𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟒 | 𝐁𝐞𝐥𝐥𝐲
»Und, Belly? Wie ist es gelaufen?!« Greta war bereits vor dem Casting so hibbelig wie das weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland. »Los, jetzt sag schon! Spann mich bitte nicht weiter auf die Folter, sonst bekomme ich noch einen Herzinfarkt!«
Zunächst hatte ich sie ein wenig veräppeln wollen, aber nachdem sie die Sache mit dem Herzinfarkt erwähnt hatte, beschloss ich nun doch, ihr die Wahrheit zu sagen.
»Ich hab' die Rolle!«
»Was, wirklich!« Sie fiel mir kreischend in die Arme. »Oh mein Gott, Belly! Das ist großartig! Einfach nur großartig!«
»Ich freue mich auch sehr darüber. Endlich bin ich meinem Traum ein Stückchen näher gekommen.«
Zugegebenermaßen hatte ich ursprünglich für eine andere Rolle vorgesprochen, aber die der bösen Fee war auch in Ordnung. Hauptsache ich stand auf einer Bühne und konnte singen. Und zwar ohne, dass irgendwelche Vögel mir dabei ins Lied zwitscherten.
***
Die Proben waren hart, und ich merkte immer mehr, wie schwierig es für mich war, auf meine Magie zu verzichten. Zumindest die kleinen Dinge wie einen Kostümwechsel hatte ich zuvor mit nur einem Fingerschnipsen erledigen können. Zwar waren sich die Menschen meiner Präsenz bewusst , allerdings wollte ich nicht, dass es wegen meiner Person zu einem Aufruhr kam.
»Vorsicht, das fliegende Einhorn!«, rief jemand mir von der Seite zu.
Doch da war es bereits zu spät, denn ich bekam einen Teil des Bühnenbilds sowie eine gigantische Papp-Nachbildung eines Fabelwesens ab, das noch nicht einmal existierte. Ich wusste nicht, worüber ich mich mehr aufregen sollte - über die Tatsache, dass den Bühnenbildner niemand darüber aufgeklärt hatte, dass Einhörner nicht fliegen konnten, oder aber, dass mir gewaltig der Schädel brummte.
»Ist alles in Ordnung bei dir?« Eine weitere Stimme, die ich nicht kannte.
»Ja«, murrte ich. »Für eine Pappfigur ist das Teil ganz schön hart.«
Ich rieb mit meiner Handfläche über die Stelle an meiner Stirn, bis der Schmerz verflogen war. Auch etwas, das ich in einem früheren Leben vermutlich mit Magie gelöst hätte.
Als der trübe Schleier vor meinen Augen allmählich begann, sich in Luft aufzulösen, konnte ich die Stimme endlich einem Gesicht zuordnen.
Ach du heilige Waldfee!
»Wie lautet dein Name, meine Schöne?«, wollte er von mir wissen, während ich nichts Besseres zu tun hatte, als ihn - ohne zu blinzeln - anzustarren.
»Oh, ähm ... I-ich heiße Belly.«
»Belly?« Er schenkte mir das wohlmöglich schönste Lächeln, das ich je gesehen hatte. »Was für ein außergewöhnlicher Name. Klingt sehr melodisch.«
»Findest du?« Die Röte stieg mir abrupt ins Gesicht.
»Ja, finde ich.« Er reichte mir seine Hand, um mir aufzuhelfen. »Freut mich wirklich sehr, dich kennenzulernen. Ich bin Clark und spiele einen der Lichthüter, wie man nur unschwer erkennen kann.«
»Und ich spiele eine der dunklen Feen. Allerdings habe ich keinen blassen Schimmer davon, wie genau man einen Bösewicht verkörpert.«
»Du machst das ganz toll«, sagte er, ehe er mir ganz ungeniert zuzwinkerte. »Im Übrigen liebe ich deine Gesangseinlagen. Du hast echt Talent, Belly.«
Flirtet er etwa gerade mit mir, oder bilde ich mir das bloß ein?
Meine Märchenblase platzte in dem Moment, als der Bühnenregisseur lauthals »Alles wieder auf Anfang!« in sein Megafon brüllte.
Nun fühlte ich mich tatsächlich wie in einer dieser drittklassigen Broadway-Liebeskomödien. Alles war so lächerlich klischeehaft - eine neue Welt, die Freundin in Not, und natürlich der gutaussehende Hauptdarsteller, der sich zufälligerweise in die gute Fee verliebte, die eigentlich eine böse Fee darstellen sollte.
Aber Moment, was denke ich da?!
Am Ende wäre ich diejenige, die alles für ein paar läppische Gefühle schweifen lassen würde. Das wäre das Aus für meine Karriere, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte.
Also musste ich mich zusammenreißen. Jegliche Form von Ablenkung könnte bedeuten, dass ich bei Peter zu Kreuze kriechen müsste. Und das konnte und wollte ich nicht akzeptieren! Schließlich hatte ich mir geschworen, nicht zu scheitern ...
***
In den nächsten Tagen versuchte ich Clark zu ignorieren, was mir leider nur spärlich gelang. Immer wieder hatte er mit diesem glockenhellen Lachen mein Herz erwärmt und einmal sogar dafür gesorgt, dass meine Magie sich gegen meinen Willen freigesetzt hatte.
Es hatte mich über eine Stunde gekostet, all die rosafarbigen Schmetterlinge wieder einzufangen, die aus meiner Magengrube entflohen und über meinen Mund nach draußen gelangt waren. Ich tat dabei so, als hätte ich Schluckauf gehabt, um nicht aufzufallen.
Clark war daraufhin losgeeilt, um mir ein Glas stilles Wasser zu bringen, was ich ihm jedoch kurz darauf aus der Hand geschlagen hatte, weil einer der Schmetterlinge auf die dumme Idee kam, geradewegs auf ihn zuzufliegen.
Auch insgesamt ging bei der Generalprobe alles auch nur Erdenkliche schief. Eine der Feen stürzte von der Treppe und brach sich den Arm, einige der Darsteller vergaßen ihren Text oder verpassten ihren Einsatz und der Bühnenregisseur war extrem mies gelaunt.
Als ich eine ruhige Minute hatte, nahm ich hinter der Bühne Platz, um noch einmal alles in Ruhe durchzugehen. Doch dabei hatte ich die Rechnung ohne Clark gemacht.
»Hey, Belly ... Sag mal, können wir kurz reden?«
»Oh, hey Clark.« Ich versuchte mir weder meine heimliche Schwärmerei für ihn anmerken zu lassen, noch, dass ich eigentlich schlecht gelaunt war und allein sein wollte. »Was gibt's?«
»Na ja, ich habe mich gefragt, wieso du mir aus dem Weg gehst. Habe ich denn irgendetwas falsch gemacht?«
Ich stand abrupt auf und legte die Handflächen aufeinander. »Nein, hast du nicht. Wie kommst du darauf?«
»Keine Ahnung«, entgegnete er achselzuckend. »Bei unserer ersten Begegnung hatte ich das Gefühl, dass wir uns gut verstehen. Aber seitdem hast du mich nicht einmal mehr wahrgenommen. Ich habe gedacht, vielleicht liegt dir etwas auf dem Herzen, worüber du nicht sprechen möchtest und ...« Clarks Blick wanderte an mir vorbei, ehe er blitzschnell meine Taille umfasste und mich zur Seite zog. »Vorsicht, die Leiter!«
Plötzlich waren wir uns so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Nun, da er mich mit seinen stahlgrauen Iriden fixiert hatte, fiel es mir auch deutlich schwerer, ihm auszuweichen.
Bei der Sonnenfee, wie kann es bloß sein, dass mein Puls schneller rast als bei Normalsterblichen?
»D-danke für die Hilfe!«
»Keine Ursache, Belly.«
»Wir sollten so langsam wieder auf die Bühne, bis morgen gibt es noch viel zu tun.« Ich schob ihn von mir weg. Bei der kurzen Berührung mit seinem strammen Brustmuskel durchfuhr mich ein elektrisierendes Gefühl. Ich versuchte es zwanghaft zu ignorieren, damit meine Magie nicht wieder auf die glorreiche Idee kam, mir Streiche zu spielen. Das waren eindeutig genug Schmetterlinge für einen Tag.«
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