11. Kapitel
Erstaunt und in Gedanken versunken bereitete Linda ihr Pony für den weiteren Ritt vor. Das war wirklich eine positive Überraschung! Andererseits war Gimli cool und irgendwoher musste er das ja auch haben. Ja, das war Linda-Logik. Auf den Gedanken, dass Glóin sich einerseits mit der Situation abgefunden hatte und nun das Beste aus ihr tat und dass zum anderen die Rede der Zwergenprinzen Früchte getragen hatte, kam das Mädchen nicht.
Thorin gab das Signal zum Aufbruch. Immer noch ein wenig unsicher bei ihrem Tun schwang sie sich auf Athenas Rücken. Bilbo kam zu ihrer Seite gelaufen, Myrthe führend, und blickte sie halb fragend, halb lächelnd an. Linda grinste einfach als Beantwortung der ungestellten Frage zurück. Sie konnten gern nebeneinandereinherreiten.
Der Hobbit kümmerte sich jedoch nun primär um die Herausforderung des Reitens. Vorsichtig saß der Halbling auf. Skeptisch nahm er die Zügel in die Hände und presste die Waden zögerlich an die Flanken seines Tieres. Die Stirn runzelnd versuchte er es mit einem Ausruf: „Hü!"
Linda betrachtete das Schauspiel belustigt. Sie wartete einfach, bis sich ihre schwarz-weiße Stute von selbst in Bewegung setzte, also bis der Zwerg vor ihr (Glóin in diesem Fall) losgeritten war. Bilbo neben ihr schien sich langsam an das wiegenhafte Auf und Ab zu gewöhnen. Er war schon sicherer als vor einigen Stunden, als die Reise begonnen hatte.
Da fiel dem Mädchen etwas wieder ein. Sie kramte in ihrem Beutel herum, vorsichtig natürlich, sodass nichts herausfiel. Ha! Triumphierend hielt sie das Gefundene Bilbo unter die Nase.
„Ich hab' mich an deinen Sachen bedient und dir auch was mitgebracht", sagte sie etwas unsicher, seine Reaktion abwartend. Bilbo lächelte aber nur breit und bedankte sich, das Taschentuch und das Handtuch verstaute er in einer ihm gegebenen Tasche.
„Mir knurrt schon der Magen", brummelte der Hobbit kurz darauf ein wenig missmutig.
„Die anderen haben heute Morgen anscheinend gut gefrühstückt, ich kann mir vorstellen, dass es erst heute Abend wieder etwas gibt", meinte Linda, diese Tatsache nicht weniger bedauernd als Bilbo.
Dem Meisterdieb behagte das ganz und gar nicht, seine Miene verfinsterte sich. Er sagte: „Erzählst du mir etwas über euer Essen? Also, ich meine, da, wo du herkommst, gibt es doch sicher viele Spezialitäten, von denen wir im Auenland noch nie gehört haben, oder?"
Die Abenteurerin musste nur kurz überlegen: „Ja, du hast recht, da gibt es viel Unterschiedliches." Sehr viel.
Von weiter vorne rief Bombur: „Oh ja, das würde mich ebenfalls interessieren!"
Warum immer ihr Gespräch jetzt von der gesamten Gemeinschaft belauscht wurde. Linda erhob ebenfalls ihre Stimme: „Denkt ihr nicht, das würde alle nur noch hungriger machen?"
„Und wenn schon", winkte Bofur ab, „bitte!" Er versuchte sich an einem Hundeblick.
„Meinetwegen", beendete das Mädchen die bettelnden Rufe aller Zwerge - außer Thorin, natürlich. So etwas wäre unter seiner Würde. Augenblicklich war die gesamte Gemeinschaft still.
„Also, wo fang' ich an?", begann sie mit lauter Stimme. „Vielleicht erkläre ich euch zuerst Pizza. Pizza ist ein Teigfladen, auf den Tomatensoße gestrichen wird, dann wird er noch belegt, mit Wurst und Gemüse beispielsweise. Und zum Schluss wird das Ganze in den Ofen geschoben und mit Käse überbacken. Dann gibt es noch Burger, das sind Brötchen belegt mit einer Frikadelle, die besteht aus Fleisch, Salat, verschiedenen Soßen, Tomaten und alles, was man sonst noch so möchte. Oder Nudeln: Das sind kleine Teigstückchen und sie werden in Salzwasser gekocht. Oh, oder Pommes, bestehend aus Kartoffeln und in Öl frittiert."
Linda erklärte der Gemeinschaft noch einige, nein, viele weitere Gerichte, manche mehr, andere weniger verständlicher, denn längst schon war sie ins Schwärmen gekommen und achtete nicht mehr darauf, alles mittelerdegerecht zu erläutern. Sie erzählte von Döner und Maultaschen, von Schokolade und Klößen, von Gerichten aus Asien und solchen aus Italien, von Süßigkeiten und herzhaften Snacks, kurzum: Sie zählte alle Gerichte auf, die sie auch nur einigermaßen kannte, und erklärte jene. Die Folge war, dass alle Hunger hatten und sie keine Stimme mehr.
Genervt ordnete der Zwergenkönig eine Pause an, worüber im Besonderen die beiden jüngsten Teilnehmer der Unternehmung sehr froh waren. Eigentlich stellte aber auch er gedankliche Listen von Köstlichkeiten auf, die die Küchen*einmal ausprobieren sollten.
Zum allgemeinen Leidwesen gab es keine erdlichen Gerichte, aber Gerüchten zufolge sollen sich einige Zwerge an die Herstellung eines Burgers beziehungsweise Sandwich-ähnlichen Essens gewagt haben. Sie sollen es aber, da sie die englischen Begriffe weder aussprechen noch sich merken konnten, Zwergenstulle (nach einigen anderen Vorschlägen, die aber... abgelehnt wurden. „Bofur-Bürger!" „Kíli-Brot!") genannt haben.
Jedoch war dies alles nur Wald-und-Wiesenfunk, da, wie aus vertraulichen Quellen hervordrang, die Sandwich-und-Burger-Kennende über die Versuche... beschämt war und befahl, darüber bis ans Lebensende zu schweigen. („Eine Scheibe, EINE SCHEIBE, NICHT DEN GANZEN LAIB, BOMBUR! Nein, Óin, du musst es noch essen können, so weit bekommst du deinen Kiefer nicht auf! NEIN, BOFUR, KETCHUP WIRD NICHT EINFACH HERGESTELLT, INDEM DU DICH AUF TOMATEN SETZT!") Im Nachhinein hätte sie es lieber vorgemacht, war zu hören.
Nun, jedenfalls folgte aus dieser Zwischenpause, dass sie bis in die Abenddämmerung weiterreisen mussten. Linda schloss vertrauend auf Athenas Klugheit endlich einmal die Augen, froh, nicht noch mehr erklären zu müssen.
Die Grillen zirpten im hohen Gras, während die Vögel hoch oben in den Bäumen immer lauter zwitscherten. Eine laue Brise fuhr durch die Mähnen der Pferde und die Haare ihrer Reiter. Durchwegs plätscherte der Bach zur Rechten der Gemeinschaft. Gedämpfte Gespräche, die manche mit ihren Nebenmännern führten, waren zu hören. Die Luft schmeckte nach dem harzigen Geruch des Waldes.
Nach einer Weile spürte Linda auch die Strahlen der untergehenden Sonne auf ihrer Haut, gerade als ein passender Lagerplatz gefunden wurde. Die letzten Sonnenstrahlen ausnutzend bereiteten die Zwerge Hand in Hand arbeitend den Nachtplatz vor. Die abendliche Ruhe wurde nur ab und zu von einem Ruf durchbrochen, immer dann, wenn etwas benötigt wurde.
Ori zeigte dem Mädchen einen geschützten Platz zum Schlafen, nachdem sie... gewisse Dinge (auf Anweisung von Thorin) erledigt hatte. Einfach war es sicherlich nicht, die einzige Frau unter Männern zu sein, aber sie war sehr froh, dass der Zwergenkönig so weit mitdachte. Die aufbaubaren Campingklos hatten die Mittelerdler schließlich zu Hause vergessen.
Linda trat einige Schritte von ihrem Schlaflager weg, hin ans Feuer, wo Bombur kochte. Schweigend setzte sie sich dazu und starrte in die Flammen. Die Hitze, die von ihnen ausging, nahm das Mädchen als heimelig wahr. Sie war sehr müde, der Ritt hatte sie scheinbar mehr ermattet als sie wohlmöglich gedacht hätte. Es war aber eher die Anspannung, die Freude, das Adrenalin, das von ihr abfiel. Sie war wirklich und wahrhaftig in Mittelerde und zog mit Thorins Gemeinschaft zum Erebor!
Ihr wurde ein Teller warmer Eintopf gereicht. Dankbar nahm sie ihn an und kostete. Ungewohnt war es, aber davon müsste sie sich ernähren müssen. Kíli und Fíli setzten sich rechts von ihr ans Feuer. Der Braunhaarige flüsterte: „Die erste Übungsstunde verschieben wir auf morgen, was?"
Das Mädchen nickte nur mit einem matten Lächeln und aß dann weiter. Nach und nach kam jeder und holte sich seine Portion ab, manche kehrten zu ihren Schlafplätzen zurück, andere genossen die Wärme des Feuers. In die Flammen starrend aß Linda ihr Mahl, zum Umfallen erschöpft. Die Zwerge holten, als sie wie die Schwarzhaarige aufgegessen hatten, ihre Pfeifen heraus. Die Schmuckschließen glitzerten und flackerten im Schein des Feuers und auch in den Augen der Zwerge schienen Flammen zu lodern.
Gebannt von diesem Anblick blieb Linda noch sitzen, ihre Müdigkeit hatte sie verdrängt. Als dann Thorin kam und leise Nori für die erste Wache einteilte, war der märchenhafte Zauber gebrochen. Zu den Durinsbrüdern gewandt murmelte sie: „Meint ihr, Thorin braucht mich noch?"
„Ich denke eher nicht, leg dich schlafen, bis morgen", flüsterte Fíli und sah sie aufmunternd an. Linda nickte nur und erhob sich.
„Gute Nacht", fiel es ihr noch ein, bevor sie sich endgültig zum Gehen wandte. Freundlich erwiderten einige Zwerge den Gruß, dann betrachteten sie wieder das Feuer. Das Mädchen kuschelte sich in die Decken. Als sie in den Schlaf hinüberglitt, meinte sie von fern ein Lied zu hören, ein Lied voll Sehnsucht und Melancholie.
1317 Wörter, 13.08.2020
----------
*Warum hier "Küchen" in der Mehrzahl steht, erfahrt ihr im 16. Kapitel, aber diese Geschichte ist im Moment noch ziemlich unwichtig, also nein, es ist unnötig, dies jetzt im 16. Kapitel nachzulesen. 🙃
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro