Kapitel 1
3 Jahre später
Ava hockte auf dem Dach eines Hochhauses und beobachtete das Treiben der Stadt unter ihr. Die Menschen liefen hektisch die Straße entlang. Es war ein Samstag und sie machten ihre letzte Einkäufe, bevor die Läden endgültig schlossen. Trotz der Hektik unter ihr, blieb Ava die Ruhe selbst. Sie hatte gelernt, dass sie sich nicht von der Hektik anstecken lassen durfte. Der Vollmond schien auf sie herab und tauchte sie in ein geheimnisvolles Licht, doch keiner der Menschen schaute nach oben. Ava wusste, dass sie einfach anderes im Kopf hatten, als die Gefahr, in der sie ständig ungeahnt lebten.
Der Wind zerzauste ihr langes weißblondes Haar, das sie mit der Hand wieder nach hinten schob. Sebastian hatte schon oft von ihrem Haar geschwärmt. Sie würde wie eine Geisterbraut aussehen, so richtig Gothicmäßig. Ihre Augenfarbe half ihr da auch nicht unbedingt weiter. Sie waren von sehr dunklen braun und wurden schwarz, wenn sie wütend wurde. Die meisten wussten, dass sie sich dann am Besten in Sicherheit brachten, wenn sich ihre Augenfarbe in schwarz änderte. Aber auch so standen sie im krassen Gegensatz zu ihrer Haarfarbe. Ava hatte das Gefühl, dass ihre Haare heller geworden waren, seit sie von Sebastian gewandelt worden war.
Sie schaute noch einmal zum Vollmond und wartete.
Heute werden die Aufträge erteilt. Luna ist nahe!
Doch nichts geschah.
Eigentlich sollte Luna schon längst erschienen sein und ihr sagen, was dringend anlag. Irgendeine Dämonenfamilie zerstören oder ein Werwolf Rudel ausschalten. Das wäre jetzt genau das, was Ava brauchte, um ihre Langweile zu vertreiben. Ava langweilte sich schnell und das bekam den meisten nicht.
Aber Luna kam nicht.
Seufzend setzte sich Ava in den Schneidersitz und holte ihr Katana hervor und schwang es ein paar Mal hin und her. Sie hatte es von Sebastian geschenkt bekommen, als sie endlich akzeptiert hatte, was sie jetzt war. Es hatte eine Weile gedauert und sie war sehr böse mit Sebastian gewesen, dass er ihr keine Wahl gelassen hatte, obwohl er das doch sonst immer tat, doch er hatte eine Engelsgeduld mit ihr gehabt.
Er war bei ihr geblieben, als sie gewandelt wurde. Hatte ihr Fluchen ausgehalten, als die Schmerzen ihr bald die Sinne raubten. Er hatte sie festgehalten, als sie vor Schmerzen um sich schlug. Und kein einziges Mal hatte er ihr einen Vorwurf gemacht. Auch nicht, als sie sich geweigert hatte, ihn bei der Jagd zu begleiten. Sie war lieber in der Villa geblieben und hatte vor sich hin geschmollt.
Irgendwann war sie ihm nachts heimlich gefolgt und hatte gesehen, was er tat. Wie gesagt, sie konnte mit Langweile nicht gut umgehen und es wurde langweilig in der Villa. Besonders Abends, wenn die anderen zur "Jagd" gingen. Sebastian hatte wohl bemerkt, dass sie ihm folgte, hatte sie aber nicht angesprochen, sondern sie einfach zusehen lassen. Sie konnte es sich nicht erklären, aber als er seine Messer in den Körper eines Werwolfes trieb...das hatte etwas Erregendes für sie gehabt. Ab diesen Zeitpunkt hatte sie akzeptiert ein Mondjäger zu sein und hatte Sebastian die nächste Nacht begleitet.
Dann hatte sie ihren ersten Vampir getötet! Es war besser für sie gewesen, als Sex!
Aber ihre unstillbare Mordlust war nicht die einzigste Veränderung gewesen, die ihr Körper durchgemacht hatte. Sebastian hatte ihr in aller Ruhe erklärt, was noch mit ihr geschehen würde.
Er hatte Recht gehabt. Sie war nun kein Mensch mehr, auch wenn sie sich teilweise noch wie einer fühlte. Wenn jetzt aber jemand denken würde, sie wäre ein Vampir, so lag er komplett falsch. Das war sie nicht, auch wenn es viele Parallelen zu einem Vampir gab. Sie durfte auch nicht in die Sonne, war unheimlich schnell und stark, aber sie ernährte sich nicht von Blut. Das war der gewaltigste Unterschied zu einem Vampir. Sie ernährte sich nämlich überhaupt nicht mehr. Naja, ab und zu einen guten Scotch war schon drin, aber ansonsten hielt sie es ohne Essen aus. Was schade war, denn sie vermisste ihre Marzipanschokolade! Die hatte sie im Leben geliebt! Einmal hatte sie nur einen Riegel probiert und die ganze Nacht gekotzt. Sebastian hatte neben ihr gestanden und gegrinst. Er meinte nur, dass es jeder einmal probieren und genau dasselbe erleben würde.
Nein, ein verdammter Vampir war sie nun wirklich nicht. Sie brachte die verdammten Vampire um!
Sebastian verglich sie manchmal mit den Assassinen und sie musste ihm Recht geben. Gleich vom ersten Tag hatte sie den Drang verspürt jeden Dämon, Vampir, Werwolf und was sonst von der Unterwelt stammte und ihrer Meinung nicht auf die Erde gehörte, zu vernichten und damit die Menschheit zu beschützen. Und sie hatte schnell gelernt. Sebastian, der nun ihr Mentor und Freund war, gab zu, dass er noch nie einen Mondjäger gekannt hatte, der so schnell dazu bereit gewesen war, diese dämlichen Mistviecher um zu bringen!
Mondjäger!
Das waren Menschen, die in einer Vollmondnacht gewandelt wurden. Meist waren es Mordopfer, seltenster Unfallopfer, die keine Familie hatten. Die einsam waren! Die sich nach mehr sehnten!
Grinsend sah Ava zum Vollmond hinauf.
Da hast du dir ja die Richtige ausgesucht, Luna!
Ava hatte zwar keine Familie, aber sie war nie einsam gewesen. Sie hatte sehr gute Freunde gehabt. Lech, Kassandra, Jason...Ava vermisste ihre Freunde! Sie durfte sie aber nie wieder sehen und das machte Ava immer wieder traurig. Einmal hatte sie es versucht und war in ihre Stammkneipe gegangen.
Als ob sie mich erkennen würden! Die Menschen sind so blind!
Sie hatten Ava nicht erkannt. Lech, der im Leben immer wie ein Bruder zu ihr gewesen war, hatte sie sogar derbe angemacht, bis sie ihre Faust in seinen Magen gerammt hatte und wieder gegangen war.
Sebastian hatte in ihrer letzten Nacht als Mensch dafür gesorgt, dass man ihre Leiche am anderen Morgen fand. Es war aber nicht ihre Leiche gewesen, sondern irgendein Vampirmädchen, das er Stunden zuvor erwischt hatte. Luna sorgte immer dafür, dass der Mentor einen gleichwertigen Körper fand. Dann war es nur noch eine Kleinigkeit, dem Körper einen Schein zu verpassen, dass er dem gewandelten Menschen ähnlich sah. Jeder ihrer Freunde dachte, Ava läge jetzt ihn ihrem Grab. Es war aber ein verfluchter Vampir, der ihren Platz einnahm. Ava hoffte, dass Sebastian das Miststück nicht ganz um die Ecke gebracht hatte und sie nun langsam in dem dunklen Grab verrotten würde. Ava hasste Vampire! Es waren die hinterlistigsten Geschöpfe, die sie kannte! Von außen waren sie sehr schön, noch schöner als ein Mondjäger, aber ihre Seelen waren dunkel und voller Groll gegen die Menschen. Aber sie fürchteten die Mondjäger. Ava musste zugeben, dass sie mittlerweile noch hinterlistiger war, als die Vampire selbst.
Ava vermutete, dass jeder Mondjäger einen Gewissen Hass mit in die sogenannte Wiege von Luna gelegt bekam. Warum auch immer, aber Luna machte keine Hehl daraus, dass sie Vampire hasste. Ava hatte nie nach dem Grund gefragt. Man fragte eine Göttin nicht nach ihren Gründen!
Als Sebastian ihre Körper vertauscht hatte, nahm er sie mit in seine Villa, in der die ganzen Mondjäger lebten. Er hatte Recht behalten! Sie hatte sich stundenlang vor Schmerzen hin und her gewälzt. Das war die Umwandlung gewesen. Ihr Körper musste sich nun für die Aufgaben rüsten, die ihr bevor standen.
Ihr Körper war nun stark, geschmeidig und perfekt geeignet zum Töten. Auch ihr Verstand arbeitete nun anders. Ihr Reaktionen waren schnell und präzise.
Jedes unnötige Gramm Fett war weg geschmolzen. Ihre Narben, die sie im Leben erhalten hatte, waren verschwunden. Nun war sie...perfekt! Ava erinnerte sich noch daran, dass sie Sebastian als schön, aber unheimlich empfunden hatte. Nun, das traf nun auch auf sie zu. Eine wunderschöne, aber gefährliche Waffe war sie geworden.
Seufzend steckte sie ihr Katana wieder ein und holte sich eine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche. Zigaretten waren ihnen auch erlaubt und so ziemlich das Einzigste, dass über Langweile hinweghalf. Sie steckte sich eine Zigarette an und blies den Rauch in den Himmel.
„Du solltest nicht rauchen. Das kann einen umbringen!"
Sebastian hatte sich ihr lautlos genähert und setzte sich nun neben sie. Wie immer steckte er in einem teuren italienischen Designeranzug. Sie wusste nicht, warum er das trug, da es überhaupt nicht zu einem Jäger passte. Sie selbst bevorzugte immer Lederjacke und Jeans.
„Ich bin doch schon tot. Was soll mir da noch passieren?"
Er lachte eise und nahm ihr die Zigarettenschachtel ab, holte sich nun selbst eine Zigarette und zündete sie sich an. Dann holte er eine Flasche Wodka aus seiner Manteltasche, öffnete sie und trank einen Schluck daraus. Fragend sah er Ava an und sie nahm die Flasche entgegen.
"Du weißt, dass du nicht im eigentlichen Sinne tot bist. Ich verstehe nicht, warum du das immer wieder betonst!"
Sie grinste ihn frech an.
"Och, ich will dich nur ärgern. Natürlich bin ich nicht richtig tot. Sonst wäre ich ein Unterweltbewohner."
Sebastian schüttelte nur den Kopf und nahm noch einen Schluck.
„Ruhig, heute Nacht!", meinte sie.
Er nickte und lies gedankenverloren einen Rauchkringel in die Luft schweben. Auch wenn er im Moment verträumt aussah, Ava wusste, dass er immer auf der Hut war. Sebastian war schon länger Mondjäger und hatte mehr Erfahrung. Ihm konnte man nichts so leicht vormachen.
„Ich weiß! Ich habe auch noch keinen Auftrag bekommen! Sehr verwunderlich. In den letzten Wochen habe ich jede Menge Werwölfe getötet. Ich habe keine Ahnung, wo sie sich heute Nacht verstecken."
Ava lachte und nahm noch einen Zug.
„Vergiss die Dämonen nicht! Ich liebe es, ihre Schädel zu spalten!"
Er grinste sie an.
„Darin bist du auch wirklich klasse! Ich befürchte aber, dass wir heute Abend nicht spezielles zu tun bekommen. Luna und Helios haben wohl wieder Streit!"
Während Luna, die Mondgöttin, die Mondjäger befahl, war Helios der Sonnengott. Auch er hatte natürlich seine persönliche Armee, die sich in der Regel tagsüber um die Unterweltbewohner kümmerte. Eigentlich kamen sie sich nie in die Quere. Es sei denn, die Gottheiten waren sich mal wieder nicht einig. Dann wurden alle Regeln gebrochen, aber meist von den Sonnenjägern.
„Ach komm schon, Sebastian. Du willst mir doch nicht erzählen dass die ach so heiligen Sonnenjäger heute Nacht wieder unterwegs sind und unsere Arbeit erledigen wollen."
Er zuckte gelangweilt mit den Achseln.
„Kann schon sein. Sie denken, weil sie mehr sind, können sie auch mehr erledigen, als wir hier!"
Ava nahm noch einen Zug.
„Arschlöcher!"
Sebastian lachte laut.
„Kennst du einen von ihnen?"
Das konnte Ava nicht behaupten. Bisher hatte Ava noch nie einen zu Gesicht bekommen. Sie hatte immer nur von den Erzählungen gehört, aber das reichte ihr schon. Die Sonnenjäger waren nur Männer, die einen Art Orden gebildet hatten. Sie hatten jede Menge schräger Regeln, aber im Prinzip machten sie dasselbe wie die Mondjäger.
Hier in dieser Stadt gab es tatsächlich nur wenige Mondjäger. Vier um genau zu sein. Sebastian, Ava, Konrad und Violett. Sie lebten in einer Art WG zusammen und es ging immer lustig bei ihnen zu. Violett war die erste Mondjägerin gewesen, die Luna hier her geschickt hatte. Ihr folgte Konrad, dann Sebastian. Sebastian wurde vor einigen Jahren aus einem bestimmten Grund für mehrere Monate nach Asien geschickt. Ava hatte ihn nie nach dem Grund gefragt. Dort hatte er als Mentor agiert und war anscheinend sehr gut darin gewesen.
Wie auf das Stichwort sah Ava Konrad und Violett auf sie zukommen. Violett, elegant wie immer, sah aus wie ein Engel, der sich zufällig auf der Welt verirrt hatte. Konrad folgte ihr. Kraftvoll und energiegeladen. Mit seinen blonden langen Haaren und dieser bulligen Gestalt glich er wie ein Wikinger. Das er eine Streitaxt auf dem Rücken trug, tat sein Übriges dazu.
„Na ihr zwei? Auch nichts zu tun?"
Konrad setzte sich neben Ava und griff nach ihren Zigaretten.
„Hallo? Kaufst du dir selbst mal eine Schachtel?"
Er grinste sie an und klaute sich trotzdem eine Zigarette. Dann wuschelte er in Avas Haar, weil er genau wusste, dass sie das wahnsinnig machte.
„Sebastian maulst du nie an!"
Dieser wedelte mit der Wodkaflasche.
„Ich bringe ja auch immer etwas Gleichwertiges mit! Solltest du auch mal versuchen."
Violett zischte leise.
„Immer dasselbe mit euch. Ihr verhaltet euch wie kleine Kinder!"
Sie fing an zu lachen und klaute Sebastian die Flasche. Eine Weile alberten die vier herum, wie sie es immer taten, wenn sie zusammen waren. Der Vollmond schien auf sie herab, als ob er sie darin ermutigen wollte, heute Spaß zu haben.
Irgendwann stand Konrad aber auf und streckte sich. Schon alleine diese Bewegung machten einige Unterweltbewohner Angst, denn Konrad war ein Hüne und muskelbepackt.
„Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir ist es egal, ob die Sonnenjäger heute Nacht in Unwesen treiben. Ich habe im Osten ein Dämonennest ausgemacht. Ich habe heute Lust auf gegrillten Dämon!"
Violett nickte und stand ebenfalls auf.
„Das wäre doch mal etwas! Kommt ihr auch mit?"
Sie sah zu Sebastian und Ava, doch Sebastian schüttelte den Kopf.
„Neee, keine Lust dazu! Wenn es ein ganzes Nest ist, dann sind die Sonnenscheißer nicht weit. Man sollte sie nicht provozieren, sonst petze sie wieder, diese Spaßbremsen."
Konrad hob seine Streitaxt vom Rücken.
„Prima, bleibt mehr für uns. Was ist mit dir, Küken? Gegen einen Dämon hast du doch eigentlich nie etwas einzuwenden!"
Doch Ava schüttelte den Kopf. Der Alkohol hatte zwar keine solche Wirkung auf sie, wie auf einen Menschen, aber im Moment fühlte sie sich schon beschwipst um so präzise arbeiten zu können, wie man es von ihr gewohnt war.
„Ich lass euch den Spaß! Vielleicht hole ich mir später noch einen Vampir oder so!"
Zwar hatten sie keinen speziellen Auftrag bekommen, doch das hieß nicht, dass sie heute Nacht frei hatten. Sie mussten immer Ausschau nach einen Unterweltbewohner halten, der sich nicht an Regeln hielt und Menschen angriff oder sonst irgendetwas Dämliches anstellte.
Konrad und Violett verabschiedeten sich schnell, bevor es sich Ava und Sebastian noch anders überlegen konnten. Geschmeidig sprangen sie vom Hochhaus und verschwanden schnell zwischen den Häusern.
Ava blieb mit Sebastian sitzen und beobachtete weiterhin die Stadt.
„Ich hätte schwören können, dass du sie begleitest.", fing Sebastian nach einer Weile an.
Ava schüttelte den Kopf.
„Nein, ehrlich nicht. Es macht zwar Spaß einen Dämon zur Strecke zu bringen, aber sie stinken wie die Hölle. Den Gestank bekommst du tagelang nicht los!"
Er grinste sie an.
„Auch wieder wahr!"
Er erhob sich seufzend.
„Konrad und Violett sind Richtung Osten, ich werde den Westen übernehmen. Süden oder Norden für dich?"
Sie stand ebenfalls auf und richtete ihre Jacke.
„Süden! Da war ich schon lange nicht mehr!"
Er hob warnend eine Augenbraue.
„Denk nicht einmal daran, deine Freunde wieder zu besuchen. Du weißt, dass es Ärger gibt, wenn sie dich sehen sollten!"
Genervt verdrehte Ava die Augen.
„Himmel, Sebastian, ich bin doch nicht blöd! Ich werde mich von ihnen fernhalten! Sie erkennen mich sowieso nicht. Es kann nichts passieren!"
Sebastian nickte zufrieden und sprang ebenfalls vom Dach. Ava sah ihm nach, wie er Richtung Westen verschwand.
Sie steckte sich noch einmal, bevor sie in los rannte. Geschmeidig sprang sie von Dach zu Dach. Sie brauchte nicht zu befürchten, dass ein menschliches Auge sie erkennen würde. Sie war einfach zu schnell. Sie liebte es, wenn der Wind ihr ins Gesicht wehte. Das gab ihr ein Gefühl der Freiheit.
Es dauerte nicht lange, dann war sie im Süden angekommen. Auf einem Dach kniete sie sich hin und lauschte in die Nacht. Alles war ruhig. Kein Dämon oder Vampir weit und breit!
Dann rannte sie weiter.
Abrupt stoppte sie.
Ein Vampir!
Sie lächelte diabolisch. Der kam ihr gerade recht. Gerade fing es ihr an langweilig zu werden. Sie hob ihre Nase und zog mit geschlossenen Augen die Luft ein.
Vampire strömten immer einen besonderen Geruch aus. Meist war er lieblich und sehr verlockend. Dieser Geruch hier erinnerte sie an Marzipanschokolade. Einen Moment wunderte sich Ava. Das war absolut neu und war ihr noch nie bei einem Vampir passiert. Bisher hatte sie zwar immer einen netten Geruch in der Nase gehabt, aber ihre Lieblingsspeise? Das hatte sie bisher noch nie gehabt.
Wo bist du Scheißkerl?
Sie roch noch einmal, dann hatte sie ihn. Sie folgte dem Duft, bis sie vor einer Kirche stand.
Eine Kirche? Echt jetzt?
Vampire hielten sich nicht in der Nähe von Kirchen, Synagogen oder Moscheen auf. Selbst Tempel blieben sie fern. Diese geheiligten Orte schwächten sie.
Doch nun sah sie den Vampir. Er saß tatsächlich auf der Treppe vor der Kirche. Leise schlich sie sich an.
„Was willst du, Mondjägerin? Willst du mich umbringen? Tu dir keinen Zwang an! Ich warte darauf!"
Verblüfft stoppte sie.
Wie hat er mich bemerken können?
„Ach komm schon, kannst du dir das nicht denken? Ich habe dich angelockt!"
Langsam kam sie näher. Einen Moment hatte sie wirklich vergessen, dass Vampire Gedanken lesen konnten. Ihr war das leider nicht vergönnt, was sie ab und zu fuchsteufelswild machte. Sebastian hatte diese Fähigkeit nämlich auch und nervte sie damit in aller Regelmäßigkeit.
„Du hast mich angelockt? Wozu?"
Er lachte freudlos.
„Kannst du dir das nicht denken? Ich habe dich nun schon eine ganze Weile beobachtet. Und ich finde, du bist perfekt für diese Aufgabe!"
Nervös sah sie sich um. Waren da noch andere Vampire? Hatte er sie in eine Falle gelockt?
Er verdrehte die Augen.
„Da ist niemand! Ich will sterben!"
Ach du Scheiße! Ein depressiver Vampir!
Er lachte laut, aber freudlos auf.
„Ja, verdammter Mist. Ein depressiver Vampir! Jetzt mach schon! Du hast doch sonst keine Gnade mit uns Vampiren oder den anderen Typen, die nicht hier her gehören."
Sie kam noch näher und betrachtete ihn. Dieser Kerl sah nun wirklich nicht wie seine Artgenossen aus, wenn man mal von seiner blassen Haut absah. Vampire waren schlank und eher feminin. Sie waren immer schön. Tödlich schön!
Dieser hier aber war groß und muskulös. Sie würde sogar behaupten, dass er muskulöser als Konrad war.
Seine Augen strahlten blau. Er sah interessant aus, war aber bestimmt keine Schönheit, wie man es von Vampiren eigentlich gewohnt war. Er hatte breite Schultern, die in einer Lederjacke steckten. Seine Hüfte war allerdings schmal. Doch seine Beine, die in Jeans steckten, waren kräftig. Seine Haare waren kurz geschnitten, aber man konnte erkennen, dass er eigentlich blonde Locken hatte. Doch nun waren sie s kurz geschoren, dass man die Haarfarbe kaum definieren konnte. Ava hätte sie am liebsten angefasst, doch sie widerstand der Versuchung.
Das war ein Vampir vor ihr, verdammt nochmal!
Nachdem Ava sich versichert hatte, dass er tatsächlich alleine war und sie nicht in eine Falle locken wollte, setzte sie sich ebenfalls auf die Treppe. Natürlich mit Abstand. Es wunderte sie, dass der Hass, den sie eigentlich auf Vampire hatte, bei ihm nicht aufkam. Vielleicht war es deshalb, weil er so anders war. Nicht nur vom Aussehen her, sondern seine ganze Art faszinierte sie. Dennoch blieb eine Frage:
„Warum willst du sterben?"
Er drehte sich zu ihr und Ava konnte ein grimmiges Grinsen erkennen.
„Was soll das? Willst du vorher noch ein Interview mit mir führen? Ich biete mich hier auf einen Silbertablett an und du willst noch Small Talk halten! Nimm schon dein hübsches Schwert und bring es hinter dich!"
Verdammt, der hat ja vielleicht eine Laune!
Sie schnallte ihr Katana provokativ auf ihren Rücken und legte ihre Arme auf die Knie. Ihre Finger schlang sie ineinander.
„Verstehe mich nicht falsch, ich würde dir liebend gerne den Kopf abschlagen. Das würde meine Quote diesen Monat enorm steigern, besonders bei einem Prachtexemplar wie du eines bist. Aber eigentlich kommt ihr Vampire nicht freiwillig zu mir! Ich frage mich, ob ich dir nicht mehr Qualen bereiten würde, wenn ich dich nicht einfach laufen lasse! Also entschuldige schon meine Frage nach dem Warum?"
Verblüfft hob er seine Augenbraue. Dann begann er zu lachen. Er bekam sich fast nicht mehr ein. Erst nach einer Weile beruhigte er sich und wurde mit einem Schlag ernst!
„Du legst es wirklich darauf an, oder? Du willst mich hier zum Lachen bringen. Aber okay! Ich sehe ein, dass ich dir eine Erklärung schulde. Ich habe es satt! Ich bin nun schon seit über 850 Jahre als Vampir unterwegs!"
Anerkennend pfiff sie durch die Zähne.
„Müsstest du nicht einen Clan anführen?"
Vampire organisierten sich meist in einer Art Gemeinschaft, die sie Clan nannten. Der Älteste von ihnen wurde immer als Anführer bestimmt. Ava hatte immer am meisten Freude daran, eben diesen Anführer zu töten. Die übrigen Vampire waren danach immer so verwirrt. Wie Kleinkinder, denen man einen Lolly geklaut hatte.
„Schau mich doch mal an! Sehe ich wie ein typischer Vampir aus? Sehe ich wie diese Tunten aus, die auch als Dragqueens durchgehen könnten? Nein! Ich hatte noch nie etwas mit denen zu tun gehabt! Will ich auch nicht."
Ava schüttelte den Kopf und wollte antworten, aber er ließ sich nicht unterbrechen, sondern sprach einfach weiter.
„Glaubst du wirklich, ich würde mich mit den anderen verbünden? Mit den Arschlöchern, die immer nur Blut im Kopf haben? Nein! Ich bin ein Einzelgänger! Schon immer gewesen!"
Sie grinste.
„Und jetzt willst du mir vielleicht noch erzählen, dass du die berühmte Ausnahme bist, die nicht an Blut denkt?"
Er zuckte mit den Achseln.
„Natürlich denke ich an Blut! Wenn ich Hunger habe! Aber ansonsten versuche ich es zu vermeiden! Wird es eigentlich heute noch etwas mit der Kopf-ab-Nummer?"
Ava lachte. Der Kerl hatte ja richtig Humor!
„Ich denke, du solltest noch einen Tag darüber schlafen. Wenn du morgen immer noch sterben willst, werde ich da sein!"
Sie stand auf und war im Begriff zu gehen.
„Was denn? Du lässt mich einfach laufen? Wird dein Boss nicht wütend sein?"
Sie grinste.
„Meine Chefin liebt lustige Kerle! Ich denke, sie wird mir verzeihen, wenn ich dich laufen lasse!"
Er lachte leise.
„Wie ist dein Name, Mondjägerin?"
Sie sah ihn in die Augen, etwas, was sie eigentlich immer vermied! Man konnte in Vampiraugen das dunkle ihrer Seele erkennen. Doch bei ihm war da nichts. Seine Augen strahlten einfach nur in diesem herrlichen blau!
„Ava! Und deiner?"
Warum hatte sie ihren Namen verraten? Auch wenn sie ihn leiden konnte, war er immer noch ein verdammter Vampir!
Dieser verdammte Vampir stand nun selbst auf.
„Nenn mich Jason! Also gut, dann bis morgen. Gleiche Zeit, gleicher Ort?"
Sie nickte.
„Natürlich. Wenn du aber nicht warten kannst, hier rennen bestimmt noch einige Sonnenjäger herum. Die stellen bestimmt nicht so viel Fragen wie ich und bringen dich liebend gerne um!"
Wieder lachte er. Sie mochte sein Lachen. Es begann mit einem leisen Grollen und steigerte sich dann in etwas, was wie ein Sommergewitter klang. Furchterregend, aber auch schön. Zumindest für sie klang es schön. Selbst seine Stimme gefiel Ava. Tief und rauchig.
„Nein! Ich lass mich doch nicht von diesen Möchte-gern-Mönchen umbringen. Da warte ich lieber auf eine schöne Frau! Außerdem weiß ich, dass du mich nicht unnötig quälen wirst. Du hast deine Prinzipien und das imponiert mir gewaltig. Das ist mir gleich bei dir aufgefallen!"
Ohne sich zu verabschieden verschwand er in die Nacht.
Ava schüttelte lachend den Kopf.
Das war ja mal wirklich lustig gewesen!
Doch dann fiel ihr wieder einen Satz ein, der er gesagt hatte. Er hatte sie schon lange beobachtet! Wie lange denn? Und wozu? Nur weil er getötet werden wollte? Da hätte er jeden anderen nehmen können. Warum gerade sie?
Ava schüttelte ihren Kopf, um die Gedanken los zu werden. Schade, dass er sterben wollte. Sie hätte sich gerne weiter mit ihm unterhalten.
Entgegen ihrer Gewohnheit stand Ava früh auf. Sie duschte sich ausgiebig und wusch sich dreimal ihre Haare! Sie hatte am Abend noch eine Horde Dämonen den Garaus gemacht, nachdem sie Jason verlassen hatte. Schließlich musste sie an die Quote denken.
Himmel, dieser Gestank! Warum mussten Dämonen nur so stinken, wenn man sie aufschlitzte?
Insgeheim hoffte Ava, dass der Vampir doch nicht auftauchte. Sie schnüffelte etwas an sich. Igitt! Das hielt ja keiner aus. Dabei hatte sie schon geduscht, als sie am frühen Morgen nach Hause kam.
Sie hatte noch aufgepasst und es war nicht viel Dämonenblut auf ihren Körper gekommen. Nur ihre Lieblingshose hatte etwas abbekommen. Mist, die konnte sie nun wegschmeißen. Verdammte Dämonenbrut! Sie sollte ihnen die Hose in Rechnung stellen.
Irgendwann gab sie fluchend den Versuch auf, den Gestank los zu bekommen. Wenn er nach dem dritten Duschvorgang nicht weg ging, musste man eben warten.
Sie ging mit einem Handtuch auf dem Kopf ins Wohnzimmer und nahm sich die Zeitung, die Sebastian am frühen Morgen auf dem Wohnzimmertisch abgelegt hatte, zur Hand. Sie hatte es sich angewöhnt, immer noch einmal in die Zeitung zu schauen, bevor sie auf ihren nächtlichen Streifzug ging. Manchmal blieben bei einem Kampf Leichenreste zurück, welche die Polizei nicht von menschlichen Leichenteilen unterscheiden konnte. Ava durfte sich dann auf keinen Fall in dieser Gegend blicken lassen. Zu viele Menschen bedeuteten zu viel Aufmerksamkeit. Und das konnte kein Mondjäger gebrauchen.
Aber heute war nichts davon in der Zeitung zu lesen. Gut! Dann hielt sie wenigstens niemand auf, wenn sie in die Südstadt ging. Aber noch war es zu früh. Die Sonne ging zwar gerade unter, aber sie hatte immer noch genug Kraft, um einen Mondjäger oder Vampir zu schaden.
Sie legte sich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Es gab bestimmt irgendeine Serie, mit der sie die Zeit überbrücken konnte.
Sebastians Zimmertür ging auf und er kam verschlafen und nur mit einem Slip begleitet, heraus. Seine Augen waren noch verquollen, was nur bedeuten konnte, dass er gestern mit Konrad noch einen trinken gewesen war. Denn von Konrad und Violett war auch noch nichts zu sehen und eigentlich waren die beiden immer die ersten, die am frühen Abend schon das Wohnzimmer belagerten.
Sebastian schlurfte im Wohnzimmer umher, nahm sich eine Schachtel Zigaretten und zündete sie sich an, wobei er direkt mit seinem Hintern vor Avas Gesichtsfeld stehen blieb.
„Ach Scheiße, Sebastian! Muss das am frühen Abend sein? Kannst du dir nicht wenigstens eine Hose überziehen?"
Er grinste sie frech an und wackelte provokativ mit den Hüften, bevor er sich mit seinen Händen durch das eh schon unordentliche Haar fuhr. Es machte das Ganze nicht besser!
„Dir auch einen Guten Abend! Woher sollte ich denn wissen, dass du schon auf bist? Eigentlich müssen wir mindestens fünf Mal an deine Tür klopfen und dir mit Zigarettenentzug drohen, bevor du dich endlich mal von deinem Schöhnheitsschlaf verabschiedest! Hast du heute etwas Besonderes vor?"
Sie zuckte mit den Schultern und hob sich theatralisch eine Hand vor die Augen, bis er sich endlich eine Jeans angezogen hatte.
„Ich will noch einiges abarbeiten, bevor ich den Urlaub antrete!"
Mondjäger hatten ihre Schwäche. Zwar benötigten sie den Schlaf am Tag nicht unbedingt, aber einige Tage vor dem nächsten Neumond wurden sie schwächer und der Körper zwang sie regelrecht zum Schlaf. Es ging so weit, dass sie an Ort und Stelle einschliefen, wenn sie nicht rechtzeitig an ihrem Rückzugsort waren. Und dann wurde es gefährlich, denn der Schlaf war komaartig. Sie bekamen nichts mehr mit und wenn die Sonne herauskam, verbrannten sie jämmerlich. Außerdem hatten sie unheimlich schlechte Laune. Sobald der Neumond kam änderte es sich schlagartig! Ava hatte schon von Mondjägern gehört, die einfach in dieser Phase in der Sonne geblieben waren und jämmerlich verbrannten. Ava wollte es zwar nicht vorstellen, aber es gab einige Parallelen zu dem Vampir, den sie gestern kennen gelernt hatte.
„Wir sind aber fleißig! So kenne ich dich gar nicht. War gestern bei dir noch etwas Besonderes los? Du bist sehr spät nach Hause gekommen."
Sie schluckte kurz. Hatte Sebastian irgendetwas von dem Vampir mit bekommen? Fragte er deshalb nach?
„Nö, nichts! Nur eine Horde Dämonen, die es jetzt nicht mehr gibt!"
Sebastian rümpfte die Nase und ließ sich auf das Sofa fallen.
„Hm? In der Südstadt? Sehr ungewöhnlich. Leben dort nicht eher Vampire?"
Ava nahm sich eine Zigarette und blies kleine Rauchkringel aus.
„Ich habe keine gesehen. Die Dämonen waren wahrscheinlich auf der Flucht vor Konrad und Violett! Ach, übrigens, stinke ich noch sehr arg?"
Sie hoffte, dass Sebastian ihr die kleine Schwindelei abnahm.
Er ahnte offenbar nichts davon, schnüffelte etwas in ihrer Richtung und schüttelte nur den Kopf.
„Nein, stinken tust du nicht! Warum ist dir das heute so wichtig?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Nur so. Du weißt, dass ich den Dämonengestank verabscheue!"
Er grinste sie so an, als ob er ihr kein Wort glauben würde. Aber er beließ es dabei.
„Dämonen also! Es beunruhigt mich etwas, dass sie in der Südstadt waren. Aber ich denke, du hast Recht, dass sie wohl vor Konrad geflohen sind."
Das war möglich. Schließlich kannte man die Mondjäger. Und wenn Konrad irgendwo auftauchte, flüchteten die meisten Unterweltbewohner so schnell sie konnten. Es gab nur wenige, die sich mit ihm anlegen wollten.
„Und bei dir?", fragte Ava nun Sebastian um ihn von sich abzulenken.
Er zuckte wieder mit den Schultern.
„Ich habe mich gestern noch mit den Sonnenjägern angelegt!"
Sie hob eine Augenbraue. Sebastian hatte sich mit den Sonnenjägern angelegt? Warum tat er so etwas? Eigentlich war er es, der sich am ehesten an die Regeln hielt, auch wenn es nicht viel war, was Luna von ihnen verlangte.
„Hast du nicht gestern gesagt, wir sollten sie nicht provozieren?"
„Ich weiß genau, was ich gesagt habe! Aber diese Arschlöcher wollten einen Werwolf gefangen nehmen. Himmel, ich habe keine Ahnung, was sie mit diesen Viechern in ihrem verdammten Kloster so anstellen, aber ich finde, man sollte sie nicht noch zusätzlich quälen. Das ist falsch!"
Es war ein offenes Geheimnis, dass gerade der hier ansässige Sonnenjägerorden in regelmäßigen Abständen Gefangene nahm, um Waffen und andere Sachen an ihnen aus zu probieren. Der alte Ordensleiter war strikt dagegen gewesen, doch er verschwand auf mysteriöser Weise. Man fand ihn nie wieder, obwohl die Sonnenjäger sogar die Hilfe der Mondjäger angefordert hatten. Doch er blieb verschwunden.
Dimitri, der den Orden jetzt anführte, förderte die ganzen Versuche allerdings noch. Er trieb es sogar soweit, dass er Ärzte, Labormitarbeiter und Wissenschaftler in den Orden aufnahm, nur damit sie seine grausamen Studien vorantreiben konnten. Der Himmel wusste, wie er das anstellte. Niemand glaubte, dass es mit rechten Dingen zuging, aber es traute sich auch niemand, Dimitri deswegen zur Rede zu stellen.
„Meine Güte, Sebastian. Das gibt schon wieder Ärger wenn du sie daran gehindert hast! Du wirst jede Menge Ärger mit Luna bekommen, wenn diese Spaßbremsen petzen."
Er zuckte mit den Schultern und nahm sich noch eine Zigarette.
„Es gibt Schlimmeres! Aber ich will nicht, dass du dich nun auch in die Scheiße reitest. Weich den Arschlöchern aus, so gut es geht!"
Sie stand vom Sofa aus und streckte ihren Körper.
„Du kennst mich!"
Er lachte leise.
„Eben! Ich würde dir sogar zutrauen, dass du ihre Gesellschaft heute Nacht regelrecht suchst! Aber lass es einfach."
Sie zog ihre Jacke an, versprach Sebastian, dass sie auf keinen Fall vorhatte, einen Sonnenjäger zu suchen und schnallte sich ihr Katana auf den Rücken. Dann schaute sie aus dem Fenster.
„Es dämmert! Ich werde mich auf den Weg machen!"
Sebastian winkte ihr nur müde zu und Ava verließ die Wohnung. Vorsichtig streckte sie ihre Stiefelspitze aus der Haustür. Wenn sie nur einen Moment zu früh die sichere Behausung verließ, hatte sie mit schweren Verbrennungen zu kämpfen, die nicht einfach über den Tag verheilten.
Sie schien jedoch den richtigen Zeitpunkt erwischt zu haben.
Sebastian hatte natürlich recht gehabt. Eigentlich war sie kaum aus ihrem Zimmer zu bekommen. Den Tag über spielte sie Videospiele oder sie las ein spannendes Buch, so dass sie alles um sich herum vergaß. Konrad nannte sie immer einen „Abendmuffel", weil sie wirklich schlechte Laune hatte, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen sollte. Doch heute wollte sie relativ früh an der Kirche sein um zu sehen, ob es sich der Vampir anders überlegt hatte. Er hatte sie neugierig gemacht. Ein komischer Kauz, aber sie fand ihn lustig. Bei ihm verspürte sie nicht den Hass, den sie eigentlich immer auf Vampire hatte. Wenn er nicht so depressiv wäre, konnte man bestimmt jede Menge Spaß mit ihm haben. Insgeheim hoffte sie, dass er es sich anders überlegt hatte, denn dann musste sie ihn nicht töten. Gut, sie würde ihn dann auch heute nicht wiedersehen, doch er würde ihr bestimmt irgendwann über den Weg laufen. Schließlich hatte er ja selbst behauptet, dass er sie schon eine ganze Weile beobachtet hatte.
Sie legte einen Schein über das Schwert und holte sich ihr Motorrad von der Garage. Heute hatte sie keine Lust von Dach zu Dach zu springen. Außerdem waren noch zu viele Menschen auf der Straße, denen es bestimmt auffallen würde. Schließlich war es Sonntag und ein warmer Sonnentag gewesen. Die Nachtschwärmer ließen sich bestimmt nicht davon abhalten, dass sie morgen wieder zur Arbeit gehen mussten.
Die Nacht brach gerade an, als sie das Motorrad vor der Kirche parkte. Unauffällig sah sich um, doch er war nicht da! Na ja, sie war ja auch zu früh dran. Sie setzte sich auf die Treppe und beobachtet die Leute, die an der Kirche vorbeigingen und nicht einen Blick auf dieses schöne Gebäude warfen. Eigentlich war es schade, denn es war wirklich ein imposantes Gotteshaus. Sie seufzte leise. Nicht wegen der Kirche war sie gekommen, sondern wegen eines Vampirs.
Sie wartete eine Weile, doch er kam nicht.
Er hat es sich wohl doch anders überlegt. Schade! Ich hätte ihn gerne noch einmal gesprochen!
Langsam stand sie auf und wischte sich über ihre Hose. Leise Enttäuschung machte sich breit. Aber Ava verstand nicht, warum. Jason war ein Vampir! Ihr wurde von Luna immer wieder eingeprägt, dass Vampire verachtenswerte Geschöpfe sein.
Warum also bedauerte Ava so, dass sie Jason nicht mehr sehen sollte? Sie würde später darüber nachdenken, wenn sie wieder in der Villa war.
Gerade, als sie wieder auf das Motorrad steigen wollte, roch sie diesen Duft wieder. Marzipanschokolade! Doch heute war er noch intensiver. Er hüllte sie regelrecht ein und stieg ihr lockend in die Nase. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, den sie sich nicht erklären konnte.
Himmel! Ist das gemein!
„Wolltest du nicht auf mich warten?"
Lächelnd drehte sie sich um. Er saß auf der Treppe. Verblüfft hob sie eine Augenbraue. Sie hatte ihn nicht einmal bemerkt. Zwar konnte sie ahnen, dass er einiges mehr als sie drauf hatte, aber schließlich war ihr Gespür doch geschult geworden und es funktionierte doch bei den anderen auch. Warum bei ihm nicht?
„Hm, wie ich sehe, soll ich dich wohl doch köpfen!"
Er klopfte mit der flachen Hand einladend auf die Stufen.
„Nein, ich muss dich leider enttäuschen!"
Sie setzte sich zu ihm, hielt aber immer noch Abstand. Sicher war sicher.
„Warum musst du mich enttäuschen? Tu doch nicht so, als ob ich besonders scharf darauf wäre, dich von dieser Welt zu verbannen. Hast es du dir anders überlegt? Dann hättest du einfach nicht zu kommen brauchen!"
Er lachte sein Gewitterlachen und lehnte sich zurück. Ava nahm sich eine Zigarette und zündete sie sich an. Jason hob seine Augenbrauen, dann fing er an zu grinsen.
„Du rauchst? Verdammt, jetzt ist mein gesamtes Weltbild am Bröckeln. Die reinen Mondjäger und nun sitzt hier einer neben mir, der Vampire laufen lässt und raucht!"
Sie boxte ihm leicht in die Rippen und reichte ihm dann die Schachtel.
„Ich bring dein Weltbild gleich zum Einstürzen. Ich rauche nicht nur, ich kann auch trinken wie eine Maschine! Und fluchen tu ich von früh bis spät! Du verwechselst uns wohl mit den Sonnenscheißern! Das sind die Spaßbremsen hier!"
Er nahm eine Zigarette und zündete sie sich an.
Ava lehnte sich nun ebenfalls zurück und gemeinsam beobachteten sie den Himmel. Ein Stern nach dem anderen war zu sehen. Der Mond schien auf sie herab und tauchte sie in ein angenehm ruhiges Licht.
„Wunderschön, nicht? Gestern habe ich kein Auge für das hier gehabt und heute betrachte ich mit dir den Sternenhimmel. Das hätte ich vor einigen Stunden nicht für möglich gehalten. Seltsam, wie sich die Sicht innerhalb einiger Minuten ändern kann! Bei allen Göttern, mir ist noch nie aufgefallen, wie schön die Sterne sein können."
Ava konnte dem nur zustimmen. Schon immer hatte sie die Schönheit der Nacht bewundert. Selbst als sie noch gelebt hatte. Es war die Dunkelheit und das tröstende Licht des Mondes gewesen, dass sie immer an der Nacht geliebt hatte. Vielleicht hatte sie Luna genau deswegen auserwählt, ein Mondjäger zu werden. Denn sonst passte Ava überhaupt nicht in das Bild der Mondjäger.
„Willst du mir heute erzählen, warum du gestern unbedingt sterben wolltest?", begann sie nach einer ganzen Weile.
Er zuckte gelangweilt mit den Schultern, als ob ihn das schon nicht mehr interessieren würde.
„Ich war müde!"
Sie lachte leise.
„Ich bin auch oft müde und manchmal habe ich einen Kater, der sich gewaschen hat. Aber deswegen lasse ich mir doch nicht den Kopf abschlagen! Obwohl ich es mir manchmal auch wünsche!"
Jason legte seinen Kopf auf die Stufe hinter ihm und betrachtete weiter den Himmel.
„Nicht diese Müdigkeit! Stell dir mal vor, du rennst 850 Jahre durch die Welt. Rasend vor Wut, weil du unbedingt die Schlampe finden willst, die dir das hier angetan hat. Aber du findest sie nicht, weil sie sich immer feige vor dir versteckt und ihre Spielchen mit dir treibt. Irgendwann fragst du dich, was das überhaupt für einen Sinn macht und du gibst auf. Und dann kommt die Langeweile. Die ganze Zeit hast du dich von deiner möglichen Rache ernährt, die dich am Leben erhalten hat und dann ist alles weg! Von jetzt auf nachher. Du spürst langsam aber sicher, dass dein ganzes armseliges Leben nichts mehr zu bieten hat. Und dann überlegst du dir, ob du überhaupt eine Daseinsberechtigung hast. Und das war der Zeitpunkt, wo ich mit allem abschloss und nur noch sterben wollte."
Nachdenklich blies sie Rauchkringel in die Luft.
„Klingt ja übel! Was hat dich zum Umdenken gebracht? Ich meine, deine Meinung ändert sich ja nicht von jetzt auf nachher. Für so besonnen halte ich dich schon."
Er setzte sich auf.
„Wer das wohl war! Kannst du dir das nicht denken? So eine kleine Mondjägerin, die sich geweigert hat, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Die meinte, ich solle einen Tag darüber schlafen, bevor ich mich von ihr umbringen lasse. Ich hatte seit etwa hundert Jahren keinen so Spaß mehr, wie bei dem Gespräch gestern mit dir!"
Erschrocken riss sie die Augen auf.
„Seit hundert Jahren?! Und unser kurzes Geplänkel empfandst du als spaßig? Verdammt, da wäre ich an deiner Stelle auch depressiv geworden!"
Nachdenklich betrachtete sie sein Profil. Eigentlich war sie dazu verpflichtet ihn umzubringen. Er war schließlich ein Vampir und Mondjäger brachten Vampire um. Doch mit diesem hier hatte Ava Mitleid. 850 Jahre Rachegelüste. Wie konnte man so etwas aushalten?
Langsam stand sie auf. Sie zögerte, denn eigentlich wollte sie ihn jetzt nicht verlassen. Es war schön gewesen, sich mit ihm zu unterhalten.
„Du gehst schon?"
Sie nickte ernst und sah seinem Gesicht an, dass er sehr enttäuscht war.
„Auch wenn ich mich liebend gerne weiter mit dir unterhalten würde...meine Quote. Du weißt schon!"
Er lachte laut.
„Die habe ich dir wohl versaut! Dann hau ab! Ich werde dich schon finden, wenn mir wieder langweilig werden sollte."
Sie drehte sich um, doch nach drei Schritten hielt sie inne. Am Duft erkannte sie, dass er immer noch hinter ihr war. Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie wollte sich im Moment noch nicht von ihm trennen. Langsam drehte sie den Kopf in seine Richtung.
„Wenn dir jetzt schon langweilig sein sollte und du..naja...sowieso nicht zu tun hast...willst du mich begleiten?"
Er hob seine Augenbraue.
„Wie meinst du das? Wohin soll ich dich begleiten?"
Sie sah auf ihre Stiefelspitze und zuckte mit den Schultern.
„Nun ja, ich gehe ein paar Dämonen killen. Macht Spaß!"
Er lachte laut auf.
„Dämonen? Die stinken zum Himmel. SO langweilig ist mir dann auch wieder nicht!"
Zimperliese!
Er stand dennoch auf und kam langsam auf sie zu. Es wirkte fast so, als ob er vermeiden wollte, sie zu erschrecken.
Erstaunt stellte sie fest, dass seine Bewegungen noch kraftvoller und energiegeladener waren, als die von Konrad. Dennoch wirkten sie nicht plump, sondern geschmeidig. Wie eine Raubkatze. Ein Tiger! So konnte man es beschreiben. Er bewegte sich wie ein ruheloser Tiger kurz vor einem Angriff.
Dicht vor ihr blieb er stehen. Ärgerlich stellte sie fest, dass sie ihren Kopf schon ziemlich weit zurücklegen musste, um ihn ins Gesicht zu sehen. Es hätte bedrohlich wirken können, wenn er nicht gelächelt hätte.
„Das mit der Zimperliese habe ich gehört! Ich will aber mal nicht beleidigt sein. Ich begleite dich sehr gerne!"
Sie grinste ihn an.
„Worauf warten wir dann noch?"
Es waren keine Dämonen die sie fanden, aber jede Menge Werwölfe, die sich immer noch die letzten Energieschübe des letzten Vollmondes einverleiben wollten. Die Altstadt bot ihnen dazu die perfekte Kulisse. Kleine Gassen verteilten sich über den gesamten Platz, an dem Ava nun parkte.
Kaum war Ava vom Motorrad gestiegen, schlichen sich die ersten Werwölfe an sie heran. Jason war dicht hinter ihr geblieben.
Nachdem sie ihn eingeladen hatte, mit ihr auf dem Motorrad zu fahren, hatte er müde ab gewunken und hatte sein eigenes Bike her gebracht. Ava hatte anerkennend gepfiffen. Es war eine Fat Boy von Harley und passte zu ihm. Er hatte nur naserümpfend auf ihr Motorrad geschaut, aber nichts gesagt. Dennoch konnte Ava ihm regelrecht ansehen, was er dachte. Reiskocher! So hatte Konrad ihr Motorrad zumindest bezeichnet.
„Was? Eine Ninja passt super zu mir. Schnell, klein, super! Ich will nichts hören!"
Er hatte gelacht und war ihr gefolgt.
Nun stellte er sein Motorrad in gebührenden Abstand ab und lehnte sich dagegen. Er wollte wohl erst einmal beobachten, wie sie sich anstellte.
Die Werwölfe kamen immer näher und bleckten die Zähne. Sie blieben allerdings im Schatten, als ob sie sich so tarnen könnten. Das war natürlich Blödsinn!
Als ob ich euch nicht sehen würde! Ihr Idioten!
Es wurden immer mehr Wölfe und Ava überkam ein leicht schlechtes Gefühl. Sie hörte in ihrem Kopf schon Sebastian schimpfen, aber sie wollte sich vor dem Vampir keine Blöße geben. Verdammt, sie war zwar draufgängerisch, aber eigentlich nicht unvorsichtig. Doch jetzt wollte sie unbedingt vor Jason angeben.
„Sei doch kein so Gentleman. Du kannst dich ruhig bedienen. Ich will doch nicht den ganzen Spaß für mich alleine haben. Schließlich habe ich dich eingeladen!"
Die Werwölfe knurrten laut, als sie Jason näher kommen sahen.
„Vampir!", konnte man hören. Man verstand das Geschwätz schlecht, dass sie von sich gaben, aber Ava hatte es gehört und es ärgerte sie!
„Was soll das? Seit wann mischen die Vampire bei den Mondjägern mit?"
„Verräter!"
Ava schlug dem Wolf, der Jason einen Verräter genannt hatte, den Kopf ab. Die anderen starrten erst auf ihr totes Rudelmitglied, dann entsetzt auf Ava.
„Ach kommt schon. Ihr seid eine Art Therapie für ihn. Entweder bringt er euch um oder er muss zum Psychiater! Ihr seid heute aber kleinliche Arschgeigen!"
Ava hörte ein bedrohliches Knurren, als einer der Köter sie nun offen angriff, aber es kam nicht von ihm, sondern von Jason. Beide, der Wolf und Ava sahen ihn verblüfft an.
Jason hatte sich verändert. Sein Mund war leicht geöffnet und man konnte seine Eckzähne sehen. Sie unterschieden sich im Moment nicht im Mindesten von den Reißzähnen der Werwölfe. Sein gesamter Körper wurde muskulöser. Sein Shirt spannte sich beachtlich und einen Moment befürchtete Ava, dass er bald mit nacktem Oberkörper da stehen würde. Seine Gesichtszüge verzerrten sich regelrecht zu einer Fratze.
Der Werwolf hatte sich schneller von Jasons Anblick erholt und nutzte ihre Unaufmerksamkeit, indem er sich in ihren Arm verbiss.
Nun veränderte sich Jason vollkommen. Er sah fast wie ein Dämon in seiner vollen Wut aus. So hatte sie einen Vampir noch nie gesehen. Sie verwandelten sich natürlich, aber nicht so!
Seine blauen Augen hatten sich blutrot verfärbt. Er riss sein Mund weit auf und man konnte nun die Eckzähne in voller Größe sehen. Sie waren beeindruckend und gleichzeitig erschreckend. Er schien auch größer geworden sein. Nein, es schien nicht nur so, wie Ava feststellen musste, er war gewachsen. Er überragte sie nun um mindestens drei Kopflängen. Er kam Ava fast wie ein Berserker vor! Oder ein Feuerdämon in seiner ganzen Wut. Er glich keinem der Vampire, die sie je gesehen hatte. Und sie hatte einige gesehen.
Scheiße! Ihm hätte ich in einem Kampf nicht begegnen wollen!
Ava versuchte den Wolf abzuschütteln, doch er hatte sich fest in ihren Arm verbissen. Verzweifelt versucht sie ihn los zu werden, aber sie bekam den Kiefer nicht ein Stück auseinander. Bevor sich die anderen auch noch auf sie stürzen konnten, hatte Jason den Werwolf gepackt und zerfetzte ihm mit einem Schlag die Kehle, danach den Unterkiefer, so dass Ava endlich die Zähne aus ihrem Arm befreien konnte. Naserümpfend betrachtete sie ihren Arm. Mist, das gab wieder eine Entzündung.
Jason stand aufrecht und mit dem Rücken zu Ava, den Leichnam des Wolfes immer noch in der Hand haltend. Schwer atmend sah er zu den anderen beachtete sie aber nicht. Er hatte sich nur schützend vor sie gestellt.
„Wer ist der nächste?", rief er leise den Wölfen zu. Es war so leise, dass es beinahe als Flüstern durchgehen konnte.
Dann brach die Hölle los!
Die restlichen achtzehn Werwölfe griffen die beide gemeinsam an. Ava musste sogar zugeben, dass sie ohne Jasons Hilfe in arge Bedrängnis gekommen wäre.
Er schnappte sich zwei von den Kötern und schmetterte sie gegeneinander, so dass man die Knochen regelrecht splittern hören konnte. Dem nächsten, der ihm über den Weg lief biss er in die Kehle, spuckte diese in hohem Bogen aus und schmiss ihn danach etwa fünf Meter weit von sich in eine dunkle Gasse, als ob er eine Puppe wäre und nicht ein ausgewachsener Werwolf.
Ava hatte in der Zeit zwei Wölfen feinsäuberlich den Kopf abgetrennt. So ging es weiter bis nur noch zwei Werwölfe übrig waren. Sie zogen zähnefletschend den Rückzug an.
„Sebastian wird davon erfahren!", knurrten sie.
Panik kam in Ava auf. Sollte Sebastian wirklich erfahren, dass sie heute mit einem Vampir zusammen gewesen war, würde sie Ärger bekommen. Und zwar gewaltigen Ärger! Sebastian würde es bestimmt nicht verstehen wollen.
„Einen Scheiß wird er!", schrie sie.
Die Werwölfe erkannten, dass Ava rasend vor Wut war und rannten um ihr Leben. Ava verfolgte sie bis sie nur noch einen Abstand von etwa vier Metern hatte. Dann sprang sie in die Luft und überwand den Abstand mit einem Satz. Mit einem Streich entledigte sie sich einen der Werwölfe. Der andere wandelte sich zurück in seine menschliche Gestalt. Er hob schützend die Hände vor seinem Körper und Kopf, als ob er an ihr Mitleid appellieren wollte.
„Gnade! Bitte!"
Sie grinste ihn hämisch an.
"Gnade? Du wolltest mich vor ein paar Minuten noch an meinen Mentor verpfeifen, mich umbringen und nun bettelst du um Gnade? Was glaubst du, wen du vor dir hast?"
Er fletschte mit den Zähnen.
„Glaubst du, es kommt nicht heraus? Luna hat es gesehen, darauf kannst du einen lassen. Ich brauche nicht zu Sebastian gehen um dich anzuschwärzen. Den Mist hast du dir selbst eingebrockt. Fahr zur Hölle, Schlampe!"
Bedauernd schüttelte sie den Kopf.
„Das war jetzt aber nicht sehr nett, Arschloch!"
Jason war immer noch am selben Platz und beobachtete die beiden. Er hatte mittlerweile auch seine normale Gestalt angenommen, schnalzte aber ungeduldig mit der Zunge.
„Was ist jetzt, Mondjäger? Willst du weiter mit ihm spielen oder ihn endlich zur Strecke bringen. Denk an deine Quote!"
Ava schnaubte.
„Er hat mich Schlampe genannt!"
Jason holte gespielt erschrocken Luft.
„Na das bist du ja nun wirklich nicht. Ganz ehrlich, das war gemein von ihm." Dann wurde er ernst. „Mach jetzt! Ich spiele ja auch nicht mit meinem Essen! Und ich habe heute vielleicht noch was anderes vor!"
Ava sah entschuldigend zu dem Werwolf.
„Du hast es gehört!"
Der Werwolf wimmerte leise und versuchte von ihr weg zu kriechen, doch sie trieb ihn ihr Schwert mitten ins Herz.
„Bring die zwei Leichen mit!", rief Jason ihr zu. Sie hatte zwar keine Ahnung, was er mit ihnen vorhatte, doch sie tat was er von ihr verlangte. Sie war neugierig, was er vorhatte.
Er hatte alle Leichen zu einem riesigen Haufen zusammen gestapelt und nahm ihr jetzt die zwei anderen noch ab, die er dazu legte. Dann holte er eine Flasche aus der Manteltasche und leerte deren Inhalt auf die Leichen. Innerhalb von wenigen Sekunden lösten sie sich vollständig auf. Es qualmte entsetzlich und die Asche glomm noch eine zeit lang.
„Wow! Was war das?"
Er drehte sich zu ihr um. Sein Gesicht war zwar nicht mehr so furchterregend, wie noch bei seiner Wandlung, aber er war wütend. Er kniff seine Augenbrauen zusammen und sein Mund bildete nur noch eine dünne Linie. Man konnte ihm seine Missbilligung förmlich ansehen. Ava empfand das fast noch als schlimmer als dieser Angriffsvampir, den sie vorher gesehen hatte.
Er stapfte wütend auf sie zu.
„Bist du bescheuert? Sich mit zwanzig Kötern auf einmal anzulegen ist das Dümmste, was ich je gesehen habe!"
Er nahm ihren verletzten Arm und riss den Ärmel herunter als ob er aus Papier und nicht aus schweren Leder bestehen würde. Er schüttete den kläglichen Rest der Flasche über ihre Wunde.
Sie wimmerte los, denn das Zeug brannte wie Feuer. Sie wollte ihren Arm aus seiner Hand befreien, aber seine Hand war wie ein Schraubstock. Er ließ sie nicht los.
„Geschieht dir recht! Solche Dämlichkeit verdient eine Strafe. Und jetzt halt still! Es ist bald vorbei!"
Aus dem Wimmern wurde ein leiser Schrei, der in wütenden Flüchen endete.
„Verdammt, was ist das?"
Jason schien sich wieder beruhigt zu haben, denn er grinste sie an. Sofort wurde er Ava wieder sympathischer und sie lächelte ihn vorsichtig an. Er wischte mit seinem Ärmel den Rest der Flüssigkeit von ihrem Arm und Ava stellte erstaunt fest, dass fast nichts mehr zu sehen war.
„Silberessenz! Wirkt bei den Wölfen wie Säure. Und du wirst keine Nebenwirkungen von dem Biss bekommen. Es ätzt alles weg, was du dir eventuell von den Kötern eingefangen haben könntest!"
Hm! Sollte ich mir merken!
Sie ging zu ihrem Motorrad und kramte ihre Zigaretten hervor. Er kam zu ihr und setzte sich auf sein Motorrad, das sich sofort bedenklich senkte. Nach einer Weile kramte sie eine Flasche Scotch hervor und reichte sie ihm. Er hob seine Augenbrauen.
„Hallo? Vampir?"
Sie grinste ihn frech an.
„Spaßbremse! Dann trinke ich eben für dich mit!"
Sie nahm einen kräftigen Schluck. Er holte eine Zigarre aus seine Manteltasche und paffte sie genüsslich.
„Wer ist Sebastian?", fragte er nach einer Weile. „Du wurdest ja zur Furie, als sie seinen Namen erwähnt hatten!"
Sie holte tief Atem.
„Das ist richtig. Er ist mein Mentor und ein sehr guter Freund!"
Er drehte den Kopf leicht zu ihr.
„Du hast Angst vor ihm?"
Sie lachte und dachte an die Szene vor ein paar Stunden, als Sebastian nur mit einem Slip begleitet vor ihr herumgelaufen war und mit dem Hintern gewackelt hatte.
„Nicht wirklich! Er hat mich gewandelt und ist eher wie ein großer Bruder für mich! Ich enttäusche ihn nicht gerne!"
Er lächelte traurig.
„Und es wäre für ihn eine Enttäuschung, wenn du dich mit einem Vampir einlassen würdest?"
Sie hob den Kopf und starrte in den Nachthimmel.
„Ich muss Vampire umbringen und mich nicht mit ihnen verbünden! Aber ich bringe es bei dir nicht übers Herz. Du bist anders. Ich kann dich gut leiden! Das ist mir bei einem Vampir noch nie passiert. Außerdem hast du mir heute den Arsch gerettet. Auch das ist mir noch nie passiert. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob es die anderen verstehen würden. Im Moment sind sie so mit ihrer Quote beschäftigt, dass sie nie daran denken würden, sich mit einem Unterweltbewohner ein zulassen."
Er paffte weiter.
„Wie viele gibt es von euch? Du hast gestern auch von einer Chefin gesprochen. Was ist mit ihr?"
Ava nahm noch einen Schluck und betrachtete die Flasche danach nachdenklich.
„Hier in der Stadt gibt es vier Mondjäger. Weltweit kann ich dir keine genaue Zahl sagen. Wir sind weniger als die Sonnenjäger, aber effizienter. Ich sag das jetzt ohne angeben zu wollen. Violett und Konrad übernehmen hier den Norden und den Osten. Sebastian und ich den Süden und Westen. Wir wohnen aber alle zusammen. Wir sind wie eine Familie. Es gibt Streitigkeiten, wie es unter Geschwistern ebenso ist. Auch wenn wir das nicht von Geburt aus sind...wir haben den Zusammenhalt! Ich bin das Küken, weil ich erst vor ein paar Jahren gewandelt wurde. Die anderen haben schon Jahrzehnte hinter sich. Unsere Chefin ist die Mondgöttin Luna. Sie erwählt uns, gibt uns die Fähigkeiten, die wir benötigen und erteilt uns Aufgaben, sobald der Vollmond erscheint. Ansonsten lässt sie uns freie Hand!"
Verblüfft hob er den Kopf.
„Die Mondgöttin? Scheiße, dann weiß sie von uns?"
Ava nickte.
„Selbstverständlich weiß sie es. Sie wird auch nicht erfreut sein, denn sie hasst die Vampire. Aber sie scheint noch zu überlegen, was sie mit dir anstellen soll. Sonst wären die anderen schon längst da und du tot!"
„Gut zu wissen!", murmelte er.
Er schmiss den Rest seiner Zigarre auf den restlichen Haufen Asche.
„Ich sollte jetzt verschwinden. Ich muss den ekligen Geschmack von Köter Blut aus meinem Mund bekommen! Sehen wir uns morgen?"
Sie nickte.
„Gleiche Zeit, gleicher Ort!"
Er tippte ihr kurz mit dem Finger gegen das Kinn.
„Hat Spaß gemacht heute! Morgen können wir die Dämonen angehen. Aber vorher esse ich noch etwas!"
Ich glaube, ich will nicht wissen, was er damit meint!
Er lachte laut auf und stieg auf sein Motorrad. Dann verschwand er.
Verdammt, ich muss meine Gedanken unter Kontrolle bringen!
Ava lächelte immer noch, als sie das Motorrad in der Garage abstellte. Himmel, es machte ihr immer mehr Spaß mit dem Vampir abzuhängen. Kaum war sie vor der Haustür, riss Sebastian diese auf, zog sie in die Villa und betrachtete sie hektisch, fast panisch, von Kopf bis Fuß.
Er betrachtete sie hektisch von oben nach unten.
„Was ist?", fragte Ava erstaunt. Eigentlich war Sebastian nie so panisch, wenn sie nach Hause kam. Nein, um genau zu sein, war er meist noch unterwegs. Dass er hier war wunderte Ava.
„Luna hat gesagt, dass du verletzt wärst!"
Er sah sich ihren Arm an und atmete dann erleichtert auf.
Am Kragen ihrer Jacke zog er sie ins Wohnzimmer und schmiss sie unsanft in einen Sessel. So hatte er sie bisher noch nie behandelt!
„Bist du bescheuert? Luna hat uns erzählt, was du heute Nacht getan hast!"
Breitbeinig stand er vor ihr, beide Hände in die Hüfte gestemmt. Sein Atem verriet, dass er außer sich vor Wut, aber auch vor Sorge um sie war.
Ava wurde es abwechselnd heiß und kalt, als sie seinen letzten Satz realisierte.
Luna war hier gewesen?
Sebastian schnaubte und es wurde ihr bewusst, dass er wieder ihre Gedanken gelesen hatte.
„Nein, sie war nicht nur hier gewesen, sie ist immer noch hier! Was fällt dir ein gegen zwanzig Werwölfe zu kämpfen? Habe ich dir nicht beigebracht erst Risiken einzuschätzen, abzuwägen und dann darauf zu reagieren? Das war die bescheuertste Idee die du je gehabt hattest! Du kannst froh sein, dass sie dir nur deine Jacke zerfetzt haben!"
Tja, das war aber ein Vampir!
Ava unterdrückte den Gedanken, sonst wäre Sebastian vollends ausgetickt.
„Ach komm schon, Sebastian. Es sieht nicht so aus, als ob das Küken ernsthaft verletzt wäre."
Erst jetzt bemerkte sie Konrad, der auf dem Sofa vor dem Fernseher lag. Violett lehnte gegen den Kamin und feilte ihre Fingernägel.
„Was ist das jetzt hier? Habt ihr heute Nacht nichts zu tun? Wollt ihr mich jetzt fertig machen, weil ich mich mit ein paar Kötern angelegt habe? Oder wollt ihr mich ausschimpfen und mir Hausarrest verpassen! Sagt es gleich und ich werde mich nicht mehr mit den Kötern anlegen! Ich werde zu Hause bleiben und Däumchen drehen! Himmel, ich bin dafür gewandelt worden, dass ich die Viecher umbringe!"
Violett sah sie ernst an.
„Mit ein paar Kötern? Es waren zwanzig Stück, Kleines! Wem wolltest du etwas beweisen? Sebastian, Konrad oder mir? Wir wissen doch schon längst, dass du gut bist! Lass den Scheiß in Zukunft bitte! Luna hatte Angst um dich. Und wir auch!"
In dem Moment kam die Göttin höchst persönlich ins Wohnzimmer. Ava zog ihren Kopf ein, denn sie erwartete ein Riesendonnerwetter!
Doch sie lächelte Ava gütig an. Nur wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass sie alles andere als erfreut war.
Heute war sie, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, nicht in einer langen Robe gekleidet, sondern hatte eine lange Tunika und Jeans an. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie locker zu einem Zopf gebunden. Es sah so aus, als ob sie in Eile gewesen war, als sie die Haare zusammengebunden hatte.
Sie sah Ava an und diese senkte den Kopf. Ava konnte ihr heute nicht in die Augen schauen. Eigentlich leuchteten sie immer silbern und man konnte die Liebe zu ihren Kindern entdecken. Doch heute waren ihre Augen grau wie dunkle Wolken vor einem Gewitter. Das bedeutete, dass sie sehr wütend war.
„Kinder, hackt nicht auf Ava herum. Ich bin mir sicher, sie wollte nur einmal Spaß haben und ausprobieren, wie weit sie gehen kann. Ich bin mir sicher, sie hat ihre Lektion gelernt!"
Alle nickten und Luna sah kurz wieder zu Ava.
Wir sprechen uns noch!
Da war sich Ava ganz sicher.
Luna sah wieder zu den anderen und lächelte sie liebevoll an.
„Ich bin aber nicht nur hier, weil ich Ängste um Ava ausgestanden habe, die sich ja nun als unbegründet herausstellen. Wie ihr gestern wahrscheinlich bemerkt habt, bin ich wieder in Streit mit Helios. Sebastian! Es ehrt dich, dass du die Kreaturen nicht leiden lassen willst, aber wir dürfen uns nicht in die Angelegenheiten der Sonnenjäger einmischen!"
Er nickte, doch man konnte seinem Gesicht ansehen, dass er den Kiefer zusammenpressen musste, um ihr nicht zu widersprechen.
„Des Weiteren verbittet sich Helios, dass ihr seinen Söhnen die Arbeit wegnehmt und sie angreift. Egal ob körperlich oder mit Worten. Das gilt besonders für dich Konrad. Du provozierst sie, wo du nur kannst!"
Der Gescholtene schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, Mutter, so ist das nicht! Wir arbeiten in der Nacht! Wenn sich diese Arschgeigen einbilden, dass sie uns ungestraft in die Quere kommen können, müssen sie eben mit den Konsequenzen leben!"
Luna nickte ergeben.
„Genau das habe ich auch Helios gesagt. Doch er sieht es nicht ein. Seiner Meinung nach habt nur ihr euch daneben benommen. Er ist ein stures Arschloch! Ich bitte euch, haltet euch von den Sonnenjäger fern! Wenn ihr Beschwerden habt, dann wendet euch an mich. Ich werde es klären!"
Leicht murrend versprachen sie es, obwohl Ava in der Beziehung keine Probleme hatte. Sie hatte noch nie einen Sonnenjäger zu Gesicht bekommen. Wollte sie auch nicht. Diese Spaßbremsen konnten sie mal kreuzweise.
Luna machte eine kleine Geste und sofort erschienen Zigarren und Alkohol auf dem Tisch. Konrad jubelte und nahm sofort eine Zigarre. Auch die anderen bedienten sich. Als Ava zugreifen wollte, hielt Luna sie zurück.
„Wir zwei haben noch etwas zu besprechen."
Ava verzog das Gesicht. Sie hatte gehofft, Luna hätte es vergessen. Aber offenbar stand ihr nun ein mächtiges Donnerwetter bevor. Lunas Augen hatten sich immer noch nicht beruhigt.
„Komm mit!"
Ergeben nickte Ava und folgte Luna. Die Göttin ging in einen Raum, den Ava nur sehr ungern betrat. Sebastian nannte ihn immer scherzhaft das Schimpfzimmer. Hier konnte Luna einen richtig zusammenfalten, ohne das die anderen etwas davon mitbekamen.
Bisher war Ava noch nie mit Luna alleine hier gewesen.
Luna ging zu einem der Sessel und setzte sich, bevor sie zu einem anderen Sessel zeigte, der ganz in der Nähe zu ihr stand.
„Setz dich!"
Ava gehorchte sofort. Sie wollte nicht den Unmut der Göttin heraufbeschwören. Sie war sich sicher, dass sie eine Strafe bekam. Sie kannte Luna und ihren Hass auf die Vampire.
Luna schlug die Beine übereinander und sah sie ernst an.
„Was ist das mit dem Vampir? Kaum sah ich dich heute, braust du schon mit ihm durch die Gegend und bekämpfst Wölfe! Warum hat er dir geholfen? Kennst du ihn schon länger?"
Ava sah nicht auf und versuchte krampfhaft ihre Gedanken unter Kontrolle zu halten. Luna hatte Jason gestern nicht bemerkt? Wie das? Ein wenig hatte sie sich schon gewundert, warum das Donnerwetter gestern ausgeblieben war. Aber warum war das so?
„Ich kann ihn gut leiden!", sagte sie stattdessen leise.
Luna schnaubte.
„Du kannst ihn gut leiden? Hast du sie nicht mehr alle? Willst du mir jetzt erklären, dass du in Zukunft keine Vampire mehr töten wirst?"
Luna stand auf und lief im Zimmer umher. Sie wartete auf eine Antwort.
„Das ist es nicht! Er fasziniert mich irgendwie! Die anderen interessieren mich nicht!"
Luna blieb abrupt stehen.
„Das ist mir aufgefallen. Aber warum? Was hat Robert Fitz Gerad an sich, was dich glauben lässt, dich mit einlassen zu können? Mit einem Vampir!"
Ava sah sie fragend an.
„Wer?"
Luna lächelte, aber es war nicht wohlwollend und erreichte ihre Augen nicht. Eher schien es so, als ob Luna ihr Wissen dazu benutzen wollte, Ava leiden zu lassen.
„Robert Fitz Gerad! Er war ein normannischer Ritter, der unter Henry dem II. gedient hatte. Ein außergewöhnlicher Mann als er noch lebte. Er hatte Frau und Kinder, als er in einen Vampir gewandelt wurde. Sehr schändlich in meinen Augen. So etwas tut man nicht. Aber nichts desto trotz ist er jetzt nun mal ein Vampir. Du weißt, wie ich zu denen stehe!"
Das wusste Ava natürlich. Schon von Anfang an hatte Luna ihr eingebläut, dass Unterweltbewohner und besonders Vampire nichts anderes waren, als Geschöpfe, die man umbringen musste.
„Du kennst ihn? Du hast schon früher von ihm gehört?"
Luna setzte sich wieder und nickte.
„Natürlich kenne ich ihn. Er hat einen Fehler als Mensch gehabt und das war seine grenzenlose Loyalität Henry gegenüber. Wäre die nicht gewesen, würdest du ihn jetzt nicht so faszinierend finden, denn er wäre schon lange tot. Also? Beantwortest du jetzt meine Frage?"
Einen Moment musste Ava die Informationen bearbeiten, die sie gerade von Luna über Jason bekommen hatte. Seine Loyalität hatte ihn zu dem Fehler verleitet, der ihm zum Vampir machte. Kein Wunder, dass er seine Rache so lange verfolgt hatte.
Was faszinierte sie an Jason? So einfach konnte sie die Frage gar nicht beantworten.
„Er ist anders!"
Luna lachte freudlos.
„Natürlich ist er anders! Ein Vampir, der seit Jahrhunderten auf Rache sinnt! Ein Einzelgänger! Himmel, in was bist du da hinein geraten, Tochter? Er ist gefährlich! Er könnte dich vernichten, wenn er wollte. Mich wundert es nur, dass er es noch nicht getan hat. In der Vergangenheit ist er selten so sanft mit einem Mondjäger umgegangen. Er hat einige auf den Gewissen. Ich warne dich! Wenn du nur einen Fehler bei ihm machst, bist du tot! Das kann ich dir versprechen! Er ist um einiges mächtiger als es den Anschein hat! Er kann seine Talente sehr gut verbergen. Das haben einige zu spüren bekommen, die sich mit ihm angelegt hatten."
Ava sah auf.
„Er hat mir heute den Arsch gerettet."
Luna verdrehte die Augen.
„Und genau deswegen lebt er noch!"
Ava merkte, wie aufgebracht Luna war, doch im selben Moment beruhigte sie sich wieder.
„Hattest du Angst, als er sich wandelte?"
Hatte ich Angst? Nein!
„Ich hatte Respekt vor ihm. Angst bekam ich erst, als er wütend auf mich war. Ich merkte, dass er sich um mich sorgte. Doch ich verstehe nicht, warum!"
Luna nickte und war offenbar zufrieden mit der Antwort.
„Eines musst du wissen. Er sucht nach Antworten. Ich werde bald dafür sorgen, dass er sie bekommt. Aber alles zu seiner Zeit. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal so etwas sage, aber er fasziniert mich ebenso wie dich! Ich möchte gerne wissen, wie weit er geht. Ich habe Pläne mit ihm, aber dazu muss er bereit sein. Das ist er aber noch nicht."
Ava beobachtete sie verwirrt. Lunas Augen verrieten Ava, dass Luna nicht ganz die Wahrheit sprach. Aber dennoch stellten sich ihr einige Fragen.
Hatte Luna diesen Vampir schon länger im Visier? Hatte sie vielleicht sogar alles eingefädelt? Und warum hatte dann gerade Ava ihn kennengelernt?
„Alles zu seiner Zeit, Tochter! Wenn du ihn wieder sehen solltest, sage ihm nicht, dass ich die Antworten kenne, die er sucht! Er würde dich drängen."
Ava versuchte zu verstehen. Sie selbst wollte Antworten. Aber sie beließ es erst einmal dabei. Sie wollte Luna auf keinen Fall noch mehr verärgern, in dem sie die Göttin mit Fragen über Jason löcherte. Sie konnte froh sein, dass sie so glimpflich davon gekommen war. Sie hatte schon ganz andere Geschichten über Luna gehört, auch wenn sie nicht alles glauben konnte, was man sich erzählte. Doch selbst Violett hatte ihr mal anvertraut, dass Sebastian schon einmal den Zorn der Göttin erregt hatte und deshalb hart bestraft worden war. Doch mehr wollte ihr Violett damals nicht sagen und Sebastian selbst wollte Ava nicht fragen.
Aber gerade heute hatte sie gesehen, dass Sebastian sich zusammen reißen musste, um Luna nicht zu widersprechen.
Ava seufzte und ging aus dem Zimmer. Sie hörte die anderen im Wohnzimmer feiern, aber sie lief lieber in ihr Zimmer. Heute war ihr nicht nach feiern. Lieber wollte sie alleine sein und in Ruhe über alles nachdenken. Der Vampir hatte ihr ebenfalls viel zu erklären. Doch Ava wusste, dass er schwieriger zu knacken war, als eine Nuss und das sie wohl kaum Antworten von ihm bekommen würde.
rV
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