Teil 3 | Eiseskälte
Der Pfarrer stand mit ausgebreiteten Armen vor der versammelten Gemeinde, um uns zu seinem diesjährigen Weihnachtsgottesdienst zu begrüßen.
Bestimmt war er heilfroh darüber, dass die Kirche an Weihnachten zur Abwechslung mal gut gefüllt war.
Er begann damit, eine Anekdote über Jesus vorzutragen, doch ich hörte ihm gar nicht richtig zu.
Ich war damit beschäftigt, den Drang zu unterdrücken, mein Smartphone herauszuholen und meine Chats zu überprüfen.
Bestimmt waren meine Freundinnen bereits dabei, mir niedliche Weihnachtsgrüße zu schicken.
Als der Pfarrer seine Ausführungen beendet hatte und nun für ein paar Sekunden still dastand, bemerkte ich erneut etwas Merkwürdiges.
Obwohl alle Türen geschlossen waren, spürte ich einen kalten Luftzug.
Selbst die Kerzen auf dem Altar flackerten kurz auf, doch niemand schien davon irritiert zu sein.
Wie konnte das sein?
Geister war mein erster Gedanke, doch ich wusste selbst, dass das Schwachsinn war. Ich war bereits alt genug um zu wissen, dass Geister nicht real waren.
Trotzdem konnte ich nicht abstreiten, dass mich ein sehr unwohles Gefühl beschlich.
"Hast du das eben auch bemerkt?", flüsterte ich Mike zu, der gerade damit beschäftigt war, die schiefsten Töne aus seinem Mund zu pressen. Anders konnte man das wirklich nicht ausdrücken.
Er schaute mich bloß irritiert an und schüttelte kurz den Kopf, bevor er sich wieder voll und ganz auf seinen schrecklichen Gesang konzentrierte.
Vielleicht hatte er nichts bemerkt, weil er zu abgelenkt war?
Oder steigerte ich mich da in etwas hinein, was möglicherweise einen ganz harmlosen Ursprung hatte und einfach zu erklären war?
Ich beschloss, es fürs erste dabei zu belassen und lenkte meine Aufmerksamkeit so gut es ging auf den öden Gottesdienst.
Erneut unterdrückte ich das Bedürfnis, mein Smartphone aus der Tasche zu kramen. Das gehörte sich schließlich nicht in einem Hause Gottes. Zumindest war es das, was meine Mutter dazu sagen würde.
Mein Blick wanderte zu der großen weißen Statue, die am östlichen Ausgang der Kirche stand.
Sie hatte schon immer dort gestanden, doch erst jetzt bemerkte ich sie richtig.
Ich meinte mich zu erinnern, dass diese Statue Martin Luther darstellen sollte.
Was mich an dem steinernen Mann irritierte, war sein rechter Arm, in dem er die Bibel hielt.
Scheinbar hatten sich irgendwelche Kinder einen Scherz erlaubt, indem sie gleichmäßige Furchen in das weiße Material gekratzt hatten.
Nicht, dass mich die Beschädigung dieser Statue in irgendeiner Weise interessierte oder gar berührte.
Es war mir nur aufgefallen.
Nach einer quälend langen Stunde war der Gottesdienst endlich für beendet erklärt worden.
Beim Rausgehen wünschte der Pfarrer noch jedem Besucher persönlich ein gesegnetes Fest und schöne Feiertage.
Beinahe wie ein Roboter.
Als ich endlich ins Freie treten durfte, war ich für einen kurzen Moment geschockt über die niedrigen Temperaturen, die draußen herrschten.
War es in der einen Stunde etwa so viel kälter geworden? Oder war das meiner subjektiven Wahrnehmung zu verdanken, da ich gerade aus einem beheizten Gebäude gekommen war?
Nein, es war nicht bloß meine Wahrnehmung.
Hier herrschte Eiseskälte.
Doch Mama und Mike schien das nichts auszumachen.
Sie machten sich freudestrahlend auf den Weg nach Hause, wo die Bescherung bereits auf sie wartete. Nichtsahend, dass sie gerade dabei waren, ihrem persönlichen Verderben entgegenzulaufen.
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