seventeen
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Kol war es der sich von mir löste. Sanft, aber bestimmt drückte er mich von sich weg. Die kurze Distanz die dadurch zwischen uns entstand war beinah schmerzlich. Mir fehlte seine Nähe, obwohl er direkt vor mir stand und seine Hände auf meine Schultern gelegt hatte. Ein leidender Ausdruck, die Augenbrauen zusammengezogen, die Mundwinkel nach unten fallend, trat auf sein Gesicht.
"Du musst gehen. Du wirst schwächer.", krächzte er mühevoll.
Ein Teil von ihm wollte nicht wieder alleine sein. Ich konnte spüren wovon er sprach nur anders als erwartet. Mir wurde kälter, doch mit jedem Grad das fiel kam ich mir stärker vor. Nach und nach wurde ich mehr ein Teil der Welt in der er festsaß. Er hatte Recht. Ich musste los. Schweren Herzens trat ich einen Schritt zurück.
"Ich muss Elijah eine Nachricht schicken. Er muss herkommen."
"Was schwebt dir vor?", erkundigte sich sein Bruder. Er hatte bestimmt selbst bereits die ein, oder andere Idee.
"Ein einfacher Kommunikationszauber.", mein Blick richtete sich auf meinen starr darstehenden Körper. "Denkst du das schaffe ich noch?"
"Hoffen wir es. Magie ist mehr als genug vorhanden. Dein Körper ist mitgenommen, aber du bist stark. Ich habe schon schlimmeres gesehen."
Unwillkürlich lächelte ich. Du bist stark. Diese Anerkennung meiner Stärke erweckte einen ungeahnten Stolz in mir. Aus irgendeinem Grund wollte ich mich vor ihm beweisen, ihn beeindrucken. Noch nie hatte ich mich für besonders mächtig gehalten, doch Kol gab mir das Gefühl unbesiegbar zu sein. Er lehrte mich Zauber, glaubte an mich. So sehr ich Elijah auch liebte er löste nicht ansatzweise etwas vergleichbares in mir aus wie sein jüngerer Bruder. Wenn ich mich mit Kol unterhielt, mit ihm in dieser Lagerhalle zusammensaß, fügten sich die Teile in die ich zerbarst waren stückweise wieder zusammen. Auch wenn noch nicht alles an seinem Platz war und die Risse wohl für immer bestehen würden fühlte ich mich inzwischen in seiner Gegenwart weniger zerbrochen.
Er nickte mir ermutigend zu. Mit einer Hand an der Barriere brachte ich meinen Körper dazu wie mein Geist in meine Hand die Nachricht zu flüstern, die ich mit einem Zauber auf die Reise schickte. Elijah würde sie hören. Er würde zu mir kommen und mich retten. Das tat er immer.
Mit einem tiefen Seufzer blickte ich auf meinen Körper.
"Es wird weh tun.", bestätigte Kol meine schlimmste Befürchtung. "Du wirst alles wieder spüren und vermutlich vor lauter Schmerzen das Bewusstsein verlieren."
"Ist wahrscheinlich das Beste.", gestand ich.
"Hoffentlich beeilt sich mein wehrter Bruder."
Mit einem erzwungenen Lächeln drehte ich mich wieder zu ihm um.
"Das wird er."
Ich wusste, dass er kommen würde. Allerdings nicht, ob er noch rechtzeitig eintreffen würde. Wie selbstverständlich griff ich nach seinen Händen, solange ich das noch konnte und drückte sie.
"Es wird alles gut gehen und wenn nicht hast du immerhin bald Gesellschaft."
Mein Versuch die Stimmung zu lockern kam nicht besonders gut an. Erneut strich er mir liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"So sehr ich unsere Zusammenkünfte auch genieße bitte versuche es zu vermeiden! Wir sehen uns besser auf deiner Seite wieder."
"Einverstanden. Wie komme ich wieder zurück?"
"Eine Hand auf die Barriere legen, danach ist alles was du sagen musst der Umkehrspruch. 'Ad alteram partem'. Das wäre alles."
"Das klingt... unglaublich einfach. Wieso haben wir das nicht vorher schon gemacht?"
"Lebende sollten nicht ins Reich der Toten gehen. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Dieser Kreis ist relativ sicher, doch alles außerhalb... Es gibt keine Garantie für eine Rückreise."
Ich sollte gehen, doch mein gesunder Menschenverstand schein sich in die hinterste Ecke meines Gehirn verkrochen zu haben. Solange ich konnte wollte ich Kols Hand halten und als kleiner Bonus von den Schmerzen verschont bleiben. Vielleicht schaffte ich es sogar solange bis Elijah eintreffen würde.
"Was hast du mich mit ihnen machen lassen?", ich nickte in Richtung der leblosen Leiber am Boden.
Die Worte hätten zögerlich über meine Lippen kommen müssen, ich hätte Angst haben müssen ihnen etwas angetan zu haben, doch diesbezüglich kam ich mir momentan wie betäubt vor. Gleichgültigkeit war das falsche Wort, allerdings kam es dem was ich empfand am nähsten. Jahrelang, sogar bis zum heutigen Tag, machte ich mir Vorwürfe für das was ich damals getan hatte. Zum ersten Mal konnte ich akzeptieren, dass das was auch immer ich getan hatte meinem Selbstschutz gegolten hatte. Vielleicht traf mich wirklich nur der Bruchteil der Schuld. Was ich getan hatte hatte ich tun müssen, um zu überleben.
"Versuchst du gerade Zeit zu schinden?", neckte mich Kol nachdem er hinter meine Motive kam. Es schlich sich sogar ein amüsiertes Grinsen auf sein hübsches Antlitz.
Schmunzeln zuckte ich mit den Schultern.
"Möglich. Spielst du mit?"
"Nur noch diese eine Frage. Wenn ich sie beantworte versprichst du unverzüglich zurückzugehen!", rang er mir ein Versprechen ab.
Schweren Herzens willigte ich ein.
"Es war ein äußerst wirksamer Schlafzauber. Die Hexe, die ihn mir gezeigt hat nannte ihn scherzhaft Dornröschenschlaf. Sie werden dir nie wieder weh tun können. Ihre Leben sind an deines gebunden und nur du kannst sie wieder erwachen lassen solltest du das wollen. Ich dachte es sei dir lieber als sie... umzubringen."
Meine Lippen öffneten sich einen Spalt breit, während ich ihn anstarrte. Er hätte mir jeden Zauber, jeden Fluch uns Ohr flüstern können und ich hätte ihn ohne zu zögern ausgesprochen. Ich hatte mich gefragt, ob mein Vertrauen in ihn gerechtfertigt war. War das möglicherweise der Beweis? Er hatte es für mich getan. Kol wusste wie sehr ich unter meiner Schuld litt und hatte entscheiden mir nicht noch mehr aufbürden zu wollen.
"Danke... ", wisperte ich überwältigt.
Ohne es zu überdenken stellte ich mich auf die Zehnspitzen und hauchte ihm einen federleichten Kuss auf die Wange. Als ich wieder von ihm abließ war ich im nachhinein von meiner eigenen Kühnheit überrascht. Unsere Blicke trafen sich. Für einen Moment vergaß ich zu atmen. Meine geisterhafte Gestalt protestierte nicht. Mein Herzschlag schien zu expandieren. Ich befürchtete schon die Vibration um mich herum würde sich dem Rhythmus anpassen, sodass Kol in spüren könnte. Allerdings blieb es dabei bei meiner reinen Vorstellung. Ein letztes Lächeln trat auf seine blassen Lippen.
"Gern geschehen. Es wird jetzt Zeit dein Versprechen einzuhalten."
Schwermütig, mit einem Schlag der Leichtigkeit beraubt, nickte ich.
"Du wirst hier warten, oder?", fiebte ich ängstlich.
Mir war durchaus bewusst, dass Kol nicht im Stande war in das Geschehen außerhalb dieses Kreises einzugreifen. Er könnte mich weder beschützen, noch mich heilen, oder meine Hand halten, doch seine Anwesenheit vermittelte mir immerhin das Gefühl nicht mutterseelen allein zu sein.
"Natürlich. Ich werde nicht von deiner Seite weichen.", er hob meine Hand an seine Lippen. Galant hauchte er zum Abschied einen hauchzarten Kuss auf meinen Handrücken, woraufhin ich errötet wäre, wenn ich es gekonnt hätte, jedoch hatte mich inzwischen die zunehmende, alleinnehmende Kälte in ihrem eisigen Griff.
Ohne fortzusehen legte ich meine Hand gegen die unsichtbare Wand, direkt auf die, die von der anderen Seite bereits dagegen drückte. Kol hielt meine linke Hand fest.
"Ad alteram partem."
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