
43. Erwachen
Mein Lachen wurde größer. Fast hätte ich sie verloren. Vor lauter Erleichterung nahm ich ihr Gesicht in meine groben, blutigen Hände und küsste sie drängend. Meine Lippen bewegten sich automatisch, obwohl ich keine Erwiderung erwartete. Die roten Spuren, die meine Hände hinterließen, bildeten einen wunderschönen Kontrast zu ihrer blassen Haut. Ihre Augenlider zuckten leicht zusammen. Ich spürte ihren leichten Atem auf meinem Gesicht. Ich schloss meine Augen und genoss diesen stillen Moment. Doch etwas stimmte nicht. Von einer zur anderen Sekunde fühlte sich etwas komisch, dennoch angenehm an. Ihre Lippen bewegten sich, erst leicht, danach stärker, synchron zu meinen. Ich öffnete positiv geschockt meine Augen und blickte in ihr Antlitz. Ihre Augen waren zwar immer noch geschlossen, aber sie grinste leicht in den Kuss hinein. Der Kuss wurde leidenschaftlicher und intensiver. Es war der perfekte Kuss. So viele Emotionen waren mit ihm verbunden. Dieses Grinsen wuchs von Sekunde zur Sekunde und ließ mich ebenfalls lächeln. Ich legte meine Stirn auf ihre und lachte auf. Sie tat es mir gleich und öffnete vorsichtig ihre Augen, als hätte sie angst zu sehen, was die Realität verbirgt. Ich blickte in ihre gewohnten Smaragd grünen Augen und war überglücklich. Als sie in meine blickte, leuchtete in ihrer Iris ein loderndes Feuer nach verlangen auf, jedoch so kurz, dass man es fast nicht bemerkte. Danach nahmen ihre Augen die vertraute Ausdruckslosigkeit an und wirkten stumpf. Ich war enttäuscht und traurig. Ich dachte, ich hätte sie jetzt so weit, dass sie mir vertraute und ihre Liebe endlich gestand. Doch ich lag wohl erneut falsch. Ich versuchte mir meine Desillusionierung nicht anmerken zu lassen und grinste weiter. "Schön dich wieder bei mir zu haben", erklärte ich sanft im flüsterton. Ich löste mich von ihr, als sie ihren Blick von mir abwandte. "Hast du schmerzen?", sie drehte ihren Kopf in die andere Seite und nickte zustimmend kurz. Sie wollte mein Gesicht nicht sehen.
Ich wollte sein Gesicht nicht sehen, drehte meinen Kopf weg von ihm und nickte. Nach einigen kurzen Momenten hörte ich die Tür zuschlagen. Ich war wieder in der bitteren Realität. Ich drückte meine Augen fest zu und öffnete sie. Dies war kein Traum, eindeutig. Niemals werde ich diesen Ausdruck von seinen Augen vergessen, als wir uns das erste mal begegneten. Diese, vor Lust, Verlangen und Begierde trotzenden, dunkelbraunen Augen. Ich erinnere mich exakt daran, wie ich hilflos in einem Bett lag und er mir so nah war, genauso wie vor einigen Minuten. Die selben Augen, die selbe Ausstrahlung, der selbe Mann. Manchmal dachte ich, er hätte sich mir gegenüber verändert, doch kaum verhärtete sich dieser Gedanke, wird er auch wieder zerstört von weiteren kranken und unaussprechlich grausamen Taten. 'Er ist ein Psychopath und ich könnte nichts daran ändern. Er wird für immer gefallen daran haben die Macht über einen Menschen zu besitzen und ihn zu verletzen. Dieses Spielchen wird er bis zu seinem Lebensende spielen. Joel wird auch niemals soziale Emotionen, wie Mitgefühl oder Reue, entwickeln und immer versuchen andere zu manipulieren. Sehr wahrscheinlich besitzt er sogar eine Persönlichkeitsstörung.' Meine Gedanken wurden von ihm gestört. Er kam in das Zimmer mit einem Tablett. Als er sich zu mir an das Bett setzte, sah ich was drauf lag. Als erstes reichte er mir eine Tablette mit einem Glas Wasser. Misstrauisch setzte ich die Tablette an meinen Mund. "Keine Angst, ist nur gegen deine Schmerzen. Ich werde dich noch nicht vergiften." Ich musterte ihn genauer, nur schlecht, dass ich nicht gerade gut darin war Menschen zu deuten. "Du sagst mir andauernd, dass ich keine Angst vor dir haben müsste, doch deine Taten und deine Art widerlegen deine Aussage." Ohne auf seine Antwort zu warten, nahm ich die Tablette in den Mund und trank mit großzügigen Schlücken das Glas aus. Es wäre mir egal, wenn er mich vergiften würde. Joel wurde mich damit erlösen, oder Alles nur noch schlimmer machen. Er nahm das Infusions Besteck und machte die Spitze der Nadel frei. Nachdem er meinen Arm zu sich zog, setzte er an. "Falsch!", meinte ich monoton. Joel schaute mich verwirrt an. "Du musst die Nadel tiefer setzen", korrigierte ich ihn und zeigte mit meiner anderen Hand auf die richtige Stelle. Er machte wieder weiter. "Wie weit warst du eigentlich mit deinem Medizinstudium?", fragte er, während er die Infusion richtig positionierte. Ich schaute auf den Boden. "Ich war mittendrin. Ich war in meinem dritten Studienjahr. Einige Prüfungen standen an, die ich locker geschafft hätte." Eine Stumme Träne schaffte es aus meinem Auge, doch ich wischte sie sofort weg, bevor sie es zu meiner Wange schaffte. Ich hatte extrem viel für dieses Studium gearbeitet, und wofür? Alles, was ich mir in meinem eher ruhigen Leben aufgebaut hatte, war umsonst. Joel sagte nichts dazu.
"Ich habe uns für heute einen schönen Tag geplant", sprach Joel, doch seine Stimmlage und Stimmung sank drastisch. Er klang eher abweisend. Ich blieb still. "Ich tragen dich gleich nach oben. Alles was du tun musst, ist einfach nur in meiner Gegenwart bleiben und dieses bezaubernde Mädchen zu bleiben, in das ich mich verliebt hab." Seine Worte jagten Schauer über meinen Rücken. Ich befürchtete das schlimmste. Vielleicht wollte er mich nur testen und womöglich wäre das nur eine weitere Prüfung um Leben und Tod.
"Ich muss kurz noch etwas erledigen. Versuch dich währenddessen auszuruhen." Ich schritt hinaus. Sophie lag weiterhin auf dem Boden, doch diesmal war sie bewusstlos. Mit einem ruck beförderte ich sie auf meine Schulter. Ihr Blut lief über meinen nackten Rücken, doch dass machte mir nichts im geringsten was aus. Im Gegenteil. Ich liebte die Wärme, die etwas dickflüssige Konsistenz, den Geruch, den Geschmack, die Bedeutung und die Farbe rot. Sie war meine Lieblingsfarbe. Ein tiefes, blutiges Bordeaux.
Ich könnte Sophie niemals, in June's jetzigem Zustand, in das selbe Zimmer wie sie bringen. June wurde sich aufregen und dafür war sie eindeutig noch zu schwach. 'Am besten wäre, ich würde sie zu dem Bastard in die Zelle sperren, doch das wäre ein großer Fehler. Sie sollten in der Zelle Einsamkeit entwickeln und die Hoffnung verlieren. Sonst hätten sie ja noch sich, und so sind sie auf sich allein gestellt und haben niemanden.' Ich konnte mich noch gut an meine Zeit in dieser Zelle der Verzweiflung erinnern. Dass man da den Willen zu Leben und zu kämpfen nicht verliert, wäre unmöglich. Da wäre die Chance größer, dass June sich in mich verlieben würde. Gegen den Tausch für June's Liebe würde ich fast alles auf mich nehmen. "Wohin willst du Sophie?", fragte ich, als ich leichte Bewegungen an meinem Rücken spürte. Einige male hustete sie, bevor sie sprechen konnte. "Nach hause", antwortete sie schwach. "Es gibt für dich kein Zuhause mehr. Du bist vollkommen allein und niemand wird dir helfen. Du wirst schmerzhaft hier sterben und von einem 'Zuhause' träumen, dass es garnicht gibt. Du denkst es wäre dein Zuhause, aber ehe du dich versiehst, landest du in der Hölle." Manchmal dachte ich, dass ich bei solchen Sätzen eher zu mir selbst spreche als mit meinen Zeitvertreibern. Den selben Satz hatte mir Aiden damals, als ich ein Kind war, immer wieder zu geflüstert. Das schlimme an der Sache war, dass er damit Recht hatte.
Ich blieb stehen und dachte nach. "Du wirst wohl oder übel auf dem Boden schlafen müssen, ich habe nämlich keinen Platz für dich." Gelogen. Ich hatte mehr als genug Platz, doch ich wollte ihn nicht an ihr vergeuden. 'Wer weiß, vielleicht passiert ja noch etwas interresamtes.' "Bitte", bettelte sie. "Bitte? Was meinst du damit? Ich gebe dir doch alles was du brauchst. Was willst du denn noch?" Es war eine Falle. Egal was sie sagen würde, ich könnte es gegen sie verwenden und meinen letzten Spaß mit ihr haben. 'Heute bin ich ausnahmsweise mal nicht gut gelaunt. Doch dass sollte sie nicht merken.' Ich setzte mein wirklich gut gespieltes Lächeln auf, mein standart Lächeln. Sie wurde still und senkte den Kopf. 'Irgendetwas stimmt mit ihr nicht.' "Weißt du was, ich bring dich einfach in ein, noch nicht fertig renoviertes, Gästezimmer", seufzte ich genervt und ging los.
Mein Magen knurrte. Es war Zeit zu frühstücken. In der Küche angekommen, bereitete ich eine leichte Suppe für June vor. Auch wenn sie immer noch schwer verletzt ist, sie sollte etwas essen. 'Ich will ja nicht, dass mein Schatz noch wegen Hunger weg kippt.' Ich stellte die Suppe, einen Apfel und ein Glas Wasser auf ein Frühstücksbrett und ging erneut hinab in den Keller. Als ich vor ihrer Tür angekommen war hörte ich ihre liebliche Stimme Summen. Meine Augen weiteten sich. Sie sang das Lied, dass ich ihr vorgesungen hatte. 'Hat sie mich etwa gehört, oder ist das Zufall.' Mit meinem Ellenbogen betätigte ich die Türklinke und drückte mit meinem Rücken die Tür auf. June verstummte abrupt. "Sing ruhig weiter mein Schatz, ich bringe dir Frühstück ans Bett." June wand ihren Blick von mir ab. Es tat mir jedesmal aufs neue weh, wenn sie dies tat. "Komm schon sieh mich wenigstens an." Keine Reaktion. "Da kümmere ich mich schon überfürsorglich um dich und du strafst mich mit schweigen. Wenigstens etwas Dankbarkeit könntest du mir entgegenbringen." Nichts, schon wieder Stille. Ich setzte mich auf den Stuhl und stellte das Essen vor sie hin. "Guten Appetit", wünschte ich ihr, doch sie wagte es nicht einmal das Essen anzuschauen, geschweige denn zu essen. "Entweder isst du selber, oder ich muss dich füttern." Ihr Schweigen deutete ich als die zweite Möglichkeit. Ich setzte mich neben ihr auf das Bett und kuschelte mich an sie. Sie zog ihre Schulter etwas zurück, doch ich rückte weiterhin näher an sie. Sie war eiskalt. Ich nahm den Löffel in die Hand und füllte ihn mit der kochendheißen Suppe. Als erstes führte ich ihn vor meinen Mund und pustete, danach hielt ich ihn vor ihren. "Aufmachen!", befahl ich ihr. Ihr Blick ging stur gerade aus auf die Tür. "Dann eben so." Ich hielt ihr mit der anderen Hand die Nase zu, sodass sie mit dem Mund Luft holen sollte. Doch das tat sie nicht. Sie war schlau und atmete durch ihren Mundwinkel. Ich seufzte erschöpft laut und legte den Löffel beiseite. Das Brett stellte ich auf den Boden, damit ich Platz hatte mich über sie zu beugen. Ich stützte mich mit den Unterarmen ab und lehnte mich nach vorn, sodass zwischen unseren Gesichtern nur wenige Zentimeter herrschten. "Ich kann auch andere Geschütze aufziehen June Blair." Ich schloss meine Augen und machte mich auf den folgenden Kuss bereit, doch etwas drängte sich zwischen uns. Ich schaute auf ihre Hand, die mich davon abhielt sie zu küssen. "Vorhin hat es dir noch gefallen und wenn ich etwas will, bekomme ich es auch." Ich hielt ihr Handgelenk grob fest und schob es hinunter. Mit einer schnellen Bewegung landeten meine Lippen auf ihren. Sie presste ihre Lippen zusammen, doch ich schaffte es immer wieder nur durch meine Zunge die Dominanz zu erlangen. Ich drängte sie und übernahm die komplette Kontrolle. June wand ihren Kopf hin und her, doch ich drückte sie gegen die Wand. Sie biss mir auf die Zunge. Ich zog mich zurück und lachte belustigt auf. "Ich steh drauf, wenn du das machst." Ich schmeckte schob, wie sich warmes Blut auf meiner Zunge verteilte. Provozierend leckte ich mir über die Lippen und ließ sie ebenfalls rot werden. Ich hielt ihren Kopf fest und drückte ihr kurz einige blutigen Lippenabdrücke auf ihre Wange. Vorsichtig streifte ich mit meinem Mund über ihre Haut und blieb am Nacken stehen. Ich übersäte sie mit Knutschflecken, die wahrscheinlich nicht so schnell weggehen würden. Als ein kleines stöhnen ihren Mund verließ richtete ich mich gewinnend auf und grinste sie schelmisch an. "Ich hab gewonnen", beschloss ich glücklich. "Ich kann mich nicht daran erinnern eine Wette oder etwas ähnliches mit dir abgeschlossen zu haben", erklärte sie trotzig. "Oh, du redest wieder mit mir. Ich glaub, dass muss ich öfter machen. June, merk dir eins, das ganze Leben, dass du hier führst ist ein Spiel und bis jetzt habe ich jedes gewonnen. Ich habe auch nicht vor zu verlieren." "Das wirst du aber. Dafür werde ich sorgen!", meinte sie provozierend. Meiner Kehle entrann sich ein dunkles knurren zu einem Kontrast mit meinem gefährlichen Grinsen. "Das wollen wir doch mal sehen", forderte ich sie heraus. Sie zog ein gelangweiltes Gesicht. Genervt setzte ich mich wieder dicht neben sie und wartete auf irgendein Lebenszeichen von ihr. "Sollen wir uns einen Film anschauen?", fragte ich voller Enthusiasmus. Ich ließ nicht nach. "Vielleicht einen den ich selbst gedreht habe. Er dauert auch nicht lang", versicherte ich ihr und richtete mich auf. "Leg deine Arme um mich, ich trage dich." June tat es nicht. Sie tat rein garnichts. Ich verdrehte meine Augen und glitt mit meinen Händen unter sie, um sie anzuheben. "Leg deine Arme um mich, sonst kann ich die Infusion nicht mitnehmen." Ich wartete ungeduldig. "June, leg deine Arme um mich", befahl ich ihr strenger. Ich war mit meinen Nerven am ende. "Wenn du deine Arme nicht sofort um mich legst, dann werde ich deinen Bruder vor deinen Augen emotionslos und langsam umbringen. Ich werde ihn wie den letzten Müll behandeln." Ihre Augen waren der Leere verfallen. Vorsichtig hob ich sie hoch und versuchte die Infusion in die Finger zu bekommen. "Du machst mir mein Leben echt nicht leicht, weißt du das!" Ich trat mir ihr aus dem Zimmer. "Können wir zum Flügel gehen?", flüsterte sie fast schon ängstlich. Ich lächelte, sie war gerade wirklich süß. "Natürlich, für dich tue ich doch schon fast alles." Ich brachte sie weiter in das Labyrinth des Kellers hinein. Erschöpft legte sie ihren Kopf auf meine Brust. "Leg deine Arme um mich", wiederholte ich sanft und zu meiner Verwunderung tat sie es, zwar zögerlich, aber sie tat es.
Ich hörte sein Herz an meinem Ohr klopfen. Es war regelmäßig und beruhigend. Ich schloss meine Augen und zählte seine Herzschläge mit. Joel hielt an. "Würdest du...", sagte er und deutete mit einem nicken mit seinem Kopf zu einer vergoldeten Tür. Erst jetzt viel mir auf, dass er diesen Teil des Kellers besonders edel renoviert hat. Wieso? Ich öffnete die goldene Tür. Mir stockte der Atem. Der Flügel war auf hochglanzpoliert und stand mitten im Raum auf einer erhöhten Fläche. Ein roter Teppich zierte den Boden unter dem Flügel, sodass es noch mehr hervor stach. Sonst war der Raum leer, bis auf eine Gitarre, die an der Wand gelehnt in die in der Ecke stand. "Spielst du mir was vor?", fragte er mich als er mich auf den Klavierhocker absetzte. Ich lief rot an. "Ich schlage dir einen Deal vor", fing ich an. "Nur zu." Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Ich werde dir ein Lied deiner Wahl vorspielen und dafür lässt du die beiden Mädchen gehen." Er schien kurz zu überlegen, doch nickte anschließend. 'Wow, dass hätte ich jetzt nicht gedacht.'
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