DREI
Brutal werden wir von den Friedenswächtern weggezerrt. ,,Rouven!", schreie ich und schlage wild um mich was dazu führt das der Friedenswächter mich unsanft an den Armen greift und diese seltsam verbiegt. Vor Schmerz schrei ich auf und las nach. Das letzte was ich sehe ist Rouvens Angsterfülltes Gesicht, dann fällt die Tür in ihre Angeln.
Der Friedenswächter lässt mich los und zitternd bleibe ich stehen. Brina steht vor der Tür, ich weiß nicht was sie vorhat, aber mein Denkvermögen reichte auch nicht aus, mir irgendwas zu denken.
Wie betäubt folge ich meiner Familie nach draußen. Ich folge meinem Vater, der einfach vorausläuft, aber nicht zu uns nach Hause, sondern zum Bahnhof. Wir reden nicht, niemand sagt ein Wort, was sollen wir auch reden?
Als wir beim Bahnhof ankommen scheint alles normal. Aber das ist es nicht, das hier ist kein normaler Zug der Lebensmittel oder andere Sachen bringt, dieser Zug ist Transportmittel in den Tod.
Lange müssen wir nicht warten, bis Rouven und Elif gemeinsam und brutal in den Zug gebracht werden. Rouven dreht sich noch einmal um, bevor er in den schon fast fahrenden Zug geschubst wird.
Wie verabschiedet man sich von einem Bruder, wenn man weiß er wird nie wieder kommen? Die Hungerspile sind brutal, das ist nichts neues, aber die Folgen der Ausgelosten habe ich mir nicht so schlimm vorgestellt. Ich dachte immer, für sie geht es weiter, irgendwann. Aber jetzt, jetzt habe ich den Glauben daran verloren, dass es irgendwann wieder so werden könnte wie es früher mal war.
War es nicht das schlimmste zu wissen das der Bruder, der Sohn, der beste Freund, der Geliebte oder wer auch immer, noch lebt aber nie wieder kommen wird. Das Wissen ihn nie wieder zu sehen und dennoch Hoffnung zu haben die sinnlos ist?
Einige Zeit schauen wir dem Zug noch hinterher, obwohl er schon längst verschwunden ist. Ich habe keine Ahnung was wir jetzt tuen sollen. Vereinzelt hört man freudiges Gelächter oder andere Geräusche, die auf freuende Menschen hindeuten. Wie kann man nur feiern, wenn man weiß, dass zwei Familien gerade am Boden zerstört sind? So wie wir es Jahrelang gemacht haben und dann die Tode reihenweiße im Fernsehen zu sehen.
Irgendwann reißen wir uns von dem Blick der leeren Schienen los und laufen zurück nach Hause. Leian läuft neben mir, aber einer fehlt. Rouven hätte beruhigend auf uns eingeredet, uns Hoffnung gemacht, aber das würde er nie wieder tun.
Leian weint nicht, genau wie Vater. Mutter weint, ihr schluchzen ist lauter als meines. Ich spüre keine Tränen mehr auf meinem Gesicht, aber das bedeutete nichts, denn innerlich tosen in mir die Fluten eines Wasserfalls an Tränen.
Für jedes falsche Wort, für jede falsche Tat von Rouven, können wir bestraft werden. Aber ich weiß das er das niemals tun würde, schon immer hat er uns beschützt und daran wird sich nichts ändern, auch wenn ich hoffte er würde gewinnen statt uns zu beschützten.
Und ich? Wie geht es weiter? Erst jetzt weiß ich, wieso Mutter so abweisend geworden ist. Ihr kleiner Bruder ist gestorben. Sie muss sich fühlen als habe sie versagt. Versagt dabei, ihren Bruder vor dem Ernst des Lebens zu beschützen. Und jetzt hat sie auch noch ihren Sohn verloren. Nicht einmal ihn hat sie beschützten können.
Wir laufen zu viert zurück, obwohl wir heute Morgen noch zu fünft das Haus verließen. Ach, es wird sicher nichts passieren. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit den?, hallte Rouvens Stimme in mir nach. Ja, die Wahrscheinlichkeit ist nicht hoch gewesen und doch hatte es ihn getroffen.
,,Es war nur eine Frage der Zeit", flüstert mein Bruder mir ins Ohr. ,,Und diese Zeit hätte niemals kommen dürfen", gebe ich emotionslos zurück. Heute Morgen scheint so weit entfernt, dabei ist es noch nicht einmal zwei Stunden her.
,,Ich komme heute Abend wieder", sage ich zu meiner Familie und drehe mich um. Ich weiß damit helfe ich ihnen nicht, ich weiß sie wollen mich als jüngste alle beschützten, ich weiß sie wollen nicht auch noch mich verlieren. Und ich weiß, ich will sie niemals verlieren und dennoch laufe ich weiter. Durch die vertrauten Straßen.
Meine Tränen versperren mir die Sicht aber was solls. Um meine Füße richtig zu setzten muss ich nicht sehen können. Viel zu oft bin ich dafür schon hier langgelaufen. Viel zu vertraut ist der Weg dafür.
Ich biege in eine kleine Seitenstraße ein und laufe zwischen dem schmalen Gang zweier Häuser auf die andere Seite. Das Geräusch des Strohmzaunes erinnert an einen Bienenstock. Auf dem vertrockneten Graß lasse ich mich zu Boden fallen und weiß nicht, wann ich wieder aufstehen werde.
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