Kapitel 1 - Leviathan - Auf der Flucht
Leviathan hasste es auf Bäumen schlafen zu müssen.
An diesem Morgen schmerzte sein Rücken und sein Körper war steif wie immer.
Das Trommeln auf dem Blätterdach über ihm hatte ihm aus dem Schlaf geholt.
Er zog seinen Pullover enger um seine Schultern.
Trotz der Jahreszeit waren die Nächte ziemlich kühl und es regnete viel.
Mit einem Blick auf sein Handgelenk stellte der Junge fest, dass es erst sechs Uhr morgen war.
Wirklich?
Das konnte doch nicht wahr sein.
Er gähnte und schloss noch einmal die Augen.
Das Trommeln über seinem Kopf nahm zu und die Kälte kroch auch immer näher an ihn heran.
Es hatte keinen Zweck mehr.
Seufzend schlug er seine Augen wieder auf.
Schlaf würde er vermutlich keinen mehr finden.
Er griff mit seiner Hand in den Schlafsack und zog den Rucksack, der sich dort an seine Beine drückte, heraus.
Als erstes nahm er die Trinkflasche hervor und ließ das noch leicht warme Wasser seine trockene Kehle herunter rinnen.
Viel war es nicht mehr.
Nach wenigen Schlücken war Schluss.
Na ganz toll.
Er legte die Flasche zurück und nahm an ihrer Stelle die Dose mit seinen Vorräten hervor.
Auch fast leer.
Noch eine Banane und ein Brötchen hatte er übrig.
Er würde nicht darum kommen, sich heute wieder etwas zu essen zu besorgen.
Seufzend verspeiste er das letzte bisschen dieses kargen Frühstücks.
Sein Körper fühlte sich kaum besser.
Kalt war es immer noch und wirklich gut ging es ihm bei weitem nicht.
Levin beschloss seinen Schlafplatz zu verlassen.
Er würde die kleine Quelle in der Nähe suchen und dort seine Wasservorräte auffüllen, alles weitere konnte er sich dann überlegen.
Nachdem er alle Sachen wieder in seinem Rucksack verstaut hatte, griff zu dem Gürtel, der ihn auf dem Baum hielt und löste ihn.
Vorsichtig kletterte aus seinem Schlafsack heraus und stopfte diesen ebenfalls in den Rucksack.
Der Gürtel fand den Weg zurück um seine Hose.
Das müsste alles sein.
Jetzt musste er nur noch irgendwie von diesem Baum herunter kommen.
Ein Blick nach unten verriet ihm, dass er höher als gedacht saß.
Warum war er gestern Abend soweit nach oben geklettert?
Immerhin dort waren kleine Äste, auf der sich stellen und an denen er sich festhalten konnte.
Sein Rucksack landete mit Schwung auf seinem Rücken.
Ein Schmerz durchzuckte ihn.
Die Trinkflasche hatte die erst frisch verheilte Wunde auf seinem Rück getroffen.
Er atmete mehrmals scharf aus, bevor es wieder erträglich wurde.
Dann setzte er den ersten Fuß nach unten und begann den Baum herabzuklettern.
Levin schaffte es heil zu der nahen Quelle zu gelangen.
Hier legte er seinen Rucksack ab und kniete sich ans Ufer.
Das Wasser war klar.
Er betrachtete den jungen Mann, der ihm entgegenblickte.
Seine sonst rundes Gesicht wirkte ungewohnt schmal und seine braunen Locken hingegen schlaff an seinem Kopf herunter.
Nur eine Sache war unverändert.
Seine dunklen türkisfarbenen Augen strahlten wie gewohnt weiter.
Er hatte seinen Lebenswillen noch nicht verloren.
Irgendwann würde er jemanden finden der ihn aufnahm oder wenn er wieder genügend Geld hatte, könnte er nach Amerika, zu Sia.
Bei ihr war es jetzt halb zwei Uhr nachts, ob sie noch wach war?
Er zog seinen Teil des verzauberten Spiegels aus seiner Bauchtasche.
"Si, bist du noch wach?"
"Mon dieu Lee, es ist halb zwei. Was willst du um diese Uhrzeit von mir?" Ein verschlafenes Gesicht kam in sein Blickfeld.
Er grinste: "Ich wollte den Morgen nicht beginnen, ohne mich von dir vollmotzen zu lassen," er machte eine Pause, "und ich habe dich vermisst."
Sia fing an zu lächeln: "Alles andere hätte mich auch gewundert. Du warst schließlich schon immer so nervig anhänglich."
Er schüttelte den Kopf: "Mensch Si, du bist unmöglich."
"Und doch bin es immer noch ich, die zu jeder Zeit erreichbar für dich sein muss. Aber jetzt erzähl, wie sieht es bei dir aus?" Erwartungsvoll schaute sie ihn an.
"Mir geht es soweit ganz gut, nur meine Vorräte sind seit gut zehn Minuten alle und ich muss mir irgendwo etwas neues besorgen."
Ein schelmisches Grinsen trat auf das Gesicht seiner besten Freundin: "Da kann ich dir vielleicht weiter helfen, aber du musst mir etwas versprechen Lee."
"Natürlich, was immer du möchtest," er stimmte sofort zu.
Ein etwas ernsterer Ausdruck trat auf ihr Gesicht: "Versprich mir, dass du alles versuchen wirst, um möglichst schnell zu mir zu kommen. Ohne dich ist es furchtbar hier."
Natürlich würde er das tun: "Aber Si, du weißt doch, dass ich alles dafür tun werden, sobald ich eine Möglichkeit gefunden habe, nicht alles Geld für Essen oder dergleichen zu benötigen."
Sie nickte: "Okay, dann sorgen wir mal dafür, dass du die nächsten Tage erlebst. Mein Onkel macht gerade eine Weltreise und seine Wohnung steht leer. ErLo ist allerdings sehr verrückt und sein gesamter Keller ist voller Konserven, falls wieder ein Krieg oder dergleichen losbricht, da kannst dich gerne bedienen. "
"Aber das würde ihm doch bestimmt auffallen, wenn da etwas fehlt, oder?" Levin runzelte seine Stirn.
Seine beste Freundin fing an zu lachen: "Da steht so viel Zeug herum, dass er schon vor Jahren den Überblick verloren hat. Nimm dir einfach was du brauchst und falls er doch etwas merkt, war ich es eben. Mich kann es ja wohl kaum noch schlimmer treffen, als das hier."
Beruhigt nickte er.
Er vertraute ihr und wenn sie das so sagte, dann würde es auch so sein: "Dann werde ich da heute wohl mal hingehen."
Mit einem herzhaften Gähnen gab sie ihm die Adresse zu der er musste.
Sie verabschiedeten sich von einander und ehe er sich versah, saß er wieder in der Stille.
Die Kapuze seines Hoodies hatte er tief über sein Gesicht gezogen.
An jeder Straßenecke schaute er sich um, um sicherzugehen, dass dort neimand war, der ihn verfolgte.
London war sehr belebt an diesem Vormittag und er war sich sicher, dass dort auch einige Mitarbeiter seines Onkels unterwegs waren und nach ihm suchten.
Oder die Todesser, auch ihnen musste er aus dem Weg gehen.
In einer kleinen Seitenstraße war der Kellereingang, zu den er musste.
Nach einem letzten prüfenden Blick durch die Gasse zückte er seinen Zauberstab und öffnete die Tür vor sich.
Der Keller war finster, jedoch traute er sich nicht Licht zu machen.
Vorsichtig tastete er sich durch den Gang, bis er die hinterste Tür erreicht hatte.
Mit einem Schwung seines Zauberstabes öffnete sich das Schloss.
Er zog die Tür hinter sich zu und entfachte mit seinem Zauberstab nun doch ein kleines Licht.
Seine Kinnlade fiel herunter.
Sia hatte absolut recht gehabt.
Der gesamte Raum war voller Stapel aus Dosen, Flaschen und Gläsern.
Mit aufgerissenen Augen schaute er sich um.
Es war unfassbar viel.
Jetzt wusste er, dass Sia keinesfalls übertrieben hatte.
Und hier würde es niemals auffallen, wenn er sich ausreichend bediente.
Levin setzte seinen Rucksack ab und räumte ihn aus.
Er musste so viel mit sich nehmen, wie er konnte und der Platz in seiner Tasche war nicht mehr sonderlich groß.
Kurzentschlossen griff er nach seinem Zauberstab und murmelte eine Zauberformel.
Seine Ausdehnungszauber waren nicht gerade die besten, aber er war gut genug, um Essen für die nächsten zwei oder drei Wochen zu verstauen.
Zuerst packte er allerdings seine Wechselsachen und den Schlafsack in den Rucksack zurück.
Dem folgte seine Trinkflasche.
Dann begann Levin den Raum abzulaufen und sich Konversen herauszusuchen.
Sein eigener Stapel an Vorräten war innerhalb weniger Minuten auf eine beträchtliche Menge angestiegen.
Den größten Teil bildeten die Dosen.
Hier hatte er sich Obst, aber auch vollständige Mahlzeiten genommen, sowie zwei oder drei Dosen Kuchen.
Nach diesen steckte er einige Flaschen in seine Tasche.
Wobei er sich hier auf Sirup begrenzt hatte, da dieser am Längsten hielt.
Davon waren es genau zwei Flaschen, jedoch folgten diesen noch weitere sechs.
Darin war jedoch kein Sirup, sondern etwas hochprozentigeres.
Die Flaschen mussten schon seit Jahren hier stehen, denn ihre Etiketten waren sehr verstaubt, aber so etwas wurde ja nicht schlecht.
Nach dem vollständigen Einräumen seiner Vorräte entschied er sich dazu etwas zu essen.
Hierfür wollte er aber nichts aus diesem Keller, sondern eher etwas aus einer Bäckerei oder ähnliches.
Daher verließ er den Keller, versiegelte die Tür und tastete sich zurück zu Eingang.
Diese Tür verschloss er ebenfalls hinter sich.
Als er seinen Kopf nun wandte, erstarrte er.
Vor ihm stand eine Gruppe vermummter Gestalten.
Er erkannte die Masken.
Einen Augenaufschlag lang, musterte er sie, dann löste er sich mit einem Knall in Luft auf.
Ein Wald um ihn herum materialisierte sich, doch ein schweres Gefühl an seinem Arm hinderte ihn daran sich frei zu bewegen.
Er drehte seinen Kopf.
Sechs der Todesser hatte es auf die Lichtung geschafft.
Sie wirkten etwas abwesend, fingen sich aber ebenso schnell wie er wieder.
Levin dachte nicht weiter darüber nach, sondern ergriff die Flucht.
Er hatte nicht wirklich eine Ahnung, wo sie hier waren.
Lediglich leicht erinnerte er sich daran, dass dies einer der ersten Wälder war, in denen er sich je versteckt hatte.
Sie mussten irgendwo südlich von London sein.
Ein Zischen neben ihm, veranlasste ihn dazu sich zu bücken.
Der blaue Lichtstrahl zischte über ihn hinweg.
Nur ein Lämzauber, sie wollten ihn nicht töten.
Natürlich wollten sie das nicht.
Er glaubte ihren Auftrag zu kennen und das machte ihm Angst.
In der Erinnerung an seine letzte Begegnung mit Todessern ließ ihn immer noch erzittern und die Wunde auf seinem Rücken begann erneut zu Kribbeln.
Er rannte so schnell er konnte, während weitere Zauber an seinem Kopf vorbei zischten.
Levin duckte sich unter ihnen weg und lief in Zickzacklinien, um zu verhindern, dass sie ihn trafen.
Das funktionierte, aber er spürte seinen Atmen stockender werden.
Er würde gleich eine Pause brauchen.
Plötzlich schlang sich etwas um seine Beine und er verlor sein Gleichgewicht.
Der harte Waldboden jagte ihm das letzte bisschen Luft aus seinem Körper und es gelang ihm nicht aufzustehen.
Sein Blick wanderte herunter und mit Schrecken sah er das dunkle Seil, dass sich seinen Körper hinaufwand.
Er versuchte es mit seinem Zauberstab von sich fernzuhalten, aber da er sich darauf fokussierte, sah er den Mann nicht kommen, der ihm den Stab jetzt aus der Hand riss.
Erschrocken blickte er nach oben und das breite Grinsens des Mannes blitzte ihm entgegen: "Da hast dich wohl etwas überschätzt Venis. Du glaubst doch nicht, dass wir zulassen, dass du dem dunklen Lord noch einmal entwischst. Er war mit eurem kleinen Gespräch noch nicht fertig."
Wie auf Komando spürte er, wie sich das altbekannte Brennen über seinen linken Unterarm zog.
Überrascht fing er an nach Luft zu schnappen.
Es war noch nie so stark gewesen.
Ein unterdrückter Schrei verließ seine Lippen.
Er musste wissen, dass sie ihn gefunden hatten.
Ein bestialisches Lachen verließ die Kehle des Todessers.
Andere Stimmen vermischten sich mit ihr.
Die anderen waren auch hier, aber er konnte seinen Kopf nicht drehen, da sich das Seil bis zu seinem Hals geschlängelten hatte und sich langsam um diesen herum legte.
Sie würden ihn nicht töten, aber sie würden ihn leiden lassen.
Er kannte Orion Black und seine Gruppe gut genung, um zu wissen, was als nächstes passieren würde und er behielt recht.
Eine junge Frau mit Locken trat in sein Blickfeld.
Sie war wunderschön, doch das Grinsen auf ihren Lippen war unheimlich.
Ihr Kleid bauschte sich, als sie sich zu ihm herunter beugte: "Zu schade, dass du diese Entscheidung treffen musstest mein Süßer, aber ich kann dich trösten. Familie kann man sich nicht aussuchen."
Ein trauriger Ausdruck trat für einen kurzen Augenblick auf ihr Gesicht, bevor sie sich wieder gefasst hatte: "Nun ich denke wir sollten den dunklen Lord rufen."
Sie zog den unteren Teil ihres Ärmel hinauf und zückte ihren Zauberstab, doch ehe er ihren Arm berühren konnte, knallte es einmal und die Frau brach auf dem Boden zusammen.
Ihr folgten zwei weitere Todesser.
Levin versuchte seinen Kopf zu drehen, doch erneut gelang ihm das nicht.
Er hörte nur, wie neben ihm weitere Körper zu Boden fielen.
Es waren genau drei.
Damit dürften alle Todesser um ihn herum außer Gefecht sein.
Er spürte, wie sich das Seil um ihn lockerte und er drückte sich vom Boden hoch.
Mit dem Rücken zu ihm stand eine Gestalt.
"Danke," mehr brachte er nicht hervor.
Die Person drehte sich um und er erschrak.
Vor ihm stand ein Mädchen in seinem Alter.
Sie war vollkommen in schwarz gekleidet und eine Kapuze verdeckte ihre Haare.
Von ihrem Ohr hing ein Tuch, dass zuvor wohl ihr Gesicht bedeckt hatte.
Trotz der Kapuze erkannt er genau wer dort vor ihm stand.
"Josie, was machst du hier?"
Bevor sie antworten konnte, spürte er einen Zauber auf seinen Kopf treffen, der alles um ihn herum in Dunkelheit tauchte.
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