Kapitel 2
Grummelnd machte mich mein Magen darauf aufmerksam, dass es an der Zeit war, gefüttert zu werden. Brian erwiderte mein verlegenes Lächeln mit einem spitzbübischen Grinsen, während uns der Aufzug Etage um Etage hinauf zu Minho und Areum brachte. Ich war davon ausgegangen, dass sie sich eine Villa leisteten, doch sie schienen sich in einem Penthouse wohler zu fühlen. Wahrscheinlich, weil es mitten in der bunten Stadt lag.
Mir ging es besser, doch ich merkte, dass mir das regelmäßige Essen fehlte.
„Hunger?"
„Nein, wie kommst du denn darauf?", erwiderte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Er bedankt sich nur für die Abendgarderobe", meinte ich nüchtern, was Brian in schallendes Gelächter ausbrechen ließ. Meinen sarkastischen Ton bemerkend, legte er seine Hand auf meinen Bauch und lauschte. Sein angestrengt ernster Blick wirkte so skurril, dass ich mühsam mein Lachen unterdrückte.
„Du hast recht. Ich höre, wie er sich lautstark bedankt, aber sein Ruf nach Essen ist fast schon so schauerlich wie das Quietschen der Tafelkreide", lautete seine Diagnose, wobei er sich wie Mister Mc Laren anhörte.
Noch genau erinnerte ich mich an meine erste Begegnung mit Brians Leibarzt.
Ernster Blick hinter der Brille, magere Statur.
Das war anfangs mein Bild von ihm gewesen. Selbst heute konnte ich nichts anderes von ihm behaupten.
„Was du nicht sagst", seufzte ich kopfschüttelnd. Meine Essensverweigerung rächte sich jetzt mit Übelkeit und Schwindel. Vielleicht lag Letzteres an dem bezaubernden Abendkleid, das aus einem knielangen, cremefarbenen Kleid und einem weißen Bolero bestand. Dazu gab es ein kleines Täschchen in derselben Farbe.
Zu meiner Überraschung hatte Brian meine Bekleidung am Vortag in Seoul besorgt, als ich versucht hatte, meinen Jetlag auszuschlafen. Er hatte sogar dafür gesorgt, dass es vor dem ersten Tragen gereinigt wurde. Das zeigte mir, wie gut Brian mich kannte. Ich verabscheute es, neue Kleidung ungewaschen anzuziehen. Wer wusste schon, wie viele Menschen sie anprobiert hatten.
Mir gefielen die feinen, eingearbeiteten Blumenstickmuster sowie der flache V-Ausschnitt, der wenig von meiner Oberweite verriet. Laut Brian war es in Korea nicht gerne gesehen, viel Haut zu zeigen. Da er davon ausging, dass ich weder die Gastgeber noch die Einheimischen verärgern wollte, hatte er sich für ein Kleid entschieden, das zum gegebenen Anlass passte. Anfangs war ich nicht sicher gewesen, ob meine verunstaltete Brust sichtbar war, da sich der Stoff eng an meine Haut schmiegte. Dank des Boleros wurde mein Makel kaschiert.
„Gehen wir eigentlich auch zusammen einkaufen oder hast du etwa vor, mich jeden Tag zu überraschen?", wollte ich schmunzelnd wissen. Meine Nervosität stieg, je mehr wir uns dem Penthouse näherten. Einerseits zählte die Anzeige rasant aufwärts, andererseits fühlte sich die Fahrt in die oberste Etage wie eine Ewigkeit an.
„Wir gehen morgen nach dem Treffen gemeinsam", versprach Brian mit einem Kuss auf meine Stirn. Er warf einen Blick zur Anzeigetafel des Aufzugs und setzte ein süffisantes Grinsen auf.
Was zum Teufel heckte er jetzt schon wieder aus?
„Erinnerst du dich an die Aussprache?"
Aha, darauf wollte er hinaus. Die unzähligen Male im Hotelzimmer trugen endlich Früchte, als ich flüssig und ohne Probleme auf Koreanisch grüßte. Mit einem triumphierenden Blick und schnell schlagendem Herzen hoffte ich auf sein Kompliment. Weit gefehlt.
„Na, das wird doch", meinte er trocken. „Jetzt fehlen nur noch ...", eine bedeutungsvolle Pause folgte, ehe er mir eine für den Anfang gigantische Zahl nannte, „... Worte, dann solltest du dich einigermaßen verständigen können."
„Stinkstiefel", murrte ich und holte für einen Moment mein Smartphone aus dem Täschchen heraus. Ich wollte sicherstellen, dass das Abendessen nicht durch Störungen unangenehm unterbrochen wurde.
„Nein, ich bin ..."
Ich rollte mit den Augen. „Brian, ich weiß", beendete ich seinen Satz und schob mein Smartphone wieder zurück. „Obwohl, ... das stimmt nicht ganz. Du bist Bri, der Stinkstiefel Camembert. Oft ungenießbar."
Ha, jetzt hatte ich es ihm gegeben und ich labte mich wie eine Verdurstende an seinem ungläubigen Gesichtsausdruck. Ohne Vorwarnung drängte er mich an die Wand, kesselte mich mit seinen Armen ein und sah herablassend und mit zu Schlitzen verengten Augen auf mich hinab.
„Bist du dir sicher, dass ich ungenießbar bin, Jade?", fragte er mit dunkler, hungriger Stimme.
Mutig, aber trotzig, hob ich mein Kinn an. „Ja, das bin ich. Du bist ziemlich frech, mein Lieber, und ich sollte dich vielleicht ein wenig an die Zügel nehmen, damit deine Arroganz nicht überhandnimmt", antwortete ich mit einem festen Blick in seine Augen.
Die plötzliche Stille zwischen uns beschleunigte meinen Herzschlag.
Bin ich zu weit gegangen?
Auf den ersten Blick bemerkte ich Brians Anspannung und ging davon aus, er sei verärgert. Ich zuckte zusammen und kniff meine Augen zu, als er die Hand anhob, doch dann strich er mir nur eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Genau das liebe ich an dir, Jade. Du wagst es, dich mir gegenüber zu behaupten, mich zu beleidigen und mir zu drohen", flüsterte er. Während er sprach, nahm ich seinen warmen, nach Minze riechenden Atem an meiner Stirn wahr. Brian achtete stets auf ein gepflegtes Äußeres, wobei er mit Gerüchen sparsam umging.
Blinzelnd öffnete ich meine Augen und bemerkte ein liebevolles Funkeln in seinen. „I-Ich wollte dir nicht ..." Sein Finger schnitt meinen Satz ab. Siedend heiß fiel mir ein, dass seine Ex-Frau ihn bedroht und gegängelt hatte. Das Letzte, was ich wollte, war, genau wie Doreen zu sein!
„Du bist nicht Doreen", sagte Brian eindringlich, als könne er meine Gedanken lesen. „Du bist nicht zynisch oder bösartig, sondern neckst mich. Ich kann den Unterschied zwischen deiner Drohung und ihrer problemlos erkennen. Nur das mit an die Zügel nehmen ...", erneut machte er eine Pause, in der sich mein Herzschlag verdreifachte, „... das bringt mich auf eine Idee." Gleichzeitig wurden seine Augen dunkel vor Lust.
Es dauerte einige Sekunden, bevor ich darauf kam, worauf er anspielte, aber das Ping des Aufzuges verwehrte meine Antwort. Brian rückte seine Krawatte zurecht, warf mir einen triumphierenden Blick zu und wandte sich in die Richtung der Gastgeber, die uns mit einer Verbeugung begrüßten.
Mit glühenden Wangen beeilte ich mich, den Aufzug zu verlassen, und betitelte Brian in Gedanken als den größten Stinkstiefel, den es auf der Erde gab. Er schaffte es immer wieder, mich durch den Kakao zu ziehen. Selbst, als wir uns synchron verbeugten und im Chor: „Joh eun jeo nyeok!", aussprachen, konnte ich ein belustigtes Funkeln in seinen Augen wahrnehmen.
Die Herrin des Hauses führte uns in einen Raum, der tagsüber mit natürlichem Licht durchflutet wurde, während abends die Stadtlichter die Dunkelheit vertrieben. „Das Essen ist in wenigen Minuten fertig", erklärte Areum und bat um Verzeihung, ehe sie sich den zahlreichen Töpfen in der offenen Wohnküche widmete.
„Wenn ihr wollt, führe ich euch ein wenig herum", schlug Minho vor. Sein Angebot kam uns gelegen, denn nicht nur ich schien darauf zu brennen, das Penthouse zu erkunden, sondern auch Brian.
Während sich zwischen den Männern ein entspanntes Gespräch über die Einrichtung bildete, sah ich mich um.
Der glänzende Marmorboden harmonierte mit den warmen Farben der Möbel. An sich wäre mir der Boden zu hell und klinisch, aber der extravagante Geschmack der Gastgeber ließ den gigantischen Raum freundlich und einladend wirken. Durch farbliche Dekorationen wurde ihm Leben eingehaucht.
Neben der Wohnküche gab es einen Fitnessraum, der mit Glaswänden abgetrennt war und uns einen Einblick in zahlreiche, unterschiedliche Geräte gab.
Hut ab vor den Leuten, die es täglich schaffen, sich zum Sport zu motivieren.
Mir gefiel es, mich körperlich zu bewegen, aber in einem Raum eingesperrt zu sein und stumpf sein Training zu absolvieren, war nicht mein Fall. Lieber joggte ich am Strand, ließ mir die salzige Meeresluft um die Nase wehen und gönnte mir eine Pause im warmen Sand. Im Winter war das keine Option für mich, weshalb ich in den Monaten zu einer Couchpotato wurde. Brian schien andere Pläne zu haben. Ich erinnerte mich daran, dass er mit mir Schlittschuhfahren wollte.
Wenn wir Lust hätten, könnten wir uns auch in unserem Fitnessraum austoben. Dieser lag neben Phillips Wohnung in der Garage und war klein, aber ausreichend. Täglich stählte Brian dort mindestens eine halbe Stunde seinen Körper, obwohl er der Meinung war, dass sein Sportprogramm seit unserer Begegnung zugenommen hatte. Was für ein Programm er andeutete, war mir bewusst. Manchmal sah ich Brian zu oder machte ein paar Übungen mit, nur um danach wie ein übergewichtiger Mops nach Luft zu hecheln. Natürlich zur Belustigung meines Geliebten!
Eine Wendeltreppe führte in den oberen Stock des Penthouses und ich ging davon aus, dass dort die Schlafzimmer zu finden waren. Unsere Besichtigung wurde unterbrochen, als Areum uns mit einem Glas Champagner an den Tisch bat.
Ich war auf einen Abend mit eingeschlafenen Füßen und unbequemer Haltung vorbereitet und umso erstaunter, einen normalen Tisch anstatt eines Zataku vorzufinden. Von Brian wusste ich, dass Zataku Tische mit kurzen Beinen waren.
Innerlich seufzte ich erleichtert. Zum Glück würden mir peinliche Momente erspart bleiben! Dafür konnte ich nicht verhindern, dass angesichts der zahlreichen Schälchen meine Gesichtszüge entglitten. Kimchi, das ein fester Bestandteil der koreanischen Küche war, konnte ich identifizieren, doch alles andere war mir neu.
„Bitte, setzt euch", bat Areum mit einer einladenden Handbewegung lächelnd.
Brian, ganz der Gentleman, zog meinen Stuhl zurück, wobei ich genau sah, dass er etwas im Schilde führte. Meine Bemerkung im Aufzug würde mit Sicherheit nicht ungesühnt bleiben und allein der Gedanke, was Brian mit Zügeln anfangen wollte, ließ mich meine Beine aneinanderreiben.
Sobald wir saßen, begann Areum, uns die Speisen zu benennen. „Das hier ist Namul, angebratene, mit Sesamöl zubereitete Sojabohnensprossen", erklärte sie und ließ ihren Finger zu der danebenstehenden Schale wandern. „Und das ist Oi Muchim. Ein würziger Gurkensalat."
Selbst Brian kannte nicht alle Speisen. Er erkundigte sich, was Haemul pajeon für eine Speise war.
„Das sind Pfannenkuchen mit Meeresfrüchten", erklärte Minho, der uns nicht nur Wein einschenkte, sondern jedem ein kleines Gläschen mit hochprozentigem Alkohol hinstellte.
Auf den ersten Blick konnte ich nicht feststellen, um welche Spirituose es sich handelte, und hoffte inständig, mich nicht mit einem Hustenanfall und verzogenem Gesicht zu blamieren. Sobald ich starke Getränke zu mir nahm, konnte ich meine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle halten.
Neben Japchae, einem aus Süßkartoffeln hergestellten Nudelgericht, gab es Bibimbap, das aus weißem Reis, Chilipaste, Sojabohnenpaste, Rindfleisch und einem gebratenen Ei bestand.
Ich konnte mir die Namen aller Speisen weder merken noch sie aussprechen und stellte beim Essen fest, wie sehr sich die koreanische Küche von der westlichen unterschied. Nicht jedes Gericht sagte mir zu, aber ich musste auch nichts essen, was mir nicht behagte. Für jeden war etwas dabei und jeder konnte essen, was er wollte.
„Wir würden euch gerne übermorgen zu Gogi gui einladen", bemerkte Minho.
„Was ist das?", fragte ich und kämpfte mit dem widerspenstigen Kimchi, das sich bisher erfolgreich weigerte, in meinen Mund zu kommen. Mit Stäbchen zu essen, war eine Kunst für sich. Wenn das so weiterginge, würde mein Kleid in Mitleidenschaft gezogen werden!
„Das ist ein koreanisches Barbecue, Liebling", informierte mich Brian schmunzelnd.
„Ist es dafür nicht ein wenig zu kalt?", fragte ich flüsternd.
Minhos Lachen war ansteckend und er schien sich nicht über meine Aussage lustig zu machen. „Keine Sorge, das wird im Haus abgehalten", versicherte er freundlich.
Seit wann grillt man im Haus?
Fragend legte ich meinen Kopf schief, was Minho dazu bewegte, mir zu erklären, dass das Barbecue an einem Tischgrill zubereitet wurde und somit zu jeder Jahreszeit durchgeführt werden konnte.
Seine Erzählungen von vergangenen Gogi gui begeisterten mich und ich konnte es kaum erwarten, es selbst zu erleben.
Der Abend wurde mit einem Drink auf der Dachterrasse abgerundet. Mein Magen war bis zum Rand gefüllt und ich befand mich auf dem besten Weg in ein Fresskoma der Extraklasse. Ein Wunder, dass ich von selbst stehen und Brian mich nicht auf die Terrasse rollen musste.
Der Stadtverkehr war hier oben kaum zu hören, aber die Aussicht auf die bunten Lichter war die Wucht, an der ich mich nicht sattsehen konnte. Von einer der unteren Wohnungen drang Violinenmusik zu uns hinauf und eine sanfte Windbrise, gespickt mit leckeren Gerüchen, erfasste mein Kleid. Unauffällig richtete ich den Stoff, während wir Minho auf die Sitzecke unter einem Pavillon folgten.
„Ich komme gleich", verkündete er. „Seht euch ruhig um." Dann ließ er uns allein.
Das ließ sich Brian nicht zweimal sagen. Von seiner Neugier getrieben, schlenderte er über die weitreichende, geschmackvoll gestaltete Terrasse. Bei einem merkwürdigen Gestell, das die ganze Mauer verzierte und durch die unterschiedlichen Pflanzen und Kräuter darin wie ein Kunststück aussah, blieb er stehen. Nachdenklich legte er seinen Kopf zur Seite und bevor ich fragen konnte, was er im Sinn hatte, öffnete er den Mund. „Meinst du nicht, dass so etwas Ähnliches zu Hause bezaubernd aussehen würde?"
„Ganz sicher", stimmte ich zu, schüttelte aber den Kopf. „Bei mir überlebt keine Pflanze und ich weiß nicht, wie sie auf die salzige Luft reagieren", gab ich zu bedenken. Ich und Pflanzen waren ein Thema für sich, von dem Brian genug wusste.
Er klopfte sich auf die Brust und setzte ein schelmisches Grinsen auf. „Ich werde Michelle darum bitten, geeignete Pflanzen auszusuchen, die deinen nicht vorhandenen, grünen Daumen überleben", meinte Brian im Brustton der Überzeugung.
Schnaubend boxte ich in seine Seite. „Also war deine Frage rein rhetorisch", stellte ich nüchtern fest. Typisch Brian!
„So ungefähr, Liebling. Aber ich möchte kein Gestell kaufen, sondern eins mit dir bauen. Es soll unserem Wetter trotzen können", erklärte er und befühlte das Material.
Ich folgte seinem Beispiel, aber durch meine Unwissenheit konnte ich nicht sagen, ob es aus Stahl oder Aluminium war. „Du kannst so etwas bauen?", fragte ich erstaunt und verengte die Augen, als sein Glucksen zu einem Kichern, dann zu einer Lachsalve anschwoll. Automatisch wurde ich mitgerissen und bereute es, so viel gegessen zu haben. Mein Magen zwickte, doch Brians Lachen war so ansteckend, dass ich nicht aufhören konnte, bis er sich beruhigt hatte. „Weswegen haben wir eigentlich gelacht?", wollte ich wissen. Mit einem Taschentuch aus meiner Handtasche tupfte ich mir die Tränen weg und überprüfte in dem kleinen Spiegel, ob das dezente Make-up nicht verwischt war. So eitel war ich nicht, aber ich wollte Brian nicht bei seinen Kunden mit schwarzen Strichen auf den Wangen blamieren.
In den nächsten Tagen muss ich weniger essen, sonst passe ich in keins von Mikaels Kleidern.
Kenneths Ehemann hatte einen Teil der angeforderten Kollektion noch vor unserem Abflug geliefert, woraufhin ich einige für die Reise aussuchen konnte.
„Ich bin nicht für handwerkliche Dinge geboren, Jade", schmunzelte Brian. Er schien mühsam gegen eine erneute Lachsalve zu kämpfen. „Was auch immer ich basteln möchte, es sieht niemals so aus, wie es soll, und in 99% der Fälle kracht es bei der kleinsten Berührung zusammen", fuhr er fort, wobei er sich gegen die Brüstung der Terrasse lehnte und seinen wehmütigen Blick auf das Pflanzengestell richtete. „Einmal wollte ich mit Sebastian und Kenneth eine Harfe aus Holz anfertigen. Sie sollte ein Geschenk für eine Tante sein. Das Ende vom Lied war folgendes ...", erzählte er und räusperte sich.
Gespannt, was jetzt kam, hing ich buchstäblich an seinen Lippen.
„Ich habe es geschafft, das Holz beim Sägen zu zerbrechen, meine Finger fast abzuschneiden und zu guter letzt Dads geliebten Basteltisch in der Garage durchzusägen."
Ich stellte fest, dass er absolut kein Schamgefühl besaß, sondern die Situation humorvoll offenlegte. Diese Eigenart schätzte und liebte ich an Brian. Meine einstigen Bastelversuche in der Schule waren so peinlich, dass sie niemals an die Oberfläche gelangen sollten. Es war besser, sie im Garten vergraben zu lassen. Ansonsten würde sich Brian totlachen.
Daher schwieg ich und legte meine Hand mit einem Lächeln auf seinen Rücken. „Dann sollten wir dafür sorgen, dass uns unsere Kinder niemals mit Handwerkszeug in der Hand zu Gesicht bekommen", neckte ich kichernd. Brians Augen begannen zu funkeln und mein Herz machte einen Sprung. In der letzten Zeit dachte ich öfter darüber nach, mit Brian eine Familie zu gründen. Allein die Vorstellung, wie er mit ihnen am Strand saß, im Sand spielte und Burgen baute ... Jetzt wusste ich, dass sie mit Sicherheit einstürzten. Das hinderte mich dennoch nicht daran, weiterhin an eine kleine Familie mit Brian zu denken.
Ein wenig Angst hatte ich davor, auch wenn ich ahnte, dass seine Eltern und Phillip die Ersten wären, die ohne zu zögern halfen. Ich wusste, dass Brian Kinder liebte und sich wieder eine kleine Familie wünschte, aber ich wollte nichts erzwingen, sondern alles auf mich zukommen lassen. Gleichzeitig drängte mich Brian nicht und ließ mir Zeit, bis ich mich dazu bereit fühlte. Das hatte er deutlich gesagt. Zuerst einmal war etwas anderes wichtig und ich lenkte geschickt das Thema wieder auf das Vorherige. „Wer ist dann für die Reparaturen im Haus zuständig?", erkundigte ich mich. In den Augenwinkeln sah ich unsere Gastgeber im Wohnzimmer stehen. Sicherlich würden sie sich bald zu uns gesellen.
„Phillip", antwortete Brian nüchtern. „Er ist der geborene Handwerker und repariert Dinge, für die andere einen Haufen an Geld ausgeben. Das Geld spielt bei mir keine Rolle, aber für Phillip ist es eine Art Beschäftigungstherapie. Auch der Garten erblüht dank ihm. Nur fällt ihm mit der Zeit das Bücken schwerer, weshalb wir uns auf einen Gärtner geeignet haben, mit dem er gemeinsam für Ordnung sorgt", erklärte er schmunzelnd.
So war das also. Brian machte seinen Haushalt selbst, während Phillip reparierte, für den Garten sorgte und uns überall hinfuhr, obwohl wir beide über einen Führerschein verfügten. Auf meine Frage hin, warum sich Brian nur selten hinter das Steuer setzte, meinte er, dass Phillip unsere Gesellschaft mochte, das Fahren liebte und sich nicht nutzlos fühlte, wenn er etwas für uns tun konnte. War Phillip jedoch krank, fuhr Brian selbst.
Mir gefielen die Einteilung und die innige Freundschaft, die nicht nur auf dem Finanziellen beruhte. Durch Phillips Verlust und Brians Freundlichkeit waren sie ein eingeschweißtes Team, das sich mit wenigen Worten verstand.
Unsere Unterhaltung wurde von Areum unterbrochen. Sie bat uns zur Sitzecke, wo sie mehrere Teller mit koreanischen Snacks hingestellt hatte. Wie auf Kommando zwickte mein Bauch und ich fragte mich, wie wir so viel essen sollten. Ich konnte nicht einen Gedanken an Essen verschwenden, ohne dass mir übel wurde.
Als Aperitif gab es erneut einen Schnaps. Ich ergriff das kleine Glas und begutachtete die transparente Flüssigkeit. Würde ich es dieses Mal schaffen, mein Gesicht nicht zu verziehen?
Minho erschien mit einem weiteren Tablett, das er auf dem gläsernen Tisch abstellte. Problemlos öffnete er eine Champagnerflasche und schenkte ein. Mit den gefüllten Gläsern prosteten wir uns auf einen gelungenen Abend zu und das Gespräch begann, sich um das bevorstehende Event zu drehen. Mir gefiel, wie ungezwungen und angenehm die Atmosphäre war. Minho und Areum waren definitiv mehr als nur Kunden, da war ich mir sicher.
Leider konnte ich mich kaum konzentrieren, denn das Fresskoma nahm Überhand und ich kämpfte gegen die unsagbare Müdigkeit, die sich wie ein Dunst in meinem gesamten Körper ausbreitete. Fast schon in einen Kokon gehüllt, holte mich Areum wieder heraus.
„Bitte, was?", fragte ich verwirrt. Beschämt senkte ich den Blick, während Areum ihre Frage wiederholte. Welche Musik ich mochte? Das war einfach! „Fast alles, außer Rap und diese ... wie sagt man dazu ... Ghettomusik?", antwortete ich. Die Musik erinnerte mich an Straßengangs und schlechte Einflüsse. Zudem war sie gruselig!
Brian gluckste neben mir. „So nenne ich die auch."
„Also magst du Pop und Rock?", hakte Areum nach und warf ihrem Mann einen Blick zu, als sich dieser an den Snacks bediente.
„Ja."
Ihre nächste Frage, ob ich schon andere Musik als nur Englisch gehört hatte, ließ mich verlegen den Kopf schütteln. Was war das hier? Ein Verhör?
„Vielleicht gefällt dir unsere Musik", meinte Minho und hielt sein Glas hoch. „Zurzeit sind koreanische Bands stark im Aufschwung. Und wer weiß ...", meinte er zwinkernd, „... vielleicht können wir euch dann überreden, uns öfter zu besuchen."
„Magst du denn koreanische Musik?", wandte ich mich an Brian.
„Ja. Allerdings nur Pop und Rock", meinte er schulterzuckend. „Sollte dir jemals einfallen, in unserem Haus etwas anderes als Pop, Rock und klassische Musik zu spielen, muss ich mir Ohrenstöpsel besorgen."
Ein breites Grinsen schlich sich auf meine Lippen. „Wie sonst sollst du unser Kind schreien hören?", feixte ich, was seine Augen erneut glänzen ließ. Mir war klar, dass er mich nicht allein lassen und mir viel abnehmen würde. Auf ihn konnte ich zählen.
Areum lachte hinter vorgehaltener Hand. „Ein gutes Argument."
„Ich weiß", gab ich ungerührt und mit einem verschmitzten Grinsen zurück, konnte aber nicht mehr aufhören, an eine gemeinsame, glückliche Familie zu denken.
Noch nicht ... Erst, wenn alles vorbei ist.
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