26. Trip down memory lane
Sammy
Mit klopfendem Herzen und total verwirrt rannte ich aus Nialls Wohnung. Was hatte dieser Brief zu bedeuten? Wieso lag er auf dem Tisch in seinem Wohnzimmer? Es war ein Brief, welchen meine Mum geschrieben hatte, ich kannte ihre Handschrift genau. Das konnte doch alles gar nicht sein.
Sie hatte zwar einmal erwähnt, dass sie einen Iren mit dem Namen Niall kannte, mit dem sie wohl auch näher befreundet war aber dabei konnte es sich wohl kaum um meinen Freund handeln.
Niall Horan wurde 1993 geboren, im gleichen Jahr wie ich. Irgendetwas stimmte an der ganzen Sache nicht und Niall war wohl heute nicht in der Lage, vernünftig mit mir darüber zu reden. Der Himmel wusste, was er angestellt hatte, so wie er gerade aussah!
Meine Hände zitterten leicht, als ich die Tür zu meinem Wagen öffnete, um einzusteigen. Sekunden später startete ich den Motor und fuhr los. Alles geschah mechanisch, ohne darüber nachzudenken, denn meine Gedanken verweilten nur bei diesem beschriebenen Blatt Papier, welches alles in mir aufwühlte.
Als ich endlich zuhause eingetroffen war, checkte ich kurz mein Handy. Eigentlich hatte ich eine Nachricht von Niall erwartet, doch er meldete sich nicht.
Diese Geschichte hörte sich total verrückt an und das Einzige, was ich nicht aus dem Kopf bekam, war die Tatsache, dass meine Mum einen Freund namens Niall gehabt hatte, mit dem sie wohl auch geschlafen hatte. Was war in der Vergangenheit nur passiert?
Gedankenverloren ging ich zum Kühlschrank, um eine Flasche Wasser herauszuholen. Ich war sauer auf Niall, weil er so komisch reagiert hatte. Das kannte ich nicht von ihm, denn wir vertrauten uns gegenseitig. Er war genau der Junge, den ich gesucht hatte, liebevoll, witzig, verständnisvoll und er gab mir immer das Gefühl, dass ich mich total auf ihn verlassen konnte.
Doch genau jetzt, genau heute, wo ich ihn am meisten gebraucht hätte, ließ er mich im Regen stehen. Mit einer Aussage, die so haarsträubend war, dass ich wirklich an seinem Verstand zweifeln musste. Eine Zeitreise! Diese Erklärung klang sowas von lächerlich! So etwas gab es nicht und würde es auch nie geben, davon war ich überzeugt. Wie kam Niall überhaupt auf eine solche Idee?
Frustriert ließ ich mich auf dem Sofa im Wohnzimmer nieder, griff nach der Packung mit meinen Lieblingschips, die genau vor mir auf dem Tisch lagen und begann diese in mich hineinzustopfen.
Gott sei Dank hatte ich die Gene meiner Mum geerbt, was das betraf. Ich konnte sehr viel essen, ohne dick zu werden. Erst nachdem die Packung leer war, hörte ich auf. Traurig blickte ich auf mein Handy, denn Niall hielt es wohl immer noch nicht für nötig, sich zu melden. Ich liebte ihn doch, auch wenn ich heute nicht gut auf ihn zu sprechen war. Aber ihm schien es völlig egal zu sein, wie verstört und aufgewühlt ich hier in meiner Wohnung saß.
Als es Sekunden später an der Tür klingelte, sprang ich sofort auf und rannte zur Sprechanlage, welche sich im Flur, direkt neben der Eingangstür zur Wohnung befand. Zu meiner großen Enttäuschung und Verwunderung war es Louis, der Einlass begehrte. Es gab keinen Grund, ihm diesen zu verwehren, also betätigte ich den Türdrücker und wartete, bis er die Treppe nach oben erklommen hatte.
„Hi, Sammy."
Louis umarmte mich und drückte mir einen Kuss auf die Wange, was ich ebenso tat.
„Niall schickt mich."
„Was?! Wieso schickt er dich zu mir? Das ist ja wohl das Letzte! Er traut sich wohl nicht hierher, nachdem was vorhin gelaufen ist?!"
Ich war wütend und enttäuscht zugleich. Doch mir blieb keine Zeit, mich über das unmögliche Verhalten meines Freundes auszulassen, denn Louis sprach sofort weiter.
„Sammy, hör mir bitte genau zu und stell keine weiteren Fragen. Die Antworten bekommst du nämlich noch früh genug. Pack ein paar Sachen zusammen, also ich meine Klamotten für eine Woche aber nur das Nötigste. Wir brauchen nichts Ausgefallenes, nur ganz normale Sachen. Nimm deine Zahnbürste und deinen Kosmetikkram mit, den du benötigst und auf jeden Fall noch dein Kabel und den Stecker vom iPhone."
Ich starrte Louis mit offenem Mund an. Waren denn heute alle verrückt geworden?
„Was soll denn das? Willst du mit mir verreisen?", fragte ich verwirrt.
„Mit dir und Niall."
„Aber ich muss morgen in die Uni! Ich kann nicht so einfach weg!", protestierte ich.
„Glaub mir, du wirst morgen wieder zurück sein."
„Und wieso soll ich dann Sachen für eine Woche mitnehmen?"
Nun legte Louis mir einen Arm um die Schulter. „Weil da, wo wir hingehen werden, die Zeit für uns sozusagen still steht."
Da ich nicht wusste, was ich von dieser Aussage halten sollte, entschied ich mich dazu, nicht so schnell klein beizugeben.
„Ich will aber erst mit Niall reden!", erwiderte ich bockig.
„Das kannst du ja dann, Sammy. Aber jetzt beeil dich bitte mit dem Packen, denn wir haben nicht so viel Zeit. Schließlich können wir Peter nicht aus dem Bett klingeln."
„Wen?"
„Der Typ, in dessen Haus wir schlafen werden."
Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Louis hatte vor wenigen Minuten erst gesagt, dass ich morgen wieder hier sein würde und nun redete er von einer Übernachtung. Er schien genauso verwirrt wie Niall zu sein. Vielleicht hatten die beiden gemeinsam etwas konsumiert, was einer drogenähnlichen Substanz glich, was ich jedoch nicht hoffen wollte.
Meine Gedanken drehten sich plötzlich im Kreis. Was sollte ich nun tun? Gute Miene zum bösen Spiel machen? Ausrasten und Louis hinauswerfen? Doch damit war keinem gedient. Wenn ich herausfinden wollte, was es mit dem merkwürdigen Benehmen der beiden auf sich hatte, musste ich Louis wohl oder übel folgen.
Also begann ich in Windeseile meine Sachen zu packen und hoffte zum Schluss, dass ich nichts Wichtiges vergessen hatte.
Louis trug den kleinen Koffer nach unten und beförderte diesen in den Kofferraum seines Porsche Turbos. Nachdem ich mich mit einem Seufzer auf den Beifahrersitz fallen ließ, ging es auch schon los.
Wir fuhren Richtung Innenstadt und landeten schließlich auf der Oxford Street. Doch dann bog Louis in eine Seitenstraße ab und parkte seinen Wagen mit quietschenden Reifen direkt vor einem kleinen Laden. Dieser sah irgendwie seltsam aus, doch ich folgte ihm trotzdem in das Innere des Geschäfts. Kaum war ich durch die Tür gelaufen, sprang Niall mir entgegen.
„Sammy! Gott sei Dank bist du da!"
Als er mich umarmen wollte, hob ich jedoch abwehrend meine Hände und sagte: „Wir klären das erst und dann umarme ich dich vielleicht."
Plötzlich tauchte eine Frau mittleren Alters hinter Niall auf.
„Hallo, ich bin Isabel. Es freut mich, dass du gekommen bist, Sammy."
Sie lächelte mir freundlich zu, betrachtete mich eingehend und sprach dann mit Niall.
„Sie ist sehr hübsch. Sieht sie ihrer Mutter ähnlich?"
Niall nickte, als er antwortete: „Ja, das tut sie. Sammy hat Lizzys Nase, die Form ihrer Augen, des Gesichts und ihr Lächeln."
„Entschuldigung? Dürfte ich vielleicht auch etwas sagen?", rief ich dazwischen.
„Leider nicht, Liebes, denn ihr müsst euch beeilen. Niall und Louis werden dir alles erklären, wenn ihr angekommen seid. Sie kennen sich bestens aus und wissen, was zu tun ist."
Als ich zu den beiden schaute, nickten sie mir aufmunternd zu. Da ich immer noch nicht verstand, was hier eigentlich vor sich ging, hatte ich große Lust, einfach wieder aus diesem komischen Laden zu verschwinden, in dessen Mitte eine Schale mit unzähligen leuchtenden Kugeln stand. Niall folgte meinem Blick und als unsere Augen sich sekundenlang trafen, hörte ich die Stimme jener Dame, die sich als Isabel vorgestellt hatte.
„Ihr werdet jetzt in das Jahr 1983 reisen und am zwanzigsten Dezember ankommen."
„Cool! Das heißt, wir dürfen dort Weihnachten feiern?", meinte Louis enthusiastisch, worauf Isabel nickte.
Befand ich mich gerade in einem Film oder eher doch in einem Irrenhaus? Ich wusste es nicht und deshalb griff ich, ohne lange zu überlegen, nach Nialls Hand. Das war eigentlich gar nicht meine Absicht, da ich noch immer sauer war, doch ich brauchte in jenem Moment ein Gefühl der Sicherheit. Nialls Finger verschränkten sich sofort mit meinen, wobei sein Gesichtsausdruck weiterhin angespannt blieb. Bevor ich etwas sagen konnte, spürte ich ein Kribbeln und mein gesamter Körper wurde von einer heißen Welle erfasst. Ich hatte das Gefühl, durch die Luft gewirbelt zu werden und dann ganz plötzlich spürte ich wieder den Boden unter meinen Füßen. Als ich meine Augen öffnete, standen wir alle drei am Piccadilly Circus, zumindest sah es danach aus. Es war dunkel und kalt, genauso wie vorhin.
Niall, der meine Hand noch immer festhielt, schaute jetzt zu Louis, beide nickten sich zu und Louis meinte: „Also, Leute, Uhrenvergleich, bitte."
„Zwanzig nach acht", kam es von Niall. „Sammy, wie sieht es bei dir aus?"
Ich nickte zur Bestätigung.
„Ok, bei mir auch und es stimmt auch mit der Leuchtanzeige überein", kam es von Louis.
Erst jetzt gingen meine Augen zu der großen Leuchtanzeige, welche sich an einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. Die Uhrzeit stimmte zwar mit der unserer Handys überein, doch eines störte mich gewaltig: Das Datum. Dieses zeigte wirklich den 20.12.1983.
„Das gibt's doch gar nicht", brachte ich keuchend hervor und stellte gleichzeitig fest, dass es kein Handynetz gab.
„Doch Sammy, das gibt es. Wir haben vor einigen Monaten eine Reise ins Jahr 1983 hinter uns gebracht. Im September 2013, ungefähr eine Woche bevor du Niall kennengelernt hast. Aber wir kamen im Dezember 1983 an. Es war bitterkalt und wir nur mit T-Shirts bekleidet", sagte Louis nun.
Als ich ihn mit offenem Mund anstarrte, hörte ich Nialls Stimme. „Lasst uns zu McDonalds gehen, ich hab Hunger. Und anschließend fahren wir nach Knights Bridge zu Peter."
Niall griff nach meinem Koffer, welchen er hinter sich herzog. Auf seinem Rücken trug er einen Rucksack, genau wie Louis. Jungs benötigten eben nicht so viel zum Anziehen wie weibliche Wesen.
Schweigend und ganz in meine Gedanken versunken, folgte ich den beiden durch die Kälte. Es dauerte gar nicht lange und wir standen vor einem McDonalds Restaurant.
„Warum sind wir nicht zu Nandos gegangen?", wollte ich nun wissen.
Niall antwortete mit einem leichten Grinsen: „Weil es im Jahr 1983 noch kein Nandos gab. Du musst leider diese Woche mit Pizza und Burgern auskommen."
„Wie viel Kohle hat Isabel uns eigentlich mitgegeben?", erkundigte sich Louis bei Niall.
„Zweihundertfünfzig Pfund für jeden."
„Das war aber großzügig."
„Stimmt."
Ich hielt mich aus dieser Unterhaltung gepflegt heraus, orderte einen Burger mit Cola Light und French Fries und setzte mich dann gemeinsam mit Niall und Louis an einen freien Tisch. Niemand erkannte die beiden, keiner fragte nach Autogrammen und das Essen war spottbillig.
Auf dem Nachbartisch lag eine Tageszeitung, nach welcher ich nun spontan griff. Das Datum, welches darauf zu sehen war, ließ mich wissen, dass wir tatsächlich im Jahr 1983 angekommen waren. Aber was wollten wir hier? Es konnte eigentlich nur mit dem Brief in Zusammenhang stehen, den meine Mum geschrieben hatte.
Nachdem wir fertig gegessen hatten, gingen wir wieder nach draußen, wo Louis ein Taxi anhielt, welches uns dann in Knights Bridge vor einem wirklich schönen Haus absetzte. Aber dort hatten schon immer die Leute mit Kohle gewohnt.
Rufus besaß ein Haus in diesem Bezirk, in welchem er auch wohnte. Vielleicht konnte ich dort mal vorbeischauen. Kaum standen wir vor der Eingangstür, betätigte Niall die Klingel. Eine männliche Stimme meldete sich und als Niall seinen Namen nannte, dauerte es nur einige Sekunden, bis jemand die Haustür öffnete.
„Niall! Louis! Kommt doch rein! Isabel hat bereits euer Kommen angekündigt und mir alles Wesentliche mitgeteilt".
Anschließend schüttelte er meine Hand und begrüßte mich. „Du musst Sammy sein! Es freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin übrigens Peter."
Dann wandte er sich erneut an die Jungs. „Ihr habt wieder ein Zimmer im oberen Stockwerk. Leider ist nur das Drei Bett Zimmer frei."
„Was? Ich soll mit den beiden in einem Zimmer schlafen?" brachte ich erstaunt hervor.
„Das klappt schon, Sammy, keine Angst", beruhigte Niall mich.
Da ich beschlossen hatte, dass mich am heutigen Tag nichts mehr aufregen konnte, folgte ich den beiden einfach in den ersten Stock, wo Louis sogleich eine der Türen öffnete.
„Es sieht noch genauso aus wie damals, Niall", rief er begeistert.
Als ich hinter Niall das Zimmer betrat, stellte ich fest, dass wir auf Matratzen nächtigen mussten, doch diese schienen weitaus bequemer zu sein, als angenommen. Denn als ich mich auf einer niederließ, wunderte ich mich, wie angenehm sie doch für den Rücken war. Nun saßen wir jeder auf seiner Matratze und schauten uns an. Da ich noch nicht allzu viel gesprochen hatte, stellte ich nun eine Frage.
„Und was machen wir hier jetzt?"
Niall schluckte kurz, bevor er zu reden begann.
„Wir fahren morgen, nach dem Frühstück zu Harrods und später ins West End."
Genervt rollte ich meine Augen. Dadurch war ich nicht wirklich schlauer geworden. Da ich jedoch einfach nur müde und deprimiert war, beschloss ich, es mir auf der Matratze gemütlich zu machen. Vorher suchte ich jedoch das Badezimmer auf, das sich direkt gegenüber auf dem Flur befand und in welchem ich dann auch meinen Pyjama anzog. Anschließend putzte ich meine Zähne, cremte mein Gesicht ein und trat denn den Weg in unser Zimmer an.
Hoffentlich schnarchte Louis nicht, das war wirklich im Moment meine größte Sorge. Meine Matratze lag ein Stück von Nialls entfernt, was mich jedoch am heutigen Tag nicht störte, denn ich war immer noch ein klein wenig sauer auf ihn. Nachdem ich mich hingelegt hatte, wünschte ich den beiden Jungs eine gute Nacht und zog mir die Decke über den Kopf. Es dauerte nicht lange, bis ich endgültig eingeschlafen war.
Am nächsten Morgen wurde ich mit einem leisen: „Sammy, wir müssen aufstehen, sonst gibt es kein Frühstück mehr", geweckt.
Die Stimme gehörte Louis, der mich grinsend anschaute, als ich die Augen öffnete.
„Wo ist denn Niall?", murmelte ich schlaftrunken vor mich hin.
„Der ist schon unten bei Peter. Die beiden quatschen ein bisschen miteinander. Ich lass dich jetzt alleine, damit du dich in Ruhe anziehen kannst."
Nach diesen aufmunternden Worten verschwand er aus dem Zimmer.
Eine halbe Stunde später lief ich mit schnellen Schritten die Treppe nach unten. Die Stimmen von Louis, Niall und Peter waren bereits zu hören und nachdem ich um die Ecke bog, sah ich alle drei vor einer blau gestrichenen Tür stehen.
„Hey, Sammy!" Niall kam auf mich zu und als er vor mir stand, hörte ich ihn leise fragen: „Bist du noch sauer auf mich?"
„Na ja, es geht. Ich möchte einfach nur wissen, was hier vor sich geht", erwiderte ich leicht genervt.
Er nickte, nahm meine Hand und die seine und zog mich anschließend mit sich. Wir landeten in einem Raum, der sich als die Küche des Hauses herausstellte. Dort bekamen wir Pfannkuchen serviert. Sie schmeckten einfach himmlisch und ließen mich für einen Moment die ganze Situation vergessen.
Doch nachdem wir alles aufgegessen hatten, erinnerten mich die Jungs daran, dass wir heute noch etwas zu erledigen hatten. Wenige Minuten später saßen wir in einem Taxi, welches uns in der Nähe des Harrods Kaufhauses absetzte. Als wir darauf zuliefen, erkannte ich massenweise Absperrungen und ich sah auch, dass das Kaufhaus an der einen Seite gewaltig zerstört war. Es sah aus, wie nach einer Explosion.
„Was ist denn da passiert?"
Fragend schaute ich nun zu Niall, der jedoch keine Antwort gab, sondern fassungslos auf die Trümmer blickte. Immerhin erbarmte Louis sich und begann zu erzählen.
„Am 17.12.1983, also vor wenigen Tagen wurde um 13 Uhr 21 hier ein Bombenattentat der IRA ausgeführt. Deshalb ist das Kaufhaus so zerstört."
„Oh, ich glaube, das haben sie uns im Geschichtsunterricht in der Schule erzählt", warf ich ein, was Louis zu einem Nicken animierte. Doch dann redete Niall plötzlich drauflos.
„Bevor wir ins Jahr 1983 gereist sind, hat Isabel uns gesagt, dass wir an diesem Tag und zu dieser Uhrzeit nicht in die Nähe des Kaufhauses gelangen sollen, weil eine Bombe hochgehen würde."
Er schluckte kurz, bevor er weiter redete. „Ich habe ein Mädchen kennengelernt, als wir hier gelandet sind, gleich am ersten Tag. Wir sind miteinander ausgegangen und haben uns ineinander verliebt. Es..., es war nicht geplant aber..."
Er holte tief Luft, um dann weiter zu reden. „Dann ist etwas passiert, was nie hätte geschehen dürfen. Sie wollte genau an diesem Tag, als die Bombe hochging zu Harrods fahren. Und sie wäre genau dann dort eingetroffen, als die Explosion stattgefunden hätte. Das konnte ich nicht zulassen. Ich... Ich hab sie schließlich davon abgehalten, indem ich mit ihr geschlafen habe. Ich wollte nicht, dass sie stirbt, verstehst du das, Sammy? Ich konnte Lizzy nicht sterben lassen..."
Seine Stimme klang verzweifelt aber ich starrte ihn fassungslos an. Lizzy? Meinte er meine Mum? Das war komplett verrückt, das konnte nicht sein!
„Niall?" Ich schaute jetzt zu ihm, er wich jedoch meinem Blick aus und starrte auf den Boden.
„Sag mir bitte, dass das nicht wahr ist", presste ich hervor.
Mein Herz raste wie verrückt, als ich endlich begriff, was in der Vergangenheit geschehen sein musste und ich wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Zu sehr schmerzte die Wahrheit.
„Doch Sammy, es ist wahr." Es war Louis, der das von sich gab, vollkommen ruhig und gelassen, als sei das nichts Besonderes.
Alles in meinem Kopf drehte sich, meine Beine drohten nachzugeben, doch im allerletzten Moment kämpfte ich dagegen an. Und dann tat ich das, was mein Herz mir befahl. Ich rannte einfach los, weit weg von Niall und Louis.
Ich konnte nicht verkraften, was ich gerade gehört hatte und kümmerte mich auch nicht um die Rufe der Jungs, die wohl versuchten mich zurückzuhalten.
Nach ungefähr fünf Minuten ging mir jedoch die Luft aus und ich blieb keuchend an einer Straßenecke stehen. Meine Atmung beruhigte sich nur langsam, während ich versuchte, mich zu orientieren. Obwohl ich in London lebte, kannte ich mich in diesem Viertel nicht aus. Zitternd lehnte ich meinen Körper gegen eine Hausmauer, die Ausweglosigkeit meiner Situation wurde mir immer stärker bewusst.
Ich hatte weder Geld einstecken, noch funktionierte mein Handy. Wie sollte ich jetzt nach Knights Bridge zurückkommen? Aber wollte ich das überhaupt? Wollte ich Niall wirklich sehen, nach all dem was in der Vergangenheit geschehen war? Es fühlte sich so an, als ob er mich hintergangen und betrogen hätte. Aber nicht mit irgendwem, sondern mit Elizabeth Thompson im Jahr 1983, meiner leiblichen Mutter. Niemand würde mir diese Geschichte glauben, alle würden mich für verrückt halten, wenn ich das jemals aussprechen würde.
Tränen liefen aus meinen Augen, ich begann laut zu schluchzen und fühlte mich von allen verlassen. Die eisige Kälte, die an diesem Tag in London herrschte, ergriff nun Besitz von meinem Herzen. Es gab im Moment nichts, was meine Welt wieder in Ordnung bringen konnte.
Blindlings stolperte ich einfach weiter und rannte prompt in jemandem hinein. Sein Körper war stark und trainiert und seine Arme umschlangen mich sofort.
„Sammy, Gott sei Dank!"
Es war Louis' Stimme, die mich aufschrecken ließ. „Wir dachten schon, wir hätten dich verloren!", brachte er besorgt hervor.
„Ich... Ich..." Ohne darüber nachzudenken legte ich meine Arme um seinen Nacken und begann erneut heftig zu weinen.
„Ist ja gut, Sammy. Alles wird gut..." Langsam streichelte er über meine Haare und flüsterte mir ins Ohr: „Weißt du eigentlich wie sehr Niall dich liebt? Ich weiß, du willst das jetzt nicht hören aber er ist völlig fertig wegen der ganzen Geschichte."
„Und was ist mit mir? Denkst du denn, ich nicht?", brachte ich mit zitternder Stimme hervor.
„Oh, Sammy!" Louis nahm ein Taschentuch aus seiner Jacke, tupfte damit vorsichtig die Tränen von meinen Wangen und schaute mich anschließend an. „Niall ist mit dir hierher gereist, um dir etwas zu zeigen oder besser gesagt, dir etwas zu verdeutlichen. Aber du musst ihm auch die Chance dazu geben. Bitte komm mit mir."
Eigentlich hatte ich keine andere Wahl. Alleine war ich im Jahr 1983 verloren, denn ich wusste nicht, wie ich wieder zurückreisen sollte, was ja offensichtlich kein Problem sein konnte, denn ansonsten hätte ich Niall nie kennengelernt.
Der Gedanke an ihn ließ mich traurig werden, denn ich liebte ihn von ganzem Herzen, obwohl er mir gerade sehr wehgetan hatte. Es fühlte sich komisch an zu wissen, dass er meiner Mum hier über den Weg gelaufen war, dass er sie kannte, als sie in meinem Alter war. Und plötzlich kam der Wunsch in mir auf, sie sehen zu wollen.
„Louis?"
„Ja, Liebes?"
„Ich will meine Mum sehen."
Er lächelte milde. „Genau da wollten Niall und ich jetzt mit dir hingehen."
Ich nickte und folgte Louis durch die Straßen, bis wir Niall erreichten, der noch immer vor den Trümmern der Explosion des Kaufhauses stand. Er wirkte unsagbar traurig, doch als er mich erblickte, rannte er auf mich zu. „Sammy! Gott sei Dank ist dir nichts passiert!"
Ehe ich wusste, was geschah, umarmte er mich fest und drückte mich an sich. Ich ließ es geschehen, ohne mich zu wehren, denn ich spürte plötzlich, dass er genauso mit der ganzen Situation überfordert war wie ich. Der Einzige, der einen klaren Kopf behielt, war Louis. Deswegen schien er auch mitgereist zu sein, als moralische Unterstützung.
„Lasst uns gehen, Leute", hörte ich ihn sagen.
Seufzend ließ Niall mich los und kurze Zeit später saßen wir in einem Taxi, welches uns im Bezirk West End absetzte. Es war wohl eine Gegend, in der viele Studenten wohnten, das konnte ich mühelos erkennen. Natürlich wusste ich, dass meine Mum Finanzwirtschaft studiert hatte und so wunderte es mich nicht, dass sie hier gelebt hatte.
„Sie müsste eigentlich gleich auftauchen, die Vorlesungen sind zu Ende", sagte Niall.
„Sammy, sie sollte uns nicht sehen", setzte er dann hinzu.
Wir versteckten uns hinter einer großen Hecke, welche in der Nähe des Hauses stand, in dem sie wohl wohnte. Mein Herz klopfte wie verrückt, als ich Nialls aufgeregte Stimme vernahm. „Da kommt sie und Crissy ist bei ihr."
Meine Augen ruhten auf einem zwanzigjährigen Mädchen, welches lange, dunkle Haare besaß. Ihre blauen Augen bildeten einen interessanten Kontrast dazu. Sie war kleiner als ich, ihre Figur war zierlich aber nicht mager und sie besaß eine unglaubliche Ausstrahlung.
Meine Mum war einfach wunderschön, das wurde mir in jenem Moment bewusst. Mit Tränen in den Augen stand ich da, wissend, dass Niall ihr Leben gerettet hatte.
„Mum", flüsterte ich leise, „ich liebe dich..."
In jenem Augenblick ergriff Niall meine Hand und zog mich zu sich. „Sieh mich an, Sammy", forderte er mit sanfter Stimme.
Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung, blickte in seine blauen Augen und hörte seine Worte.
„Ihr seid euch so ähnlich und doch so verschieden. Ich liebe dich, Sammy, genau so, wie du bist aber ich kann nicht rückgängig machen, was in der Vergangenheit geschehen ist. Du hast deine Mum gesehen, so wie ich sie kennenlernen durfte. Hätte ich sie sterben lassen sollen? Sag es mir hier und jetzt."
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Cliffhanger! Diesen hier liebe ich besonders, wie ihr euch sicher denken könnt. :)
Jetzt bin ich auf eure Kommentare gespannt. Wie wird Sammy wohl reagieren?
Danke für das wundervolle Feedback zum letzten Kapitel.
LG, Ambi xxx
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