4. Kapitel
Wenn es noch eine höhere Stufe des Aufgeregtsein gab, dann hatte Linda sie gerade erreicht. Schnell huschte sie Bilbo hinterher, mit einem Pokerf- äh, mit einem riesigen Grinsen im Gesicht. Der arme Hobbit öffnete die Tür.
„Fíli-"
„und Kíli"
„-zu Euren Diensten." Die beiden verbeugten sich unisono.
Fíli sah das Mädchen für einen Moment etwas irritiert an, Kíli fuhr währenddessen fort: „Ihr müsst Herr Beuteler sein -" Der Braunhaarige war auch etwas verwundert, als er sie erblickte.
„Ich bin Linda", beeilte sie sich zu sagen. Überraschenderweise war sie nicht so unsicher wie noch heute Morgen bei Gandalf - ihr sollte es nur recht sein, wenn sie den sinnbildlichen Schalter endlich umgelegt hatte.
Die beiden schauten immer noch skeptisch drein, wandten sich aber dem Halbling zu, der im Begriff war, die Tür zu schließen. „Nein, ihr könnt nicht reinkommen, das ist das falsche Haus!"
Also, Zwergen die Tür vor der Nase zuzuschlagen will gelernt sein, Bilbo, dachte Linda belustigt. Der jüngere der Brüder hielt mühelos dagegen.
„Was? Ist es abgesagt worden?" Kíli war eindeutig enttäuscht.
„Davon wissen wir ja gar nichts", ergänzte der Blonde.
Stumm schüttelte Linda den Kopf. Fíli, der ihre Reaktion eindeutig bemerkt hatte, stutzte erneut. Sie sollte vielleicht aufhören, alle in ihrer Umgebung zu verwirren, doch dafür war das hier einfach viel zu lustig.
„A...Abgesagt? Es wurde gar nichts abgesagt!", unterstützte der Halbling nichtsahnend ihre Antwort.
„Da bin ich aber erleichtert!"
Kíli und Fíli spazierten an Bilbo vorbei, nickten Linda eilig zu, die mehr oder weniger schnell zur Seite gehuscht war, und letzterer drückte dem Hobbit seine frisch geschliffenen Schwerter in die Hand. Außerdem bekam der arme Halbling von Fíli zwei oder drei oder mehr Dolche zur Verwahrung.
„Schönes Haus. Sehr hübsch hier", das war wieder der jüngere Zwerg. „Habt Ihr es selbst gebaut?"
„Was - äh, nein, ist schon lang im Familienbesitz."
Jetzt musste der Prinz seine nicht vorhandenen Manieren vorweisen. War das nicht ein Widerspruch in sich? (Indem Kíli übrigens seine Schuhe an Belladonnas berühmter Aussteuertruhe abwischte.)
Das Mädchen hatte sich kurzzeitig an die Haustüre gelehnt und folgte nun den Brüdern ins Esszimmer, nicht ohne Bilbo ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen. Der aber beachtete sie gar nicht, sondern starrte den Zwergen entgeistert hinterher.
Linda schnappte sich einen Stuhl, schob ihn in eine Ecke und setzte sich darauf, während alle schon anwesenden Durinssöhne die Tische verschoben. Schließlich wussten die Zwerge (und sie auch, aber ja), dass die aufgestellte Tafel nicht für alle Gemeinschaftsmitglieder reichen sollte.
Die Türglocke bimmelte.
„Nein, nein, es ist niemand zu Hause!" Der Hobbit hatte genug. Trotzdem ging er in die Richtung seiner Haustüre, resignierend seine Weltvorstellungen aufgebend – so schien es zumindest.
Linda konnte sich nicht länger beherrschen und musste zumindest ein wenig kichern.
Überrascht sah Kíli auf. „Was macht Ihr hier? Ihr seid kein Hobbit, soweit ich das sehen kann."
„Und weder ein Zwerg noch ein Mensch", ergänzte Fíli. Die Zwergenbrüder blickten ihr forschend in die Augen und auch Dwalin und Balin erwarteten allem Anschein nach ihre Antwort.
„Nun, ich bin ein Mensch, wenn auch ein ziemlich kleiner. Und ich übernachte heute bei Bilbo." Ihre Stimme klang weitaus selbstbewusster, als sie sich fühlte. Ganz zufrieden waren die Zwerge nicht mit ihrer Antwort, besonders Balin schien nicht überzeugt.
„Möchtet Ihr etwas zu essen?", fragte Kíli.
„Nein danke, ich hatte schon etwas", meinte sie abweisend. Die Vier merkten anscheinend, dass sie nicht mehr aus ihr herausbekommen würden. Vorerst, das kündete Dwalins Blick.
Innerlich atmete Linda auf. Gerne würde sie den Zwergen alles erzählen, wirklich alles. Aber zuerst musste sie eben sichergehen, dass Thorin sie mitnahm. Und so viel wusste sie aus tausenden Fanfiktions (und ihrem gesunden Menschenverstand): Der Zwergenkönig* war sehr misstrauisch und würde ihr nur ungern einen Platz in seiner Gemeinschaft auf einer geheimen Expedition überlassen.
Gründe hätte er sicherlich viele: Sie konnte sich nicht verteidigen, sie war noch sehr jung, niemand wusste, ob man ihr vertrauen konnte, die Geschichte mit „aus einer anderen Welt von den Valar gesendet" war auch mehr als unglaubwürdig, sie war keine Zwergin und sie war eine Frau.
Die Augen des Mädchens blitzten wütend. Es war Thorin nicht zu raten, letzteres „Argument" vorzubringen.
Während Linda diesen Gedanken nachhing, kamen die anderen Zwerge ins Esszimmer. Keiner sprach sie an. Das Mädchen, das dies bemerkt hatte, war stolz auf sich, denn scheinbar sah sie so furchterregend aus, dass niemand wagte, sie anzusprechen.
Die ernüchternde Wahrheit war, dass Fíli den Angekommenen mitgeteilt hatte, dass sie sich erst mit diesem Problem befassen würden, wenn Thorin da war. Jetzt hatte Bilbo-in-den-Wahnsinn-Treiben oberste Priorität. Aber zuallererst musste ein Zwerg ja essen, nicht wahr? Wobei, damit machten sie den Hobbit auch schon verrückt genug.
„Nicht meine preisgekrönten Tomaten!" Ach Bilbo... Linda grinste schon wieder. Sie betrachtete das bunte Treiben und schmunzelte. Es ging zu wie auf einem Kindergeburtstag, verglich sie es mit etwas, das ihr vertraut war.
Die Zwerge mochte sie wirklich gerne, mit ihnen würde sie gut auskommen - nun denn, wenn sie auch so mit ihr scherzen würden, wie sie es untereinander taten. Alle riefen durcheinander und lachten eigentlich durchwegs. Parallel schafften sie es noch, Bilbos komplette Vorräte zu vernichten. Nun gut, das Wetttrinken und -rülpsen war Gewöhnungssache, aber sonst... Zwerge wussten, wie man Spaß hatte.
Linda kam sich vor, als wäre sie mitten in den Film hineingeraten, denn es lief genauso wie in jenem ab. Die Zwerge ignorierten sie und so passierte tatsächlich jede Szene wie geplant. Sie bemerkte im ganzen Trubel aber nicht, dass immer ein Zwerg ein Auge auf sie hatte.
„Ich begreif' nicht, was die in meinem Haus wollen!", regte Bilbo sich bei dem Zauberer über seine Gäste auf.
Ach ja, Gandalf war auch noch da. Das Mädchen richtete sich auf ihrem Stuhl ein wenig auf und ihre Augen leuchteten vor Vorfreude. Dieses ganz bestimmte Ereignis hatte sie en détail auf ihrer Festplatte abgespeichert und ja, sie erkannte die ersten Sequenzen davon.
„Verzeiht bitte", fragte - außerhalb Lindas Blickfeld im Flur - Ori den Halbling durchaus höflich, „es tut mir leid, wenn ich Euch unterbreche, aber was soll ich mit meinem Teller machen?"
Fíli trat zu den beiden. „Schon gut, Ori. Gib ihn mir."
Die unbeteiligte Zuhörerin grinste noch breiter, als sie die entsprechenden Geräusche und Bilbos Geschimpfe dazu hörte. „Tragt das zurück. Entschuldigt mal, das ist das gute Westviertelgeschirr meiner Mutter, das ist über hundert Jahre alt!"
Kíli spielte Fußball mit dem Porzellan und Bilbo hörte gar nicht mehr auf mit dem Gekeife. „Oh, nein, nein, nein. Nein. Nein. Und... und lasst ihr das bitte sein? Ihr macht sie stumpf!"
Vor ihr hatten einige Zwerge eine durchaus anspruchsvolle Choreographie begonnen - oder war es ein Kampf? Mit Küchenmessern. Bilbos Küchenmessern. Auf jeden Fall stichelte nun Bofur: „Oh, Jungs, habt ihr gehört? Er hat gesagt, die Messer werden stumpf!" Alle lachten nur noch lauter.
Aus dem Flur ertönte Kílis Stimme: „Schlitzt das Tischtuch von Damast."
„Steckt in Brand nun den alten Kork", sang Fíli, dann fuhren alle gemeinsam fort:
„Werft die Gläser fest an die Wand! Tut, was Bilbo Beutlin hasst! Spritzt den Wein an jede Tür, in den Boden stampft das Fett. Tränkt die Teppiche gut mit Bier, schmeißt die Knochen unters Bett! Wir zerkleinern mit dem Beil Töpfe, Schüsseln, Porzellan. Und ist dann noch etwas heil, fangen wir von vorne an. Tut, was Bilbo Beutlin hasst!"
Bei den letzten Worten stand auch Linda in der Küche und brach mit Zwergen in schallendes Gelächter aus. Sie hatte sich während des Liedes langsam auf die Küche zubewegt, immer darauf bedacht, nicht in der Schusslinie von jemandem zu gelangen. Wie durch ein Wunder hatte auch der quasi-Linda-wachehabende Zwerg nicht aufgepasst und so fiel sie ihnen erst auf, als es an der Tür klopfte und sie als einzige weiterlachte.
Schnell stoppte sie, um Gandalf seinen epischen Satz zu lassen, doch jeder hatte sie gehört. Alle (bis auf Bilbo und den Zauberer) sahen zuerst finster zu ihr und dann zur Tür. Solch eine Frechheit, die Epik zu zerstören!
„Er ist da."
1300 Wörter, 07.07.2020
----------
* Ich werde Thorin als König darstellen, weil er bereits Herrscher über Durins Volk (in den Blauen Bergen) ist. Der Titel des Königs unter dem Berge ist quasi nur ein "Zusatz", also, er muss nicht König unter dem Berge sein, um König genannt zu werden. War das jetzt verständlich? 🙈
überarbeitet
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro