𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟑 | 𝐁𝐞𝐥𝐥𝐲
Die Welt ist wie magisches Theater, in dem sich Märchen und Realität vermischen - stand auf der großen Leuchttafel vor dem Broadway-Theater in New York. Sie schienen Werbung für ein neues Musical zu machen, was mir gerade gelegen kam.
Merkwürdig.
Irgendwie erinnerte mich dieser Satz an jene Worte, die Greta zu mir im Zug gesagt hatte. Und würde ich nicht gerade von einer magischen Insel stammen, auf der es ausschließlich Kinder und Fabelwesen gab, hätte ich vermutlich geglaubt, dass es sich bloß um einen Zufall handelte.
Allerdings lautete die erste Regel im Märchenreich, sowie in jeder weiteren, modernen Verfilmung, dass es keine Zufälle gab. Alles war im Leben entweder eine schicksalhafte oder eine durch Zauberhand herbeigeführte Begegnung.
»Coming soon«, wisperte ich vor mich hin, ehe mein Blick zu einer etwas kleineren Aushängetafel wanderte. »Jetzt zum offenen Casting am Samstag kommen und das neue Gesicht von ›Fairies in the Dark‹ werden.«
Mist! Das ist in weniger als nur einer Woche! Wie soll ich das bloß schaffen?
Zweifel kamen plötzlich in mir auf. Was, wenn Peter recht hatte und ich vielleicht doch noch nicht bereit dafür war, meinen eigenen Weg zu gehen?
Niemals würde ich zulassen, dass meine Reise unter diesen Umständen endete. Ich atmete tief durch, ehe ich nach einem der Nummernzettel griff, ihn abriss und in meine Tasche steckte.
»Wenn sie mich hier nicht nehmen, werde ich mit Sicherheit irgendwo anders einen Platz finden, um auftreten zu können.«
Was ich mir jedoch dringend abgewöhnen musste, waren die ewigen Selbstgespräche. Das war alles andere als menschlich.
Im nächsten Augenblick schlug mein Feen-Radar schlug aus. Es fühlte sich an wie eine innere Intuition, die ich weder abstellen, noch kontrollieren konnte. Fest stand jedoch, dass irgendjemand in meiner unmittelbaren Nähe in Gefahr war und ich dringend einschreiten musste.
»Was wollt ihr von mir?! Verschwindet! Hilfe, lasst mich in Ruhe!«
Eine mir bekannte Stimme drang an mein Ohr und erregte unweigerlich meine Aufmerksamkeit.
Ich muss hier entlang ...
Ich ließ mich von meinen Instinkten leiten und fand mich plötzlich in einer dunklen Nebengasse wieder. Dort saß eine zitternde junge Frau zusammengekauert auf dem Boden. Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass es sich bei der Hilfesuchenden um Greta handelte. In ihren Armen hielt sie den braunen Lederkoffer fest umklammert, während sie von drei jungen Männern umzingelt war.
»Gib uns den Koffer!«, forderte einer der eher stämmigen Männer von Greta. Dabei deutete er mit seinem Zeigefinger in ihre Richtung. »Ansonsten ...«
Das ist eine klare Drohung und damit höchste Zeit für mich einzuschreiten.
»Hey, ihr da!«, rief ich ihnen zu, wodurch ich unweigerlich die Aufmerksamkeit auf mich zog. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und baute mich demonstrativ vor den Angreifern auf, wie ich es während meiner Ausbildung auf der Feen-Schule gelernt hatte. »Findet ihr das nicht ein wenig unfair, zu dritt auf eine Person loszugehen?«
Meine Magie in der Menschenwelt einzusetzen war nicht nur riskant, sondern auch extrem kräftezehrend. Allerdings würde ich nicht ohne sie gegen diese drei Proleten ankommen können.
»Und du bist wer?«, fragte mich der älteste von den Dreien. Sein Bart war bereits grau und insgesamt machte er einen extrem ungepflegten Eindruck.
»Na, ihre gute Fee natürlich.« Ich konnte es einfach nicht sein lassen. Wäre ich an der Stelle von Cinderellas guter Fee gewesen, hätte es vermutlich eine bittere Kürbisschlacht gegeben und keine Kutsche. »Seht zu, dass ihr Land gewinnt! Ansonsten verwandle ich euch in Truthähne. Und, wie ihr ja sicherlich wisst, steht bald Thanksgiving vor der Tür.«
Einer von ihnen setzte nach meiner Ansprache ein schiefes Lächeln auf. Anschließend kam er torkelnd auf mich zu. Doch von ihm berührt oder gar angegriffen zu werden, würde ich keineswegs zulassen. Nicht heute und auch nicht morgen. Menschliches Verhalten hin oder her, aber ein derart ungehobeltes Verhalten konnte ich nunmal nicht auf mir sitzen lassen.
Ich breitete meine Flügel aus und schnipste mit den Fingern, sodass die Schwerkraft für unseren Prince Charming aussetzte und er in der Luft schwebte wie ein Heißluftballon.
»Verdammt, sie ist eine Hexe! Lasst uns abhauen!«
»Es nennt sich Fee!«, stellte ich nochmals klar, ehe ich dieses Großmaul wieder auf den Boden fallen ließ. Kurz darauf, ergriff er gemeinsam mit seinen Komplizen die Flucht.
»Oh mein Gott, Belly!« Greta erhob sich und fiel mir stürmisch in die Arme. »Ich bin heilfroh darüber, dass du hier warst, um mich vor diesen Spinnern zu retten!«
»Ja, ich auch«, entgegnete ich. »Was für ein Zufall, dass wir uns ausgerechnet hier wieder begegnet sind. New York ist ziemlich groß.«
»Nun ja, als Zufall würde ich das jetzt nicht bezeichnen.« Sie löste sich langsam von mir. »Um ehrlich zu sein bin ich dir nachgelaufen. Die Stadt ist irgendwie so groß und laut, dass ich mich total unwohl gefühlt habe. Ich wollte nicht alleine sein, weißt du?«
Also scheint es nicht nur mir so zu gehen ...
»Ich kann das sehr gut nachvollziehen, weil ich ähnlich empfunden habe. Allerdings hättest du mir das gleich sagen können, dann wären wir die ganze Zeit über zusammen gewesen und diese ungehobelten Kerle wären gar nicht erst auf die Idee gekommen, dich zu bedrängen.«
Sie seufzte. »Ja, da hast du vermutlich recht. Trotzdem bin ich froh, dass du mir geholfen hast. Vielen Dank nochmal, Belly.«
»Schon gut, wirklich. Schließlich bin ich ja eine Fee, weshalb es auch zu meinen Aufgaben gehört, Menschen und Wesen in Not zu helfen. Abgesehen davon finde ich, dass wir uns während der Zugfahrt recht gut miteinander verstanden haben.« Ich zwinkerte ihr zu. »Ich würde fast behaupten, wir sind so etwas wie Freundinnen.«
»Das ist toll! Ich hatte noch nie eine richtige Freundin!«
»Schön, dann ist es ja jetzt offiziell.« Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Was wollten die Kerle eigentlich von dir?«
Nachdenklich legte sie einen Zeigefinger auf ihr spitzes Kinn. »Einer von ihnen hat mich nach etwas Kleingeld gefragt, und als ich ihm ein paar meiner Münzen geben wollte, kamen auch schon die anderen und drängten mich in diese schmale Gasse.«
Wie furchtbar!
Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn ich nichts von all dem hier mitbekommen hätte. Und ich würde gerne behaupten, dass es in der Märchenwelt anders zuging als in der realen Welt. Aber das wäre gelogen, denn - unabhängig von den unzähligen Kindesentführungen und verwunschenen Schlössern - waren Kleinkriminelle tagtäglich zugange. Das schien hier nicht anders zu sein. Allerdings endete es in den meisten Geschichten damit, dass irgendein Prinz das Bedürfnis hatte sich einzumischen, um ein halbwegs befriedigendes Ende herbeizuführen.
»Aber gut, jetzt ist es vorbei, oder?« Wieder nickte ich zustimmend. »Prima! Weil ich dich nämlich fragen wollte, ob du dir schon ein Musical ausgesucht hast.«
Ich war etwas überrascht, wie schnell sie das Thema gewechselt hatte.
»Ähm, ja. Ich meine, es findet Ende der Woche ein Casting statt. Es ist zwar etwas kurzfristig, aber ich würde es dennoch gerne versuchen.«
»Das klingt doch super, Belly! Kann ich dich als kleines Dankeschön vielleicht irgendwie dabei unterstützen?«
»Oh, ja ... Das kannst du tatsächlich.«
»Toll, dann lass uns gleich loslegen, damit du für das Vorsprechen gut vorbereitet bist.«
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