50.
Niemand würde mir glauben. Sogar ich kaufte mir das alles hier selber nicht ab. Es war zu absurd um wahr zu sein. Hatte ich recht?
Die Tür war nicht sonderlich gut verschlossen. Mit einigem rum hantieren könnte ich locker das Schloss knacken. Gesagt, getan.
Ein Schwall von warmer, stinkender Luft prallte mir entgegen. Ich schirmte mein Gesicht erst ab, danach blickte ich unbeholfen nach unten in den kleinen, tief gelegenen Raum und suchte nach etwas Ausschlaggebendem.
"Hallo?", rief ich in das dunkle schwarz.
"Ju-June...", hörte ich ein heisernes männliches Murmeln von unten. Ich konnte den Gestank nicht länger aushalten und drehte meinen Kopf kurz zur Seite. Mein Blick fiel auf einen kleinen Schalter. Ein mulmiges Gefühl überkam mich. Es könnte alles dort unten liegen. Der Schalter könnte aber auch ein Signal an Carter weiter vermitteln, der ihm dann meinen Standpunkt verrät. Oder es könnte auch einfach garnichts passieren. Risiko, dachte ich mir nur. Das Leben würde ohne Risiken nicht lebenswert sein.
Das Licht ging spärlich an. Eine männliche Gestalt bewegte sich und schaute erschrocken hoch. Er zitterte und hatte deutlich Angst vor mir.
"Ich bin hier ebenso gefangen wie du, ich komme um zu helfen." Er wich weiter zurück, bis er an der gegenüberliegenden Wand angelangt war. Er hustete stark. Ich überlegte.
"Was kann ich machen?", fragte ich mich selber leise. Ich schaute mich um, um etwas brauchbares zu finden. Mir fiel ein, dass ich hier irgendwo in der Gegend ein kleines Lager gefunden hatte.
"Warte hier! Ich komme gleich zurück. Ich hole etwas, womit ich dich hier heraus bekomme", rief ich zu ihm runter und ging los.
"W-warte!" Sofort drehte ich mich wieder um und ging auf die kleine Tür zu.
"Bitte komm wieder!"
"Versprochen!" Nun musste ich mich noch mehr beeilen und den Weg wiederfinden.
Mit bedacht ging ich nun durch die Gänge. Ich war die ganze Zeit damit beschäftigt mir den Weg zu merken. Leichter gesagt, als getan.
Erneut vergingen Stunden, doch diesmal würde ich mit viel Mühe den Weg zurück finden. Carter war sicherlich schon wieder Zuhause und hatte die offene Tür des Kellers entdeckt.
Der Gang war neu. Ich kam an einem schmaleren und sehr renovier bedürfigen Gang an. Der Putz an den Wänden, wenn dort jemals einer gewesen ist, war zur Hälfte zerfallen. Der Boden wies riesige Bruchstücke auf. Alles in diesem Abteil war sehr vernachlässigt. Die Türen an den Seiten hörten auf, es wurde kälter.
Die Wände rückten mit jedem Schritt näher. Hier war ich absolut falsch! Mein Körper war drauf und dran wieder umzukehren, doch meine Neugierde trieb mich weiter voran. So wurde ich geboren. In meinem Leben gibt es kein 'Das geht nicht'. Von Anfang an hatte ich das Bedürfnis etwas Neues zu erleben, zu entdecken. Doch in diesem Augenblick verließ mich langsam mein Verlangen nach Abenteuer. Der Gang war nun so breit, dass ich seitwärts gerade so durch passte. Ich sollte wirklich umkehren! Es erschien endlos. Der Weg führte mich geradeaus, keine Abbiegungen oder optische Veränderungen.
Nur noch drei bis fünf Schritte und eine kleine Nische trat am Ende des Weges hervor. Aus ihr schimmerte, bei genauerem hinsehen, helles Licht. Vorsichtig legte ich meine Fingerspitzen an und drückte die Nische auf. Ein schmaler Spalt entstand und ich wurde sofort geblendet.
Die Sonnenstrahlen tanzten wie heiß brennendes Wasser auf meiner Haut, doch es war in keinster Weise unangenehm. Meine Augen gewöhnten sich langsam an das stechende Licht. Vor mir erstreckte sich ein Paradies. Ein leichter salzige Wind wehte mir durch das Gesicht. Das blaue Meer in seiner vollen Pracht, umringt von einem Waldstück und riesigen Felsen. Aber unter mir war nur das wunderschöne und zugleich gefährliche Blau. Hier war mein Ausgang, ich konnte an dem steilen Hang hinab klettern. Doch erst brauchte ich Beweise und der Mann im Keller war mein erster Zeuge, der bewahrheitete, dass meine These wahr war.
Wieder zurück! Ich nahm mir einige kleine lose Steine, die womöglich mal durch einen Sturm hier rauf gebracht wurden. Mit ihnen kehrte ich zurück und legte ich sie wie im Märchen auf den Boden, um den Rückweg in die Freiheit zu finden.
Ich versuchte mich an die einzelnen Strecken und Abzweigungen zu erinnern und gelangte später tatsächlich zu dem Raum mit den Materialien. 'Danke Orientierungssinn.'
Ich schritt hinein und suchte nach etwas brauchbarem. Ich wollte nicht wissen, wozu die ganzen Utensilien da waren, die sich in den Kisten stapelten. Nach einer geschlagenen halben Stunde wurde ich fündig. Neue Lederschnallen stachen in mein Auge. Unwillkürlich schluckte ich den Kloß in meinem Hals hinunter. Mit diesen Dingern konnte man nur seine perversen Gedanken ausleben.
Ich griff mir zwei und verschränkte sie ineinander. Zum Test, ob es wirklich hält, zog ich an beiden enden so fest und so schnell ich konnte. Sie hielten, und würden es auch, wenn ein Mann sich an ihnen hochzieht. Es war beängstigend, wenn man dachte, wozu man sie benutzen könnte. Ich verschränkte noch mehr, und später alle ineinander, sodass nach einiger Zeit ein ansehnliches Seil ähnliches Ding entstand. Ich hoffte nur, dass es reichen würde.
Ich gelang tatsächlich wieder zu der kleinen Tür zurück. Eine leichte Freude schlich sich hoch, doch sie verschwand wieder als sich mein Verstand anschaltete und ich wieder bemerkte, was ich hier eigentlich tat und wo ich gerade war. Ich bückte mich und musste erst einmal den Würgereiz runter schlucken.
"Hallo? Ich bin es wieder!" Ich brauchte keine Sekunde zu warten, bis ich ein Husten als Lebenszeichen von ihn erhielt.
"B-Bitte! Helfen s-sie mir!"
"Ich bin schon dabei! Glauben sie, sie können klettern?" Ich befestigte das eine Ende des Lederschnallenseiles an die Klinke der kleinen Tür und fixierte die Tür mit einem schweren Stein, damit sie nicht zu fiel. "Achtung!", rief ich runter und warf das andere Ende hinab.
Es hielt ihn tatsächlich aus! Den letzten Meter überbrückte er, nach etlichen Fehlversuchen, durch meine ausgestreckte Hand. Ich zog ihn hoch und wir beide fielen auf den Boden. Seine schwere Atmung zeigte mir, wie erschöpfend das alles für ihn gewesen war, und ich meinte nicht nur das hoch klettern! Er begann hysterisch zu lachen und nach Luft zu schnappen.
"Ich bin frei!", krächzte er und stand mit schlaffen Beinen auf. Ich tat es ihm gleich.
"Shhht! Wir sind hier noch nicht weg. Du musst leise sein, ich glaube er ist wieder hier! Aber ich kenne einen Ausweg. Du musst mir nur vertrauen." Er beäugte mich skeptisch, ich nahm es ihm nicht übel.
"Wer bist du und wieso hilfst du mir?"
"Alex Proof, Detective", ich zeigte ihm meine Dienstmarke, die ich immer dabei hatte, da sie mir so einiges erlaubte, was ich sonst nicht dürfte, auch außerdienstlich,"ich bin gekommen, um gegen Joel William Carter zu ermitteln." Bei meiner Aussprache dieses Namens zuckte er zusammen.
"Ich würde ja gerne noch weiter plaudern, aber wir müssen dich erst einmal hier raus schaffen. Wie ich sehe hast du sowieso keine andere Wahl als mir zu vertrauen. Ohne mich wärst du immer nicht in diesem Loch und würdest wortwörtlich in deiner eigenen Scheiße stecken!" Er verengte seine Augenbrauen, doch er nickte leicht.
Erst schmiss nahm ich mir die Lederschnallen und stopfte sie in meine Tasche. Mein weiß ja nie, wann man sie wieder gebrauchen könnte. Danach zog ich ihn an seiner Hand und folgte der Spur die ich zuvor gelegt hatte. Er folgte mir stumm und stolperte einige male. Doch wir mussten uns beeilen, wenn er wirklich wieder zurück ist. Ich hatte im Moment keine Zeit andere Überlebende zu befreien, wenn es hier überhaupt noch weitere gab.
Wir erreichten nur schwer den Hinterausgang. Wir beide waren erschöpft und hätten uns garantiert ohne die Steinen verlaufen.
"Kannst du noch?" Er verfiel in ein herzhaftes lachen.
"Sieh dir das hier an! So lange war ich hier gefangen und so lange war der Ausgang aus dieser Hölle direkt hier." Sein Lachen wurde zu einem Husten Anfall. Er lehnte sich mit einer Hand an die Felswand und mit der ändern vor den Mund. Seine gebückte Haltung und sein schmerz verzerrtes Gesicht verhießen nichts Gutes. Er nahm seine Hand von seinem Mund weg und betrachtete sie. Sein verstörter Ausdruck in den Augen und zusammen gezogenen Augenbrauen beunruhigten mich.
"Was ist los?"
"Nichts! Lass uns nur so schnell wie möglich von hier verschwinden."
Zur selben Zeit einige Kilometer entfernt:
Ich schloss meine Augen. War es jetzt mit meinem Leben vorbei? Mit einem Messer an meiner Kehle, die von meinem eigenem Bruder geführt wurde? Durch den Mann, mit dem ich aufgewachsen war? Neben dem Mann, den ich liebe? Ja. Es war jetzt vorbei. Lucas führte die klinge quälend langsam meinen entblößten Hals entlang. Ich spürte Schmerzen, große, unbeschreibliche Schmerzen. Doch es war schnell vorbei. Mir wurde kalt und mein Bewusstsein schwand...
Keuchend öffnete ich meine Augen und hielt mir meine beiden Hände an die Wunde an meinen Hals. Ich fühlte Stoff. Ein Verband? Würde ich gerettet? Es dauerte einige Zeit, bis meine Sicht klarer wurde.
"Nein, nein, nein, nein, nein... Es darf nicht wahr sein!", murmelte ich unter Tränen. Ich war immer noch an diesem Ort, doch nun lag ich auf einem harten Holzbrett, das mir wohl als Bett diente. Es war heller. Neon blaue Lichter blendeten mich. Ich schirmte mir die Augen ab, wobei mir mein anderer Verband an meiner Hand auffiel. Mein Finger! Er wurde wieder dran genäht, doch anscheinend nicht sauber. Der Verband war durchblutet. Abrupt stiegen alle Schmerzen auf einem Schlag in meinen Körper. Ich konnte einen Schrei nicht unterdrücken, sondern ließ alles mit etlichen Tränen heraus. 'Was war passiert? Bin ich gestorben? Wo ist Joel?'
Ich traute mich nicht mich zu bewegen, geschweige denn aufzustehen. Bald hörte ich Schritte die lauter wurden, knarzendes Holz. Ich blieb erstarrt. Mir konnte nichts schlimmeres im Moment passieren, als schon geschehen war. Was hatte ich in meinem Leben falsch gemacht, dass ich so endete? Mir war egal was mir meine Zukunft brachte, ich wollte nur meine Fehler in meiner Vergangenheit verstehen. Doch ich fand keinen vernünftigen Grund. Der Hauptgrund war, dass ich so aussah, wie ich eben aussah.
Lucas kam hinter einem Gestell, auf das ein Tuch hing und mir die Sicht auf dass, was dahinter lag verdeckte, vor. Er trug in einer Hand ein Glas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Ich bezweifelte, dass es Wasser war.
"Wie geht's uns denn so, Schwesterherz?" Er setzte sich auf einen Hocker neben dem erhöhten Brett auf dem ich lag und streckte mir das Glas entgegen.
"Ach stimmt ja, du kannst es ja jetzt nicht mehr halten. Lass mich dir helfen", wenn man eine Emotion in seinem Gesicht entdecken wurde, dann wahr es wohl Schadenfreude. Aber nur ein bisschen. Der Rest bestand aus blanker Wut.
"Weshalb lebe ich noch?"
"Shhht, du darfst nicht reden, wenn du noch weiter Leben willst. Und ich weiß, dass du es tust! Also hier, trink." Ich betrachtete ihn Misstrauisch. Seine Stimme passte nicht zu seinem erscheinen. Er streckte das Glas vor meinen Mund.
"Ich sagte trink! Es ist nichts, drin. Es ist pures Wasser!" Er führte das Glas dichter an meine Lippen und hielt meine Nase fest, sodass ich durch meinen Mund atmen musste. Den Moment nutzte er aus um mir den Inhalt des Glases hinein zu kippen. Ich schluckte gegen meinen Willen. Meine Kehle brannte, ich war erneut den Tränen nahe. Lucas ließ mich los und stolperte herzhaft lachend nach hinten.
"Was war da drin?" Ich erschrak mich an der Stimme, die aus meinem Mund kam. Es war ein raues krächzen, ich erkannte sie nicht wieder.
"Tequila." Entsetzt schaute ich ihn an. "Ich hab dich angelogen Schwesterchen! Gewöhnt dich lieber daran. Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Einmalig. Darauf hab ich schon so lange gewartet. Schon so lange", die letzten Sätze flüsterte er nur noch und setzte sich wieder auf den Hocker.
"Du lebst, da ich es so will. Ich bin noch nicht fertig mit dir. So einen schnellen Tod möchte ich dir nicht gönnen, vor allem, nachdem du mich im Auto hast verrecken lassen wollen. So einen Tod bekommst du nicht. Du wirst nicht in Ehre sterben, so wie es deine, nein, ich meine unsere Eltern getan haben. Ich hätte sie lieber so umbringen sollen, wie ich dich töte. Langsam, aber präzise. Erst deine große Liebe vor deinen Augen, durch deine eigene Hand sterben lassen. Erst dann, aber bis dahin wird es noch lange dauern."
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