Kapitel 3
Langsam betrachte ich die Gegend. Sie ist so schön, doch sogleich sehe ich auch das schreckliche an ihr. Sie ist kahl, der Wind bläst, die Gräser bewegen sich im Takt zum Wind. Es wirkt wie ein einstudiertes Stück, doch das ist es nicht.
Manchmal muss man sich Zeit nehmen und einfach in die Gegend starren, um zu begreifen, um zu verstehen. Etwas, was ich nun tue.
"Wie findest du es?"
Wie finde ich es? Ich weiß es nicht.
"Es ist schön. Schön aber erschreckend zugleich. Nicht hässlich, einfach nur erschreckend. Es wirkt verlassen, so als ob vor langer Zeit hier etwas ganz schönes war, etwas was nun in Vergessenheit liegt. Ich will nicht, dass es so mit allem endet. Ich will etwas tun. Ich will die Welt berühren. Ich will kämpfen. Auf eine Weise kämpfen, auf der ich der Umwelt nichts zu Leide tue. Ohne Bomben, ohne Gewähr. Meine Waffe, soll allein aus Verstand und Worten bestehen. Eine unschlagbare Waffe zu mancher Zeit."
"Und doch eine viel zu wenig benutzte."
Ja.
Die Gegend wirkte düster aber gleichzeitig beschützend. Ungewohnt und vertraut zugleich. Gegensätze, die sich vereinen. Viel hatte diese Gegend gewiss schon erlebt. Gefallen waren sicher viele und dennoch war dies ein aufrichtiger Ort.
"Findest du es nicht auch etwas erschreckend?"
Ob ich es auch etwas erschreckend fände? Dies tue ich, gewiss, nicht nur etwas sondern sehr. Die Vorstellung, dass unsere ganzen schöne Städte irgendwann mal so aussehen könnten, ist zu schrecklich um wahr zu sein. Viel zu schrecklich.
"Ja", wispere ich und versuche die Stimme jemanden zuzuordnen. Vielleicht ist es nur ein Traum. Hoffentlich.
"So erschreckend und schön zugleich, dass man für immer hier sein könnte, aber nicht für ewig bleiben will."
So widersprüchlich, so wahr, gewiss.
"Ja, so sei es."
Wenige Lebewesen ziehen ihre Kreise. Vögel, die hier noch leben, kreischen, so als prophezeien sie jeden Moment den Weltuntergang. Vereinzelt springen Fische aus dem Wasser und man hört, wie sie zurück ins Wasser gleiten.
Jedes noch so kleinste Geräusch ist zu vernehmen.
Tief atme ich ein, tief wieder aus.
"Schrecklich schön, zu wahr, zu düster, zu hell, zu dunkel, zu widersprüchlich, zu gemeinsam. Unsere Welt lebt voller Widersprüche. Betrachte sie von einen Ort wie diesem und dir wird in zehn Minuten mehr auffallen, als in einer Stadt dein ganzes Leben. Vielleicht spreche ich komisch, vielleicht falsch, doch achte nicht darauf, wie jemand etwas sagt, betrachte und höre, was er sagt. Lauschen den Worten, verstehe sie. Du musst sie verstehen, sonst wirst du nie verstehen. Du musst ihnen eine Chance geben. Höre ihnen zu, nicht wie sie vermittelt werden. Höre was vermittelt wird. Höre was für Worte dir vermittelt werden und du siehst Teile der Welt, mit anderen Augen. Verstehe, was sie bedeuten, verstehe was sie dir sagen wollen. Blende aus, wie dir etwas gesagt wird, achte auf dass, was dir gesagt wird. Vielleicht fällt es dir am Anfang schwer, doch es bringt dir viel mehr. Viel viel mehr. Achte immer darauf. Versuche mit deinen Verstand zu entscheiden und gebe nicht soviel auf die Meinung anderer, überlege, was wirklich stimmt, denn sonst ist dein Kopf, deine Fähigkeit zu denken umsonst."
Aber wie soll ich das Alles hinkriegen? Wie soll ich alles schaffen?
Die Sonne steigt hinauf, beleuchtet diesen Ort. Ein Ort, der im Licht, hell und klar und freundlich ist, kann im Dunklen, dunkel, unklar und unfreundlich erscheinen, nahezu kalt.
Einen Ort zu charakterisieren, allein davon abhändig ob Licht da oder nicht da ist, ist nicht in Anbetracht dessen, was es für ein Ort ist. Es ist der gleiche Ort, egal ob man ihn ins Licht taucht oder nicht. Ich denke, viele begreifen dass nicht. Sie benutzen Licht um Stimmungen hervorzurufen. Es stimmt, wir achten viel zu sehr darauf, wie etwas ist und viel zu wenig darauf, was etwas ist.
"Nahezu unheimlich, nicht?"
Unheimlich, dass trifft es perfekt. Es ist wirklich unheimlich. Zu unheimlich, würde ich mal sagen.
"Ja", hauche ich und versuche zu begreifen, "ja."
Nebel umhüllt diesen Ort, steigt aus dem Moor auf und umgibt uns. Kein einziger Sonnenstrahl ist mehr zu sehen. Unheimlich und wundervoll zugleich. Gänsehaut macht sich an meinen Körper sichtbar. Ich habe keine Angst. Nichtmal die geringste. Irgendwas hält mich hier. Gleichzeitig verlangt mein Verstand zu fliehen und doch bewege ich mich keinen einzigen Schritt vorwärts. Unheimlich und wunderschön zugleich.
"Diese Gegensätze machen den Ort aus. Sie machen ihn so besonders. Siehst du diese Gegensätze? Sind sie nicht schön? Sind sie nicht bezaubernd? Sie sind widersprüchlich und doch sogleich, dieser Ort verbindet sie und fügt sie zu einen zusammen. Er vollendet sie. Rundet sie perfekt auf. Verformt sie gegebenen Falls. Man muss sich immer wieder die Schönheit der Natur, ihre Spiele, ihre Farben, ihr Glanz, ins Gedächtnis rufen, um zu verstehen, wie wunderbar sie doch ist. Stille vermittelt sie und doch sind lauter Geräusche zu vernehmen. Es sind die Geräusche, die du hörst, wenn alles still ist. Es sind die Geräusche der Stille. Verstehst du was ich meine?"
Ja, dass tue ich.
"Ja?"
"Halte sie fest, überlege was sie ausmachen. Nimm dir ein Blatt und zeichne all dass, was du siehst, wenn du nichts siehst, zeichne all dass, was du hörst, wenn du nichts hörst. Vielleicht mag es widersprüchlich klingen, aber eigentlich ist es es nicht. verleihe allem seinen ganz eigenen Glanz und begreife die Herrlichkeit in Ewigkeit. Man denkt, an einen Ort wie diesem hier, hört und sieht man nichts, aber an einem Ort wie diesem hier, lernt man erst zu sehen und zu hören. Betrachte dann dein gemaltes und überlege, wie es in deine eigene, ganz persönliche Welt passt. Schöpfe daraus die Energie, die manch anderen verwährt bleibt. Nehme sie und nutze sie. Binde sie. Erinnere dich immer hierher/ hieran zurück, wenn du nicht mehr weiter weißt und du wirst sehen, es wird immer einen Weg geben, weiter zu machen. Aber versprich mir eins, wahre die Natur so, wie sie ist, versuche nichts an ihr zu verändern, nicht die, die du siehst, an einem Ort wie diesem. Sorge dafür, dass es immer Orte wie diesen hier gibt und lasse nicht zu, dass die ganze schöne Natur zerstört wird."
"Ich versuche es."
"Du bist hier, ich zeige es dir, weil ich glaube, dass du etwas erreichen kannst und dennoch wirst du mich wahrscheinlich nie in echt sehen. Wahrscheinlich wirst du denken, dass das alles hier nur ein Traum gewesen sei, sobald du die Augen in deiner Welt öffnest, aber denke daran, Träume können auch was sagen, Träume können auch was bedeuten."
Ein Schauer durchläuft mich. Als ich aufwache hole ich erstmal Luft.
Ich kann etwas ändern, nur wie?
Ayleen kommt in mein Zimmer.
"Ayleen", grüße ich sie und setzte mich auf. Immer noch zittere ich am ganzen Leib.
"Geht es dir gut?" Besorgt schaut sie mich an.
"Alles bestens", versuche ich sie zu beruhigen.
"Okay. Wir müssen reden. Du musst reden. Bedenke, in einer Woche musst du vor und deine nächste Rede halten."
"Was schon?", erschrocken starre ich sie an.
"Ja und wir brauchen noch ein Thema."
"Natur", bringe ich hervor.
"Du meinst Klimawandel?"
"Natur", erwidere ich, "unberührte Natur und was sie uns alles sagen kann. Was wir sehen, wenn wir nichts sehen und was wir hören, wenn wir nichts hören. Die Gegensätze im Gleichen. Ich will darüber reden, wie wertvoll die Natur seien kann, vor allem unberührte Natur und wie wichtig es ist, dass wir sie wahren und dafür sorgen, dass sie aufrecht erhalten wird."
Zweifelnd sieht sie mich an.
"Darüber möchte ich reden und mir ist egal, wie die anderen es finden. Niemand ist gezwungen mich anzuhören, nicht einmal du. Ich kann euch nicht dazu zwingen, aber ich würde mich freuen, wenn du mitkommst. Ich freue mich immer, wenn es Leute gibt, die mir gerne zu hören. Lieber ein Raum, nicht ganz gefüllt, dafür aber mit Leuten, die es interessiert, was ich zu sagen habe, als ein Raum voller Leute, bei dem sich aber nur die wenigsten, wenn überhaupt jemand, sich dafür interessieren, was ich zusagen habe. Mag sein, dass es Leute gibt, die es anders empfinden, aber so geht es mir nun mal."
"Ich werde da sein. Ich werde immer da sein." Ein Versprechen, von dem ich nicht weiß, ob sie es halten wird. Ob sie es immer halten werden kann, doch ich schweige.
"Danke", bringe ich schließlich hervor und lege mich zurück während ich über meinen Traum und unsere eben geführte Unterhaltung nachdenke.
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