6 || Der Subjonctif ist ein Hurensohn
I Write Sins Not Tragedies - Panic! At The Disco
Mit einem lauten Knallen stellte ich mein Tablett auf dem Tisch ab und quetschte mich anschließend zwischen Leila und Nate auf die Bank.
"Schlecht gelaunt?" Logan zog fragend eine Augenbraue hoch.
"Nein, alles super. Meine Französischlehrerin raubt mir nur den letzten Nerv, Noah Collins spielt irgendeins seiner blöden Spiele mit mir und irgendein kleines Pisskind hat mir seinen Joghurt aufs Top gekippt. Wie gesagt, alles super!", regte ich mich auf und deutete grimmig auf den fetten Fleck.
Ich hatte noch nicht mal die Möglichkeit, mir etwas anderes anzuziehen, weil ich ja schon direkt nach der achten Stunde mit Noah verabredet war. Heute war echt nicht mein Tag.
"Versuch es mal damit", sagte Nate und reichte mir eine Serviette rüber, doch der Versuch mein Top damit zu säubern, scheiterte kläglich, es sah nur noch schlimmer aus als zuvor.
Auch Nate sah das. "Ich hab noch ein T-Shirt in meinem Spind, das könntest du sonst haben", bot er mir an.
"Echt? Das wäre meine Rettung", freute ich mich und lächelte ihn dankbar an.
"Kein Ding, ich hole dir das nach dem Essen", antwortete er und erwiderte mein Lächeln.
"Ihr seid ja schon süß zusammen, ihr würdet bestimmt ein tolles Pärchen abgeben", kommentierte Julie das ganze Theater wie aus dem Nichts.
Nate verschluckte sich daraufhin vor Überraschung an seinem Trinken und prustete das Wasser direkt in Logans Gesicht. Dieser schrie auf und wischte sich hektisch mit den Armen übers Gesicht. Mir hingegen stieg die Röte ins Gesicht.
"Wir sind nur Freunde", kam es dann gleichzeitig aus Nates und meinem Mund. Zum Glück waren wir uns in dieser Sache einig. Wir waren schon seit dem Kindergarten die besten Freunde und es hatte nie derartige Probleme gegeben.
"Ich sag ja nur", rechtfertigte sich Julie und betrachte amüsiert das heillose Chaos, das sie angerichtet hatte.
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Etwas widerwillig lief ich in Richtung Parkplatz und zupfte Nates T-Shirt zurecht, welches mir nur ein kleines bisschen zu groß war. Noah und seine Freunde standen bereits an seinem Auto und unterhielten sich offensichtlich anregt. Ich sah schon von Weitem, wie Noah lachte. Er hatte ein echt schönes Lachen, aber oft war es nur aufgesetzt.
Als er mich entdeckte, winkte er mir freudig zu und kam mir ein paar Schritte entgegen. "Na, Krümelmonster. Wie war die Schule?", fragte er mich.
"Scheiße, aber wenn ich dich gleich ermorde, weil du mich immer noch Krümelmonster nennst, wird das meine Stimmung bestimmt heben", fauchte ich ihn an. Er konnte es einfach nicht lassen, mich aufzuziehen.
"Ganz ruhig, Kleine. Komm mit, ich stelle dir jetzt meine Freunde vor", meinte er und legte überheblich einen Arm um meine Schulter. So steuerte er mit mir zu den anderen zurück, meine Drohung ließ ihn offensichtlich kalt.
An sich müsste er mir seine Kumpels gar nicht vorstellen, ich wusste eh schon, wie sie hießen, die vier waren schließlich Berühmtheiten an unserer Schule.
"Das ist Ashton", begann Noah und deutete auf den blonden Jungen mit den grauen Augen.
In der neunten Klasse war Julie hilflos in ihn verliebt gewesen, doch schon da hatte er keinen großen Wert auf Beziehungen gelegt. Zum Glück war Julie nun seit über einem Jahr glücklich mit Marc zusammen.
"Hey, Luna. Freut mich dich kennenzulernen. Du kannst mich ruhig Ash nennen", begrüßte Asthon mich lächelnd und zog mich in eine kurze Umarmung, welche ich voller Überraschung etwas steif erwiderte.
"Freut mich auch", antwortete ich ihm.
Ich verstand irgendwie nicht ganz den Sinn, wieso mir Noah jetzt seine Freunde vorstellte, schließlich war er nur mein Nachhilfelehrer, aber ich freute mich über die Offenheit und Herzlichkeit, die sie mir entgegenbrachten. Das hätte ich nie erwartet, bei deren Image.
Als nächstes stellte mir Noah Daniel vor. Daniel war mit einer Größe von geschätzt 1,85 Meter tatsächlich der Kleinste von den Viern. Kein Wunder, dass alle von ihnen, bis auf Ryan, Basketball spielten. Daniel besaß hellbraune Haare und braune Augen, die lebhaft funkelten. Auch er umarmte mich zur Begrüßung kurz.
"Mach weiter so und lass dir ja nichts von Noah gefallen, du bist mir echt sympathisch", flüsterte er mir dabei ins Ohr, was mir ein kleines Lächeln entlockte.
"Da kannst du dir sicher sein", antwortete ich ihm lachend.
Ashton und Daniel schienen eigentlich echt nett zu sein, vielleicht war mein Misstrauen ja auch unberechtigt zu sein. Gerade Daniel schien echt ein korrekter Mensch zu sein. Ihn sah man im Gegensatz zu seinen Freunden selten mit irgendwelchen Mädchen rummachen und wenn, dann meinte er es ernst.
Anschließend zeigte Noah auf den Letzten im Bund. "Und das hier ist Ryan."
Als ob ich das nicht wüsste... Zögernd kam Ryan auf mich zu, als würde er erwarten, dass ich zurückwich. Aber das tat ich nicht, ich blieb standhaft stehen und ließ mich ebenfalls von ihm umarmen. Keiner außer Logan wusste über unsere gemeinsame Vergangenheit und das sollte auch so bleiben, weshalb ich mich zusammenriss.
Nachdem Ryan wieder zurücktrat, musterte er mich durch seine leuchtend grünen Augen eingehend. Keine Ahnung, was er zu entdecken versuchte, aber ich hielt meine perfekte Fassade aufrecht.
Gleichzeitig konnte ich es jedoch nicht verhindern, dass mein Blick auch über ihn glitt. Eine Strähne seines schwarzen Haares fiel ihm in die Stirn und er pustete sie genervt weg. Seine muskulösen Arme hatte er nun wieder vor der Brust verschränkt und einige seiner Tatoos schauten aus den Ärmeln seines schwarzen T-Shirts heraus. Ryans Aura war ebenso mysteriös wie anziehend, kein Wunder, dass ich ihm im letzten Sommer so schnell verfallen war. Aber der Mensch, den er aus mir gemacht hatte, wollte ich nicht mehr sein.
"Wollen wir los, Luna?", riss mich Noah aus meinen Gedanken und ich nickte schnell. Noch länger würde ich Ryans Blick nicht mehr standhalten können.
"Tschüss", rief ich den Jungs noch zu, dann setzte ich mich auf den Beifahrersitz von Noahs Auto.
Erleichterte atmete ich aus und mein Blick fiel auf meine Hände, welche deutlich sichtbar am Zittern waren. Verdammt. Schnell wollte ich sie verbergen, doch Noah war meinem Blick gefolgt und hatte es längst entdeckt.
"Was ist los?", fragte er mich und wirkte dabei aufrichtig besorgt, was mich etwas überraschte.
"Nichts, mir ist nur ein bisschen kalt", log ich. Ich konnte ihm ja schlecht die Wahrheit sagen.
"Sicher." Noah verdrehte ironisch die Augen. "Mir ist bei 30 Grad draußen auch immer kalt." Dann sah er mich ernst an. "Du musst es mir nicht sagen, wenn du es nicht willst, aber ich hasse es angelogen zu werden."
Er drehte den Schlüssel um und fuhr mit quitschenden Reifen an.
"Was trägst du da eigentlich für ein T-Shirt?", fragte Noah ohne mich dabei anzuschauen, sein Blick war starr auf die Straße gerichtet. Ich versuchte seine Mimik zu deuten, doch sein Pokerface war undurchschaubar.
"Das hat Nathan mir geliehen, nachdem mir ein Fünfklässler seinen Jogurt auf mein Top gekippt hat", antwortete ich ihm dieses Mal ehrlich.
"Aha", kam es daraufhin nur von Noah.
Schließlich kamen wir bei ihm zu Hause an und fuhren die Auffahrt der imposanten Anlage hoch. Sein Auto parkte Noah in der geräumigen Tiefgarage, von der man durch einen Flur direkt ins Haus gelangen konnte.
"Möchtest du etwas trinken?", fragte er mich und führte mich in die große Küche, die ich schon von seiner Hausparty kannte.
"Ja, gerne. Ein Glass Wasser wäre toll", antwortete ich und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.
Noah füllte in zwei Gläser jeweils Wasser und stellte diese dann auf ein Tablett, während ich nur nutzlos in der Ecke stand. Das waren immer die schlimmsten Momente, wenn man bei jemandem, den man noch nicht so gut kannte, zu Hause war und keine Ahnung hatte, wie man irgendwie helfen konnte.
"Willst du auch etwas essen?", wandte Noah sich nun wieder mir zu.
Auf diese Frage hatte ich gehofft und wie um das zu unterstreichen, knurrte mein Bauch in diesem Moment. "Was habt ihr denn?", fragte ich wohl etwas zu neugierig, denn Noah fing an zu lachen.
"Alles was du willst, Kleine", schmunzelte er.
Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen und so kam es, dass Noah und ich zehn Minuten später mit einer Packung Kekse, Salzstangen, M&Ms und zwei Tüten Chips bewaffnet in den Kampf gegen Französisch zogen.
Meiner Meinung nach hätte es auch eine Packung Chips getan, aber Noah und ich konnten uns einfach nicht einigen, ob die Geschmacksrichtung Ungarisch oder Orientalisch besser war. Meiner Meinung nach waren ja beide lecker, aber Ungarisch war eben das einzig Wahre, Noah hingegen wollte das nicht so richtig einsehen und deshalb entbrannte eine lebhafte Diskussion.
"Wir werden uns wohl nie einig", seufzte ich schließlich, manche Menschen konnte man einfach nicht bekehren. "Dann lass uns mal mit Französisch anfangen." Ich breitete meine Unterlagen auf Noahs Schreibtisch aus und er holte sich einen zweiten Stuhl, welchen er neben mich schob.
"Was sind denn deine größten Schwächen in Französisch?", hakte Noah vorsichtig nach, was bei mir einen hysterischen Lachanfall auslöste.
"Alles, einfach alles. Ich kann noch nicht mal das passé compose richtig bilden und von den Si-Sätzen will ich gar nicht erst anfangen. Und dann gibt's noch den Subjonctif, der ist der größte Hurensohn überhaupt." Frustriert schüttelte ich meinen Kopf. "Ich bin ein hoffnungsloser Fall."
Eigentlich hatte ich erwartet, dass Noah vor meiner Unwissenheit schreiend weglaufen würde, aber er blieb tatsächlich gefasst sitzen. Schade, in meinem Kopf hatte das echt lustig ausgesehen.
"Das kriegen wir schon hin. Wir beginnen jetzt einfach mit den Grundlagen, also der Verbkonjukation und dann kommt die Bildung der Zeitformen", meinte er optimistisch und begann die ersten Vokabeln auf meinen Zettel zu kritzeln.
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Zwei Stunden später schwirrte mir zwar der Kopf, aber ich hatte das Gefühl mehr gelernt zu haben, als in all den Jahren die ich schon Französischunterricht hatte. Noah hatte tatsächlich ein Talent zum Erklären und war echt geduldig mit mir. Trotzdem war es mir echt schwer gefallen, mich zu konzentrieren, Noahs Nähe hatte mich ziemlich abgelenkt.
Ich wusste nicht, ob er es mit Absicht tat oder nicht, aber unsere Knie ebenso wie unsere Hände, hatten sich immer wieder berührt. Nicht dass mir das nicht gefiel, das tat es nämlich sehr und das war auch der Punkt, der mich so beunruhigte.
Ich fühlte mich in Noahs Nähe wohl und jedes Mal wenn wir uns zufällig berührten, zog sich ein Kribbeln über meine Haut. Aber ich durfte mich bei ihm nicht wohlfühlen, ich durfte ihn eigentlich noch nicht ein mal mögen. Worauf hatte ich mich hier nur eingelassen?
"Soll ich doch nach Hause bringen?", riss Noah mich aus meinen Gedanken.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, danke. Ich will keine Umstände machen und der nächste Bus kommt bestimmt bald."
"Okay, lass mich den Satz umformulieren: Ich fahre dich nach Hause. Ich habe eben nur versucht höflich zu sein und zu fragen."
Ich versuchte in seiner Tonlage irgendeine Art von Ironie festzustellen, aber offensichtlich meinte Noah das ernst.
Ich zuckte nur mit den Schultern. "Ist ja deine Zeit die draufgeht."
Gemeinsam zogen wir uns unsere Schuhe an und gingen zurück in die Tiefgarage. Hier stand neben Noahs Aston Martin nur noch
zwei andere Wagen, ein schwarzer Range Rover und ein silberner Audi, dabei wäre noch Platz für mindestens drei weitere.
"Wo ist eigentlich der Rest deiner Familie?", wunderte ich mich deshalb.
Ich nahm wahr, wie Noahs Miene sich augenblicklich verdüsterte und sich sein Körper anspannte. Offensichtlich war er nicht besonders gut auf dieses Thema zu sprechen. Es tat mir sofort leid, das Gespräch darauf gelenkt zu haben.
"Weg. Auf Geschäftsreise oder so", murmelte Noah nur und umklammerte fest seinen Autoschlüssel. Sein Blick war nach unten gerichtet, aber trotzdem meinte ich, dass seine blauen Augen nicht nur Wut, sondern auch Traurigkeit ausstrahlten.
Was auch immer mit ihm und seiner Familie los war, es war nicht nur eine kleine Streitigkeit, wie sie in jeder Familie mal vorkam. Das hier reichte definitiv tiefer.
"Ah.. achso..", stammelte ich und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. "Dann kannst du ja zumindest alles machen, was du willst. Also irgendwie Partys schmeißen, Burgen aus Decken und Kissen bauen oder einfach den ganzen Tag nackt rumlaufen...", sprudelten die Worte schneller aus meinem Mund als mein Gehirn arbeitete und ich brauchte einen Moment bis ich realisierte, was ich da gerade eigentlich gesagt hatte.
Panisch schlug ich mir die Hände vor den Mund. Gott, war das peinlich. Wieso laberte ich in Situationen, die mich überforderten, immer solch eine Scheiße?! Ich war ja schon fast so schlimm wie Leila.
Vorsichtig linste ich zu Noah rüber und sah wie seine Mundwinkel leicht nach oben zuckten, bis er tatsächlich anfing zu lachen. Erleichtert atmete ich auf, zumindest hatte ich ihn so wieder aufgeheitert.
"Genau das mache ich immer, aber du hast das Karaoke-Singen und das Tanzen beim Kochen vergessen", ergänzte er grinsend. "Du kannst gerne vorbeikommen und mitmachen."
Ich versuchte mir vorzustellen, wie Noah nackt tanzend und singend durchs Haus lief und dabei einen Topf vor sich trug, den er seinen Partygästen, die in der Decken-Burg saßen und ihn warteten, servieren wollte. Eins kann ich euch sagen, das war das beste Kopfkino, das ich jemals hatte.
"Auf jeden Fall, sag mir einfach bescheid", antwortete ich ihm lachend.
Wir setzten uns ins Auto und Noah fuhr los. Das Radio lief und es spielte gerade "I Write Sins Not Tragedies" von Panic! at The Disco, eines meiner absoluten Lieblingslieder.
"Dann beweise mir doch mal dein Talent im Singen", neckte ich Noah.
Womit ich niemals gerechnet hätte, war, dass er tatsächlich anfing, zu singen und er sang gut. Nachdem ich diesen kurzen Schockaugenblick überwunden hatte, stimmte auch ich lauthals mit ein. Wir hatten richtig Spaß und kamen viel zu früh schon an meinem Haus an.
"Vielen Dank fürs Bringen", bedankte ich mich. "Treffen wir uns nächste Woche Donnerstag wieder um die gleiche Zeit?"
Noah nickte. "Gern geschehen. Wir sehen uns", meinte er dann und zwinkerte mir noch ein mal zu, bevor ich ausstieg.
Ich winkte ihm zum Abschied kurz zu, dann kehrte ich ihm den Rücken zu und ging den Weg zu unserem Haus hoch. Erst als ich die Tür öffnete und das Haus betrat, hörte ich, wie Noah davon brauste.
Meine Gedanken kreisten irgendwie alle um ihn, denn eine Erkenntnis hatte mir dieser Tag gebracht: Ich war zwar eine Niete in Französisch, aber Noah war doch nicht nur das Arschloch, als das ich ihn abgestempelt hatte, sondern war tatsächlich echt nett. Es hatte mir gefallen, Zeit mit ihm zu verbringen und genau das machte mir verdammt Angst.
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