42. Kapitel
Rüde zogen die Orks ihre Gefangenen durch die Höhle. Sie zerrten sie über klapprige Holzbrücken, von denen es sehr viele gab, trotz des Widerstands, welcher nie ganz aufgegeben wurde.
Dwalin knurrte mit vor Wut blitzenden Augen die Goblins an, wenn er nicht gerade zwergische Verwünschungen gegen sie herausbrüllte oder sich mit Fäusten einen Weg freikämpfen wollte. Dori versuchte, den Orks zu entkommen und Ori beizustehen, der wiederum aufgehört hatte, sich den Kreaturen zu widersetzen.
Doch der junge Zwerg hatte noch nicht mal eine schlechte Entscheidung getroffen; denn so fassten sie ihn weniger grob an als eben seinen Bruder oder Kíli. Dieser hatte mit jugendlicher Entschlossenheit keineswegs vor, von der Orks-verprügeln-obwohl-er-keine-Chance-hatte-Mentalität abzuweichen. Fíli versuchte es mit Schreien, deren Inhalt allerdings das Mädchen nicht hören konnte.
Der Rest der Gemeinschaft verhielt sich, in manchen Fällen sogar befreiend gut, leiser. Nun denn, keiner der Zwerge sah von dem Sich-Wehren ab. Das Mädchen schlug hin und wieder gierige, nichts da zu suchen habende Orkklauen weg. Doch alles in allem ließ die Gemeinschaft zu, dass die Kreaturen sie – wohin auch immer – verschleppten.
Allerdings, das muss unbedingt gesagt werden, gaben die Gefangenen ihren erbitterten Widerstand, wie eben beschrieben, erst auf, als die einfältigen Gestalten sie ein gutes Stück durch ihr Reich gezerrt, geschubst und getrieben hatten. Kurz, sie verhielten sich nicht sofort zwergenuntypisch-abwartend.
Linda nahm dies aber nur am Rande wahr. Sie hatte alle Hände voll damit zu tun, nicht zu bemerken, wie nett die Kobolde sie behandelten. Es mochte den Khazâd nichts ausmachen, geschlagen, getreten und malträtiert zu werden, doch sie war keine gestandene Kriegerin.
Sie rieb sich den schmerzenden Kopf. Wie sollte das erst werden, wenn sie wirklich gegen die Orks kämpfen musste?
Nicht nachdenken, Linda, nicht nachdenken, ermahnte sie sich selbst. Eines nach dem anderen. Denn zuerst musste sie zu der Stelle, an der die Auseinandersetzung stattfand, kommen.
Immer weiter trieben die Goblins Thorin und Co. in die unterirdische Stadt. Sie schrien und krächzten, dass selbst taube Exemplare ihrer Art von der Ankunft der Zwerge wussten. Als wäre das nicht genug, fingen sie an, (mindestens genauso unterirdische wie ihr Aussehen und Benehmen) Musik zu spielen.
Den Anfang machten – so unrhythmische, dass sie nicht mal als solche bezeichnet werden dürften – scheppernde Trommeln. Oder vielmehr produzierten einige Kreaturen Lärm, Krach. Harmonische Melodien waren das wirklich nicht, das wäre eine Beleidigung für jedes Instrument!
Die junge Frau sah die verabscheuungswürdigen Diener des Bösen, welche gierig auf die Gemeinschaft blickten, von überall heranströmen. Doch den grauenvollsten von ihnen bekamen sie noch nicht zu sehen, obgleich seine fürchterliche Stimme die ganze Orkstadt erfüllte.
„Ehe man sich's versieht, sing ich ein Lied!"
Der größte von all den schleimigen, entstellten Wesen bereitete ihnen einen gebührenden Empfang, mit Fanfaren und einem Tusch. Also, dies wäre schön gewesen. Doch leider hatte der Großork nicht dieselbe Idee wie Linda. Er hielt es für besser, ein ... liedähnliches Etwas vorzutragen.
Ihr Weg führte sie, von Pfählen gesäumt, direkt auf den König der Goblins zu. Der legte nun seine Füße auf seinen Untergebenen ab. Die Abenteurerin hatte sich nicht vorstellen können, dass irgendein Geräusch schlimmer war als das begeisterte Geschrei der madengleichen Gestalten.
Doch jetzt wusste sie es besser: Das, was entstand, wenn man Kobolde zusammenquetschte, übertraf alles. Angewidert, auch von dem Großork, der das mit dem „die Last des Königtums auf mehreren Schultern verteilen" etwas zu wörtlich nahm.
„Pack, hack, zwick und zwack; gripp, grapp, Ohren ab!"
Seine Brut unterdessen geleitete die Gemeinschaft über die hölzernen Stege. Dabei hatte das Mädchen die Gelegenheit, sich die Umgebung anzuschauen. Worauf sie gerne verzichtet hätte.
Die Fackeln, die alles in ein unheimliches Licht tauchten, die herumliegenden Knochen, die fürchterlichen Fratzen der Orks; all dies tat im Film sein Übriges, diesem Ort eine furchtbar unheimliche Atmosphäre zu geben. Nur konnte das hier niemand der Zwerge gebrauchen, die schrecklichen Gesänge (und die damit verbundenen Versprechen) waren schon Unheil verkündend genug.
„Prügel und Schlag, bis ihr jammert und klagt!"
Begeistert unterstützten die jämmerlichen, entstellten Diener Morgoths ihre Anführer mit Geschrei und sonstigem Lärm. Das Lechzen nach dem Blut der Khazâd glänzte in ihren Augen.
Schaudernd wendete Linda sich ab. Ja, sie fürchtete sich vor dem bevorstehenden Kampf. Und wie sie fanden ihre Kameraden die Goblins abscheulich, da brauchte man nicht hellsehen zu können.
Glóin, der in Sichtweite der jungen Frau war, konnte man den Widerwillen im Gesicht ablesen, ja, sie sah, dass er die Orks für genauso ekelerregend hielt wie sie. Diese entstellten Gesichter, versehen mit eitrigen Hautausschlägen und Narben, Hände, die eher an Klauen erinnerten, und fiese, kleine Augen, welche eingesunken Hunger nach Qual und Folter für die Zwerge zeigten.
„Ab, ab ins dunkle Loch!"
Der Großunhold setzte zu einer Art Crescendo an, das er mit theatralischen Gesten noch stärker zum Ausdruck bringen wollte. Doch dies führte den Gefangenen die Abscheulichkeit des gigantischen Goblins noch mehr vor Augen. Nicht seine irre Vorliebe, Gefangene zu seiner Belustigung zu foltern, sondern allein die Widerwärtigkeit seines Anblicks stellte er so zur Schau.
Er war beinahe noch ekelerregender als die kleineren Exemplare seiner Art; dieselben Warzen und Entzündungen auf der Haut, dieselben bösen Augen, dieselben kleinen Ohren. Doch bei dem Anblick seines gewaltigen Kinnsacks und der fettigen Haare unter seiner Krone drehte es einem den Magen um.
Die gewaltige Scheußlichkeit fuchtelte mit einem Zepter, bestehend aus einem meterlangen Stock und einem Tierschädel, und setzte erneut zu singen an. „Unten in der Stadt der Orks!"
Der Gefangenenzug hatte sein Ziel fast erreicht. Während die Goblins folgsam die letzte Liedzeile wiederholten, schoss es Linda durch den Kopf, dass sie die Größe des Höhlenkönigs unterschätzt hatte.
Er war nicht doppelt so groß wie sie, nein, mindestens dreimal so hoch ragte er vor ihr in die Höhe. Von Breite und Masse musste erst gar nicht gesprochen werden.
„Mit der Peitsche ein Hieb, bis ihr schreit, bis ihr fiept!"
Eine Krone trug der Großork; nun ja, eine Art. Die Knochen auf seinem Kopf waren wahrhaftig nicht sehr majestätisch. Unterdessen zerrten und führten die Goblins ihre Gefangenen die letzten Meter bis vor den Thron des gewaltigen Koboldes. Dieser untermalte weiterhin alles mit schauerlicher Musik.
„Wenn ihr festgeschnallt auf der Streckbank liegt, ab, ab ins dunkle Loch!"
Er untermalte dies noch mit Gestampfe seines zepterähnlichen Stabes, sodass die ganze Holzkonstruktion, auf der sie standen, zu wackeln anfing. Seine Untertanen waren nach wie vor höchst begeistert von dem Lied und davon, scheußliche Melodien zu grölen.
Die Zwerge blieben einer nach dem anderen vor dem Giganten stehen. Sie waren ganz und gar nicht erfreut. Was auch nicht anders zu erwarten war. Dieses Gesinge war eine Beleidigung eines jeden Musikanten.
„Unten in der Stadt der Orks!"
Wieder echoten die Goblins diesen Satz des Liedes. So gesehen war die Komposition nicht schlecht, doch singen konnten die Kreaturen immer noch nicht. Natürlich gefiel Linda das Etwas mit dem Titel „Lied" überhaupt nicht, doch die Idee, dass seine Brut als Hintergrundchor fungierte, wäre bei besserer Besetzung der Sänger ein schöner Effekt gewesen.
Auch sie hatte angehalten. Der sie führende Kämpfer hatte sie dazu gezwungen, wie es bei Gefangenen eben so üblich war. Folglich stand sie vor dem Großork und sah ihm beim Singen zu. Eine Erfahrung, auf die jeder gern verzichtet hätte.
Das Mädchen ging einen Schritt zur Seite, um sich unauffällig etwas von dem Goblin zu entfernen. Ihr Blick wanderte erneut über den Anführer der grausigen Scharen. Jener setzte gerade zu einer dritten Strophe an.
Die junge Frau musste sich ein Seufzen verkneifen. Wie lange musste diese Ohrenquälerei denn noch gehen?
1230 Wörter, 25.02.2021
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro