Ehrgeiz
„Katia, du hast doch so ein gutes Verhältnis zu Nero. Könntest du ihm vielleicht mitteilen, dass wir mit ihm sprechen wollen?"
Wo war Katia nun schon wieder reingeraten?
Sie stand vor der Schule und sah sich um. Ihre Klasse schickte sie, um Nero zu sagen, dass sie mit ihm sprechen wollten, um die Probleme der letzten Wochen aus dem Weg zu räumen.
Sie war nicht der Klassensprecher. Dennoch wollte sie es tuen, denn ihr lag ihre Klasse sehr am Herzen.
Zögerlich ging sie auf Nero zu, hielt die Luft an und knetete nervös ihre Handflächen. Nero hatte Katia bemerkt und lächelte ihr freundlich zu.
„Darf ich mich setzen?", fragte sie kleinlaut.
Nero nickte.
„Na klar. Komm her."
Katia ließ sich neben ihn sinken und atmete aus. Sie schielte zu ihrer linken. Nero trug eine schwarze Weste mit roten Streifen, eine kurze Sporthose und weiße Turnschuhe. Er sah wirklich gut aus. Trotz seines hohen Alters.
Moment, Katia, was denkst du da? Konzentrier dich!
Innerlich schüttelte sie sich, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
Ach ja! Die Klasse! Sie zählten auf sie.
„Ich muss mit dir sprechen", begann sie, wurde dann aber wieder aus dem Konzept gerissen, weil Neros große rehbraunen Augen sie wieder so aufmerksam und liebevoll ansahen.
Bloß....nicht...die Fassung....verlieren....
„Meine Klasse schickt mich. Ich soll dir sagen, dass sie gerne mit dir sprechen würden."
„Warum? Weil ich gesagt habe, dass sie Idioten sind? Weil ich gesagt habe, dass sie faul sind und die Übungen nicht können?"
Die liebevollen Augen wurden nur in einem Wimpernschlag wieder zu messerscharfen Schlitzen. Nero bebte vor Wut und Katia bereute es jetzt schon, diesen „Job" machen zu müssen. Aber sie riss sich zusammen.
„Nein, k-keiner will etwas böses. Nur sie würden gerne die Missverständnisse aus dem Weg räumen. Es ist so viel passiert und sie würden nur gerne den Konflikt zur Seite legen."
„Es ist nicht meine Schuld, dass sie die Übungen nicht können. Außerdem sage nicht nur ich das, Selena sagt dasselbe."
Nero brauste auf. Seine Stimme wurde immer lauter und überschlug sich. Er hatte es völlig in den falschen Hals bekommen. Was hatte sich Katia nur dabei gedacht? Was?
„N-Niemand will dir etwas böses, Nero. Es ist ja auf beiden Seiten gewollt, sie wollen dich ja auch verstehen und das Problem auflösen. Niemand hat Interesse an einem Streit. Also würdest du morgen mit der Klasse sprechen? Bitte?"
Es gab ein kurzes schweigen. Dann brummte Nero ein mürrisches „ok".
Am nächsten Tag kam Nero in die Klasse gestürmt. Alle waren bereits da und hatten sich versammelt. Nero war geladen und stellte sich vor die Klasse. Er hatte seine Brust geschwollen, wie ein Gorilla, der bereit war, sich jederzeit zu verteidigen.
Niemand wollte ihm doch etwas böses.
„Katia sagte mir, dass ihr mit mir sprechen wollt?"
Niemand sagte etwas. Die Stille machte Nero noch rasender.
„Das ist meine Pause, die ich für euch opfere. Sprecht!"
Und die Schüler begannen zu sprechen. Katia hatte sich noch nie so fehl am Platz gefühlt, wie hier. Sie war kein Teil der Klasse, aber sie war auch nicht Neros Partei. Sie war vollkommen außen vor und hörte sich alles an.
Nero gab den Schülern Raum, um zu sprechen und hörte sich alles genau an. Als sie fertig waren, kramte er in seinen Notizen herum und las etwas vor. Von sich, seiner Karriere, was er durchgemacht hatte und warum er so streng war, wie er war. Dass er den Schülern doch nur helfen wollte, dass er nicht gegen sie war, sondern für sie. Und er erwähnte auch Katia.
„Katia ist nicht die beste Tänzerin. Aber Katia weiß alle Übungen, sie strengt sich an und arbeitet hart. Nicht nur ich sehe das, sondern auch eure Lehrerin Selena. Katia hat es verdient, auf dieser Schule zu sein. Arbeitet hart und tut es für euch, nicht für mich. Denn ihr wollt auf die große Bühne. Wollen wir arbeiten? Dann steht auf. Lasst uns beginnen."
Die Stunde lief super. Mehr als gut. Nur danach war alles anders. Man war Katia nicht dankbar dafür, dass sie zwischen den beiden vermittelt hatte. Man sah sie von oben herab an.
In der Umkleide hörte sie die Mädchen tuscheln.
„Sie hat sich doch nur bei ihm eingeschleimt. Sicherlich bläst sie ihm heimlich einen nach der Stunde oder so."
Katia war zum weinen zumute. Sie wollte sich auf die Toilette einschließen und ihren Tränen freien Lauf lassen. Aber was würde das bringen? Sie kannte die Situation gut, in der Menschen über andere sprachen. Was würde das jetzt ändern? Nichts.
Nein! Diesmal nicht! Sie würde sich nicht wieder unterbuttern lassen.
Sie hatte ihren Platz hier verdient.
Und auch, wenn sie eine furchtbare Tänzerin war in den Augen ihrer Mitschüler, so arbeitete sie hart, um diesen Platz hier behalten zu können.
Talent war eine Sache.
Aber viel mehr zählte die harte Arbeit. Das Training.
Katia war ehrgeizig.
Sie würde es schaffen. Und wenn sie hier rausgehen würde, dann würde sie das tuen mit viel Wissen und Können. Sie würde sich ihr Leben genau so aufbauen, wie sie es wollte.
Sie war noch jung.
Und von den Mädchen hier würde sie niemanden wiedersehen.
Niemanden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro