17. Einmal oder zweimal
Atlantischer Ozean, 14. April 1912
An: RMS Titanic
Von: RMS Baltic
13:42 Uhr, 14. April 1912
Griechisches Dampfschiff Athenia meldet, dass Eis in einer Position von 41°51'N, 49°52'W gesichtet wurde. Viel Eis im Gebiet gemeldet, auch größere Eisfelder. Vorsicht geboten.
Kapitän Edward J. Smith spürte das Gewicht der Verantwortung, als seine blauen Augen langsam über das Telegram wanderten, das ihm Bruce Ismay soeben übergeben hatte. Eine Eiswarnung, so kalt und dringend wie der Nordatlantik selbst. Das Papier in seinen Händen zitterte fast unmerklich, aber sein Blick blieb fest und durchdringend, während er über das Deck hinweg auf den leuchtenden Horizont blickte.
„Wir könnten langsamer fahren, Sir," schlug Ismay vor, seine Stimme ein Hauch von Unsicherheit im stählernen Raum des Kapitäns. „Aber das würde uns höchstwahrscheinlich eine Verspätung der Ankunft in New York einbringen."
Doch in Smiths Augen war ein Funke von etwas anderem zu sehen – einem Traum, einer Vision dieses unsinkbaren Schiffes, das pünktlich in New York ankommen sollte.
„Nein, Mr. Ismay," sagte Smith mit einer Autorität, die keinen Raum für Zweifel ließ. „Die Titanic wurde gebaut, um den Elementen zu trotzen. Wir behalten Kurs und unsere Geschwindigkeit bei."
Es war ein Tanz mit dem Schicksal, und sie waren entschlossen, ihn bis zum letzten Takt zu führen.
Inmitten der Stille des Gottesdienstes in der ersten Klasse, umgeben von flüsternden Gebeten und dem sanften Murmeln der Orgel, saßen währenddessen Louis und Liam nebeneinander in einer Bank, eingehüllt in die ruhige Atmosphäre. Während der Pastor sprach, glitt ein Strahl Sonnenlicht durch die Buntglasfenster, malte farbige Flecken auf den Boden und versprach den angenehmen Beginn eines neuen Morgens.
Louis' Gedanken wanderten immer wieder ab. Aus irgendeinem Grund fiel es ihm an diesem Tag etwas schwerer als sonst, sich zu konzentrieren. Neben ihm nickte Liam, immer der Fels in der Brandung, still mit jedem Psalm. Eigentlich hatte keiner der beiden Männer sonderlich viel Lust, den Sonntagsgottesdienst zu besuchen - allerdings gehörte sich das so. Sie mussten sich dort sehen lassen, des guten Rufes wegen. Sie waren beide Söhne wohlhabender Eltern. Man kannte ihre Namen und ihre Gesichter, und so war es ebenso wichtig, sich sozial angepasst zu zeigen, wie es auch die Geschäfte mit anderen Unternehmen waren.
Der Gottesdienst endete mit einem sanften Amen, und die Gemeinde erhob sich, ein Meer aus wohlgekleideten Gestalten, die sich auf ihre sonntäglichen Wege machten. Louis und Liam verweilten einen Moment länger, eingetaucht in das Nachsinnen über die Predigt und die Tatsache, dass so ein Gottesdienst auf einem unsinkbaren Schiff doch etwas ganz anderes war, als die Messen in den englischen Kirchen, die sie zu Hause kannten.
Als die Gemeinde sich auflöste, zog ein gedämpftes Gespräch Louis' Aufmerksamkeit auf sich und trieb ihn und Liam in den Schatten einer prunkvollen Säule. Thomas Andrews' Stimme war ein leises Dröhnen der Dringlichkeit, Bruce Ismay's eine scharfe Klinge der Ablehnung. „Trotz der Warnungen bleibt unsere Geschwindigkeit unbeeinträchtigt, Bruce", sagte Andrews, „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Überheblichkeit der Pracht dieses Schiffes uns blind für die Bedrohungen macht, die diese Gewässer bergen."
„Thomas, du machst dir unnötig Sorgen", erwiderte Ismay mit fester Stimme. „Die Titanic ist mehr als fähig. Sie wurde nicht nur entworfen um zu beeindrucken, sondern auch, um alle Erwartungen zu erfüllen. Unsere Passagiere erwarten Pünktlichkeit genauso sehr wie Sicherheit."
Louis spürte neben ihm Liam's Anspannung; eine stumme Welle der Besorgnis durchfuhr sie. Die Titanic, ein Leviathan aus Stahl und Träumen, schien zu mächtig zum Scheitern, doch nun waren die unterschwellige Zweifel greifbar. Wenn selbst Thomas Andrews - der Mann, der dieses Schiff entworfen und konstruiert hatte - seine Bedenken bezüglich der Geschwindigkeit der Titanic äußerte, fragte Liam sich doch zu Recht, ob er sich auf die Unsinkbarkeit des Schiffes verlassen konnte; oder doch nicht?
Ihr heimliches Lauschen wurde unterbrochen, als Andrews und Ismay sich abwandten und beinahe mit Louis und Liam zusammenstießen. Entschuldigungen wurden mit höflichem Nicken ausgetauscht; die Luft war noch immer von der Schwere ihrer belauschten Worte durchdrungen.
„Mr. Andrews, Mr. Ismay", begann Louis mit seiner kultivierten Stimme, die einen Hauch von Besorgnis trug – er hoffte, dass sie Aufrichtigkeit und nicht Angst vermittelte. „Wir konnten nicht umhin zu hören... diese Eiswarnungen. Sind sie wirklich kein Grund zur Besorgnis?"
Andrews' Blick traf Louis', seine Augen spiegelten das Gewicht von Schöpfung und Verantwortung wider. „Seien Sie versichert, Mr. Tomlinson", sagte er mit beruhigender Stimme, „Das Design der Titanic hat solche Hindernisse berücksichtigt. Vorsichtsmaßnahmen wurden getroffen und Ausgucke verdoppelt. Wir fahren mit Zuversicht weiter."
„Genau", pflichtete Ismay bei, ein geübtes Lächeln auf den Lippen. „Unsere Jungfernfahrt soll für ihre erfolgreiche und einmalige Überfahrt in Erinnerung bleiben, nicht für übervorsichtige Pausen. Ihr Komfort und Ihre Sicherheit bleiben unsere oberste Priorität."
Liam nickte, obwohl die Falte auf seiner Stirn Bände sprach. „Wir danken Ihnen für Ihre Beruhigung, meine Herren", fügte er hinzu - der standhafte Fels in Louis' Meer von Emotionen.
Als sie Andrews und Ismay hinterherschauten, deren Schritte im Korridor verklangen, spürte Louis, wie Liam's Hand seine Schulter griff und ihn erdete. Sie tauschten einen Blick aus, der unausgesprochene Gedanken trug und die Entschlossenheit, dem Wunder unter ihren Füßen zu vertrauen - auch wenn das Flüstern von Eiswarnungen wie ein gespenstisches Omen in ihren Köpfen schwebten.
Und doch machten sie sich nach dem Gottesdienst auf den Weg, ihren Hunger zu stillen und etwas leichtere Gespräche zu führen. Ein opulente Café der ersten Klasse der Titanic summte vor dem sanften Klingen von feinem Porzellan und dem leisen Gemurmel von Unterhaltungen. Louis führte den Weg zu einer abgeschiedenen Ecke, wo der üppige Samt der Sitze ihre Gestalten zu verschlucken schien und eine Art Kokon der Privatsphäre bot. Er beobachtete, wie Liam ihm gegenübersaß; die Augen seines Freundes, normalerweise warm und stetig, flackerten nun mit einem Schatten von Unruhe.
„Diese Eiswarnungen", begann Liam, seine Stimme kaum über ein Flüstern hinausgehend, „ich bin mir ja nicht so sicher, ob man in einer solchen Situation nicht doch die Geschwindigkeit ein wenig drosseln sollte."
Louis lehnte sich vor, seine Ellbogen ruhten auf dem Mahagoni-Tisch, das Leuchten der Kronleuchter warf einen goldenen Schimmer auf sein makellos gekämmtes braunes Haar. „Andrews schien doch sicher zu sein, oder?" Louis' Tonfall war eine meisterhaft gemischte Mischung aus Beruhigung und lässiger Gelassenheit. „Er hat dieses Schiff entworfen, Liam. Wenn jemand seine Stärken und Schwächen kennt, dann ist er das."
„Stimmt", gab Liam nach, aber seine gerunzelte Stirn blieb bestehen - wie eine hartnäckige Wolke in einem sonst klaren Himmel. „Es ist nur so – die Weite des Ozeans. Sie lässt einen sich eher... unbedeutend fühlen."
Als ob er von ihren gehobenen Stimmen gerufen worden wäre, näherte sich ein Kellner mit der Speisekarte des Cafés - eine Pergamentrolle verkündete die feinsten Angebote. Louis nahm sie mit einem dankbaren Nicken entgegen, aber seine Gedanken schweiften zu süßeren Gedanken ab als jede Delikatesse vor ihnen.
„Wenn wir schon dabei sind das Beste daraus zu machen", sagte Louis und in seinen auffallend blauen Augen entzündete sich ein Funken Aufregung. „Harry spielt heute Abend."
Liams Lächeln wurde breiter. „Ah ja, der Pianist aus der dritten Klasse. Du hast ihn erwähnt – einmal oder zweimal." Sein neckender Tonfall war nicht zu überhören, und Louis konnte nicht anders als zu lachen.
„Nur, weil sein Talent unmöglich zu ignorieren ist", verteidigte Louis sich selbst, aber auch er konnte die Zuneigung hören, die seine Worte durchdrang. „Es gibt etwas an Musik, nicht wahr? Sie ist wie eine Brücke zwischen den Welten. Für einen Moment sind wir alle nur... Menschen. Bewegt von den gleichen Dingen."
„Das klingt ziemlich revolutionär für jemanden deines Standes", scherzte Liam, aber sein Blick wurde weicher.
„Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen", zwinkerte Louis.
„Darauf sollten wir trinken", hob Liam sein Glas, und das Klingen hallte beinahe durch den gesamten Raum.
*
Der Gemeinschaftsraum der dritten Klasse war ein Klanggewirr aus Lachen und Gesprächen, doch an einem kleinen Tisch in der Ecke saßen Harry, Niall und Zayn noch immer zusammen. Ihre Unterhaltung war eine private Insel inmitten des Meeres von Geräuschen. Die Luft hing schwer vom Duft von Öl und Salz, und das stetige Brummen des Schiffes vibrierte unter ihren Füßen, als würde es ihre eigene pulsierende Aufregung über das neue Leben widerspiegeln, das sie auf der anderen Seite des Ozeans erwartete.
„Könnt ihr euch das vorstellen, Jungs?" Harrys Stimme erhob sich über den Lärm, seine Augen funkelten vor einer Mischung aus Fernweh und Vorfreude. „Nur noch ein paar Tage, dann sind wir in Amerika."
Niall lehnte sich zurück, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, ein verträumtes Lächeln spielte auf seinen Lippen. „Ich freue mich darauf, einfach nur die Fifth Avenue entlang zu schlendern, die Sehenswürdigkeiten und Geräusche aufzunehmen... Vielleicht spiele ich sogar meine Gitarre im Central Park. Wer weiß schon, wer zuhören könnte?"
Harry lachte bei dem Gedanken an Niall's Melodien, die durch das weitläufige Grün des Parks schwebten und Passanten verzauberten.
„Malen", sagte Zayn einfach, seine tiefbraunen Augen spiegelten eine Welt unausgesprochener Gedanken wider. „Das Licht in New York soll einzigartig sein. Ich will es auf Leinwand festhalten, die Schatten der Wolkenkratzer, wie der Sonnenuntergang die Straßen golden bleicht..."
„Vom Herzen Englands zur Seele Amerikas", sinnierte Harry und seine Gedanken drifteten ab zu Visionen von Erfolg und Erfüllung. Die drei Freunde tauschten einen wissenden Blick aus, jeder verstand den stillschweigenden Pakt, den sie geschlossen hatten: ihre Träume zu verfolgen, egal wie steil der Aufstieg war, egal wie hoch der Preis.
„Amerika ist das Land der Möglichkeiten", fügte Niall hinzu und sein Akzent spiegelte seine Heimat wider. „Wir werden dort unsere Spuren hinterlassen, so viel steht fest. Und wir werden es zusammen tun."
„Seite an Seite", bestätigte Harry und streckte die Hand aus um Niall's Schulter zu umfassen, dann Zayn's - in einer Geste der Solidarität und tiefen Zuneigung.
„Auch wenn die Reise hart wird", antwortete Zayn mit einem seltenen Hauch von Emotion in seiner Stimme. „Wenigstens haben wir einander."
Ihre unsichtbare Verbindung zueinander war so standhaft wie die Stahlbolzen, die die Titanic zusammenhielten. Im Herzen des unsinkbaren Schiffes, umgeben von Träumen von Größe und dem Versprechen eines Neuanfangs erlaubten sich die drei Freunde in der Nostalgie dessen, was sie zurückließen und dem hoffnungsvollen Blick auf das, was vor ihnen lag, zu schwelgen.
Harry lehnte sich gegen die kühle Metallwand des Rumpfs der Titanic, eine Bastion aus Eisen und Ehrgeiz, die scheinbar endlos über ihm aufragte. Seine Finger trommelten eine abwesende Melodie auf sein Knie, den Rhythmus eines Klavierstücks, das er nun seit Wochen perfektionierte. Es war ein Stück, von dem er hoffte, dass es eines Tages durch die Hallen von New Yorks großen Veranstaltungsorten hallen würde - ein Traum, der mit jedem zurückgelegten Meilenstein in Richtung Westhorizont lauter wurde.
„Stell dir vor, Niall", sagte Harry, seine Stimme ein sanfter Tonfall inmitten der Kakophonie des Lebens in der dritten Klasse um sie herum. „Keine nebligen Morgen oder endlose Reihen identischer Häuser mehr. Nur offener Himmel und Möglichkeiten so weit wie das Land selbst."
Niall lächelte sehnsüchtig, seine blauen Augen spiegelten das selbe unstillbare Fernweh wider. „Ja, ich kann fast schon die Freiheit schmecken, weißt du? Wie frische Luft nach einem Sturm. Wir haben die Chance, neu anzufangen und endlich darauf zu scheißen, wo wir herkommen."
„Genau", stimmte Harry zu, und dieses Mal fiel ihm gar nicht auf, wie Niall's Ausdrucksweise erneut entgleiste. Sein Blick wanderte zum Bullauge, wo ein Stück hellblauer Ozean sichtbar war. Das Meer war ein Wandteppich aus azurfarbener Seide.
Er dachte an die Bühnen und an das Publikum, die gespannte Stille vor dem ersten angeschlagenen Ton und den Applaus, über den er sich danach freuen durfte. Aber jenseits der Samtvorhänge und glänzenden Tasten gab es einfachere Bestrebungen. Ein zu Hause, das nicht durch die Trauer um seine Mutter oder den Stich durch das Gefühl des Verlassenseins durch seines Vaters getrübt wurde.
„Amerika ist groß genug für uns alle", kicherte Niall und zwinkerte Harry zu. „Solange du mir nicht wieder beim Kartenspielen in die Quere kommst, dürfte alles gut sein."
Harry zwinkerte zurück. „Keine Sorge, du kleiner Schummler. Ich werde dich schon nicht verraten."
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Hallo meine Lieben🤍
Ich wünsche euch wie immer einen wunderschönen Freitagabend und hoffe, ihr seid gut im Wochenende angekommen.🤍
Na - was sagt ihr zu dem Kapitel?🤍
All the love,
Helena xx
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