57. Kapitel
„Ein Halbling, ein Mensch und ein Zauberer", stellte Beorn rekapitulierend fest. „Wie kommt ihr hierher?" Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen.
Zu Fuß, mit Ponys und auf Adlerrücken. Doch das war sicher nicht die Antwort, die ihr Gastgeber wünschte. Seine bedrohliche Aura verdeutlichte, dass er nicht für solcherlei Späße zu haben war. Ja, Linda wusste, wann Diplomatie von Nöten war. Dies war ihr auch keine neue Erkenntnis, wenngleich sie weiterhin amüsiert das Gesamtgeschehen verfolgte.
Denn Gandalf übernahm das Erklären. Sie hatte nichts zu tun, als dazustehen. „Oh, die Geschichte ist, dass wir ein paar Probleme mit den Goblins in den Bergen hatten", umschrieb er. Das war einerseits Schönrederei und andererseits nicht unbedingt eine direkte Antwort auf die gestellte Frage.
„Warum seid ihr auch in die Nähe der Orks gegangen? Eine sehr dumme Idee", urteilte der große Mensch harsch.
„Ihr habt vollkommen Recht dabei", meinte der Istar und verdeutlichte seinen Standpunkt mit dementsprechender Gestik.
Und damit war die Pointe erreicht. Da der Graue Wanderer mit den Zwergen nicht vereinbart hatte, was genau das Zeichen war, auf das sie herauskommen sollten, folgte eine Fehlinterpretation. Der immer noch am Fenster sitzende Bofur schickte eilig das erste Zwergenpaar heraus.
Gandalf bemerkte es in dem Moment, als stampfende Schritte die beiden ankündigten und der Fellwechsler seine Axt in die Höhe hob. Blitzartig drehte der Spitzhutträger sich herum.
Der Zauberer und der Hobbit verfolgten mit ihren Blicken teils überrascht, teils hilflos, wie Dwalin und Balin vor die Hütte traten. Bilbo schaute zurück auf den Fellwechsler, dann auf die Brüder.
Ihr Gastgeber hatte deutlich gemacht, dass er Zwerge keineswegs leiden konnte. Jedoch bestand die Gemeinschaft aus, ähm; -Zwergen. Der Meisterdieb beobachtete unruhig, wie der große Mensch auf die ersten Khazâd reagierte.
Nun, stellte Linda trocken fest, er war nicht erfreut. Seine Augen zuckten hin und her und seine Gesichtsmuskulatur war angespannt. In der Hand hielt er das Beil, bereit, Dinge zu durchschlagen.
„Dwalin", brummte Dwalin, „Balin." Er deutete auf seinen Bruder, der freundlich lächelnd winkte.
Hier zu noch eine Anmerkung: Der oft grummelig erscheinende, misstrauische, vom Krieg gezeichnete Zwerg war in dieser Szenerie äußerst höflich. Bei aller Kritik, die das Mädchen im Sinne der Völkerverständigung bei jeder sich bietenden Gelegenheit übte, sollte dies nicht übergangen werden.
Gandalf unterdessen versuchte, die Situation zu beruhigen: „Ich muss gestehen, einige unserer Gemeinschaft sind durchaus... Zwerge."
„Nennt ihr zwei einige?", fragte ihr Gastgeber grollend nach, die Axt noch immer im Anschlag.
Während sich die beiden Menschengroßen unterhielten, behielt Bilbo seine Fassung, trotz der Bedrohung durch Beorn. Er hatte einen resignierten Gesichtsausdruck aufgesetzt.
Mithrandir stammelte: „Äh, wenn ihr das so betrachtet, nun ja, in diesem Fall, ..." Er zeigte hierhin und dorthin.
Glóin und Óin unterbrachen die Faselei. Sie stellten sich neben die älteren Durinssöhne, verbeugten wenn sich und warteten auf ihr Urteil. Metaphorisch gesehen.
„Ah, und hier ist sind ein paar weitere unserer lustigen Truppe", stellte Gandalf sie vor.
Beorn war immer noch nicht begeistert. „Nennt ihr sieben eine Truppe?"
Die junge Frau hätte nicht deuten können, ob ihr Gastgeber sich gleich auf sie stürzen würde. Musste sie aber auch nicht.
„Was seid ihr, ein Wanderzirkus?" Oh ja, sicherlich. Ihre Vorstellung belief sich auf Zwergentheater und das Feuerspucken übernahm dann Smaug.
Der Bärenmensch starte erbost Gandalf an. Alle kleineren Mitglieder der Gemeinschaft ignorierte er weitestgehend – insofern, als dass er sich über deren Präsenz aufregte, aber sie nicht ansprach. Übrigens eine sehr gute Taktik, hätten die Zwerge angefangen auf Beorn einzureden, wäre das nicht gut ausgegangen.
So beobachtete er aber auch, wie sich die nächsten beiden herausschlichen. Ori fürchtete sich sichtlich, sein Bruder folgte ihm.
„Dori und Ori, zu euren Diensten."
Auch der weißhaarige Zwerg wirkte verunsichert.
„Ich brauche eure Dienste nicht!", fuhr Beorn auf. Dabei hatten die Brüder gerade zu einer Verbeugung angesetzt.
Der Zauberer beschwichtigte ihren Gastgeber: „Absolut, absolut verständlich."
Jedoch benutzte er auch dazu Handgestikulationen. Bofur (am Fenster) hatte sogleich die nächsten losgeschickt.
Fíli und Kíli schienen nicht verängstigt, Linda erinnerte ihr Auftreten stark an ihren Onkel, wie sie mit steinerner Miene zu den anderen gingen und – sehr interessant – dem großen Mensch nicht nach zwergischer Sitte und Höflichkeit die Ehre erwiesen! Ein wenig mehr Freundlichkeit fehlte zur Note eins in Diplomatie.
Die junge Frau grinste innerlich. Das hier war eine der letzten nicht lebensgefährlichen, lustigen Szenen und sie genoss sie. Gleichzeitig aber hatte auch sie ihre regungslose Maske verbessert. Sie hoffte sehr, dass niemand ihr ihr, äh, wahres Tun ansah. Das Sich-lustig-über-alles-Machen.
„Ah, Fíli und Kíli, ich hätte sie fast vergessen." Mithrandir entschuldigte sich mit einem Lächeln.
Kaum hatte ihr Gastgeber – inzwischen beinahe fassungslos– das Ankommen dieser zwei Zwerge verarbeitet, stürzten gleich vier ihrer Kumpanen aus dem Haus. Sie hatten sich anscheinend nicht einigen können, wer als Nächster lossollte. „Nori, Bofur, Bifur und Bombur", zählte der graue Wanderer sie auf.
Der Hobbit und die Abenteurerin betrachteten ihre Reisegefährten, wie sie dort, fast wie zu einem Gruppenfoto, versammelt waren. In zwei Reihen hatten sie sich aufgestellt und ihr Blick richtete sich auf Beorn, der alle Entscheidungsgewalt in der Hand hatte. Das Bild eines Wanderzirkus passte, wie man einräumen musste, doch ganz gut.
Aber halt, einer fehlte: der Direktor, der die versammelten Zuschauer zu Beginn der Vorstellung begrüßte! (Gandalf war der Raubkatzendompteur. Er hatte nur hinter den Kulissen die Fäden in der Hand.)
„Sind das alle? Gibt es noch mehr?" Der Blick des Fellwechslers schweifte über die Gemeinschaft.
Thorin betrat die Bildfläche. Er nahm seinen Platz an der Tür ein, als wäre dieser für ihn freigehalten worden. Zwergenkönig und Mensch sahen sich in die Augen.
(Riesenhafter Mensch, nicht Menschin. Linda war weiterhin äußerst amüsierte Dekoration.)
Ihr Gastgeber resignierte innerlich.
„Gehen wir hinein. Und essen."
Während die Zwerge tuschelnd zurück in das Haus liefen, beobachtete Linda Beorn. Er hatte die Axt beiseitegelegt und seine Arme verschränkt. Sein Blick lag auf den Khazâd. Immer noch konnte das Mädchen nichts aus der Miene herauslesen.
Hatte er Gandalfs Spiel– auch wenn die Abenteurerin bezweifelte, dass der Graue Wanderer alles so geplant hatte– bereits durchschaut, bevor die komplette Gemeinschaft versammelt gewesen war? Wie wütend war er wirklich?
Diese und noch mehr Gedanken schossen ihr durch den Kopf, als sie sich ebenfalls auf den Weg nach drinnen begab. Sie schnappte Gesprächsfetzen auf.
„Hast du sein Gesicht gesehen, als...?" „Er ist sogar noch größer als Gandalf!" Die Krieger schnatterten wie die Gänse. „Seine Axt ist von sehr herausragender Qualität, wenn auch nicht mit der unseren vergleichbar, natürlich." Nun gut, es gab auch diese, die mit ernsten Blick die Lage analysierten. (Ein Tipp: Linda war es nicht.)
Der Fellwechsler hatte ihnen Essen versprochen. Tatsächlich hatten sich die Kameraden noch nicht an seinen Vorräten vergriffen. Naja, außer Bombur wahrscheinlich. Ohne irgendwelche unbegründeten Anschuldigungen aufzustellen...
Auf der Wanderung vom Adlerfelsen bis hierher hatte auch der rothaarige Zwerg mit Linda gesprochen. Dabei hatte er ihr anvertraut, dass er so gut wie immer, wenn er übernachtete, die Speisekammer des Gastgebers inspizierte. Er hatte beteuert, nicht jedes Mal etwas herauszunehmen. Aus reinem Interesse eines Kochs war er da.
Jedenfalls lief die Gemeinschaft in Richtung des riesenhaften Tisches. Ihr Gastgeber folgte ihnen nach drinnen und erklärte, dass sie sich setzen sollten, während er die Speisen zubereitete.
Darauf verschwand er in seiner Vorratskammer. Gandalf entkam ein kaum bemerkbarer Seufzer. Linda blickt ihn erstaunt an. Er schaute zurück. Sie schüttelte den Kopf.
Hatte doch recht gehabt mit ihrer Vermutung, der Zauberer hätte nicht alles im Griff. Ha. Wie dem auch sei, auf wichtigere Dinge konzentrieren. Wie zum Beispiel das Essen, ordnete das Mädchen ihre Gedanken.
Die Reisegemeinschaft setzte sich gerade an den Tisch. Es war nicht genügend Platz für alle, doch Balin meinte mit einem Lächeln, solange sie ihm etwas übrigließen, würde er gerne kurz für sich sein. Planen und nachdenken, vermutete die Abenteurerin.
Sie selbst hat einen Platz neben Dwalin ergattert, gegenüber von Bifur, an einer Ecke des Tisches. Vor Kopf saßen Kíli und Fíli; auf der Seite, die Linda nicht sah, Bombur und Ori. Hinter dem blonden Zwerg lehnte ihr schwarzhaariger Anführer an einem der großen Deckenpfeiler. Er hatte seine Augen geschlossen und schien nichts wahrzunehmen.
Der dunkelhaarige Prinz warf erst einen Blick über die Schulter, dann drehte er sich zu der jungen Frau: „Was hältst du eigentlich von unserem Gastgeber?" Auch sein Bruder spähte neugierig hinüber.
07.10.2021, 1336 Wörter
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