Charakterentwicklung
''Think of a caterpillar entering a cocoon. Once he does so, one of two things happen: He will either transofrm into a butterfly or he will die. But no matter what else happens, he will never climb out of the cocoon as a caterpillar. So it is with your protagonist."
Wie jedem Autor bekannt sein sollte: Im Herzen deiner Geschichte sollten sich deine Figuren verändern. Das kennen wir. Dennoch fällt mir in vielen Geschichten, vor allem von jungen Autoren auf, dass die Entwicklung meistens eine Veränderung ins Positive ist. Und das ist schade.
Was meine ich mit positiver und negativer Charakterentwicklung?
Zunächst einmal möchte ich sicherstellen, dass du weißt, was ich mit Charakter meine:
Der Charakter ist die Persönlichkeit oder Einstellung einer Figur. Das „individuelle Gepräge eines Menschen, das durch ererbte und erworbene Eigenschaften, wie es in seinem Wollen und Handeln zum Ausdruck kommt", wie es der Duden so schön formuliert hat. Die Charakterentwicklung ist also der Prozess, wie sich die Persönlichkeit einer Figur über das Buch hinweg verändert. Zwar ist der „Charakter" mittlerweile als Synonym für das Wort „Figur" in den Duden eingegangen, aber das möchte ich für diesen Beitrag deutlich trennen.
Positive Charakterentwicklung
Mit positiver Charakterentwicklung meine ich die Entwicklung, die eine Figur durchmacht, in der sich ihr Charakter auf eine Weise verändert, der allgemein als positiv angesehen wird. Die jähzornige Figur lernt, sich zu beherrschen. Die arrogante Figur lernt, nicht so viel auf sich selbst zu halten. Die egoistische Figur lernt, auch andere Mitfiguren vor sich selbst zu stellen. Positive Charakterentwicklung ist im Grunde die Art von Entwicklung, die den Leser mit einem guten Gefühl zurücklässt. Sie zeigt, dass deine Figuren sich zum Besseren geändert haben und aus der Geschichte, die sie erlebt haben, gelernt haben. Aber ich als Autorin, die mit einem Friede-Freude-Eierkuchen-Happy-End nicht immer etwas mit anfangen kann, mag ich es stets positive Charakterentwicklung zu benutzen.
Ist es nicht viel interessanter, wenn Figuren aus ihren Erfahrungen die falschen Schlüsse ziehen?
Negative Charakterentwicklung
Und somit kommen wir zu der negativen Charakterentwicklung. Damit meine ich die Veränderung des Charakters einer Figur zum Schlechteren. Die selbstbewusste Figur wird unsicherer. Die gütige Figur wird kaltherziger. Die ungeduldige Figur wird noch ungeduldiger. Natürlich sollte diese Entwicklung, wie die positive auch, in der Geschichte begründet sein, aber ist es nicht so viel spannender (und tragischer) wie Menschen „böser" werden, als sich ewig die gleichen Geschichten durchzulesen, in denen Figuren einfach immer „besser" werden?
Warum ich positive Charakterentwicklung alleine nicht mag
Wenn du deine Geschichten darauf auslegst, dass deine Figuren nach und nach all ihre negativen Eigenschaften „wegentwickeln" bzw. verlernen, dann hast du am Ende lauter Figuren, die glatt poliert und einem Kunstwerk gleich durch deine Geschichte wandeln. Das mag in einem einzelnen Buch, das keine Fortsetzung hat, funktionieren. Aber sobald du eine zweite oder dritte Geschichte zu ihnen schreiben möchtest, bekommst du Probleme. Denn es sind die Schwächen einer Figur, die deine Geschichten spannend und einzigartig machen.
Außerdem: Denke an die Menschen in deinem Umfeld. Sie werden nicht mit jedem Jahr perfekter. Nein. Meinungen versteifen sich. Eigenschaften werden zu Gewohnheiten und Gewohnheiten verlernt man nicht einfach durch einen kleinen Konflikt, in dem einen die eigene „schlechte" Denk- oder Handlungsweise aufgezeigt wird.
Warum sollte es den Figuren in deinen Geschichten also anders ergehen?
Meine Strategie
Auch die negative Charakterentwicklung muss glaubhaft sein. Wie funktioniert das?
Ich habe mir zwei Möglichkeiten ausgedacht:
Die Figur bekommt eine neue Eigenschaft
Eine neue Eigenschaft kann sich auf viele Arten entwickeln. Sie kann sich durch viel Arbeit angeeignet werden – was bei negativen Eigenschaften eher selten passiert, außer unter Zwang – oder deine Figur wird durch ihre Umstände verändert. Zu den Umständen zählen soziales Umfeld, neue Erfahrungen, Beobachtungen oder auch einfach das Überdenken alter Gewohnheiten und Ansichten.
Ein Beispiel: Du hast eine Figur in deiner Geschichte, die ein Anführer ist und viele Entscheidungen treffen muss. Für einen großen Teil der Geschichte tut sie das gut mit nur minimalen negativen Auswirkungen. Dann unterläuft ihr eines Tages ein Fehler, der unvorhergesehene und schreckliche Konsequenzen hat. So bekommt deine Figur von einem Moment auf den nächsten eine neue Eigenschaft. Sie wird vorsichtig. Vielleicht sogar zurückhaltend oder ängstlich.
Die Figur vertieft eine alte Eigenschaft
Diese Methode ist mir von den beiden die liebere. Wenn deine Figur schon mit einer schlechten Eigenschaft zu kämpfen hat, dann ist es oft glaubwürdiger, wenn sich die Eigenschaft einfach verschlimmert, als dass die Figur eine komplett neue Eigenschaft entwickelt. Die Entwicklungen können langsam und fließend geschehen, indem die Figur einfach keine Konsequenzen für ihr schlechtes Verhalten erfahren muss. Damit ist im Grunde schon vorprogrammiert, dass sich die Eigenschaften immer tiefer festeitzen.
Oder du kannst deine Figuren sogar für ihr schlechtes Verhalten belohnen. Denke hier vielleicht an einen Herrscher, der seine Untertanen einschüchtert und so (zumindest kurzfristig) an mehr Macht gelangt.
Die Gefahr der negativen Charakterentwicklung
Dennoch solltest du eine Sache im Hinterkopf behalten: Schlechte Charaktereigenschaften sollten nie unkommentiert stehen bleiben, denn damit wird allzu leicht impliziert, dass es sich dabei um annehmbares Verhalten handelt. Natürlich möchte ich nicht, dass in jeder Szene direkt mit der Moralkeule geschwungen wird, aber die Figuren müssen die Konsequenzen für ihre schlechten Eigenschaften tragen. Sei es, indem sie zur Rede gestellt werden, sich Freunde von ihnen entfernen oder sie sich vielleicht sogar vollkommen entfremden.
Trotzdem bedeutet das nicht, dass die Figuren aus den Konsequenzen lernen müssen – Menschen sind inherent sture Geschöpfe – aber die Möglichkeit sich zu korrigieren, sollte ihnen gegeben werden.
Was ich also sagen möchte: Lass es zu, dass sich deine Figuren zum Negativen entwickeln. In vielen Fällen kann das sehr viel interessanter sein, als es eine einfache positive Entwicklung jemals sein könnte. Aber pass auf, dass du deinen Lesern nicht vermittelst, dass dieses Verhalten erstrebenswert ist.
Immer wenn ich mir Schreibtipps durchlese, wird von Charakterentwicklung gesprochen. Aber trotzdem habe ich selten eine gute Sammlung an handfesten Tipps dazu gefunden und das möchte ich ändern, indem ich selbst etwas dazu schreibe.
Die vier Schritte zur befriedigenden Charakterentwicklung
Bevor du mit der Planung deiner Charakterentwicklung beginnen kannst, musst du dir überlegen, wo die Hauptkonflikte deiner Geschichte liegen werden. Denn deine Figuren sollten sich an deinen Konflikten orientieren, damit möglichst dynamische Geschichten entstehen. Es funktioniert auch anders herum, falls du lieber mit deinen Figuren beginnst, dann solltest du deine Konflikte auf deine Figuren abstimmen.
Wichtig ist einfach nur: Deine Konflikte sollten deinen Figuren die Möglichkeit geben sich selbst herauszufordern und ihre Werte in Frage stellen.
Schritt 1: Zeige die Ausgangspositionen deiner Figur
Hier legst du das Fundament für die spätere Entwicklung. Der Leser sollte möglichst schnell am Anfang der Geschichte erfahren, welche Werte deine Figur vertritt. Scheue dich nicht davor, deutlich zu werden und ihre Einstellung eindeutig zu demonstrieren.
Denk daran: Handlungen zählen mehr als Worte. Halte dich also an Show, don't Tell und gib deinen Figuren ausreichend Möglichkeiten, ihre Meinungen zu vertreten.
Schritt 2: Teste die Positionen
Sobald du dir sicher bist, dass deine Leser den Ursprungs-Charakter deiner Figur verstanden haben, kannst du damit beginnen, ihre Werte und Weltanschauung in Frage zu stellen. Was, wenn deine Figur das Gesetz vertritt, aber du auch von Anfang an klar gemacht hast, dass für sie Familie und Freunde besonders wichtig sind? Was wenn diese Figur, ihre Schwester beim Stehlen erwischt?
Wie weit würde deine Figur gehen, um ihre Werte zu verteidigen?
Welche Einstellung würde gewinnen?
Wo liegen die Prioritäten deiner Figur?
Und wo ihre Grenzen?
Scheue dich nicht davor, diese Entscheidungen eskalieren zu lassen, je weiter die Geschichte fortschreitet. Aber denke auch daran: Nicht jede Entscheidung muss gravierende Folgen haben. Manchmal sind es auch die kleinen Dinge, die viel über eine Person aussagen. Versuch eine gute Mischung aus großen und kleinen Entscheidungen zu erreichen.
(optional) Schritt 2.1: Zeige wie andere Figuren auf ähnliche Konflikte reagieren
Da sich deine Figur nich in einem Vakuum befinden wird, ist es für den Leser besonders interessant, wie andere Figuren auf ähnliche Situationen reagieren würden. Das gibt den Lesern eine Messlatte dafür, wie „normal" deine Figur sich verhält und auch im späteren Verlauf der Geschichte, wie weit sich die Figuren verändert haben.
Schritt 3: Zwinge deine Figur zu einer Entscheidung
Spätestens für den Höhepunkt deines Buches solltest du deine Figur zu einer Entscheidung zwingen. Diese Entscheidung sollte bezeichnend für ihre bisherige Entwicklung sein. Ist deine Figur stur und hält an ihren Ansichten fest? Oder lässt sie es zu, dass sie sich verändert?
Egal wie du dich entscheidest, lass deine Figuren die Konsequenzen tragen.
Schritt 4: Festige die (neue) Position
Dieser letzte Schritt wird leider allzu häufig vergessen. Ähnlich wie in Schritt 2 solltest du deine Figuren vor neue Entscheidungen stellen, bei denen sie ihre neue Position „beweisen". Wenn es die erste Entscheidung deiner Figur war, einem Bettler kein Geld zu geben (aus welchen Gründen auch immer), kannst du deine Geschichte damit beenden, dass sie einem Bettler Geld gibt. Dieser Spiegel zu früheren Entscheidungen zeigt dem Leser deutlich, wie sehr sich deine Figur verändert hat.
Was haltet ihr von meinem Ansatz?
Seid ihr der Meinung, dass die Charakterentwicklung immer positiv sein muss?
Und wenn ja, habt ihr schon mal an deine Alternative gedacht?
Liebe Grüße
Natalia
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