26. Kapitel
Erschrockene Aufschreie waren zu hören. Mit einem gewaltigen Satz sprang der Warg in die Mitte der Gemeinschaft, über den sich duckenden Bofur.
Die überraschte Starre war von den Zwergen gewichen und Thorin machte dem Untier mit einem Schwerthieb den Garaus. Unbewusst hielt Linda ihre Klinge in der Hand, genauso wie ihre Kameraden.
Am Boden zuckte das Tier noch, als eine weitere Bestie hinter dem Zwergenkönig die Böschung hinunterpreschte. „Kíli! Dein Bogen!"
Keine Sekunde später flog ein Pfeil durch die Luft, traf zielgenau und brachte den riesigen Wolf von seinem Kurs auf sie alle ab. Schreckensstarr beobachtete Radagast das sich ihm bietende Szenario. Im Gegensatz dazu war das Gros der Zwerge in fiebriger Aufmerksamkeit, umherblickend und Waffen zückend.
Kurz darauf lag die Bestie tot zu ihren Füßen, ein gezielter Schlag von Dwalin hatte gereicht.
Alarmiert traten mehrere Zwerge, die Zauberer, der Hobbit und das Mädchen näher zu den Tierkadavern. Mit einem Ruck zog Thorin Orkrist aus der Leiche. Sein finsterer Blick strich über den Kadaver. „Warg-Späher. Dann kann die Ork-Meute auch nicht mehr fern sein", sagte er.
Man konnte die Anspannung des Zwerges aus seiner Stimme heraushören und aus seiner Körperhaltung lesen, seine Augen sahen sie durchdringend-alarmierend an, wie man sich sonst nur einen Anführer im Krieg vorstellte.
Nun, das war ihr Anführer und die Orks führten Krieg gegen sie.
Bilbo links neben dem Mädchen wollte sich mit schneidend-angsterfüllter Stimme vergewissern, dass er „Ork-Meute" richtig verstanden hatte, doch Gandalf fragte Thorin eindringlich: „Wem, außer deiner Sippe, hast du von deinem Vorhaben erzählt?"
Sein Blick fixierte den Schwarzhaarigen an, sodass er nicht Lindas subtiles Kopfschütteln sah.
„Niemandem."
„Wer weiß davon?!"
Genervt verdrehte sie die Augen, aber ihren Ärger versuchte sie zu verdrängen, die Sekunden, die sie hier verloren, waren nicht von so großer Bedeutung.
„Niemandem, ich schwöre es!", sprach Thorin mit Nachdruck. „Was, in Durins Namen, geht hier vor sich?"
Der erste Schreck hatte sich inzwischen gelegt, was aber keineswegs bedeutete, dass die Krieger unaufmerksam wurden.
„Man macht Jagd auf euch", erklärte Gandalf.
Vielsagende genauso wie nichtssagende, angsterfüllte Blicke wurden gewechselt. Dwalin unterdessen fasste das zu Erledigende in einem Satz zusammen: „Wir müssen hier verschwinden."
Ori, begleitet von Bifur, war durch den Wald geeilt und blieb nahe des Angriffsortes des zweiten Warges stehen. „Können wir nicht! Wir haben keine Ponys, sie sind durchgegangen!", tönte es aufgeregt durch den Wald.
Das trug nicht zur Verbesserung ihrer Situation bei und diente auch nicht ihrer Entspannung. Der Halbling wandte sich unruhig ab, wahrscheinlich überstolperten sich seine Gedanken und Ideen gerade.
„Ich werde sie weglocken", mischte sich Radagast ein. „Das sind Gundabad-Warge, sie werden dich einholen!", argumentierte Gandalf dagegen. Er war besorgt um seinen Kollegen. Linda kam (dank Übermüdung) der Gedanke, dass Radagast gut Gandalfs kleiner Bruder sein könnte, die Vorstellung war zugegebenermaßen süß.
„Und das sind Rhosgobel-Kaninchen!", fuhr der Braune Zauberer energisch fort. Seine Augen blitzten voll Vorfreude. „Die sollen es ruhig mal versuchen."
Ein Nicken von Thorin genügte und der Plan wurde in die Tat umgesetzt.
„Folgt mir!", befahl der Zwergenkönig. Nur Gandalf wartete noch einen Moment länger und erklärte Radagast, wo sie herauskommen würden, nachdem sie das Lager abgebrochen hatten.
Linda, die Zwerge und Bilbo rannten durch das Unterholz in Richtung der alten Ruinen. Das Mädchen konzentrierte sich auf das vor ihr Liegende: Sachen zusammenpacken und rennen.
Ihr Gepäck jetzt noch mitzunehmen war ihr vorhin gar nicht in den Sinn gekommen, als sie ihre Manteltaschen inspiziert hatte. Das Lager lag auf dem Weg, den Gandalf sich überlegt hatte. Sie sollten nämlich in einem weiten Bogen ungesehen von hier verschwinden, ohne die große Ebene zu überqueren, hatte der Zauberer seinem Kollegen erklärt.
Was auch immer das bedeuten sollte, Linda wusste zumindest, was sie zu tun hatte.
Kaum hatte sie auf ihre Umgebung geachtet und so sah sie überrascht auf, als sie ihr Etappenziel erreichten. Sie beschleunigte ihren Schritt und eilte zu ihrem Gepäck.
Der Umhang wurde mit fahrigen Händen zusammengerollt und an der Tasche, die fertig gepackt war, befestigt. Ungeduldig und angespannt zitterten ihre Finger beim Schließen der Schnallen.
Mit hastigen Schritten schloss sie zu der Gemeinschaft auf. Sie hatten sich unter Thorins Führung versammelt, der alle und alles durchgehen zu schien. Entschlossen nickte der Zwergenkönig und ermahnte sie mit Gesten, leise zu sein.
Nun tauchte auch Gandalf auf. Ohne Worte verständigten sich beide und los ging das Laufen. Fliehen. Rennen.
Linda fand sich recht schnell am Ende des Feldes wieder (was sie nicht unbedingt überraschte). Sie eilten – immer halb verborgen – von Hügel zu Hügel, Busch und Felsen.
Das hier war der lustigere Teil des Ganzen. Ohne Warge in Sichtweite, und noch konnte das Mädchen über die angespannten Gesichtszüge ihrer Gefährten Späße machen. Teilweise.
Noch kurz... genau jetzt hatte sie den Ernst der Lage erkannt. (Das wiederum war eine sehr große Leistung für sie.)
In der Ferne ertönte lautes Warggeheul, solches, wie es die Wölfe in Erzählungen bei Vollmond von sich gaben. Durchdringlich und unheimlich.
Die Gemeinschaft, hoffentlich gut versteckt vor den Blicken der Orks, hinter einem Felsen abwartend, konnte gut hören, wie Radagast ihre Verfolger von ihnen ablenkte.
Nicht wenige der Krieger kontrollierten zum wiederholten Male den Sitz ihrer Waffen und tauschten besorgte und angespannte Blicke. Unterdessen rief Linda sich noch einmal möglichst viele Einzelheiten dieser Szene in Erinnerung. Wo sollte sie am Besten stehen?
Der Hobbit deutete ihre Miene als eine besorgt-angespannte (dies wäre sicherlich auch besser gewesen, wegen ihrer nicht vorhandenen Konzentration in diesem Moment) und lächelte ihr leicht zu.
Das Mädchen – glücklicherweise aus ihren Gedanken gerissen – erwiderte den Gruß. Der Halbling schien etwas Aufmunterung zu benötigen, seine Augen waren voller Sorge.
Endlich, Gandalfs Signal: „Kommt schon!"
Und das taten sie. Sie eilten ihm nach, zwischen Felsen und Gestein und über Gras, immer dem sich schnell bewegenden Spitzhut hinterher.
Dabei konnte die Schwarzhaarige keinen Gedanken an irgendwelche Filmsequenzen verschwenden. Sie war jetzt in Mittelerde, mit Wargen auf ihren Fersen und musste rennen.
Einen Fuß vor den anderen, nicht stolpern.
Einen Rhythmus finden. Auf und ab wurde ihre Tasche geschleudert, ein und aus atmete sie, ein und aus.
Sie keuchte, als sie zu einem kurzen Halt kamen. Die Kreaturen waren in Sichtweite.
Einmal, zweimal schnappte sie nach Luft, dann der Ruf des Zauberers: „Weiter!"
Ihre Augen hefteten sich an die Füße ihres Vordermannes. Weiter.
Noch einmal abrupt anhalten. Einer nach dem anderen an Gandalf und Thorin vorbei, so viel bemerkte sie.
Weiter. Rennen.
Den Hügel runter, die Orkmeute ganz nah.
Jetzt, endlich, Schutz an das Gestein gepresst suchen.
Einatmen. Ausatmen.
Linda kam wieder zu Sinnen. Oh nein. Schlecht. Sie versuchte, noch ein wenig mehr mit dem kühlen Felsen hinter ihr zu verschmelzen.
Das Knurren des Warges über ihnen war deutlich zu hören, es herrschte eine gespenstische Stille. Daraufhin Thorins Zeichen.
Kíli nahm einen Pfeil aus seinem Köcher, spannte die Sehne und schoss.
Dann das meilenweit zu hörende Gebrüll des Warges.
Die junge Frau schloss ihre Augen.
1092 Wörter, 08.10.2020
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