18. Kapitel
„Bilbo ist sehr wohl noch bei Verstand!", brüllte Linda dem Zauberer hinterher, der sie aber nicht mehr hörte. Sie zuckte nur mit den Schultern und antwortete auf Bilbos Frage, die er dem gerade zu ihnen getretenen Balin stellen wollte: „Gandalf kommt wieder, keine Sorge."
Die junge Frau hängte sich ihre Tasche um und stapfte die kleine Anhöhe hinauf zu der Ruine und zu Thorin, der gerade Bombur zum Kochen aufgefordert hatte. Jetzt sah er sie missmutig an und beobachtete jeden ihrer Schritte. Linda wiederum starrte mit der gleichen Intensität zurück. Entnervt gab der Zwergenkönig auf, woraufhin das Mädchen beim Ablegen ihrer Sachen in eine relativ trockene Ecke verschmitzt grinste.
Schon seit geraumer Zeit spukte ihr eine Idee im Kopf herum und jetzt beschloss sie, diese in die Tat umzusetzen. Vielleicht war es ein wenig riskant, doch Linda hatte Vertrauen in jemanden. Ha, auch mal schön zur Abwechslung.
Langsam und vorsichtig öffnete sie alle Schnallen und Knöpfe an Athenas Sattel und Zaumzeug, rücksichtsvoll zog sie dem Pony beides ab. Das Tier sah sie aus klugen, braunen Augen beinahe fragend an.
Ein letztes Mal streichelte Linda das schwarz-weiße Fell. „Los, meine Hübsche, du bist frei", hauchte sie, die Stirn an Athenas gelehnt. „Lauf nach Imlardis oder ins Auenland, lass dich nicht von Orks erwischen, noro lim, meine Hübsche." Sie trat einen Schritt zurück und sagte deutlich, aber liebevoll: „Noro lim."
Vielleicht war Athena ein Elbenpferd, vielleicht verstand sie das Mädchen einfach so, jedenfalls schüttelte sie ihre dichte Mähne und galoppierte davon. Hätte sie noch länger warten sollen? So oder so musste sie ihr Pferd gehen lassen; Linda hatte die Verantwortung für dieses ihr anvertraute Lebewesen.
„Was tust du da?", fragte Fíli fassungslos und trat an ihre Seite, der Stute hinterherblickend.
„Hoffentlich das Richtige."
Linda hob das Geschirr ihres Ponys auf. „Kann man daraus noch was machen? Sicher. Ich nehm's mal mit." Ihr Umweltbewusstsein hatte sie auch in dieser Welt nicht verlassen. Den äußerst irritierten Blick, den ihr der blonde Zwerg hinterherwarf, als sie zurück zu dem zerstörten Haus lief, bemerkte sie nicht mehr - sei es aus Gewohnheit oder aus Unachtsamkeit.
Sie trat durch die verfallene Haustüre. Es war beinahe ein Wunder, dass diese in der Ruine des Bauernhauses noch aufrecht stand. Die Zwerge, geschäftig wie eh und je, hatten bereits das gesamte Gepäck zu ihrem heutigen Lagerplatz verfrachtet.
Bofur und Bombur bauten gerade die Konstruktion auf, die benötigt wurde, um den Kessel über ein Feuer zu halten. „Behelfsmäßig" bildete ein gutes Attribut dieses... Vorgangs. Der große Kochtopf selbst war eigentlich eine Art gusseiserne Schüssel, es war kaum vorstellbar, dass darin Tag für Tag das Mahl für fünfzehn durchaus gut essende Personen gekocht wurde.
„Was gibt's heute?", erkundigte sich das Mädchen und trat zu den beiden Brüdern, obwohl sie die Antwort eigentlich schon wusste.
„Suppe", meinte der Rothaarige. „Könntest du bitte Wasser besorgen? Am ehesten findest du etwas in den Trinkschläuchen, einen Bach gibt's hier nicht."
Kommentarlos begab sie sich auf die Suche. Es war schon gewissermaßen eigenartig, beim Reiten oder bei abendlichen Gesprächen war Bombur eher zurückhaltend, beinahe schüchtern. Aber alles das Essen Betreffende war sein Gebiet und da konnte er auch schon einmal kommandierend werden.
In ihrer eigenen Tasche fand sie noch einen vollen Schlauch und Ori gab ihr nach kurzem Nachfragen gleich drei. Der junge Zwerg war gerade dabei gewesen, sein Lager neben dem ihren aufzuschlagen, nachdem er Kílis und Fílis Sachen hergerichtet hatte.
Bombur nickte nur, als sie ihm die Schläuche zeigte, und widmete sich wieder dem Fleisch - was auch sonst? Zwerge ohne Fleisch funktionierte nicht. Er besah sich einerseits die Qualität des Fleisches - Linda war sich sicher, dass er beim Besorgen eben jenes bereits geprüft hatte - und andererseits, wie sein älterer Bruder es zerkleinerte. Mit gerunzelter Stirn schüttete er anschließend das Wasser in den Kessel - und jetzt hieß es zu warten.
Glóin und Óin kamen angelaufen und entzündeten ein Feuer - nein, nicht beim ersten Versuch, was Linda wohlweislich nur in Gedanken kommentierte (genauso wie Bofur, der grinsend neben ihr stand).
Der beleibte Zwerg wandte seinen Blick nicht eine Sekunde von dem langsam köchelnden Wasser ab, er hatte bereits - für das Mädchen undefinierbare - Gewürze in das Wasser gegeben und veränderte mehrmals die Entfernung von Kessel und Flammen, ohne einen Tropfen Wasser zu verschütten.
Linda beobachtete die ganze Szenerie aufmerksam. In der Wildnis kochen zu können wäre definitiv nicht nachteilbehaftet. Bofur unterdessen holte mit Hilfe von Bifur und Nori die Berge von Geschirr aus allen möglichen Taschen, vermutlich war nur Bombur klar, wo sich alles befand.
Der rothaarige Zwerg schien endlich mit der Temperatur des Wassers zufrieden, denn nachdem er einen Finger in das Gebräu gehalten hatte - und ihn sofort wieder herausgezogen hatte, natürlich war das heiß, was dachte er denn? - , nickte er und schüttete vorsichtig die Fleischstücke ins Wasser. Die Köchelei musste nur noch aufmerksam beobachtet werden, dann wäre sie fertig.
Die Abenteurerin unterdessen verschwendete ihre Zeit nützlich: nämlich beim Nachdenken, was sie später an diesem Tage tun würde. Zu kämpfen kam bei ihren Talenten nicht in Frage, sogar wenn sie keine Waffe führte, genauso wie die Zwerge traute sie sich alles zu. Im Negativen. Wenn sie sich in einen Baum setzen und alles beobachten würde, könnte sie auch noch alles für sich kommentieren und im allergrößten Notfall eingreifen.
Letzteres war wirklich nur eine Ausrede, bisher lief alles so wie in den Filmen ab und sie hatte glücklicherweise noch nichts Gravierendes verändert. Sie war wirklich froh darüber.
Die Szene heute Vormittag/Nachmittag/tagsüber (langsam ging die Sonne unter), gut, aber dafür wusste Bilbo jetzt... gut, die hatte sie zerstört. Willentlich. Sie würde sich später bis gleich alles aus sicherer Entfernung anschauen und sich ein klein bisschen ins Fäustchen lachen.
Die Sonne verschwand nun final hinter den Felsen und Bäumen, und der Himmel wurde erneut von Wolken bedeckt. Ein verführerischer Duft wehte zu dem Mädchen hinüber. Sie konzentrierte sich wieder auf das Geschehen vor ihr und bemerkte, dass Bombur bereits den ersten Teller Suppe verspeiste. Ihr Magen knurrte.
Als sie näher ans Feuer trat, gab Bofur ihr schmunzelnd auch einen Teller. Dankbar lächelte sie zurück und tauchte ihren Löffel behutsam in das dampfende Mahl. Vorsichtig führte sie ihn zu ihrem Mund. Hu, das war heiß! Noch bedächtiger probierte sie. Köstlich - natürlich, warum auch sonst hätte der Handwerker seinen Bruder heute Morgen über alle Maßen gelobt?
Schweigend aß sie weiter. Der Zwerg mit der Fellmütze, der ebenfalls seine Suppe löffelte, meinte zu seinem natürlich ebenfalls essenden Sitznachbarn: „Ich könnte schwören, dass wir noch einen Teller haben! Naja, vielleicht ist er auch irgendwo, wo ich ihn nicht vermute." Oder vielleicht in einer gewissen Höhle liegend... Linda zuckte zusammen. Ups!
Bombur antwortete nicht und leerte seine Schüssel. Bofur stellte seinen Teller und den seines Bruders zur Seite und befüllte neue Gefäße, denn längst hatten nicht alle gegessen.
Bilbo hatte bereits sein Mahl verzehrt und blickte durch den zerstörten Türrahmen, bis er sich abstieß und zum Kessel trat: „Er ist jetzt schon ziemlich lange weg."
1148 Wörter, 03.09.2020
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