahrscheinlich." Ich nickte. "Solange nichts schief läuft..." "Es wird garantiert nichts dabei schief laufen", erwiderte Keith mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. "Sharon bereitet bereits seit Jahren Schamanen auf ihre Totemzeremonie vor und bisher sind ihr noch nie irgendwelche verheerenden Fehler unterlaufen, wodurch die Zeremonie nicht stattgefunden hat. Mach dir also diesbezüglich keine Sorgen."
"Wenn du es sagst." Ich strich mir eine lästige Haarsträhne aus der Stirn fort. Keith lächelte bloß aufmunternd, dann beugte er sich vor und fragte mit verschwörerischer Stimme: "Und? Hast du schon eine Vermutung bezüglich deines zukünftigenTotems?" Die Frage klang so harmlos gestellt wie möglich, überraschte mich allerdings dennoch, als ich bemerkte, wie intensiv auf einmal sein Blick wurde, als versuche er sich nun jede folgende Bewegung meinerseits genau einzuprägen. Ich zuckte bloß mit den Schultern und schüttelte nur den Kopf. "Wenn du damit auf Besonderheiten in meiner Blutlinie anspielen willst, wie bei dir mit den Raubtieren, dann nein, die habe ich nicht. Ich habe erst gestern erfahren, dass ich..." Ich zögerte einen Augenblick. "Dass ich adoptiert wurde", fuhr ich schließlich weiter fort. "Und das einzige, was ich über meine neue Blutlinie weiß, sind die Namen meiner Erzeuger. Nicht mehr und nicht weniger."
Ich kniff die Augen zusammen und musterte Keith gründlich. Seine grünen Augen betrachteten mich nach wie vor aufmerksam, schienen mich genau zu analysieren. "Hast du denn irgendeine Vermutung?", hakte ich schließlich misstrauisch nach. Keith antwortete nicht. Stattdessen sah er sich wieder um und ich linste ebenfalls über seine Schulter hinweg, nur, um zu bemerken, dass Logan seinen Blick gehoben hatte und uns beide zu beobachten schien, als verfolge er aus der Entfernung unser Gespräch im auch nur kleinsten Detail mit.
"Ich glaube, ich sollte mal besser zu ihm hinüber gehen", meinte Keith, ohne auf meine zuletzt gestellte Frage auch nur im Entferntesten einzugehen, wobei die Intensität seines Blickes augenblicklich erstarb und er nun sogar ein wenig enttäuscht auf mich wirkte. "Mein Brüderchen wünscht mich anscheinend zu sprechen." Er seufzte leise auf. "Viel Glück dir dann schon einmal für deine Zeremonie, falls wir uns bis dahin nicht mehr über den Weg laufen sollten. Ich muss jetzt los." Er warf mir einen kurzen Blick zu, dann machte er kehrt und lief eilig über die Lichtung hinweg zu Logan und Easton hinüber.
Ich sah ihm mit gerunzelter Stirn nacht.
Was sollte das denn? Warum hatte er wissen wollen, ob ich bereits eine Vermutung bezüglich meines Totems hatte? Hatte man denn normalerweise eine solche Vermutung? Und wieso hatte seine Frage so geklungen, als wisse er in Wirklichkeit bereits die Antwort, wollte sie allerdings von mir bloß noch einmal bestätigt haben?
Ich kniff nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Was wusste Keith bloß über meine Blutlinie und über mich, was ich nicht wusste? Was hatte man mir - vermutlich wissentlich - bisher verschwiegen?
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