72. Kapitel
Dieselbe Frage stellten sich die Fünf auch noch nach Stunden, die sie durch Seestadt geirrt waren. Sie klopften an Türen, welche, nachdem sie einen Spalt weit aufgingen, vor ihnen zugeschlagen wurden. Sie erkundigten sich bei Menschen, doch entweder war deren Leid noch größer als das ihre und sie erhielten ein mitleidvolles Lächeln oder sie wurden gar nicht erst eines Blickes gewürdigt.
Und das, während ihre Freunde unter Jubelgeschrei aufgebrochen waren. Linda war kurz davor zu resignieren.
Sie stellte ihr Gepäck ab, Óin assistierte Fíli, den kranken Zwerg hinzusetzen. Bofur verschwand, um weitere Häuser aufzusuchen.
„Das bringt nichts, hier waren wir doch schon!", rief ihm der blonde Durinserbe hinterher. Er seufzte und ließ sich neben seinen Bruder fallen.
Nicht einmal das, was hier als Heilerstätte bezeichnet wurde, wollte sie aufnehmen. Ein Blick auf den bleichen Kíli genügte. Die Frau, ihnen geöffnet hatte, hatte irgendetwas von einer ansteckenden Krankheit gemurmelt.
Daraufhin hatten die Zwerge sichtlich empört ausgesehen. Bofur warf ihr einige unschöne Flüche auf Khuzdûl hinterher und Óin erklärte der etwas verwirrten Linda, dass Zwerge sich nur sehr, sehr selten mit Krankheiten infizierten. Obendrein war natürlich die Pfeilwunde am Zustand ihres Freundes schuld, das hätte selbst ein menschlicher Arzt erkannt.
So saßen sie nun schweigend irgendwo in Esgaroth und warteten, dass Bofur zurückkehrte. Das Mädchen war müde und angespannt. Vor ihren Augen liefen immer wieder Bilder vorbei, die sich tief in ihrem Gedächtnis verborgen hatten, und sie versuchte, jedes kleinste Detail aufzunehmen.
Währenddessen holte der schwerhörige Heiler ein paar Vorräte aus ihrem Gepäck. Die Sonne stand weit oben am Himmel, es war höchste Zeit für eine kleine Rast. Die beiden Durins starrten in die Ferne. Es war nicht zu sehen, wie viel der Jüngere überhaupt noch wahrnahm, doch das gegebene Essen verspeiste er hungrig.
Fíli blickte missmutig auf das Brot. Er war wütend, auf die ignoranten Menschen, auf seinen königlichen Onkel, und halb verzweifelt, bang in Sorge um seinen Bruder. Sie brauchten einen Platz zum Schlafen, wo er versorgt werden konnte, wo sie geschützt waren.
Bofur kam hinzugetrottet. Seine Schultern hingen herunter und seine Augen waren matt vor Resignation.
Das Mädchen sagte nichts. So blieb es, bis sie alle mit ihren Speisen fertig waren.
„Ich habe das Gefühl, es gibt keinen Ort in dieser Stadt, wo wir es noch nicht versucht haben", meinte Bofur deprimiert.
„Es gibt einen", schaltete sich Linda ein.
„Er wird uns abweisen, er hat schon zu viel für uns getan!", widersprach Fíli. „Ich möchte ihn nicht noch mehr belasten."
„Ich weiß, ich weiß", fuhr das Mädchen auf. „Auch, dass seine Kritik an Thorin berechtigt war. Wenn sie es im Berg nicht schaffen, den Drachen zu erlegen, wird Esgaroth ein Flammenmeer."
„Und", fügte Óin hinzu, „der Mensch hat eindeutig bewiesen, dass er ein Mann von Ehre ist. Er hat uns erst hierher gebracht-"
„– und uns trotzdem um unser Geld betrogen!", fiel Bofur ihm erhitzt ins Wort.
Diese Diskussion hatten sie nach jeder verschlossenen Tür erneut geführt, weswegen alle umso überraschter waren, als der blonde Zwerg noch etwas zu sagen hatte. Zu Bofur gewandt meinte er: „Aber was haben wir für eine andere Wahl? Wir können nirgends sonst hin."
Seufzend nickte der andere Zwerg und die Sache war entschieden.
Wenig später schleppten sie sich die Treppe zu Bards Haus hinauf. Der Verletzte war mindestens so schwer wie zehn Mehlsäcke, stellte die junge Frau fest, als sie ihn herauftrugen.
Bofur klopfte. Der Kopf des Bogenschützen schob sich heraus.
„Nein." Der Kahnführer zog die Tür wieder zu, doch nicht ganz. Bofur hatte einen Fuß in die Tür gestellt.
„Von Zwergen habe ich genug, verschwindet!", fauchte der Mann sie an.
„Nein, bitte! Niemand will uns helfen." Der Mensch blickte in erschöpfte, verzweifelte Gesichter. „Kíli ist krank, sehr krank."
Bard wartete einen Moment länger und da wussten sie, dass sie ihn gewonnen hatten. Seufzend gab er nach und stieß die Tür auf.
Erleichtert und hundemüde traten die fünf Gestalten ein. Sie hätten nicht erwartet, wieder so schnell hierher zurückzukehren, jedoch war ihnen dieser Ort zur Zeit recht lieb. Mit der Hilfe von Bards Kindern verfrachteten sie Kíli auf ein Bett.
Nun konnte Óin– seiner Meinung nach endlich– den Verwundeten ordentlich behandeln. Sigrid brachte eine Schale Wasser und neues Verbandmaterial, dann machte sich der alte Zwerg ans Werk. Fíli schien seinen Bruder nicht aus den Augen lassen zu wollen und so standen die Übrigen kurz darauf etwas ratlos in der Gegend herum.
„Ich nehme an, es hätte niemand etwas gegen ein paar Bratkartoffeln mit Fisch", sagte Sigrid schließlich. Ihr Vorschlag stieß nicht überraschend auf große Begeisterung, so dass sie sich mit ihrer Schwester in die Küche aufmachte.
Linda folgte den beiden, etwas schüchtern, weil fremde Leute.
„Kann ich euch helfen?", fragte sie die ältere Schwester.
Die Blonde schaute kurz verdutzt auf die weitaus Kleinere, dann nickte sie schnell. „Klar, kannst du die Kartoffeln waschen?"
Erleichtert, dass das wohl ein universell bescheuerter Job war, machte sich Linda an die Arbeit.
Nach kurzer Zeit fingen die beiden älteren jungen Frauen an, ungezwungen zu plaudern. Um ehrlich zu sein, hatte das Mädchen das in der Gesellschaft der Zwerge und Bilbo doch etwas vermisst; das Gespräch mit einer weiblichen Person.
Zwar unterhielt man sich auf der Erde über ziemlich andere Dinge, doch so erfuhr sie Interessantes über das Leben in Seestadt. Welche Unhygiene herrschte, war unübersehbar, dass sich allerdings die Menschen daran störten, erleichterte Linda doch. Die Vorstellungen von ihr und Sigrid über ein sauberes Bad waren dieselben, aber leider waren sie gerade genauso weit entfernt von einer warmen Dusche.
Tilda hörte eifrig zu und machte hin und wieder Kommentare, die ihre Schwester liebevoll aufnahm. Sie saß brav auf einem Stuhl und versuchte sich an einer Handarbeit. (Die Abenteurerin war überrascht ob so viel Erzogenheit.)
Als Sigrid fast allein die Mahlzeit zubereitet hatte (sie musste sich nun wirklich angesichts Lindas nicht vorhandenen Fähigkeiten wundern, welche Sitten bei Zwergen vorherrschten, da sie ja immer noch davon ausging, dass die Schwarzhaarige eine Zwergin war), half das kleine Mädchen ihnen beim Auftragen.
Das Mahl war schnell verputzt– kein Wunder bei so vielen Zwergen an Tisch. Linda bot zwar an, auch beim Abwasch zu helfen, doch Sigrid lehnte freundlich ab, mit der Begründung, dass sie schließlich zu Gast sei.
Außerdem, so ergänzte das Mädchen später amüsiert bei sich, war das wohl Bains Aufgabe. Die Töchter Bards hatten sich zurückgezogen, ihr Vater räumte die Wohnung auf.
Linda gesellte sich zu ihren Kameraden. Sie alle standen um Kílis Bett herum.
„Es wird und wird einfach nicht besser." Der alte Heiler schüttelte den Kopf, dann wusch er erneut die Wunde mit kaltem Wasser aus.
Der braunhaarige Durin ließ das stöhnend über sich ergehen. Ja, es ging ihm immer schlechter, das konnte selbst die junge Frau als Laie erkennen. Er war noch weißer als Azog, bleich wie das Betttuch.
Fíli überprüfte mit einer Hand auf der Stirn, wie hoch seine Temperatur war, er schüttelte betrübt den Kopf. „Kannst du denn gar nichts machen?", fragte er Óin verzweifelt.
Der schüttelte nur den Kopf. „Ich brauche Kräuter. Etwas, um sein Fieber zu senken."
„Ich habe Nachtschatten, ich habe Hundekamille", warf Bard von hinten ein.
„Die nützen mir nichts!" Der grauhaarige Zwerg war frustriert, am Ende seiner Weisheit. „Habt Ihr kein Königskraut?"
„Nein, das ist Unkraut, damit füttern wir die Schweine", sagte Bard verwirrt.
„Schweine? Unkraut, genau!" Plötzlich sprang Bofur auf. „Rühr dich nicht vom Fleck", wies er Kíli an.
Irritiert sahen die anderen dem huttragenden Zwerg hinterher. Die Tür schwang hinter ihm zu.
1230 Wörter, 26.05.2022
Ich weiß, etwas kurz, dafür wird das nächste länger. Versprochen.
Wie fandet ihr die Sequenz, als sie sich streiten, ob sie zu Bard gehen sollen oder nicht? ^^
LG!
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