Remus
Kapitel 7
Remus
Harry James Potter war sich sicher in seinem Leben schon so viel erlebt zu haben, dass ihm nichts und niemand mehr überraschen könnte. Von Verrätern über Verbündete bis hin zu wahren Märchen und (Nah-)Toderfahrungen hatte er alles erlebt, also ja: Er war sich sicher.
Jedenfalls bis zu dem Moment, als er eigentlich seine Kinder begrüßen wollte und stattdessen in das leichenblasse Gesicht seines Teenager-Vaters starrte.
Von all den Dingen, die man in solchen Momenten sicher sagen oder denken konnte fiel ihm allerdings nur eins ein: James Sirius Potter, du bist sowas von erledigt.
Vielleicht war es ja unfair sofort seinen Erstgeborenen zu verdächtigen, aber wie Ginny so oft zu sagen pflegte: „Du kannst kein Kind James Sirius Potter nennen und dann erwarten, dass er sich nicht auch wie einer benimmt."
Leider musste Harry ihr da zähneknirschend rechtgeben und manchmal, ja manchmal wünschte er sich schon seinem Sohn einen Namen gegeben zu haben, der nicht mit lauter, kreischender Stimme UNHEIL schrie.
Und genau in diesem Moment, als Harry nun also seine Eltern und ihre Freunde vor sich sah, da wusste er sofort wer der Übeltäter war: James.
Doch auch wenn er wütend war wie schon sehr lange nicht mehr, verrauchte doch jedwede Spur davon als sein Blick durchs Wohnzimmer glitt und an Teddys blassem, geschockten Gesicht hängen blieb. Was auch immer er selbst in diesem Augenblick empfinden mochte, er wusste, dass es für seinen Patensohn um ein vielfaches schlimmer war. Als er seine Eltern das erste Mal begegnet war, war er vorbereitet gewesen, hatte gewusst was auf ihn zukam und trotzdem hatte ihn der Anblick seiner toten Eltern getroffen wie ein Schlag ins Gesicht. Wie mochte es da erst Teddy gehen, der anscheinend keine Warnung, keine Vorbereitungszeit gehabt hatte?
In diesem Moment begriff Harry, dass er jetzt nicht wütend oder panisch werden durfte. Er war kein kleiner Junge mehr, der zu Dumbledore laufen konnte, wenn er Hilfe brauchte. Nein, heute war ER derjenige, den die anderen um Hilfe, Rat und Antworten baten. Also holte er tief Luft, wappnete sich für das was kam, trat vollends in den Raum und sagte: „Etwas mehr als 20 Jahre."
HPHPHPHPHPHPHP
Remus rannte. Wohin war ihm egal. Nur rennen, rennen, nichts anderes tun oder denken. In Bewegung bleiben war alles was zählte. Als er das Haus verließ fand er sich auf einer langen Auffahrt wieder, links und rechts von Rasen gesäumt.
Wohin? Völlig egal, nur weg.
„Remus!", hörte er eine helle Stimme rufen, doch er reagierte nicht... antwortete nicht... stoppte nicht. Nur weiter rennen.
„Remus, Schätzchen, komm schon!", drangen die Worte der Frauenstimme durch den dichten Nebel aus Schock und Panik in Remus' Bewusstsein und endlich blieb er stehen.
Schätzchen? Wer würde ihn denn Schätzchen nennen?
„Remus, zwing mich nicht dich holen zu kommen!", erklang die nun autoritäre, bestimmende Stimme erneut. Aber sie kam nicht von hinten, nicht aus dem Haus. Sie war vor ihm, auf dem Weg.
Wie angewurzelt stand Remus da. Was ging hier vor? Konnte dieser Tag denn noch verrückter, noch schlimmer werden? Wenige Meter vor ihm machte der Weg eine Biegung und als Remus vorsichtig um die Kurve spähte, sah er das Profil einer jungen Frau mit silbrig blonden, langen Haaren, unwirklich schönem Gesicht und einem unübersehbaren Babybauch.
„Remus! Ich zähl jetzt bis drei. Eins... zwei...", kurz bevor sie auch noch „drei" sagen konnte kam ein jemand wie ein kleiner roter Blitz auf sie zugeschossen und blieb fröhlich kichernd knapp vor ihr stehen.
Remus stockte der Atem, als er den kleinen Jungen sah, der nur wenige Meter von ihm entfernt stand. Er schätze ihn auf ungefähr zwei Jahre, mit feuerrotem Haar und was ihn am meisten erschreckte: Der Kleine hatte eine ungemeine Ähnlichkeit mit Teddy während seiner Zeit in Hogwarts.
„Na geht doch.", bemerkte die Frau, die augenscheinlich die Mutter des Jungen war, legte ihm eine Hand auf den Kopf und drehte sich vollends um, wobei sie dann auch Remus bemerkte.
„Oh hi", rief sie fröhlich, „Ich hab dich da gar nicht gesehen. Bist du ein Freund von James oder Albus?"
„James.", antwortete Remus mit heiserer Stimme ohne überhaupt darüber nachzudenken. Erst danach kam ihm der Gedanke, dass sie wahrscheinlich Jas gemeint hatte.
„Ok, ich bin Victoire", fuhr sie unbeirrt fort und streckte ihm ihre Hand entgegen, „Victoire Lupin. Und du?"
Remus spürte, wie er in hysterisches Lachen auszubrechen drohte, als sie ihren Namen sagte. Victoire Lupin? Remus wurde wahnsinnig, da war er sich jetzt absolut sicher. Diese ganze Situation, diese Geschichte war einfach unmöglich! Nichts machte einen Sinn, es musste ein Scherz sein. Ein grausamer, schrecklicher Scherz. Oder er hatte tatsächlich den Verstand verloren. So einfach war das.
Victoire blickte ihn erwartungsvoll an, auch der Junge, der sich jetzt mit Schnuller im Mund an ihr Bein klammerte und ihn aus großen, kindlichen Augen an sah, doch Remus konnte nichts sagen, konnte und wollte sich nicht bewegen.
Dann plötzlich spürte er wie jemand ihm eine Hand auf die Schulter legte und Harrisons tiefe Stimme sagte: „Victoire, was für eine freudige Überraschung."
„Onkel Harry! Ich dachte nicht, dass du schon wieder da wärst.", und mit einem letzten neugierigen Blick in Remus' Richtung ging sie an ihm vorbei und umarmte Harrison so gut es ihr enormer Bauch zuließ.
„Kleine Planänderung.", war Harrisons wage Antwort, „Aber was treibt dich hierher?"
„Ich habe vorhin eine ziemlich eigenartige Nachricht bekommen, dass Teddy heute hier bleiben würde und ich mir keine Sorgen machen soll. Natürlich hat das das genaue Gegenteil bewirkt.", erwiderte Victoire stirnrunzelnd, „Neuerdings traut man mir ja nichts mehr zu, dem schwangeren kleinen Frauchen. Sagt ihr nicht, sonst macht sie sich bloß Sorgen. Findet ihr einen Babysitter für ihren Sohn, damit sie nicht so gestresst wird. Ehrlich mal, ich bin doch nicht krank!"
„Natürlich nicht.", schmunzelte Harrison, „Also hast du kurzerhand beschlossen mal nach dem Rechten zu sehen."
„Diese Nachricht schrie ja praktisch nach Schwierigkeiten und ich kenne meine Familie.", entgegnete Victoire knapp, wobei sie Remus erneut einen neugierigen und leicht misstrauischen Seitenblick zuwarf.
Harrison seufzte erneut schwer und meinte: „Vielleicht ist es wirklich gut, dass du da bist. Ich bin sicher, dass Teddy dich jetzt gut gebrauchen könnte."
„Stimmt etwas nicht? Geht es allen gut?", die Panik in ihrer Stimme war unüberhörbar.
„Es geht allen gut, mach dir keine Sorgen. Es ist nur etwas passiert, dass... nun ja... unerwartet war."
Victoire überlegte nicht lange, sondern ergriff die Hand ihres Sohnes und ging Richtung Haus. Remus blieb mit Harrisons allein zurück. Niemand sprach, die stille war erdrückend und beruhigend zugleich.
„Der Kleine heißt wie ich.", sprach Remus den Gedanken aus, der ihm am meisten zu schaffen machte, „Wer nennt denn ein Kind nach jemandem wie mir?"
„Ein stolzer Sohn?", schlug Harrison leise vor.
„Stolz? Auf mich? Für mich kann man sich nur schämen!", antwortete Remus hitzig. Plötzlich spürte er Wut in sich aufsteigen. Wut über seine Situation, seine Krankheit, seine Zukunft, seinen Tod.
Zu seiner großen Überraschung begann Harrison beinahe träumerisch zu lächeln.
„Das habe ich schon mal von dir gehört. Vor gut 25 Jahren, als du mir erzählt hast, dass deine Frau schwanger war. Ich weiß noch, dass meine beste Freundin sagte, dass es Unsinn sei und kein Kind sich jemals für einen Vater wie dich schämen könnte."
„Dann wollte ich ihn also nicht? Teddy meine ich.", fragte Remus mit schwacher Stimme.
„Ehrlich gesagt weiß ich das nicht, aber ich weiß, dass ich dich nie glücklicher gesehen habe, als an dem Tag, an dem Teddy geboren wurde."
„Ich werde sterben.", wisperte Remus und blickte zum ersten Mal auf. Hoffnungsvoll, flehend sah er in Harrison Augen. Bitte, dachte er, bitte sag, dass es nicht wahr ist. Bitte sag, dass ich das alles falsch verstanden habe.
„Ja.", kam Harrisons leise, mitleidige Antwort, „Es tut mir so leid, Remus. Mehr als ich dir jemals sagen kann."
Doch Remus hörte ihn kaum noch, er spürte Tränen in seinen Augenwinkeln brennen. Er würde sterben, genau wie seine Frau, von der er noch nicht einmal wusste, wer sie war. Aber sie musste ihn wirklich geliebt haben, um seiner selbst willen und ohne sich von seiner schrecklichen Krankheit abschrecken zu lassen. Die Tränen liefen ihm jetzt frei über Gesicht und normalerweise wäre es ihm peinlich gewesen, doch jetzt und hier war ihm all das egal. Es war nicht mehr wichtig, nichts war mehr wichtig. Er weinte um all das, was in seinem Leben schon schief gelaufen war und all das, was noch geschehen würde, um die schreckliche Ohnmacht, die er sein ganzes Leben lang gefühlt hatte. Jeden Monat verwandelte er sich und konnte nichts dagegen tun, er wurde in eine Schublade gepresst, seine Zukunft fremdbestimmt und auch dagegen konnte er nichts tun. Und jetzt? Jetzt erfuhr er, dass er auch das kleinste bisschen Glück, das er vielleicht eines Tages finden würde auch wieder verlieren musste. Und wieder konnte er nichts dagegen tun.
Irgendwo am Rande seines Bewusstseins nahm er war, dass Harrison ihn in den Arm genommen hatte und ihm beruhigend über den Rücken strich, doch das machte alles nur noch schlimmer. Er sollte nicht hier sein, in der Zukunft... Hier sein und sich von einem Mann trösten lassen, den er kaum kannte, der aber ihn kannte. Einen Mann, der ihm offensichtlich so viel bedeutet hatte, dass er ihm zum Paten seines Sohnes gemacht hatte. Einem Mann, der der Sohn seiner besten Freunde war. Ein Mann, der eigentlich noch überhaupt nicht geboren war.
Also weinte Remus. Weinte bis keine Tränen mehr in ihm waren. Weinte bis er vor Erschöpfung in sich zusammensackte und Harrison ihn auffangen musste. Weinte und weinte. Wie lange genau wusste er nicht. Er sah nichts, hörte nichts, dachte nichts. Nur die Verzweiflung und Ohnmacht, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatten existierten noch. Sie und der Mann, der ihn noch immer festhielt.
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