39. Kapitel
„Seht!" Die Gemeinschaft, nass, frierend, auf dem Felsensims stehend, beobachtete mit Grauen, wie der Gigant scheinbar mühelos einen Gesteinsbrocken von der Bergspitze abbrach.
Bofur schien besonders beeindruckt. „Gütiger Himmel! Die Legenden sind wahr. Riesen! Steinriesen!"
Ohne hinzuschauen wusste Linda, dass sich der Zwerg dummerweise ein Stück vom schützenden Gestein fortbewegt hatte. Sie selbst zitterte verängstigt – hinter Balin stehend mit dem Berg im Rücken – und starrte das Unwetterspektakel an.
Wenngleich sie diese Geschichten gerne einmal hören würde.
Nur nicht jetzt – denn im Moment warf der Riese den gewaltigen Stein. Er flog nah an ihnen vorbei, sehr nah, doch fand auch sein Ziel: einen zweiten Felsgiganten.
Dieser wurde, gefährlich wankend, aus dem Gleichgewicht gebracht. Doch darum konnten sich Thorin und Co. gerade nicht kümmern: Der Pfad, auf dem sie sich befanden, wurde erneut mit Steinen beregnet.
„Festhalten!" – „Aargh!"
Die Rufe waren fast so laut wie das Getöse der Felsen.
Linda presste sich erneut schutzsuchend gegen die kalte Wand. In diesen Augenblicken kam ihr der Gedanke eines prasselnden, wärmenden Kaminfeuers.
Nicht besonders hilfreich in solch einem Moment, doch erinnerte sie dies daran, wofür sie dies machten: Um einen fliegenden Kamin zu besiegen, woraufhin die Zwerge ein Zuhause mit prasselnden Öfen hätten.
Ein sehr gemütlicher Gedanke. Nur nicht passend zu der stürmischen Realität.
Der Regen war überall, unablässig fiel er vom Himmel. Dazu kamen noch die umherfliegenden großen und kleineren Gesteinsbrocken, vor denen sie sich in Acht nehmen mussten. Deren Getöse war ohrenbetäubend.
Es war, als prasselten gigantische Hagelkörner auf sie nieder, als würde der Donner die ganze Zeit brüllen. Es knirschte und knackte wie bei der Versteinerung der Trolle vor ein paar Tagen.
Doch das war hiergegen ein Kinderspiel gewesen! Nichts hatte Linda machen müssen – und jetzt? Sie stand zitternd vor einem metertiefen Abgrund, die Hände verkrampft am glitschigen Gestein.
Ein gewaltiges Knarzen und Krachen ertönte. Vorsichtig, immer noch an den Berg gedrängt, spähte das Mädchen nach rechts, von wo das Geräusch gekommen war. Der Sturm tobte.
Sie erkannte das Geschehen aus der Filmsequenz wieder: Der Felsen spaltete sich – und mit ihr die Gemeinschaft.
Unwillkürlich presste die junge Frau sich noch ein wenig mehr an den kalten Stein. Sie wusste, was jetzt kam.
Unterdessen war der Spalt zwischen den zwei jüngsten Zwergen noch breiter geworden. Es war unmöglich, ihn zu überspringen, wie Fíli dennoch seinen Bruder drängte. Mit weit aufgerissenen Augen sah Kíli seinem Bruder nach, der immer weiter von ihm weggetragen wurde.
Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Was passierte hier?
Der Berg brach geräuschvoll weiter und weiter auseinander. Es krachte gehörig, ein Fels fiel hinab. Ein Blitz erhellte das Tal. Verängstigt bemühten sich beide Teile der Reisegesellschaft, auf dem Pfad zu bleiben.
Ihre Blicke suchten weiter verzweifelt nach einer Lösung, nach einem Grund für das plötzliche Auseinanderbrechen des Gebirges. Da!
Hoch oben im Nebel erkannte man eine Antwort auf ihre Frage: Mit lautem Knarzen erhob sich ein dritter Steinriese – auf dem sie alle sich befanden.
Jemand schrie auf.
Manch einer blickte noch immer fassungslos gen Himmel, andere bemerkten, dass der Boden unter ihren Füßen zu schwanken begonnen hatte.
Wie auf einem Schiff mit hohem Seegang bewegte sich der Felspfad nun.
Noch immer hatte Linda sich nicht aus ihrer schutzsuchenden Haltung begeben, noch immer hielten ihre aufgeschürften Hände das Gestein fest. Ihr Blick galt allerdings nicht dem Gefecht der Giganten, sondern den anderen Zwergen. Das hier war gefährlich, sie sollte besser nicht den Abgang verpassen.
Ihren Kameraden ging es nicht besser als ihr. Vor dem Regen und den steinernen Geschossen fliehend hatten auch sie sich an den Berg gekauert.
Jetzt, da sich das Bein des Steinriesen, auf dem sie hockten, besonders schnell bewegte, suchten auch sie Halt in den zerfurchten Felsen. Die Steine konnten nicht ihr Schreie übertönen, auch nicht, als geräuschvoll Fels gegen Fels krachte.
Ihr Steinriese unterdessen hatte auf welche Weise auch immer die Kontrolle über sein Bein verloren. Wie ein Höchstgeschwindigkeitsunfall auf der Autobahn krachte der Teil des Pfades, auf dem sich auch die junge Frau befand, gegen einen Bergpart – und kam zum Stehen.
Thorin verlor keine Zeit. „Lauf, los, los!"
Linda konnte nicht sagen, wie sie es geschafft hatte, seinem Befehl zu gehorchen. Der Hilfe Balins war sie sich sicher, ebenfalls, dass sie gerannt war.
Jedenfalls stand sie auf der sicheren Seite des Weges, als sich der Steinriese erneut erhob und die Verbindung zwischen dem Pfad auf dem Giganten und dem in den wirklichen Berg gehauenen Part des Weges gelöst war.
Auf einen Haufen geworfen war nun das Gros der Gemeinschaft fort von dem Bergmonster – in Sicherheit waren sie nicht (der Sturm wütete noch, die Riesen kämpften und der Abgrund war vorhanden), wenngleich sie im Gegensatz zu ihren Kameraden gerettet waren.
Blitze zuckten, Donner grollte.
„Achtung!"
Ein weiterer Steinregen fiel auf sie herab. Doch vielleicht hatte dieser Ausruf anderen gegolten. Noch immer hielten sich in Todesangst einige Zwerge und Bilbo auf dem anderen Bein des Steinriesen.
Diese wilde Fahrt, bedingt durch den Kampf der Riesen oberhalb, beobachteten die geretteten Zwerge mit größter Furcht um ihre Kameraden, Mitzwerge, Brüder.
Sie achteten nicht auf die Gefahren um sie herum, nur ihre Freunde hatten sie im Sinn. Wie nur konnte man ihnen helfen?
In die Geräusche des dröhnenden Regens und der Schreie der Gemeinschaft (nicht zu vergessen die der herunterfallenden Gesteinsbrocken) mischte sich immer wieder ohrenbetäubender Donner.
Einerseits solcher aus den Gewitterwolken, andererseits solcher, wenn Fels auf Fels krachte und dieser abbrach. Der Kampf der Giganten hatte einen Höhepunkt erreicht.
Hoch oben in den tiefhängenden Wolken droschen sie aufeinander ein, warfen Kleinberge und zerstörten Tonnen an Gebirge.
Angsterfüllt schrien die Zwerge, die noch auf einem Bein des Riesen saßen, auf, als dieser schneller als zuvor auf eine Felswand zusteuerte. Auch das Herz des Mädchens klopfte in diesen Sekunden schneller.
„Springt!" – „Macht schon!"
In ihren Verzweiflungsmomenten fielen den Khazâd nur mörderische Ideen ein.
Verzweifelt brüllten sie auf die anderen ein, während deren Teil des Pfades an ihnen vorbeiraste. Donner erfüllte die Schlucht. Verzweifelte Schreie ertönten im Tal.
Im Augenkontakt mit ihren Gefährten liefen die Zwerge noch ein Stückchen weiter. Dort, da waren sie – auf dem Bein des Riesens, der für kurze Zeit innehielt, in welcher er aber aus dem Gleichgewicht kam.
Die trügerischen Sekunden vergingen.
Mit einem gewaltigen Knacks! krachte der ehemalige Teil des Weges in einen Teil des Pfades, der noch vor Linda und den anderen lag.
Keine Frage, innerhalb von Sekundenbruchteilen stürzten alle noch auf den Beinen Stehenden hin zu der verhängnisvollen Stelle.
„Nein! Nein!" Thorin wollte es nicht wahrhaben.
Sollten sie tatsächlich ihre Freunde verloren haben?
Dann bog er um die Ecke.
Auch Linda folgte den Zwergen. Sie hatte ebenfalls ein mulmiges Gefühl im Magen. Was, wenn...?
1110 Wörter, 04.02.2021
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