73. Kapitel
Der letzte Kommentar von Bofur war wirklich unnütz gewesen, Kíli konnte sich wortwörtlich nicht vom Fleck bewegen. Er schloss die Augen und lehnte sich stöhnend in die Kissen.
Der alte Heiler nahm einen sauberen Lappen und legte ihn, wasserdurchtränkt, auf seine Stirn. „Mehr kann ich gerade wirklich nicht tun", sagte er an Fíli gewandt.
Óin richtete sich vorsichtig auf. „Habt ihr auch einen Stuhl für meine alten Knochen?", fragte er scherzend. Aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht.
Lange Zeit hörte man nicht mehr als Tellerklappern oder leises Getuschel, die Stimmung war bedrückend. Dazu passend verschwanden langsam die Sonnenstrahlen und eine schleichende Kälte breitete sich aus. Die Nacht kündigte sich an.
Auf einmal knarrten die Bodendielen bedrohlich. Das gesamte Haus wackelte. Nein, die ganze Stadt war in ihren Grundfesten erschüttert. Sie alle standen da wie vom Blitz getroffen.
„War das ein Erdbeben?", fragte Bain panisch. Lindas Herz wummerte, und oh, sie kannte diese Antwort.
„Das, mein Junge, war ein Drache." Bards Gesichtszüge spannten sich an. Seine dunklen Augen funkelten bedrohlich.
Die Gedanken des Mädchens waren nicht hier, sondern im Einsamen Berg. Was war Thorin für ein Idiot! Bilbo ganz allein dort hinunter zu schicken, zu einem ungeheuerlichen Drachen, zu einem unglaublich tödlichen... Dings!
„Vater?" Tildas zerbrechliche Stimme zerriss die Stille.
„Das kommt vom Berg, ihr solltet verschwinden!" Fíli war schnell wieder gefasst. „Nehmt eure Kinder, geht fort von hier", drängte er.
„Und wohin?", entgegnete Bard zynisch. „Wir können nirgendwo hin."
„Werden wir sterben, Vater?"
Der Satz hallte einige Sekunden lange nach, und Linda wusste, an welchem seidenen Faden diese Gewissheit aufgehängt war.
„Nein, Schatz." Der Bogenschütze legte alle Hoffnung, die er noch hatte, in diese Bekräftigung.
„Der Drache, er wird uns alle töten!" Starr vor Angst sahen die Kinder ihren Vater aus flehentlichen Augen an.
Bard stand auf und zerrte etwas aus der Kücheneinrichtung, sein Gesicht war voller grimmiger Entschlossenheit.
„Nicht, wenn ich ihn zuerst töte."
Der Erbe Girions hatte tatsächlich alle überrascht. Na ja, bis auf die filmekundige Erdbewohnerin.
Die Zwerge blickten fasziniert vom Mensch zurück zur Waffe, als ob sie sich vergewissern müssten, dass dies hier keine Fälschung sei. Doch das war er nicht, der wirkliche schwarze Pfeil. Nur wenige waren jemals geschmiedet worden, klangen die Worte der alten Geschichte in Lindas Kopf nach.
Sie verzog keine Miene. Eins konnte sie jedoch bezeugen: Dieses Schmiedewerk war echt.
Ein letzter Blick zu seinen erschrockenen Töchtern, dann stürzte Bard aus der Tür, als ob es um sein Leben ginge. Was durchaus der Fall war. Sein Sohn rannte hinterher, vielleicht wollte er ihn noch aufhalten.
Doch Sekunden später waren die Frauen und die Zwerge alleine.
Die Nacht hatte eigentlich ein wenig Ruhe gebracht der wuseligen Seestadt. Jetzt jedoch hörte man durch die dünnen Holzwände mehr Leute als zuvor herumeilen, aufgebracht, fürchtend, Nachrichten austauschend.
Wann wohl Smaug das letzte Mal aufgewacht war? Das Mädchen starrte in das Feuer. All diese Menschen, die sich ängstigten, die sterben würden. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr.
Fíli strich dem halb schlafenden Kíli über die Stirn und seufzte. Dann stand der Blonde zum ersten Mal seit langem wieder auf und ging zum Fenster. Zu dem, in dessen Blickfeld Erebor stand.
Sehnsuchtsvoll betrachtete er den verheißungsvollen Ort der Legenden. Er wirkte so... verloren.
Unwillkürlich machte Linda ein paar Schritte auf ihn zu. Dann hielt sie inne. Wenn er gar keine Gesellschaft wollte? Sie überlegte kurz, dann stand sie vor ihm.
Sie suchte mit fragenden Blick seine blauen Augen. „Alles... alles in Ordnung?", flüsterte sie.
Kaum sichtbar schüttelte er den Kopf. Kurz zögerte der Durin, dann erzählte er wispernd: „Ich habe Kíli noch nie so krank erlebt. Ich weiß einfach nicht, wie er es schaffen soll. Wie wir es schaffen sollen. Oder die anderen, ob Thorins Plan aufgeht, er wollte Bilbo vorschicken, alleine! Stell dir das einmal vor."
Seine Irden verdunkelten sich vor Sorge. „Wenn Smaug, oder wenn er hierher, ach, ich weiß es nicht, aber ich sehe keinen Ausweg, nur Unglück. Wie sollen wir das bloß schaffen?"
Endlich sah er sie an.
„Ich weiß, dass wir das tun. Ich weiß, dass wir es schaffen werden. Kíli wird gesund, Smaug wird fallen. Alles, bis der Erebor wieder im alten Glanz erstrahlt", beschwor Linda ihn leise. Sie klammerte sich an eine Hoffnung, die sie selbst nicht hatte.
„Es ist unmöglich, so nah und doch so weit weg", Fíli schüttelte den Kopf. Er deutete vage auf den fernen Berg. Nebelschleier und Wolken umhüllten ihn.
„Versprichst du es mir?", fragte er leiser als je zuvor. Behutsam, beinahe unsicher.
Sie erwiderte seinen Blick entschlossen. „Ich verspreche es."
Im Kaminschein verbrachten sie ihre Zeit. Von Zeit zu Zeit sah Linda nach draußen, der Mond stieg immer höher. Sie versuchte, sich ihre Unruhe nicht anmerken zu lassen.
Das Mädchen erzählte Tilda wispernd eine Geschichte von einem Menschenmädchen, das bei sieben Hobbits unterkommen konnte, als die böse Tante, bei der sie leben musste, sie aus der Hütte jagte.
Die junge Frau übernahm keinerlei Haftung für jeglichen Rechtsschutz, theoretisch waren alle Geschichten in Mittelerde schließlich noch nicht geschrieben worden, oder?
Sigrid hörte auch zu, doch nach einiger Zeit ging sie in Richtung der Tür.
Linda erzählte gerade, wie die böse Tante das Mädchen erneut besuchte: „Und die verbitterte alte Frau holte einen Schnürriemen heraus. Einen wunderschönen, selbstverständlich, einen für Prinzessinnen, und die Krämerin sagte: „Lass mich ihn dir umbinden! Ich bin mir sicher, du wirst wunderschön darin aussehen.""
Lindas Augen folgten Sigrid anstatt der Geschichte. Ja, die Blonde öffnete die knarzende Tür. Genau so wie im Film.
„Linda, komm, was passiert dann?", unterbrach Tilda ihre Gedanken.
Die Abenteurerin wandte ihren Blick nicht von der älteren Menschenfrau ab, die sich gerade über das Geländer der Treppe beugte. Linda ignorierte das kleine Mädchen und ihre Bitte, sie öffnete ihren Schuh, die Augen immer noch gebannt wartend auf Sigrid richtend.
Die Abenteurerin war alle ihre Optionen durchgegangen und hatte festgestellt, dass sie über viel zu wenige Waffen verfügten. Ihr Schwert, Gebirgsfrost, wurde hoffentlich von Gandalf verwahrt. Die Ausrüstung ihrer Kameraden lagen bei Thranduil. Unerreichbar. Die Dinge, die ihnen die Menschen aus der Seestadt mitgegeben hatten, waren von sehr schlichter Qualität.
Und in diesem Moment hatte sie sich erinnert: Der Dolch! Ein kleines Messer, das dennoch unbeschadet den ganzen Weg von Bilbos Hobbithöhle bis hierher überstanden hatte. Leider hatte sie die Klinge zwischendurch selbst vergessen, weil sie so gut verborgen war, aber der Dolch war immer noch an seinem Platz.
Schnell zog die junge Frau ihn heraus und verschloss ihren Stiefel wieder. Ihre Finger zitterten.
Von draußen ertönte ein spitzer Schrei und Sigrid stürzte ins Haus. Hinter ihr schob sich eine schwarze, von Rost zerfressene Waffe durch den Türrahmen.
„Orks!", schrie Linda. Das Herz in ihrer Brust hämmerte wie verrückt.
Sie nahm Tilda an die Hand und krabbelte mit ihr unter den Esstisch. Das kleine Mädchen zitterte und schmiegte sich eng an Linda. Die versuchte, die Ruhe zu bewahren, oder vielmehr den Überblick.
Der erste Ork folgte Sigrid durch die Haustür, Óin schmiss ein paar Teller auf ihn. Der nächste brach durch die Decke, dann noch einer, noch einer.
Sigrid kam schnellstmöglich zu den beiden Mädchen, ihre Augen weit aufgerissen vor Angst. Im echten Leben in der echten Welt wäre Linda wohl jünger als Sigrid, doch wie ihre kleine Schwester verbarg sie ihr Gesicht in Lindas Schulter.
Die Schwarzhaarige schaffte es erstaunlich gut, alle sieben Sinne beisammen zu haben. Solange sie nur hier unten durchhielten, Hilfe war auf dem Weg. Hoffte sie. Wenn die Elben nicht kämen - am besten gar nicht darüber nachdenken.
Fíli und Óin kämpften mit allem, was ihnen in die Finger kam, auch ihren Dolch gebrauchten sie. Es herrschte pures Chaos. Die Einrichtung flog durch das Zimmer, ein Fenster zerklirrte, Geschirr zersprang.
Bain verteidigte sich selbst, und vielleicht auch andere, Kíli war kaum mehr fähig zu stehen. Das hinderte die widerlichen Gestalten nicht daran, ihn anzugreifen. Der braunhaarige Zwerg schrie.
Aus heiterem Himmel kippte der Tisch um. Die Mädchen blinzelten erschrocken in das Gesicht eines Orks, der entdeckt hatte, wo sich weitere, sogar unbewaffnete Personen befanden. Seine Fratze verzog sich zu einem hinterhältigen Grinsen. Schockiert starrte Linda den Angreifer an.
Der Ork brüllte.
Reflexartig schlug sie auf ihn ein – mit dem, was ihr gerade in die Hände fiel. Ein Kissen? Wenig hilfreich.
Das Scheusal war wohl genauso verwirrt, doch als Óin ihn mit einem spitzen Gegenstand abstach, war auch diese Gefahr gebannt. Die spitzen Schreie von Bards Töchtern hatte selbst er gehört.
Linda griff nach einem Teller, hinter ihr hatte Sigrid eine Schüssel in der Hand. Sie waren bereit, sich zu verteidigen, Tilda zu beschützen.
Den Valar sei Dank - sie mussten das gar nicht mehr.
1421 Wörter, 02.06.2022
Soo... What do you say of our Fílinda here? 👀
Ja... Das hab ich schon länger im Kopf xD
Ich bin aber eigentlich ziemlich zufrieden mit diesem Kapitel hier. Ich hoffe, ihr mögt es auch ^^
LG!
PS: Ich finde ja den Cliffhanger toll... xD
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