10. Kapitel
Sie hörte von ihrem Platz am Küchenfeuer, wie die Tür zur Halle sich öffnete und wieder schloss, Leute, die sich unterhielten. Da hatten sie alle wohl endlich mal zu einem gemeinsamen Gespräch gefunden. Auf die eine oder andere Weise war es Kommunikation, anders als die bedrückende Stille zwischen den Köchen und den Zwergen vorher.
Auf einmal aber wurden die Stimmen lauter. Linda hielt inne. Wer stritt dort? Nicht nett, gar nicht nett. Die Frau bugsierte den Topf von der Herdplatte, damit das köstliche Essen nicht anbrannte.
Sie beschloss, die geheime Gesellschaft zu stören und schloss leise die Tür hinter ihr, während sie sich leise schleichend zu den Diskutierenden begab. Bilbo und Gandalf, klar, und Thorin – und Dwalin.
Wobei, der Halbling hielt sich heraus, starrte vielmehr verblüfft auf die sich ihm bietende Szenerie. Genauso wie Linda. Denn der Zauberer... stauchte den König vor ihrer aller Augen zusammen?
„Ich kann nicht glauben, wie kindisch ihr euch verhaltet! Du musst deinen Starrsinn ablegen, Thorin, Erebor und Thal konnten immer nur gemeinsam überleben. Was willst du mit den Drohungen anfangen, sag es mir doch!"
„Bard hat seine Leute nicht unter Kontrolle!", brüllte der Zwerg zurück, trotzig und die Arme verschränkt.
Mithrandir schnaubte. „Bei den Valar, und ich dachte, die Verhandlungen mit Thranduil würden schlimm werden. Wie soll er das auch, wenn du ihn die ganze Zeit mit sinnlosen, zusätzlichen Verhandlungsrunden belagerst, woraufhin er noch erschöpfter und entnervter als zuvor ist?"
Und die Zwerge ebenso. Linda nickte zustimmend, doch als ob ihr Aufmerksamkeit geschenkt werden würde, sie tat das nur für den Ironieeffekt.
Umso verblüfft war sie, als Gandalf auf sie zeigte. „Siehst du, sogar Linda sieht das so!"
Überrascht zuckte sie zusammen. „Ich, ich... dachte, dass ihr alle extrem müde seid und eine Pause braucht...?", fragte sie mehr als sie sagte. Nun denn, ihr wurde eh nicht zugehört, ihre leise Verteidigung ging in der Tirade des Zauberers unter.
Die junge Frau schaute hilfesuchend zu Bilbo. Warum gingen sich hier alle so sehr an den Kragen?
„Ich habe dir nicht geholfen, damit du die Menschen in den Ruin treibst", fuhr der Zauberer gerade fort. Er fuchtelte um Thorin und Dwalin herum, deren Köpfe bedrohlich rot wurden, je länger er redete. Der Glatzköpfige sah sogar so wütend aus, dass Linda ihm zutraute, er würde jederzeit mit seiner Meinung lautstark herausplatzen – etwas, das er seltenst derartig tat. „Denkst du überhaupt nach, Thorin Eichenschild?"
Der König schrie in derselben Tonlage zurück. „Es ist immer noch mein Berg, und mein Volk wird hier wohnen, aber wir können noch nicht einmal den Erebor besichtigen, ohne dass uns diese Stadtbewohner über die Füße stolpern! Wir sitzen in einem Boot, ja, aber ich verlange nur dieses Eine, dass er seinen Leuten Vernunft einbläut, und dieser-"
Weiter kam der Zwerg nicht, da in diesem Moment die Tür aufschwang. „Genug!"
Verblüfft schauten die Streithähne zu demjenigen, der es geschafft hatte, sie verstummen zu lassen. „Ihr habt beide recht", stellte Fíli atemlos fest, dessen goldenes Haar in alle Richtungen abstand. „Onkel, Gandalf hat recht, wir sind alle am Rande unserer Kräfte. So geht das nicht weiter. Aber, Zauberer, wir dürfen auch nicht vergessen, dass zwei Seiten Schuld an der Misere haben."
Mithrandir setzte an, zu widersprechen, doch der Prinz untergrub dies. Er flüsterte beinahe, bedrohlich und mit tieferer Stimme als sonst: „Ich war doch bei jeder, bei verdammt jeder einzigen Sitzung dabei oder habe das ellenlange Protokoll gelesen. Du warst weiß Mahal wo, jedenfalls nicht da, wo wir dich gebraucht hätten; als neutraler Beobachter, der für ordentliche Verhandlungen sorgt."
Jetzt wirkte sogar der sonst so allwissende Graue beschämt. Doch Fíli war noch nicht zu Ende: „Und ja, ich habe das alles aus meinem Schlafraum am anderen Ende dieser Hallen gehört. Geht ins Bett. Allesamt. Morgen früh will ich eine Lagediskussion, und zwar mit wirklich allen. Die komplette Gemeinschaft, denn es geht jeden einzelnen etwas an, was wir im stillen Kämmerchen aushandeln."
Thorin sagte kein Wort, er hatte kein einziges Wort in der gesamten Gardinenpredigt seines Neffen geäußert, hatte keine Reaktion gezeigt.
Der Blonde sah noch einmal durch die Runde, und ja, seine Augen bohrten sich wütend in Lindas, voller Feuer und Drachenrage. Sekunden lang, kurze und unendliche, hielt die Verbindung, Fíli kappte sie wieder viel zu schnell. War sein Blick weicher geworden? Das Mädchen schüttelte sich innerlich, das war jetzt wirklich unpassend. Es ging um die Sache.
Er knallte die Tür. „Gute Nacht", schallte es durch den Flur.
Ihr aller Anführer setzte sich langsam auf einen Stuhl, er stützte sich mit den Armen ab. Thorin seufzte. „Dwalin, such sie und sag es den anderen. Ich übernehme die erste Nachtschicht, Ori die zweite."
Der angesprochene Zwerg nickte. Gandalf, Bilbo und Linda sahen sich an. „Ich hole den Eintopf", das Mädchen verschwand auch nach draußen.
Zwar wurde es eine stille Mahlzeit, doch die erste, die sie wieder zu vielen einnahmen. Eine Hälfte schlief bereits, Thorin hatte sich auf die Wache begeben, dafür setzten sich die beiden KöchInnen zu der Runde.
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In der Nacht hatte Linda erstaunlich schnell Schlaf gefunden, nicht so wie zuvor. Der Berg war still geblieben, komplett lautlos, und sie wurde des Morgens unsanft von Bilbo geweckt.
„Auf jetzt, schläfst du wirklich noch?" Ungeduldig hämmerte der Hobbit an ihre Zimmertür.
Das Mädchen brauchte kurz, um sich zurechtzufinden. Gestern Abend. Gandalf und Thorin. Dann Fíli. Ups. Sie war zu spät.
Als sie vorsichtig in den Essenssaal hineinspähte, konfrontierten sie einige ungeduldige Blicke. Lediglich Balin lächelte sie an und wies auf einen Platz neben ihm, auf dem sogar noch ein Gedeck für ein verspätetes Frühstück stand. Eilig huschte das Mädchen auf den Stuhl.
„Da wir nun alle versammelt sind", begann Thorin mit vorwurfsvollem Seitenhieb auf sie, „übertrage ich meinem Neffen, dessen Idee es war, den Vorsitz für dieses Treffen."
Die Frau, die Backen voll von dem verschlungenen Frühstück, konnte ihre Überraschung kaum verbergen. Das war wahrhaftig die kürzeste Ansprache ihres Anführers seit immer gewesen und noch wichtiger, er begann, Verantwortung abzugeben! Aber nein, das gab es nicht, wurde der König etwa vernünftig? Thorin Eichenschild?
Zurück zum Text. Fíli räusperte sich. „Nun denn. Das erste Mal seit der Schlacht ist die gesamte Gemeinschaft versammelt, obwohl unser gemeinsames Ziel erreicht ist. Ich danke euch allen im Namen meines Onkels, dass ihr länger hier verweilt."
Das war also an Bilbo, den Zauberer und sie gerichtet. Mithrandir war tatsächlich erschienen. Mürrisch wie immer beobachtete er die Zwerge ohne jeden beißenden Kommentar – vorerst.
„Zunächst die Ausgangssituation und der Grund, warum wir uns hier versammelt haben: Die Gespräche mit dem Vorsitzenden der Menschen aus Seestadt beziehungsweise Thal, Bard, verlaufen nicht gut. Auch die Stimmung gegenüber unseren Gästen ist angespannt."
Linda wusste nicht, ob Thorin seinem Kronprinzen gesagt hatte, dass er das hier heute machen sollte. Kurz hatte der Blonde nämlich überrascht gewirkt, als der Schwarzhaarige ihm die Leitung übertragen hatte. Doch das Mädchen konnte sich irren.
„Aus unserer Sicht liegt es daran, dass Bard die Menschen nicht unter Kontrolle hält. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen haben sich Minderjährige in den Gängen des Erebors verlaufen, sind sie dort eingedrungen, wo sie nicht hätten sein dürfen. Zunächst, noch bevor Dáin uns verlassen hatte, waren es lediglich Kinder, mein Bruder und ich haben uns darum gekümmert, sie haben einen großen Schreck erlitten; genauso wie ihre Mütter."
Sein Blick verfinsterte sich. „Allerdings haben sich wohl Halbstarke, weder Kinder noch Mündige, allesamt Jungen, daran ein Beispiel genommen. Sie entfernten sich willentlich und unter Bewusstsein der Gefahren aus dem erlaubten Bereich und drangen in die Unteren Ebenen ein. Dabei lösten sie eine Lawine aus, in deren Folge einige Schäden in der Struktur des Berges entstanden."
Niemand wagte ein Wort. Denn niemand wagte es, sich mit einem wütenden Durin anzulegen.
„Wir sicherten die Ebenen. Zwei der Jungen kamen uns staubverdreckt entgegen, später fanden wir eine Leiche. Der Vierte entdeckten wir am folgenden Tag eingeklemmt unter einem Felsen, nicht lebensgefährlich verletzt. Herauszuheben ist hier die fehlende Kooperationsbereitschaft der Erstgenannten, erst nach einigem Zureden verrieten sie ihre Taten und wo sie sich getrennt hatten."
Zögerlich hob Bombur seine Hand. Mit noch immer schwelendem Zorn deutete Fíli ihm, dass er reden sollte.
„Ich wollte lediglich hinzufügen, dass die Küchenhilfen, mit denen ich vor dem Unglück hier gearbeitet habe, sich auch häufig auf Pfade begeben haben, die sie nicht betreten sollten, weil sie den Weg nicht kannten." Er hob abwehrend die Hände. „Damit möchte ich niemandem irgendwelche Absichten unterstellen, nur erklären, dass wir nicht davon ausgehen können, dass niemand auf Abwege gerät, egal wie sehr wir aufpassen."
Fíli nickte zustimmend. Auch Linda sah die Logik. Der Blonde fuhr fort: „Mit jenen Hintergrundgeräuschen also liefen unsere Gespräche mit Bard nicht gut. Gandalf wies uns darauf hin, dass es nicht hilfreich ist, nur immer mehr Gespräche aneinanderzureihen, sondern wir und auch die Menschen manchmal eine Pause benötigen – sogar wir unerbittlichen Zwerge. Außerdem riet er uns, eine schlichtende Partei an den Tisch zu nehmen, beziehungsweise eine, die diesen Konflikt aus einer neutraleren Perspektive sieht."
Er machte eine kurze Pause. „Ich erkenne die Sinnhaftigkeit seiner Aussagen und stimme besonders der ersten entschieden zu. Dass bei Verhandlungen Quantität nicht über Qualität gehen sollte, haben wir auch bei Dáin gesehen."
Etwas, worüber sie gar nichts mitbekommen hatte. Inzwischen war Lindas Schale leer und sie suchte eine Reaktion der anderen Zwerge auf diese Spitze Fílis, sie meinte ein kurzes Aufblitzen der Ärgernis in Thorins Augen zu sehen.
„Mein Vorschlag wäre gewesen, diesen Part Gandalf zu überlassen, der uns aber in Balde verlassen will, genauso wie Bilbo."
Das wussten die Zwerge noch nicht. Getuschel machte sich breit, verwirrte Blicke überhäuften den Hobbit. Er selbst hatte offensichtlich keine Ahnung, wie das bitteschön zu Fíli durchgedrungen war.
Dieser ignorierte den Halbling, der gerade zu einer Erklärung ansetzen wollte. „Also bleibt nur noch Linda übrig."
1617 Wörter, 03.02.2023
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